Berlin – 575 Millionen Euro – diese Summe haben 54 Pharmaunternehmen im letzten Jahr an Ärzte, Apotheker und medizinische Einrichtungen in Deutschland gezahlt. Im Rahmen des Transparenzkodex, der 2013 vom Verein „Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V.“ (FSA) und dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) verabschiedet wurde, sind die detaillierten Zahlungen der Pharmafirmen sowie die Namen einzelner Ärzte, die Zuwendungen erhalten haben, nun erstmals offengelegt worden.
Das Ziel des Transparenzkodex sei, die Zusammenarbeit von Ärzten und Industrie für die Öffentlichkeit nachvollziehbar zu machen und deren Notwendigkeit besser zu erklären, so Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des vfa, in einem Statement anlässlich der Veröffentlichung der Zahlungen Ende Juni. Denn der Wissensaustausch zwischen Industrie und Fachkreisangehörigen sei essentiell, um wissenschaftlichen Fortschritt und die bestmögliche Behandlung der Patienten zu ermöglichen. Durch die Offenlegung der Zahlungen solle das Vertrauen der Patienten in Ärzte und Pharmaindustrie gestärkt und die Grundlage für eine sachliche Diskussion geschaffen werden, ergänzte der Geschäftsführer des FSA, Dr. Holger Diener.
Freiwillige Initiative für mehr Transparenz
Der Transparenzkodex ist eine freiwillige Initiative von FSA und vfa und verpflichtet alle Mitgliedsunternehmen dazu, sämtliche mittelbaren und unmittelbaren Geldleistungen und vermögenswerten Leistungen, die an Ärzte und andere Fachkreisangehörige sowie medizinische Einrichtungen und Organisationen gezahlt wurden, zu veröffentlichen. Dies betrifft die Bereiche Forschung und Entwicklung, Spenden und Zuwendungen sowie Sponsoring und andere finanzielle Förderungen. Außerdem müssen auch Einladungen zu Fortbildungsveranstaltungen und Dienstleistungs- sowie Beratungshonorare offengelegt werden.
Regelung nach europäischem und amerikanischem Vorbild
Grundlage des Transparenzkodex ist der im Jahr 2013 beschlossene Transparency Code der European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations (EFPIA), des europäischen Dachverbands der forschenden Pharmaunternehmen. Dem vorangegangen war eine beispielgebende Transparenzinitiative aus den USA: mit dem „Physician Payments Sunshine Act“, der die Transparenz bei der Zusammenarbeit zwischen Pharmaindustrie und Gesundheitsdienstleistern sicherstellen soll, hat die US-Regierung bereits 2010 die gesetzliche Grundlage geschaffen, um Pharmaunternehmen zur Veröffentlichung ihrer Zahlungen zu verpflichten.
Ende 2013 überführte der FSA den EFPIA Transparency Code in einen nationalen Kodex, der am 1. Januar 2014 in Kraft trat. Demnach besteht für die Mitgliedsunternehmen seit 2015 die Pflicht, sämtliche Leistungen an Fachkreisangehörige und Organisationen zu dokumentieren. Im Juni 2016 wurden diese Zahlungen nun erstmals bezogen auf das Jahr 2015 auf den Webseiten der Firmen veröffentlicht.
Ein Drittel der Ärzte stimmt Namensnennung zu
Grundsätzlich sollen dabei auch individuelle Daten unter namentlicher Nennung des Empfängers veröffentlicht werden. Aus datenschutzrechtlichen Gründen geschieht dies allerdings nur unter Einwilligung der Betroffenen. Knapp ein Drittel der 71.000 Ärzte und Fachkreisangehörigen, die im Jahr 2015 Zuwendungen von Pharmaunternehmen erhielten, haben sich für eine Veröffentlichung ihres Namens entschieden, wie „Spiegel Online“ Mitte Juli berichtete. Das Nachrichtenmagazin hat gemeinsam mit dem Recherchezentrum „Correctiv“ die von den Pharmaunternehmen veröffentlichten Daten ausgewertet und in einer Datenbank zusammengetragen.
Wer erhielt wieviel?
Demnach beliefen sich die Zahlungen, die einzelne Mediziner und Fachkreisangehörige für Fortbildungen, Beratungen und Dienstleistungen erhalten haben, auf insgesamt rund 119 Millionen Euro. Durchschnittlich etwa 1.600 Euro habe damit jeder einzelne Arzt erhalten, so „Spiegel Online“ – wobei die Spanne hier sehr groß sei: der am besten bezahlte Mediziner habe mehr als 200.000 Euro erhalten, der geringste Betrag, der von einem Arzt als Reisekosten abgerechnet wurde, belaufe sich auf 2,10 Euro. 90 Millionen Euro gingen an medizinische Einrichtungen, für Sponsoring, Spenden und Stiftungen. Den weitaus größten Betrag mit 366 Millionen Euro gaben die Unternehmen im Bereich Forschung und Entwicklung für Anwendungsbeobachtungen und medizinische Studien aus. An welchen Arzt und welche medizinische Einrichtung hier welcher Betrag gezahlt wurde, ist von den Firmen allerdings nicht weiter differenziert worden.
Der Spitzenreiter der Liste, der Neurologe Prof. Dr. med. Hans Christof Diener, betonte im Interview mit „Spiegel Online“, dass über 95 Prozent seiner Einnahmen in die Finanzierung von Forschungsstellen am Universitätsklinikum Essen geflossen seien. Zudem werde von Kritikern häufig ausgeblendet, dass jedem Honorar auch eine vertraglich geregelte Gegenleistung gegenüberstehe, so zum Beispiel Vorträge oder Beratungstätigkeiten. Einen Interessenkonflikt sieht Diener dabei nicht, da das gezahlte Geld nicht an ihm „hängen bleibe“. Er wird seine Zuwendungen auch im kommenden Jahr wieder offenlegen.
Anne Faulmann
Weitere Informationen:
Die Leserreaktionen zum „Spiegel Online“-Beitrag: Von „Respekt!“ bis „Hetze ist das“
Umfassende Informationen zum Transparenzkodex
Beiträge von „Spiegel Online“ im Überblick:
Pharmalohn für Ärzte: Vielen Dank für die Millionen!
Transparenzkodex: Die wichtigsten Fragen und Antworten
200.000 Euro Pharma-Honorar: „Geld interessiert mich nicht“