Berlin – Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) plant, allen Heilmittelerbringern wie Physiotherapeuten und Ergotherapeuten in Modellvorhaben flächendeckend die Möglichkeit einzuräumen, selbstständiger als bisher über eine Therapieform und ihre Dauer zu entscheiden. Dies geht aus dem Referentenentwurf eines „Gesetzes zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung“ hervor, der dem BVOU vorliegt. Bislang wird diese „Blankoverordnung“ erst in zwei Modellprojekten mit Physiotherapeuten erprobt.
Zur Begründung heißt es, die Zwischenergebnisse der laufenden Modellprojekte würden unterschiedlich bewertet. Um aber entscheiden zu können, ob eine solche Versorgungsform für die Regelversorgung in der Gesetzlichen Krankenversicherung geeignet ist, sei „eine verlässliche, breitere Informationsgrundlage zu schaffen“. Deshalb soll zukünftig „in jedem Land und für alle Heilmittelerbringer des Sozialgesetzbuchs (SGB) V ein Modellvorhaben durchgeführt werden, mit dem die Heilmittelerbringer größere Handlungsspielräume erhalten“. Modellvorhaben könnten sich dabei auch über mehrere Bundesländer erstrecken. Details sollen in einem Paragrafen 64 d des SGB V geregelt werden.
Grundlage der Versorgung bleiben ärztliche Diagnose und Indikationsstellung
In der Begründung zu dem vorgesehenen neuen Paragrafen heißt es: „Gegenstand des Modellvorhabens ist die mit dem Begriff der Blankoverordnung bezeichnete Versorgungsform. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass der Heilmittelerbringer selbständig über die Auswahl und die Dauer der Therapie sowie die Frequenz der Behandlungseinheiten bestimmt. Grundlage ist aber nach wie vor die Diagnose eines Arztes und die von ihm festgestellte Indikation für eine Heilmittelbehandlung.“
Da im Rahmen solcher Modellvorhaben „die Verantwortung für die Versorgung des Versicherten in gewissem Umfang vom Arzt auf den Heilmittelerbringer verlagert wird“, hätten die Vertragspartner auch zu beraten, „welche Konsequenzen sich daraus ergeben“. Dies gelte im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeitsverantwortung und notwendige Qualifikationen. Die bereits laufenden Modellvorhaben könnten fortgesetzt werden.
Spitzenverband der Heilmittelverbände fordert Direktzugang
Dem Spitzenverband der Heilmittelverbände (SHV) geht dies nicht weit genug. In einer Stellungnahme zum Entwurf schreibt der SHV, der Referentenentwurf weiche noch „von der einstimmigen Forderung der Landesgesundheitsministerien ab, die eindeutig den Direktzugang auch für Patienten der Gesetzlichen Krankenversicherung erproben wollen.“ Hier erwarte man Nachbesserungen. „Wir Heilmittelerbringer wollen und können nachweisen, dass sich die Behandlungsergebnisse verbessern, wenn wir losgelöst von der ärztlichen Heilmittelverordnung selbst über die Therapie der Wahl entscheiden“, so der SHV.
Krankenkassen: Direktzugang ist verfrüht, Nutzen vieler Maßnahmen gehört geprüft
Das Thema Modellversuche wird auch auf der Gesundheitsministerkonferenz der Länder behandelt, die heute in Rostock begonnen hat. Anfang Juni hatte der Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes Positionen für eine verbesserte und zugleich finanzierbare Versorgung mit Heilmitteln beschlossen. Auch das Thema Blankoverordnung/Direktzugang wurde dabei aufgegriffen. Aktuelle Forderungen nach eigenverantwortlichen Therapieentscheidungen durch Heilmittelerbringer im Rahmen einer Blankoverordnung oder gar eines Direktzugangs „erscheinen verfrüht, da die hierfür erforderlichen berufsrechtlichen Voraussetzungen derzeit nicht gegeben sind“, so das Krankenkassengremium. Auch seien wesentliche Fragen der Patientensicherheit sowie der Effektivität und Wirtschaftlichkeit eigenverantwortlicher Therapieentscheidungen durch Heilmittelerbringer noch völlig ungeklärt.
„Aus Sicht der Krankenkassen müssten die Berufsgesetze zunächst zwingend um Kenntnisse in der eigenständigen Indikationsstellung und Therapieplanung erweitert werden. Dabei sollten auch die noch ausstehenden Ergebnisse aus den bereits laufenden Modellvorhaben mit einbezogen werden“, so das Positionspapier. Zudem hatte der Verwaltungsrat angemerkt, trotz des hohen Stellenwertes der Heilmittel in der Patientenversorgung sei der therapeutische Nutzen der im Heilmittel-Katalog enthaltenen Maßnahmen bis heute nur unzureichend geklärt.
Referentenentwurf: mehr Qualität, mehr Geld, mehr Systematik
Der Referentenentwurf zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung sieht über die Regelung zu flächendeckenden Modellvorhaben unter anderem Folgendes vor:
- Das System der Preisfindung im Heilmittelbereich wird weiter flexibilisiert. Dafür wird der Grundsatz der Beitragssatzstabilität aufgehoben.
- Qualitätsaspekte sind bei der Hilfsmittelversorgung stärker zu berücksichtigen. Bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit im Rahmen von Ausschreibungen zu Hilfsmitteln sind neben dem Preis zu mindestens 40 Prozent Kriterien wie zum Beispiel Qualität, Zweckmäßigkeit, Kundendienst oder Betriebskosten heranzuziehen.
- Schiedsverfahren sollen beschleunigt werden, Vergütungserhöhungen schneller bei den Heilmittelerbringern ankommen.
- Der GKV-Spitzenverband muss bis 2019 Produktgruppen des Hilfsmittelverzeichnisses, die seit 30.6.2015 nicht mehr grundlegend aktualisiert wurden, systematisch analysieren und anpassen. Außerdem muss er bis 2018 grundsätzlich regeln, wie Hilfsmittel in das Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen werden und dieses fortgeschrieben wird.
- Die Krankenkassen werden verpflichtet, die Leistungserbringung bei Verträgen zur Hilfsmittelversorgung konsequenter als bisher zu prüfen und zu überwachen.
- Beratungs- und Informationsrechte der Versicherten sollen gestärkt werden.
Sabine Rieser