Berlin – Mit der ersten „Fraktur-Challenge“ fand während der Frühjahrstagung der Vereinigung Süddeutscher Orthopäden und Unfallchirurgen (VSOU) Ende April die Premiere eines neuen Kursformats statt, welches die Fort- und Weiterbildung nachhaltig verbessern könnte. Konzipiert wurde es für Weiterbildungsassistenten in O und U und junge Fachärzte. Die „Fraktur-Challenge“ bot die Möglichkeit, diese Innovation hautnah kennen zu lernen und an Humanpräparaten zu üben sowie die eigenen Fähigkeiten in diesem Bereich in Teams miteinander zu messen. Organisiert wurde die Veranstaltung von Dr. Matthias Münzberg, Mitglied des Organisationsteams des VSOU, und von Marc Ebinger, Geschäftsführer der Firma RIMASYS. Im Doppelinterview erzählen sie, was das Einzigartige an diesem Format ist.
Herr Dr. Münzberg, Herr Ebinger: Warum braucht man neue Kursformate, um die Frakturversorgung zu üben?
Münzberg: Die Frakturversorgung ist zwar ein fester Bestandteil der Weiterbildung von angehenden Fachärztinnen und Fachärzten in Orthopädie und Unfallchirurgie und auch der Facharztprüfung. Sie jedoch möglichst realitätsnah zu erlernen, ist anfangs häufig gar nicht so einfach und vieles muss erst direkt am Patienten geübt werden. Es werden zwar Kurse zum Thema Osteosynthese angeboten. Doch dabei arbeitet man mit Kunstknochen, das heißt: Die Weichteile fehlen. Zusätzlich gibt es noch gute Weichteil-Workshops mit Zugangspräparationen, um praktisch zu veranschaulichen, wie man an eine Fraktur herankommt. Was bisher noch fehlte, ist das Zusammenspiel all dieser Elemente in einem Kursangebot.
Mit den frakturierten Humanpräparaten der Firma RIMASYS gelingt dies. Wir hatten in Baden-Baden Röntgen- und CT-Bilder sowie Präparate samt Fraktur mit intakten Weichteilen. Dadurch kann man – wie am echten Patienten – eine Frakturversorgung von Anfang bis Ende planen und durchführen: Beginnend mit der Diagnose anhand der Bildgebung, Implantantwahl, Zugangswahl bis hin zur Reposition und osteosynthetischen Versorgung der Fraktur. Die Herausforderungen ähneln denen einer realen OP-Situation sehr. Das gab es bisher noch nicht. Das ist ein bisschen so wie die Simulation im Bereich der Luftfahrt. Der Pilot lernt im Simulator das Fliegen und die Fähigkeit, in schwierigen Situation zu handeln – bevor er seinen ersten richtigen Flug mit Passagieren durchführt.
Herr Ebinger, wie stellen Sie die speziellen Frakturen in den Präparaten her?
Ebinger: Wir haben über die letzten fünf Jahre ein spezielles technisches Verfahren entwickelt, mit dem wir durch die gezielte Einleitung von Kräften und Momenten reale Unfälle nachstellen und so lebensechte Frakturen in Humanpräparaten reproduzierbar generieren können. Das Besondere ist nicht nur, dass die Frakturmuster denen der Realität entsprechen, sondern auch, dass der Weichteilmantel von außen nicht verletzt wird. Für die „Fraktur-Challenge“ haben wir zum Beispiel drei distale Humerusfrakturen nach AO-Klassifikation generiert.
Woher stammen die Präparate?
Ebinger: Die Präparate aus Körperspenden stammen entweder von akkreditierten Partnern der American Association of Tissue Banks oder aus deutschen Anatomien. In beiden Fällen entspricht der Einsatz für die Weiter- und Fortbildung dem letzten Willen des Spenders.
Wie muss man sich die Frakturgenerierung genau vorstellen?
