Berlin – Der Rollout der Telematikinfrastruktur (TI) geht weiterhin nur schleppend voran. Im Zentrum der Debatte stehen die immer noch nicht verfügbaren Konnektoren anderer Anbieter, das damit verbundene Preis- und Sanktionsrisiko für die Arztpraxen und die Umsetzung weiterer medizinischer Anwendungen für die elektronische Gesundheitskarte (eGK).
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hat sich bei einem Pressegespräch erneut für eine Fristverlängerung und Anpassung der Finanzierungspauschalen für die TI ausgesprochen. „Wir können nicht hinnehmen, dass die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten die Probleme ausbaden müssen, die der Markt verursacht“, sagte KBV-Vorstandsmitglied Dr. Thomas Kriedel gestern in Berlin.
Zwar gibt es seit einigen Wochen einen weiteren Anbieter für die SMC-B-Karte (T-Systems) und das stationäre Kartenterminal (Cherry). Jedoch ist nach wie vor nicht sicher, wann weitere Konnektoren auf den Markt kommen werden. Mehrere Anbieter stünden in den Startlöchern, so Kriedel. Doch ob sie wie angekündigt ab dem zweiten Quartal liefern könnten, sei fraglich. Und selbst wenn dies der Fall wäre, halte es die KBV für unrealistisch, alle 100.000 Praxen innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Frist bis Ende 2018 an die TI anzuschließen. Denn bisher seien erst zwischen 7.500 und 10.000 TI-Installationen erfolgt, erklärte Kriedel.
Für etwa die Hälfte der Niedergelassenen, die ihre Praxissoftware nicht über den schon vorhandenen Konnektor-Anbieter, die CompuGroup Medical (CGM), beziehen, fehle es außerdem noch gänzlich an Angeboten für den TI-Anschluss.
Forderung: Mehr Zeit und gesicherte Kostenerstattung für die Praxen
Derzeit drohen den Ärzten Honorarkürzungen in Höhe von einem Prozent, wenn sie den Versichertenstammdatenabgleich (VSDM) als erste verpflichtende Anwendung der TI nicht ab dem 1.1.2019 durchführen. Um dieses Sanktionsrisiko zu entschärfen, will die KBV beim Gesetzgeber eine erneute Fristverlängerung bis Mitte 2019 erwirken. „Ursprünglich waren ohnehin zwei Jahre für den technischen Rollout der TI vorgesehen“, erinnerte Kriedel. Beginnen konnte der Rollout jedoch erst Ende letzten Jahres mit der Zulassung der ersten technischen Komponenten durch die gematik.
Neben dem Zeitproblem kommt auf die Arztpraxen voraussichtlich auch ein finanzielles Problem zu. Denn die Finanzierungspauschalen für die TI-Erstausstattung liegen spätestens ab dem dritten Quartal 2018 deutlich unter den derzeitigen Marktpreisen. „Wir haben es hier mit einer möglichen Unterdeckung im vierstelligen Bereich pro Praxis zu tun“, so Kriedel. Deshalb habe die KBV nun erneut Verhandlungen mit dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen, um die Erstattungspauschalen unter Berücksichtigung der aktuellen Marktsituation neu zu verhandeln. Denn entsprechend dem E-Health-Gesetz steht den Ärzten eine vollständige Erstattung der Kosten für die TI-Komponenten zu.
Technische Störung ohne Einfluss auf Praxisbetrieb
Zuletzt hatte es aufgrund technischer Schwierigkeiten erneut Kritik an der Telematikinfrastruktur gegeben. So kam es in der vergangenen Woche zu einer Störung der Konnektoren, weswegen Arztpraxen kurzfristig nicht mit der TI verbunden waren und keinen Stammdatenabgleich durchführen konnten.
Der gematik zufolge konnte die Ursache dieser Störung innerhalb weniger Stunden behoben werden und die von der Störung betroffenen Konnektoren im Laufe der Woche die Verbindung in die TI wieder erfolgreich aufbauen. Der Praxisbetrieb sei zu keinem Zeitpunkt beeinträchtigt gewesen, da das Einlesen der eGK und das Anlegen eines Behandlungsfalls im Praxisverwaltungssystem weiterhin uneingeschränkt möglich gewesen sei.
Auch bei BVOU-Mitglied Dr. Peter Kalbe, der sich vor Kurzem bereits im Interview mit dem BVOU über seinen Anschluss an die TI geäußert hatte, gab es nach seinen Worten keine Beeinträchtigungen durch die Störung. Sie sei innerhalb kurzer Zeit per Fernwartung beseitigt worden.
Erste medizinische Anwendungen ab Herbst im Test
Um mehr Akzeptanz für die TI und konkrete Mehrwerte für Ärzte und Patienten zu schaffen, sollen die ersten medizinischen Anwendungen der eGK, der Notfalldatensatz und der elektronische Medikationsplan, sobald wie möglich getestet und anschließend ausgerollt werden. Dafür soll es im Herbst einen zweimonatigen Feldtest mit etwa 75 Arztpraxen in Westfalen-Lippe geben, wie das „Deutsche Ärzteblatt“ vor Kurzem berichtete.
KBV sieht weiteren Klärungsbedarf bei ePA
Als Sammelstelle und Vernetzungsinstrument für die verschiedenen Anwendungen und Akteure der Telematikinfrastruktur soll die elektronische Patientenakte (ePA) fungieren. Doch auch hier gebe es noch viele offene Fragen, was die konkrete Ausgestaltung angehe, betonte KBV-Vorstand Kriedel beim gestrigen Pressegespräch.
So müsse sichergestellt werden, dass es für jeden Patienten nur eine Akte gebe, die zum Beispiel auch bei einem Krankenkassenwechsel bestehen bleibt. Deshalb sei es wichtig, einheitliche technische Standards zu schaffen und Insel- oder Parallellösungen von unterschiedlichen Anbietern zu vermeiden. Als zentralen Akteur für alle technischen Fragen und Fragen der Interoperabilität sieht die KBV somit weiterhin die gematik.
Außerdem müsse ein sinnvolles Zugriffs- und Berechtigungskonzept für die ePA erarbeitet werden. Denn letztlich könne der Patient entscheiden, welche Daten er welchem Arzt zur Verfügung stelle. Deshalb müsse auch klar dokumentiert werden können, über welche Informationen aus der Akte ein Arzt Kenntnis hatte, als er eine Diagnose stellte, so Kriedel. Über die Inhalte und die damit verbundene Vergütung der ePA müsse sich die KBV nun mit dem GKV-Spitzenverband abstimmen.