Berlin/Murnau – Was muss sich in der Weiterbildung O und U noch ändern, damit zukünftige Fachärztinnen und Fachärzte mit Kompetenz und Freude in die selbstständige Berufsausübung einsteigen? Vorschläge macht im Interview Dr. Lisa Wenzel, eine der drei Leiterinnen des Jungen Forums O und U.
Frau Dr. Wenzel, wie zufrieden sind Sie persönlich bisher mit Ihrer Weiterbildung?
Dr. Lisa Wenzel: Ich bin sehr zufrieden. Meine Weiterbildung in Murnau und Garmisch wird innerhalb der vorgegebenen Regularien sehr gut umgesetzt. Dazu gehören geplante Rotationen in die verschiedenen Abteilungen. Sehr gut ist auch, dass man durch die Kooperation mit Garmisch nicht nur in einem überregionalen Traumazentrum ausgebildet wird, sondern zusätzlich in einem regionalen. In Murnau kann ich noch Kurse für den sogenannten Implantate-Führerschein belegen. Dabei kann man in Ruhe außerhalb des OPs die Instrumente kennenlernen und ausprobieren.
Aber?
Wenzel: Insgesamt sind wir beim Jungen Forum der Ansicht, dass man die heutige Weiterbildung noch verbessern muss, vor allem die Gesamtstruktur. Auch mir ist es insbesondere zu Beginn schwergefallen zu wissen, wann ich welche Inhalte des Weiterbildungskatalogs lernen sollte und wie ich mir das entsprechende Wissen aneigne. Das geht vielen so.
Wie ließe sich das ändern?
Wenzel: Optimal wäre es, wenn Fachgesellschaften und die Ärztekammern gemeinsam noch bessere Strukturen schaffen würden, auch wenn natürlich die eigentliche Weiterbildung in den Händen der Kliniken liegt. Wünschenswert wäre ein Weiterbildungscurriculum mit Modulen, die man flexibel anwenden kann. Vorstellbar wäre doch, dass es feste Basismodule für Einsteiger gibt, aber auch Module für die Rotationen in einzelne Bereiche und auch entsprechende Kursangebote dazu. Das wäre perfekt.
Was würden Sie noch reformieren?
Wenzel: Die Weiterbildung muss noch stärker ergänzt werden um alternative Methoden zur Qualifizierung. Der Zeitdruck im OP wächst immer mehr. Die Kliniken stehen unter enormem Druck, effizient zu arbeiten und Gewinne zu erwirtschaften. Dadurch fehlt häufig die Zeit im OP, den Nachwuchs effizient und in Ruhe weiterzubilden. Es müsste deshalb gelingen, die Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung so zu qualifizieren, dass sie im OP schon eine gewisse Geschwindigkeit und bestimmte Fertigkeiten mitbringen. Darüber hinaus fände ich es sinnvoll, Anreize zu setzen, um eine gute Weiterbildung zu fördern. Wer sich heute viel Mühe bei der Lehre oder der Anleitung der Weiterzubildenden gibt, bekommt keinen Bonus, sondern hat zeitlichen Mehraufwand neben den alltäglichen Aufgaben, die in der Klinik zu bewältigen sind. Im Moment machen doch eher die Kolleginnen und Kollegen Karriere, die forschen.
BVOU und DGOU haben im vergangenen Jahr die Ergebnisse einer gemeinsamen Online-Umfrage zur Weiterbildung vorgestellt. Dabei ging es um konservative Inhalte. Der Selbsteinschätzung der Antwortenden nach sehen viele bei sich Defizite. Können Sie das nachvollziehen?
Wenzel: Ja, das schätze ich ähnlich ein. Hier herrscht große Unsicherheit, weil häufig die Zeit für eine tiefergehende Anleitung fehlt. Zwar kann man sich theoretisches Wissen zu den einzelnen Techniken aneignen. Aber auch hier müsste man in einem ruhigeren Rahmen ohne Zeitdruck Untersuchungen und Praktiken üben können und Vermitteltes wiederholen. Auch für die konservativen Inhalte gilt zudem: Es fehlt vielen das Wissen, wann sie was können müssen.
Die Weiterbildung in Praxen wird selten gegenfinanziert. Ist das aus Ihrer Sicht auch ein Problem?
Wenzel: Ja, vor allem in kleineren Praxen, die finanziell keine Möglichkeit zur Kompensation haben. Hier müsste es von politischer Seite mehr Unterstützung geben.
Das Thema Zeitmangel spielt in der Diskussion um eine bessere Weiterbildung jedenfalls eine entscheidende Rolle, oder?
Wenzel: Allerdings. Weiterbildung ist in gewissem Sinn ein Nebenprodukt neben der Arbeit geworden. Das gilt für die Weiterzubildenden wie für diejenigen, die sie anleiten. Uns fehlt wirklich überall Zeit. Es gibt keine im Arbeitsalltag geblockten Zeiträume, so dass man sich vieles nach Feierabend aneignen muss, wenn man bereits müde von einem langen Tag ist und vielleicht auch ganz gerne etwas Freizeit genießen würde. Mancherorts ist es für die Kolleginnen und Kollegen schwierig, sich auf die Operationen am nächsten Tag vorzubereiten, weil man gar nicht weiß, was dann gemacht wird oder wo man eingeteilt wird. Und für die Ärztinnen und Ärzte, die uns anleiten, ist häufig schwer abzuschätzen, welchen Wissensstand und welche praktischen Fähigkeiten jeder Einzelne von uns mitbringt.
Warum?
