„Es geht doch, wenn sich nur die richtigen Partner finden“
Prof. Wolfgang Rüther, Direktor der Klinik und Poliklinik für Orthopädie am Universitätsklinikum Hamburg- Eppendorf und Ärztlicher Leiter der Orthopädischen Rheumatologie am Klinikum Bad Bramstedt, und Dr. Uwe Schwokowski, Referatsleiter Orthopädische Rheumatologie im Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU), erörtern im Gespräch die Situation der Orthopädischen Rheumatologie im Rahmen der Versorgungsrealität in Deutschland und Europa.
Am Anfang steht der Begriff: Orthopadische Rheumatologie – wie ist dieser im Kontext der Konservativen Orthopadie und Unfallchirurgie einzuordnen?
Prof. Wolfgang Rüther: Der Begriff „Orthopädische Rheumatologie“ hat zwei Dimensionen – eine versorgungspolitische und eine medizinische. Medizinisch ist die ORh klar definiert und fokussiert. Sie hat einen operativen und einen nicht operativen Part. Ihr Stellenwert wird durch die Zusatzweiterbildung unterstrichen.
Dr. Uwe Schwokowski: Wir greifen mit unserer Referatsarbeit die Versorgungsrealität in Deutschland auf. Diese ist in der Rheumatologie durch ein Versorgungsdefizit gekennzeichnet, das zu langen Wartezeiten beim internistischen Rheumatologen führt. Wir bilden deshalb Orthopäden und Unfallchirurgen fort, sodass wir in der Versorgung entzündlicher und nicht entzündlicher Krankheitsbilder aktiv werden können. Dies entspricht dem europäischen Verständnis von Rheumatology.
Rüther: Genau dies ist der Punkt, an dem der politische Aspekt ins Spiel kommt. In Europa gibt es den Orthopäden deutscher Prägung nicht. Vom Süden bis zum Norden und von West nach Ost kennt man den orthopaedic surgeon – den operierenden Orthopäden. Alles andere ist in Europa Rheumatology – also all dies, was hierzulande als konservative Orthopädie definiert wird.
Schwokowski: Im BVOU tragen wir dieser Sichtweise Rechnung, in dem die Referate ORh und Konservative Orthopädie und Unfallchirurgie, Leiter ist dort Reinhard Deinfelder, eng kooperieren.
Rüther: Orthopädische Rheumatologie ist vergleichbar mit einer Marke auf europäischer Ebene. Damit ist das Fachgebiet klar definiert – es repräsentiert vieles, was hierzulande unter konservativer Orthopädie und Unfallchirurgie verstanden wird. Der Terminus „konservative Orthopädie“ ist innerhalb Deutschlands gebräuchlich, auf europäischer Ebene aber unbekannt. Deshalb betonen wir mit Orthopädische Rheumatologie die nicht operativen und operativen Anteile gleichermaßen, auch, um sie aus der Ecke des rein operativen herauszuholen, in der die Orh sehr häufig gesehen wird. Das Nicht- Operative ist unser Kernstück – Operationen sind meist die Option, wenn nichts anderes mehr möglich ist.
Schwokowski: Der weitaus größte Teil ist nicht operativ, das ist richtig. Man kann dies auch als voroperativ verstehen, wobei die Schnittstelle zur Operation als eine Option am Ende steht. Diese Kombination macht ja gerade den Reiz unseres Faches aus, in dem die konservativen und operativen Fäden zusammengehalten werden wie in keinem anderen Fachgebiet. Und dieser Verbund ist in Europa unbekannt.
Rüther: Genau dies nimmt die kommende Musterweiterbildungsordnung auf. Insgesamt wird in der O und U das Konservative gestärkt. Speziell in der Zusatzweiterbildung Orthopädische Rheumatologie werden ausdrücklich die operativen Anteile zurückgenommen und die nicht operativen Anteile umso stärker konturiert.
Schwokowski: Mit dem erweiterten Verständnis der Orthopädischen Rheumatologie öffnen wir uns als Netzwerk. Im Sinne der besseren, moderneren Versorgung können wir auf allen Ebenen mit Hausärzten und internistischen Rheumatologen zusammenarbeiten. Ideal wäre, wenn wir mit den Genannten gemeinsam das vertreten könnten, was europäisch unter Rheumatology verstanden wird. Auf lokaler und regionaler Ebene funktioniert dies bereits sehr gut.
Rüther: Das ist richtig und ein Aufbruchssignal, endlich gestaltend mit der Versorgungsarbeit beginnen zu können. Beispielhaft steht hier der Strukturvertrag in Baden-Württemberg, in der die Orthopädische Rheumatologie so umgesetzt werden kann, wie wir sie verstehen – mit den Hausärzten und gerne auch mit den internistischen Kollegen. In Baden-Württemberg waren hier die Kollegen Deinfelder, Flechtenmacher, Lembeck und andere federführend beteiligt. Ein weiteres Beispiel sind erste Netze, bestehend aus Orthopädischen Rheumatologen, den RhefOs (Rheumatologisch fortgebildete Orthopäden) und internistischen Rheumatologen sowie Kliniken. Hier liegt der regionale Schwerpunkt im Norden und geht unter anderem auf die Zusammenarbeit zwischen Uwe Schwokowski und mir zurück.
