Berlin – Die Zahl der erfassten Schadenfälle in deutschen Krankenhäusern und Praxen ist über Jahre auf einem gleichbleibenden, sehr niedrigen Niveau geblieben. Orthopädie und Unfallchirurgie zählen gleichwohl zu den am häufigsten beteiligten Fachgebieten. Das zeigen zwei Auswertungen der letzten Wochen.
Mitte April legten die Ecclesia Versicherungsdienst GmbH und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) entsprechende Daten vor. Die Ecclesia zählt zu den führenden Versicherungsmaklern im Klinikbereich. Für die Jahre 1996 bis 2014 verzeichnete sie bei rund 330 Millionen erfassten Behandlungen lediglich 116.000 Entschädigungen. Dies entspricht einer Quote von 0,36 Promille. 70 Prozent davon, also rund 81.000 Entschädigungen, kamen im Rahmen von außergerichtlichen Einigungen zustande.
Ecclesia: mehr Entschädigungen bei O und U
Die Auswertungen zeigen nach Ansicht von Ecclesia-Hauptgeschäftsführer Manfred Klocke, dass über die Jahre weder die Antrags- noch die Entschädigungszahlen signifikant gestiegen sind. Der firmeninternen Statistik zufolge ist jedoch die Antragsquote im Bereich Orthopädie im Vergleich von 2000 und 2010 von 2,09 Promille auf 3,71 Promille gestiegen, die Entschädigungsquote von 0,67 Promille auf 1,01 Promille. Im Bereich Chirurgie blieb die Entschädigungsquote 2010 mit 0,67 Promille konstant.
Klocke zufolge müsse man diese Entwicklung weiter beobachten. Der Anstieg lasse sich vermutlich teilweise auf die stetig steigende Zahl der orthopädischen Behandlungen zurückführen. Auch spielten möglicherweise Faktoren wie die Verwendung neuer Materialien im Lauf der Jahre oder unrealistische Patientenerwartungen eine Rolle.
Kritik am Buch „Tatort Krankenhaus“
Mit ihren Daten bezogen DKG und Ecclesia indirekt auch Position zu Behauptungen, in deutschen Kliniken und Pflegeheimen gebe es eine Flut von Behandlungsfehlern und sogar gezielte Morde, die durch ökonomischen Druck begünstigt würden. Entsprechende Thesen finden sich im kürzlich erschienen Buch „Tatort Krankenhaus“, in dem unter anderem behauptet wird: „In deutschen Krankenhäusern werden jährlich rund 21.000 Patienten durch die Hände von Pflege und Ärztepersonal getötet.“
BÄK-Statistik: Fehler ebenfalls im Promillebereich
„Fehler passieren, auch in der Medizin. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass Patienten durch einen Behandlungsfehler zu Schaden kommen, ist extrem gering.“ Zu diesem Schluss gelangte Ende März auch Dr. Andreas Crusius, Vorsitzender der Ständigen Konferenz der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Bundesärztekammer (BÄK). Crusius stellte die Behandlungsfehlerstatistik für das Jahr 2016 vor.
Er verwies auf die Gesamtzahl der Behandlungsfälle in Klinik und Praxis. Demnach stiegen die ambulanten Behandlungsfälle zwischen den Jahren 2004 und 2015 auf mittlerweile knapp 700 Millionen. In Krankenhäusern erhöhte sich die Zahl der Behandlungsfälle im gleichen Zeitraum auf fast 20 Millionen Fälle.
Fehlervorwürfe am häufigsten bei Knie- und Hüftgelenksarthrosen
2016 haben die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen bundesweit 7.639 Entscheidungen zu mutmaßlichen Behandlungsfehlern getroffen (2015: 7.215). Danach lag in 2.245 Fällen ein Behandlungsfehler vor (Vorjahr 2.132). Die häufigsten Diagnosen, die zu Behandlungsfehlervorwürfen führten, waren solche aus dem Bereich der Knie- und Hüftgelenkarthrosen sowie der Unterschenkel- und Sprunggelenkfrakturen. Am häufigsten beteiligt an Gutachterverfahren waren die Fachgebiete Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Allgemeinmedizin.
Dass regelmäßig die Fachgebiete Unfallchirurgie und Orthopädie sowie Chirurgie im Fokus stehen, hat naheliegende Gründe, wie Dr. Astrid Zobel, Leitende Ärztin des MDK Bayern, bei einer Pressekonferenz im Jahr 2015 feststellte: „Dies hat damit zu tun, dass bei einem postoperativen Behandlungsverlauf, der nicht den Erwartungen entspricht, der Verdacht auf einen Behandlungsfehler naheliegt, während Fehler bei der Medikation von Patienten oft nicht wahrgenommen werden.“
Bei 188.000 behandelten Gonarthrosen lediglich 63 anerkannte Behandlungsfehler
Eine detaillierte Aufschlüsselung der BÄK verdeutlicht allerdings die Relationen: Nach der Gesundheitsberichterstattung des Bundes wurden im Jahr 2015 mehr als 188.000 Gonarthrosen klinisch behandelt (M17), wovon lediglich 63 bei den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen als fehlbehandelt anerkannt wurden. Bei Unterschenkel- und Sprunggelenksfrakturen waren rund 128.000 Diagnosen (S82) verzeichnet sowie 52 anerkannte Behandlungsfehler. Bei der Koxarthrose waren es 52 Fälle bei 172.000 Diagnosen (S52), bei Femurfrakturen (S72) 50 im Verhältnis zu knapp 183.000 Diagnosen.
Im ambulanten Bereich wurden von den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen 12 Fehlbehandlungen bei Rückenschmerzen (M54) anerkannt, zehn bei Therapien lumbaler Bandscheibenschäden (M51).
Innovationen auch im Bereich der Fehlerprävention
„Auch wenn diese Daten nicht das gesamte Behandlungsgeschehen abdecken, kann man mit ihnen arbeiten und wirksam Fehlerprävention betreiben“, betonte Prof. Dr. Walter Schaffartzik, Ärztlicher Leiter des Unfallkrankenhauses Berlin. Er ist auch Ärztlicher Vorsitzender der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern. Die Medizin in Deutschland sei hochinnovativ: „Das gilt nicht nur für Diagnostik und Therapie, sondern auch für den Bereich der Fehlerprävention und Qualitätssicherung. Checklisten, Qualitätszirkel, Peer-Reviews – aber auch Tumorkonferenzen oder Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen sind dafür nur einige Beispiele“, so Schaffartzik.
Die BÄK weist darauf hin, dass sich Patientinnen und Patienten grundsätzlich an die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Ärztekammern wenden können. Dort prüfen Fachgutachter gemeinsam mit Juristen, ob ein Behandlungsfehlervorwurf gerechtfertigt ist oder nicht. Es genügt ein formloser Antrag. Das Gutachten sowie die abschließende Bewertung sind für Patienten kostenfrei.