Würzburg – Muss man operieren, kann man operieren, sollte man operieren? – Diese Fragen beschäftigen viele Ärzte und Patienten jedes Jahr. Die richtige Diagnosestellung ist Voraussetzung für die geeignete Therapie. Nach Inkrafttreten des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes haben gesetzlich Versicherte seit Mitte 2015 vor ausgewählten geplanten Eingriffen Anspruch auf eine Zweitmeinung. Wie sich dies auf die Versorgung in der Orthopädie auswirkt, berichtete BVOU-Präsident Dr. Johannes Flechtenmacher bei einem Treffen des Arbeitskreises „Ärzte und Juristen“ der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF).
Mittels der Zweitmeinung sollen Patienten eine Diagnose oder auch die Notwendigkeit für eine Operation durch einen zweiten Arzt absichern lassen können. Bei welchen geplanten Eingriffen der Patient Anspruch auf eine Zweitmeinung hat, ist allerdings noch unklar. Darüber soll der Gemeinsame Bundesausschuss in der zweiten Jahreshälfte entscheiden.
Objektive Entscheidungen gerade beim Gelenkersatz schwierig
Besonders relevant sei das Thema Zweitmeinung in der Orthopädie, da man es dort überwiegend mit geplanten Eingriffen zu tun habe, erklärte Flechtenmacher, einer der Referenten der AWMF-Veranstaltung. Paradebeispiel dafür sei der künstliche Gelenkersatz, der zu den erfolgreichsten Operationen der letzten Jahrzehnte gehöre. „Dem Gesetzgeber ging es bei dem Rechtsanspruch auf eine Zweitmeinung weniger um den Patienten, sondern vorrangig darum, die nicht medizinisch begründete Indikationsausweitung zu begrenzen“, betonte er. Er machte deutlich, wie schwierig es gerade beim Gelenkersatz sei, objektiv zu entscheiden, wer wann zwingend operiert werden muss. „Das können nur Arzt und Patient gemeinsam entscheiden“, so Flechtenmacher, der auch hervorhob, wie wichtig „Shared Decision Making“ sei.
Das Zweitmeinungsgesetz hingegen verfolge das Prinzip, dass allein der Experte entscheiden könne, was für einen Patienten die richtige Therapie ist. Flechtenmacher kritisierte daher scharf Zweitmeinungen, die ausschließlich auf Bildbefunden beruhen. „Viele Patienten weisen einen dramatischen Verschleiß am Hüftgelenk auf, haben aber überhaupt keine Beschwerden“, erzählt er aus Erfahrung. Ginge man nur nach dem Bild, müsste dieser Patient operiert werden. „Doch wir operieren keine Bilder“, betonte der BVOU-Präsident.
Modellprojekt in Bayern: Zweitmeinung wenig genutzt
Anders sieht das bei der Bewertung pathologischer Befunde aus. So geschieht es bei einem Modellprojekt der AOK Bayern, das Peter Krase, Ressortleiter für das Leistungsmanagement der Kasse, vorstellte. Gemeinsam mit der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg bietet die Krankenkasse ein digitales Zweitmeinungsverfahren an. AOK-Versicherte aus ganz Bayern mit einem Krebsbefund können ihre Werte und Bilder an die Spezialisten der Uniklinik schicken, damit diese die Aussage des ersten Arztes überprüfen. Obwohl es auch die AOK-Versicherten mit fast 90 Prozent für wichtig erachteten, eine zweite Meinung einzuholen, werde das Angebot nur wenig genutzt. Trotz aufwändiger Informations- und Kommunikationsmaßnahmen hätten in den letzten drei Jahren nur 300 Versicherte von dem Angebot Gebrauch gemacht.
Die Mitglieder des AWMF-Arbeitskreises erstaune diese Zurückhaltung der Patienten. Für sie sei das ein Indiz dafür, dass die allermeisten Patienten in Deutschland trotz des verbrieften Rechts auf eine Zweitmeinung in der Mehrzahl auf die Aussage des ihnen meist bekannten ersten Arztes vertrauten.
Quelle: AWMF