Wenzel: Ich glaube, dass Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung früher häufiger von Kolleginnen und Kollegen angeleitet wurden, die eher Mentoren waren und den Überblick über den Wissensstand der Jüngeren hatten. Das ist bei der heutigen Arbeitsverdichtung in den Kliniken kaum mehr möglich. Hinzu kommt die Natur unseres Fachgebiets: In der Unfallchirurgie ist nun einmal oft nicht planbar, was wann operiert wird. In der Endoprothetik wiederum, bei der es meist um planbare Eingriffe geht, kann man sich auf Operationen besser vorbereiten. Hinzu kommt, dass man es in O und U oft mit einer sehr großen Komplexität zu tun hat. Und ein weiterer Punkt: Es ist natürlich sinnvoll zu rotieren. Aber jeder rotiert ja zu unterschiedlichen Zeiten in bestimmte Bereiche. Wenn man im ersten Jahr der Weiterbildung mit Wirbelsäulenoperationen zu tun hat, ist das etwas anderes, als wenn man erst im vierten oder fünften Jahr in diesen Bereich kommt. Dann bringt man schon viel mehr Erfahrung mit.
Viele junge Fachärztinnen und Fachärzte sorgen sich, ob sie genug und das Passende können. Was könnte man hier noch verbessern?
Wenzel: Das Junge Forum plädiert dafür, mehr Weiterbildung in Verbünden anzubieten. An sich sollte jeder angehende Facharzt die unterschiedlichen Versorgungsstufen kennengelernt haben, also einen Einblick in kleine und überregionale Klinken, in Praxen und Medizinischen Versorgungszentren, erhalten haben. Je nachdem, was man schließlich für sich anstrebt, sollte man hier oder da mehr beziehungsweise weniger Zeit verbringen. Ich fände, das wäre auch eine gute Grundlage, um später regelmäßig gemeinsame Fortbildungen von Klinik und Praxis auf den Weg zu bringen und eine engere Zusammenarbeit zu schaffen
Manche fürchten, dass die Weiterbildung durch Verbünde noch mehr verschult wird und die Freiheit schwindet, seinen eigenen Weg zu gehen.
Wenzel: Ich sehe erst einmal grundsätzlich keine Einschränkung. Für eine gute Zusammenarbeit und Patientenversorgung ist es doch notwendig, dass man Einblicke in die Stufen der Versorgung erhalten hat. Zumindest ein grober Überblick muss sein. Ich würde aber nicht so weit gehen, Verbünde zu kleinteilig zu gestalten. Niemand sollte in eine bestimmte Klinik oder Praxis gezwungen werden, wenn das für ihn keine passende Option ist. Deshalb sollten Rotationen auch zwischen Verbünden möglich sein.
Der Deutsche Ärztetag hat gerade wieder die Muster-Weiterbildungsordnung etwas grundsätzlicher reformiert. In Zukunft soll stringenter erfasst werden, welche Fertigkeiten und Fähigkeiten jemand tatsächlich während seiner Weiterbildung erworben hat. Ist das sinnvoll?
Wenzel: Einerseits bedeuten zusätzliche Bescheinigungen und Dokumentationen, dass noch mehr von der Zeit abgeht, die Weiterzubildende und Weiterbilder haben. Andererseits ist die genauere Bescheinigung wohl der einzig richtige Weg, um zu erreichen, dass die Weiterbildungsanforderungen umgesetzt werden. Ich persönlich halte es beispielsweise für richtig, die heutigen Richtzahlen nicht zu sehr zu reduzieren. Wir müssen aber alternative Wege schaffen, diese zu erreichen. Erfahrungen sollte man nicht nur im OP, sondern auch durch Kurse, Simulationen etc. erwerben können, und das gehört dann auch anerkannt und im Logbuch dokumentiert. Wir hoffen diesbezüglich auch auf eine gute Zusammenarbeit mit der neu gegründeten AG Digitalisierung der DGOU, um zukunftsträchtige Weiterbildungsmethoden zu etablieren. Denn es ist nicht möglich, alle in der Weiterbildungsordnung geforderten Punkte in jeder Klinik zusammenzubekommen.
Gibt es etwas, was Deutschland sich bei der Weiterbildung im Ausland abgucken könnte?
Lisa Wenzel: In der Schweiz sind tatsächlich schon einige Weiterbildungsverbünde implementiert. Es gibt auch eine Art Zwischenexamen, bei dem man sich auf die Themen Anatomie und Zugangswege für O und U vorbereitet. Solch eine Art der Überprüfung von Meilensteinen oder Arbeitsschritten, vielleicht zwei oder drei, auf die man sich während der Weiterbildung schon vorbereiten kann, sollte man zumindest in Betracht ziehen. In den USA gibt es eine stärkere Hierarchie in den Weiterbildungsgruppen nach absolvierten Jahren. Für jede Gruppe sind klare Aufgabenbereiche definiert. Weiterhin positiv ist die verstärkte Anleitung im Hinblick auf Forschungsprojekte und ebenso, dass es eine gegenseitige anonyme Evaluation von Weiterbildenden und Weiterzubildenden gibt.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Rieser.
Zur Person
Dr. Lisa Wenzel (30) ist derzeit im dritten Weiterbildungsjahr an der BG Unfallklinik Murnau tätig. Zu ihrer Weiterbildung gehört auch die Tätigkeit am Klinikum Garmisch-Partenkirchen sowie der Einsatz im Bereich Endoprothetik an der dort ansässigen endogap Klinik für Gelenkersatz., mit der die BG-Klinik kooperiert. Gerade arbeitet Wenzel im Rahmen eines Research Fellowship in der Schweiz. Sie forscht bis Ende September in (Davos) für eine biomechanische Studie zu Azetabulumfrakturen. Danach kehrt sie nach Murnau zurück.