Mainz – Wissenschaftler der Universitätsmedizin Mainz haben für Brüche des unteren Schienbeins ein gänzlich neues OP-Verfahren und Medizinprodukt entwickelt: den Distal Tibial Nail (DTN). Das sehr stabile und belastbare Implantat ermöglicht es den Operateuren, den Knochen von unten und nicht von der Kniescheibe aus minimal-invasiv zu operieren. Dadurch sollen Operationszeit und Strahlendosis sowie das Risiko für Komplikationen verringert werden.
Neues Verfahren erstmals klinisch eingesetzt
Entwickelt wurde der Distal Tibial Nail von Univ.-Prof. Dr. Pol M. Rommens, Direktor des Zentrums für Orthopädie und Unfallchirurgie der Universitätsmedizin Mainz, und Privatdozent Dr. med. Sebastian Kuhn, Oberarzt, Forscher und Dozent an dem Zentrum. Die erstmalige klinische Anwendung fand Ende Januar erfolgreich in Japan statt. Die erste derartige Operation an der Universitätsmedizin Mainz sei im Laufe des Jahres 2017 geplant, so die Klinik.
Implantat ermöglicht schonendes Operieren
Vorteilhaft sei das neue Implantat insbesondere deshalb, weil Schienbeinbrüche oberhalb des Sprunggelenks damit nicht länger von der Kniescheibe aus operiert werden müssten: „Durch die retrograde, über den Innenknöchel ansetzende OP-Technik bleiben Kniegelenk und Patellarsehne unberührt. Auch der größte Abschnitt des Markkanals ist von dem Eingriff nicht betroffen“, erklärt Kuhn. Dadurch sinke auch das Risiko für verschiedene Komplikationen: „Wo bei der antegraden Marknagelung der lange Nagel im Markraum das dortige Fett verdrängt hat, welches dann häufig in die Lunge gelangt ist und dort eine Fettembolie verursacht hat, bleibt bei der Implantation des DTNs dies weitestgehend unberührt. Auch andere Folgekomplikationen des bisherigen Verfahrens wie Weichteilproblematiken oder wieder aufbrechende Wunden lassen sich durch den Distal Tibial Nail nahezu komplett verhindern“, so Kuhn.
„Der DTN ist ein Implantat, das die Anforderungen eines minimal-invasiven chirurgischen Verfahrens mit der Fähigkeit einer sicheren Frakturfixierung verbindet. In unseren biomechanischen Tests haben wir verschiedene Belastungsszenarien simuliert, und darin hat sich der Distal Tibial Nail als sehr stabil erwiesen“, erklärt Rommens. Die Fixierung des DTN erfolgt mittels Bohrungen und Verschraubungen über einen Zielbügel. Dies helfe dem Chirurgen, das Implantat und die Schrauben geführt einzubringen und gezielt zu verriegeln. Somit sei zu erwarten, dass bei einer DTN-Implantation die Operationszeit im Durchschnitt kürzer und die Strahlendosis geringer ist.
Bessere Behandlung schwieriger Frakturen
Mit ihrer Erfindung wollen die Mainzer Forscher die Versorgung distaler Tibiafrakturen und insbesondere komplizierter Brüche verbessern. Der DTN sei für ein spezielles und bisher häufig schwierig zu behandelndes Indikationsspektrum geeignet, darunter weit distal gelegene Schaftbrüche, distale Schienbeinbrüche außerhalb der Gelenkfläche und, in Kombination mit einer zusätzlichen Zugschraubenosteosynthese, distale Tibiafrakturen mit einfacher Gelenkbeteiligung.
Die erste Idee für den DTN hatte Rommens bereits im Jahr 2007. Im Rahmen seines Habilitationsprojekts hat Kuhn das Medizinprodukt daraufhin im Mainzer Labor zusammen mit weiteren Mitarbeitern bis zur Marktreife entwickelt. Nachdem im Jahr 2009 die ersten Prototypen erfolgreich getestet wurden, stieg 2014 der japanische Medizintechnik-Hersteller MIZUHO Corporation in das Projekt ein. Da der DTN in Japan bereits zugelassen ist, fand dort auch dessen erste Implantation statt.
Quelle: Universitätsmedizin Mainz