Schwokowski: Wir haben bereits in Schleswig-Holstein eigene Netzwerke gegründet, welche auch eine Reaktion auf Verträge sind, in die wir nicht eingebunden sind. Wir setzen auf Versorgungspfade, auf denen Hausärzte, Orthopäden und Unfallchirurgen, RhefOs, ORhs und internistische Rheumatologen Hand in Hand arbeiten.
Rüther: Die Kooperation klappt ja auch seit Jahrzehnten bei dem Krankheitsbild der Gicht. Da gibt es nicht die politischen Aspekte wie bei den entzündlichen Gelenkkrankheiten. Warum soll hier nicht klappen, was beim Krankheitsbild der Gicht schon auf das Beste bewährt ist?
Wie müssen die Orthopaden und Unfallchirurgen eingebunden werden und wie ist eine Praxis daraufhin zu organisieren?
Schwokowski: Es besteht ein Versorgungsdefizit. Die internistischen Rheumatologen haben lange Wartezeiten und können durch OUs und RhefOs entlastet werden. Wir sind dabei, interessierte Orthopäden und Unfallchirurgen einzubinden, ihnen die Möglichkeit zu bieten sich fortzubilden. Dies ist der Kern unserer Referatsarbeit: eine verbesserte Versorgung durch Früherkennung, Frühdiagnostik und Frühbehandlung. Der rheumatologisch interessierte Praxisinhaber muss entzündlich-rheumatologisch auf dem neuesten Stand sein. Auch seine Mitarbeiter/innen müssen hier ausgebildet sein – dies sind die Konzepte RhefO und ORFA (Orthopädisch-rheumatologische Fachassistenz). Untersuchungstechniken wie digitales Röntgen, Arthrosonographie und Labordiagnostik stehen im Mittelpunkt. Und das Zeitmanagement: Mehr Zeit muss auch für die ausführliche Anamnese und subtile Untersuchung zur Verfügung stehen.
Welche Patienten sind Zielgruppe?
Rüther: Entscheidend ist die Fähigkeit zu selektieren. Der Orthopäde – insbesondere der RhefO – sollte in der Lage sein, zu diagnostizieren, was entzündlich und was nicht entzündlich ist, um sofort die Patienten in die richtige Versorgung zu bringen.
Schwokowski: Wie gut übrigens die Orthopäden und Unfallchirurgen aus Sicht eines internistischen Rheumatologen (sic!) arbeiten, zeigt folgendes Zitat: Von zehn rheumatologischen Verdachtsfällen, die der Hausarzt an den internistischen Rheumatologen überweist, erhärtet sich der Verdacht in einem Fall; schickt der Allgemeininternist, sind im Schnitt tatsächlich drei Rheumapatienten darunter; überweist ein Orthopäde, bestätigt sich jeder zweite Verdachtsfall – die Selektion, so die Schätzung des internistischen Kollegen, ist bei den Orthopäden am besten.
Rüther: Wichtig ist doch die frühe Diagnose. Wenn wir in den ersten Monaten nach Krankheitsbeginn eine klare Diagnose stellen, eine adäquate Therapie einleiten und eine Remission erreichen, können wir die langfristigen Folgen der entzündlich-rheumatischen Krankheiten deutlich reduzieren. Das wollen nicht nur internistische Rheumatologen, das wollen auch Orthopäden und orthopädische Rheumatologen. Wenn aber die entzündlich-rheumatische Krankheit das Gelenk überschreitet, ist der Orthopäde nicht mehr zuständig. Bei Kollagenosen sind unter anderem die Nieren, bei Vaskulitiden auch das Gehirn betroffen – das ist kein Acker, den der Orthopäde bestellt. Spätestens, wenn die Bewegungsorgane überschritten werden, ist das ausschließlich das Feld des internistischen Rheumatologen.
Welche Aspekte sind aus berufspolitischer Sicht wichtig?
Schwokowski: Der Mehraufwand muss honoriert und die Kosten müssen aufgefangen werden. Ist dies nicht über den EBM zu erreichen, dann ist es erforderlich, dass die OU in den Selektivverträgen den Hausärzten gleichgestellt werden und die ORh den internistischen Rheumatologen.
Rüther: Es ist unbestritten, dass die Diagnostik und Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen mehr Aufwand bedeutet. Was bei den internistischen Rheumatologen akzeptiert ist, muss auch auf O und U übertragen werden.
Schwokowski: Der O und U sowie der RhefO müssen ein besseres Honorar für die Versorgung von Rheumapatienten bekommen und in Selektivverträgen berücksichtigt werden. Eine Rheumaziffer für die RhefO – das wäre sinnvoll und ist in Planung. Orthopäden, die sich entzündlich-rheumatologisch einbringen, sollen vom Budgetdruck befreit werden. Das Damoklesschwert Regress müsste ebenfalls über den Köpfen dieser Gruppe verschwinden. Ein gutes Beispiel ist der Strukturvertrag nach SGB V 73c – ein Strukturvertag in Baden-Württemberg mit Hausärzten, in denen die orthopädische Rheumatologie besonders berücksichtigt wird.
Rüther: Dies zeigt, so etwas ist durchaus mit den Krankenkassen und den Hausärzten machbar und stößt auf viel Zustimmung.
Schwokowski: Es geht doch, wenn sich nur die richtigen Partner finden, die so etwas gemeinsam konstruktiv umsetzen.
Das Gespräch führte Joachim Stier.