Ebinger: Jede Fraktur kommt ja durch eine individuelle Verletzung zustande. Somit müssen für jede künstlich erzeugte Fraktur ein spezielles Verfahren und technische Adaptionen entwickelt werden. Wir nutzen dafür sogenannte Fresh-frozen-Präparate, weil deren biomechanische Eigenschaften am nächsten an die eines echten Patienten herankommen. Für die gezielte Verletzung der Präparate berechnen wir auf Basis unseres Verfahren die benötigten Kräfte, Torsionen und Impulse und setzen eigens entwickelte Maschinen ein. Dann kontrollieren wir mit Hilfe von Röntgenaufnahmen und Computertomografie-Bildern das Ergebnis. Ein darauf spezialisierter Partner transportiert das Präparat dann an den ausgewählten Kursort.
Wie lief die „Fraktur-Challenge“ in Baden-Baden ab?
Münzberg: Dort traten drei Teams gegeneinander an, die sich im Vorfeld beim Jungen Forum O&U für die Veranstaltung angemeldet hatten. Die Teams mussten anhand eines vorgegebenen Kriterienkataloges innerhalb von 60 Minuten die Frakturversorgung planen und durchführen, angefangen beim Anfertigen eines Röntgenbildes bis hin zum eigentlichen Eingriff. Anhand einer Checkliste sollte dann das eigentliche Siegerteam ermittelt werden. Allerdings muss ich sagen, dass jede der drei Gruppen hervorragend gearbeitet hat. Deswegen haben wir entschieden, dass alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer als Sieger aus dem Wettbewerb hervorgehen.
Zur ärztlichen Ausbildung gehört die Arbeit an Leichenteilen. Aber ist ein Wettbewerb bei der Arbeit mit Körperspenden nicht doch pietätlos?
Ebinger: Ziel ist es doch, die Versorgungsqualität zu erhöhen, dafür werden diese Fachkongresse und die daraus resultierenden Diskussionen benötigt. Das Format der „Challenge“ wurde für den VSOU gewählt, um die Thematik spannend im Programm zu positionieren. Die Teilnehmer hatte schnell der Ehrgeiz gepackt, die Teams konnten sich mit den bereitgestellten Röntgen- und CT-Bildern gut an ihren Fall heranarbeiten und die Versorgung planen. Die Resonanz war durchweg positiv, Realismus des Formats und Lerneffekt wurden deutlich bestätigt. Auch für uns war das eine Bestätigung. Wir wollen die Implementierung dieser realitätsnahen End-to-End-Versorgungen in Fort-und Weiterbildung vorantreiben. Am Ende ist es doch gut für den Patienten.
Münzberg: Meiner Ansicht nach nicht. Schon während des Studiums im so genannten Präparierkurs in der Anatomie wurden wir damit konfrontiert und vorbereitet. Diese Präparation ist aktuell eine tolle Möglichkeit die Kolleginnen und Kollegen realitätsnah vorzubereiten und so die Versorgungsqualität an den lebenden Patienten zu verbessern.
Was planen Sie konkret zur Fortsetzung des Formats?
Ebinger: Wir bereiten derzeit eine weitere Veranstaltung im Rahmen des DKOU 2017 am Kongressdonnerstag vor. Allerdings wird der geplante Kurs im Rahmen von zwei Hands-On-Workshops ablaufen und nicht als Wettbewerb.
Münzberg: Für den Morgen werden wir Radiusfrakturen vorbereiten, um die jungen Assistenzärztinnen und -ärzte anzusprechen. Am Nachmittag werden wir dann herausforderndere Frakturen vorsehen. Die Veranstaltung wird von hochrangigen Instruktoren begleitet, so von BVOU-Vorstandsmitglied Prof. Reinhard Hoffmann von der BG Unfallklinik in Frankfurt am Main und von Prof. Paul Alfred Grützner von der BG Klinik Ludwigshafen. Uns ist wichtig, dass man in Ruhe üben und sich von dem neuen Kurskonzept überzeugen kann – dahingehend wurde das DKOU-Format entwickelt. Wir freuen uns auf eine spannende Veranstaltung.
Vielen Dank für das Interview.