Berlin/Düsseldorf – Die Vereinbarung zwischen dem BVOU, Krankenkassen und der Deutschen Arzt AG interessiert viele – hier häufige Fragen, beantwortet von Dr. Roland Tenbrock.
Worum geht es beim Zweitmeinungsvertrag, den Dr. Roland Tenbrock, BVOU-Landesvorsitzender in Nordrhein und Mitglied des Vorstandes der Deutschen Arzt AG, für den Berufsverband ausrollt?
Der Vertrag dient dazu, mit den Möglichkeiten der konservativen Orthopädie Operationen hinauszuzögern oder zu vermeiden. Die Empfehlung für oder gegen eine Operation richtet sich dabei nach den objektiven Befunden und den subjektiven Beschwerden des einzelnen Patienten. Jeder Kollege und jede Kollegin kann frei entscheiden. Der Vertrag nimmt weder Einfluss auf die ärztliche Tätigkeit noch auf die individuelle Indikationsstellung. „Wenn eine Operation sinnvoll ist, dann empfehlen wir sie auch“, betont Dr. Roland Tenbrock. „Wenn wir allerdings gute Chancen sehen, sie zu vermeiden oder wenigstens um mindestens zwei Jahre zu verzögern, dann besprechen wir mit dem Patienten Therapieoptionen und stellen ihn rasch auch einem Physiotherapeuten vor.“ Ein großer Vorteil ist, dass Orthopäden nunmehr den Patienten, die eine Operation scheuen, aber unter Schmerzen und Bewegungseinschränkungen leiden, eine budgetbefreite Therapieoption anbieten können.
Was ist im Rahmen des Vertrags anders als in der Regelversorgung?
Der Vertrag sieht sehr viel umfangreichere Therapieoptionen vor. So können acht Physiotherapie-Einheiten in rascher Folge verordnet werden. Abhängig vom Bedarf des Patienten finden hier Heilmittel wie Krankengymnastik, Manuelle Therapie und gerätegestützte Krankengymnastik Anwendung. Nach dem Startmodul wird in einer Zwischenuntersuchung der Behandlungsstatus erhoben und gemeinsam mit dem behandelnden Physiotherapeuten die Therapiefortführung festgelegt. Bei einem erfolgversprechenden Verlauf sind weitere 24 Therapieeinheiten möglich., insgesamt also maximal 32. Außerdem ist die ganze Bandbreite an konservativen Möglichkeiten einsetzbar: Akupunktur, Bandagen, Schmerzmittel, Hyaluronsäure-Spritzen und anderes. Kurz: Die Therapieoptionen reichen weit über das hinaus, was in der Regelversorgung finanziert wird, Doppeluntersuchungen werden vermieden und eine schnelle fachübergreifende Versorgung zum Wohle des Patienten gewährleistet.
Machen Physiotherapeuten irgendwelche Vorgaben?
Nein. Sie nehmen keinen Einfluss auf die Indikationsstellung. Sie geben im Rahmen ihrer Eingangsanalyse allerdings die wichtige Einschätzung ab, ob mit den einsetzbaren Mitteln eine Operation verzögert oder vermieden werden kann.
Was sind bisher die Effekte?
Nach rund vier Wochen intensiver Therapie können die einschreibenden Ärzte und die teilnehmenden Physiotherapeuten in der Regel gut beurteilen, in welche Richtung sich die Beschwerden entwickeln, und so den weiteren Therapieverlauf miteinander besprechen. In einer aktuellen Studie zusammen mit der Barmer und der Hochschule Niederrhein sollen nun noch weitere statistisch relevante Ergebnisse ausgewertet werden.
Wer kann am Vertrag teilnehmen?
Er ist offen für alle Fachärzte für Orthopädie und Orthopädie und Unfallchirurgie, die ein geeignetes Therapiezentrum in der Nähe haben. Geeignet bedeutet für die Physiotherapie grundsätzlich: Kassenzulassung, bestimmte räumliche und apparative Ausstattung, Therapeuten mit KGG/KG-MT-Qualifikation.
Können auch Hausärzte teilnehmen?
Ja. Sie erhalten für die Weiterleitung von Patienten und eine entsprechende Befunddokumentation ein Honorar. Und sie können sicher sein, dass ihr Patient innerhalb von sieben Werktagen dort einen Termin bekommt. Sollte ein Patient von seinem Hausarzt eingeschrieben werden, muss aber die Zweitmeinung zwingend durch einen Facharzt für Orthopädie oder Orthopädie und Unfallchirurgie erfolgen. So wird sichergestellt, dass jeder Patient vor einer Operation optimal diagnostiziert und vorbereitet wird.
Für welche Patienten ist der Vertrag geeignet?
Grundsätzlich gilt, dass alle unmittelbar vor einer Entscheidung zur Operation stehenden Patienten an diesem Versorgungsprogramm teilnehmen können. Manche Krankenkassen finanzieren die Zweitmeinung nur bei Totalendoprothesen, andere zusätzlich bei Wirbelsäulen-Operationen. Das Konzept des intensiven Trainings ist vor allem für motivierte, körperlich noch einigermaßen fitte Patienten geeignet, die über einen Zeitraum von drei bis fünf Monaten regelmäßig ein-bis zweimal pro Woche in ein teilnehmendes Physiotherapiezentrum gehen können. Sie sind es, denen die Krankenkassen derzeit vor allem empfehlen, über eine Einschreibung nachzudenken. Eine große Rolle für den Erfolg der Behandlung spielt die Compliance des Patienten.
Wie viele Ärzte und Physiotherapeuten hatten sich bis Ende 2017 eingeschrieben?
Bis zum Jahresende waren 496 Fachärzte Orthopädie/ Orthopädie und Unfallchirurgie, 105 hausärztlich tätige Ärzte und 76 physiotherapeutische Zentren in die Versorgungsverträge eingeschrieben.
Die Krankenkassen gelten als wenig experimentierfreudig bei Verträgen. Wieso ist dieser Vertrag zustande gekommen?
Die Inhalte haben die beteiligten Krankenkassen überzeugt. Selbst die umfangreiche Behandlung kostet inklusive intensiver Physiotherapie und gegebenenfalls Gerätetraining deutlich weniger als eine mögliche Operation. Dabei sind Folgekosten (zum Beispiel für eine Reha, Wechsel-OP, eventuelle Komplikationen) noch gar nicht mit eingerechnet. Dennoch gilt: Die Patienten, für die eine Operation sinnvoll erscheint, bekommen sie auch empfohlen.
Wie nehmen die Patienten den Vertrag an?
Gut. Sie sind dankbar, dass ein Team aus Arzt und Physiotherapeut sich um sie kümmert und sie lenkt. Und das in enger Abstimmung untereinander. Auch die beteiligten Krankenkassen steigen im Ansehen ihrer Versicherten. Die positive Stimmung sorgt dafür, dass man die eingeschriebenen Patienten leichter zur Eigeninitiative und zum klugen Umgang mit ihren Beschwerden motivieren kann.
Wie findet man Fachärzte und Physiotherapeuten, die sich beteiligen?
Die Krankenkassen vermitteln interessierten Patienten einen eingeschriebenen Arzt. Die Deutsche Arzt AG hilft als Managementgesellschaft Orthopäden und Unfallchirurgen telefonisch oder über eine entsprechende Website weiter. Aktuell sind noch qualifizierte Physiotherapeuten in den Regionen Leverkusen, München und Münster an einer Zusammenarbeit mit Fachärzten für Orthopädie und Orthopädie und Unfallchirurgie interessiert. Die Deutsche Arzt AG hilft auch bei der Suche nach geeigneten Physiotherapeuten. Der BVOU als Vertragspartner bemüht sich derzeit, das Angebot deutschlandweit flächendeckend auszurollen. Es geht um ein breites Angebot und nicht um eine Verdichtung in wenigen Regionen. Auch so wird dem Antikorruptionsgesetz Rechnung getragen.
Was für ein Unternehmen ist die Deutsche Arzt AG?
Die Deutsche Arzt AG gestaltet den Zugang zu sinnvollen Gesundheitsleistungen schnell, unkompliziert und effizient. Darüber hinaus nutzt sie die Chancen, die die Digitalisierung heute bietet, um Versorgungsprozesse durch gezielten Einsatz digitaler Lösungen wie der Videosprechstunde oder der Online-Therapie zu verbessern.
Sie entwickelt und verhandelt mit Kostenträgern seit längerem Versorgungskonzepte von Ärzten für Ärzte mit dem Ziel der bestmöglichen Patientenversorgung. In der Regel handelt es sich um konservative Therapiekonzepte als Alternative zu Operationen und zur Vermeidung von Langzeit-Arbeitsunfähigkeiten.
Welche Krankenkassen sind bisher beteiligt?
BARMER, DAK Gesundheit, BKK VBU, VIACTIV Krankenkasse, energie BKK.
Was bringt die Videosprechstunde?
Damit sich Arzt, Physiotherapeut und Patient auch außerhalb der Praxen austauschen können, bietet die Deutsche Arzt AG die Videosprechstunde an. Fragen können so online geklärt werden. Hier wurden bereits im Rahmen des vorliegenden Versorgungsvertrages Fallkonferenzen zwischen Ärzten, Physiotherapeuten und Patienten zur Freude aller Teilnehmer durchgeführt. Die Zertifizierung über die KBV ist auf dem Weg.
Was passiert, nachdem der Patient einige Wochen lang engmaschiger therapiert wurde?
Das kommt auf den Einzelfall an. Wenn sich zeigt, dass eine Operation doch sinnvoll ist, wird diese in der Zwischenuntersuchung empfohlen – die Therapie ist damit erst einmal beendet. Hat die Therapie dem Patienten geholfen, bietet die Deutsche Arzt AG zur Erhaltung der Therapieerfolge mit „NextPhysio“ ein onlinebasiertes Heimtrainingsprogramm an. NextPhysio wurde von erfahrenen Physiotherapeuten entwickelt. Mit mehr als 250 professionell gestalteten therapeutischen Übungsvideos werden Beweglichkeit, Koordination, Kraft, Wahrnehmung oder Stabilität trainiert. An den Versorgungsverträgen teilnehmende Patienten erhalten es für drei Monate individuell zusammengestellt und können damit orts- und zeitungebunden trainieren.
Plant der BVOU weitere Informationen zum Vertrag und seinen Inhalten?
Ja, im Herbst lief bereits über den BVOU StudyClub zu dem Thema ein Webinar, das man sich im Archiv anschauen kann. Ein weiteres Webinar ist bereits in Planung. Darüber hinaus können sich interessierte Kolleginnen und Kollegen im Rahmen der VSOU-Frühjahrstagung in Baden-Baden direkt am BVOU-Stand informieren. Dort wird eine Mitarbeiterin der Deutschen Arzt AG vor Ort sein.