Archiv für den Monat: November 2020

Die Deutsche Assoziation für Fuß und Sprunggelenk e.V.

Die Deutsche Assoziation für Fuß und Sprunggelenk e.V. ist mit ca. 1800 aktiven Mitgliedern eine der größten Sektionen der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU). Sie widmet sich der Diagnostik und Therapie von angeborenen und erworbenen Erkrankungen und Verletzungen des Fußes und Sprunggelenks sowie deren Folgen.

Die Deutsche Assoziation für Fuß und Sprunggelenk e.V. wurde 1991 zunächst als Arbeitskreis Fußchirurgie in der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Traumatologie e.V. (DGOT) gegründet. 1993 wurde dann der Verein als „Deutsche Gesellschaft für Orthopädische Fußchirurgie e.V.“ gegründet, 1996 erfolgte die Umbenennung in den heute aktuellen Namen: Deutsche Assoziation für Fuß und Sprunggelenk e.V.

Ziele

Die D.A.F. beschäftigt sich mit der Diagnostik und Therapie von angeborenen und erworbenen Erkrankungen des Fußes und Sprunggelenks sowie mit Verletzungen und deren Folgen. Zielsetzung des Vereins ist es, Erfahrungen auszutauschen, den medizinischen Nachwuchs zu schulen, Tagungen und Kongresse auszurichten und wissenschaftliche Publikationen in der Zeitschrift „Fuß und Sprunggelenk“ zu veröffentlichen.

Kurse und Kongresse

Neben einer Jahrestagung veranstaltet die D.A.F. ca. 20 fußchirurgische Kurse pro Jahr, die Teil eines achtteiligen Kurssystems sind und zum Erwerb des Zertifikats Fußchirurgie führen. Darüber hinaus ist die D.A.F. mit zahlreichen Sitzungen an nationalen und internationalen Kongressen beteiligt.

Jahrestagung

Diese findet jährlich an wechselnden Orten in Deutschland statt und erstreckt sich über zwei Tage, in der Regel in Kooperation mit einem Gastland. In zeitlicher Nähe zur Jahrestagung finden Instruktionskurse spezielle Themengebiete betreffend statt (minimalinvasive Fußchirurgie, Arthroskopie, Sprunggelenk und Fuß, DRG Seminar etc.)

Kurssystem „Zertifikat Fußchirurgie“:

Das achtteilige Kurssystem der D.A.F. führt zum Erwerb des Zertifikats „Fußchirurgie“. Themenschwerpunkte der einzelnen Kurse sind: Anatomie, Vorfußchirurgie, Arthrodesen, Sehnenchirurgie, Rheumaorthopädie und Arthroskopie, Kinderfuß, Traumatologie von Fuß und Sprunggelenk, Diabetischer Fuß und Orthopädietechnische Versorgung.

Dabei handelt es sich jeweils um zweitägige Kurse mit Vorträgen und Präparationsübungen am humanen Leichenfuß.

Ergänzungskurse:

Neben den Kursen für den Erwerb des Zertifikats Fußchirurgie werden regelmäßig weitere Veranstaltungen zu speziellen Themengebieten organisiert:

  • Masterkurs – Präparationskurs für fortgeschrittene Fußchirurgen/-innen
  • Minimalinvasive Fußchirurgie
  • Plastische Defektdeckung im Bereich von Fuß und Sprunggelenk
  • „Roukie Kurs“ – Fußchirurgischer Kurs für Berufsanfänger/-innen mit Interesse für die Fußchirurgie

Nationale Kongresse

Die D.A.F. beteiligt sich an zahlreichen nationalen Kongressen durch Organisation und Gestaltung von Sitzungen mit fußchirurgischem Themenschwerpunkt (DKOU, NOUV,
SOUV, etc.).

Zeitschrift „Fuß und Sprunggelenk“:

Die Zeitschrift „Fuß und Sprunggelenk“ erscheint quartalsweise und widmet sich sämtlichen Themen der Behandlung von Verletzungen und Erkrankungen von Fuß und Sprunggelenk. Sie ist mit einer Auflage von über 1600 Exemplaren die größte deutschsprachige Zeitschrift in diesem Segment. Seit 2019 ist die Zeitschrift Fuß und Sprunggelenk auch offizielles Organ der Österreichischen Gesellschaft für Fuß und Sprunggelenk (ÖGF).

FussCert

Die D.A.F. hat ein System zur Zertifizierung fußchirurgischer Zentren initiiert und etabliert. Der Zertifizierungsprozess ist analog zu dem als EndoCert bekannten Verfahren, so dass hier Synergieeffekte genutzt werden. Die Pilotphase wurde im ersten Quartal 2017 beendet, so dass die Zertifizierung jetzt allgemein beantragt werden kann.

Versorgungsforschung

Die Versorgungsforschung ist ein „neuer Schwerpunkt“ der wissenschaftlichen Aktivitäten der D.A.F. Insbesondere „fußchirurgische Zentren der Maximalversorgung“ unterstützen die Versorgungsforschung im Bereich von Fuß und Sprunggelenk.

Leitlinien

Die D.A.F. ist an der Entwicklung von nationalen Leitlinien beteiligt, je nach Themenschwerpunkt federführend oder begleitend bei der Erstellung.

EFAS

Die D.A.F. ist Mitglied der European Federation of Foot and Ankle Societies (EFAS). Als größte Teilgesellschaft der EFAS trägt die D.A.F. wesentlich zur inhaltlichen Gestaltung der Tagungen und Kongresse bei. Die offizielle Zeitschrift der EFAS, Foot and Ankle Surgery, ist die weltweit zweitgrößte Zeitschrift im Bereich der Fuß- und Sprunggelenkchirurgie und hat aktuell einen ImpactFactor von 1,34.

OSG-Endoprothesenregister

Die D.A.F. betreibt ein nationales Register für OSG-Endoprothesen. Aktuell wird das Register um ein Modul zur Erfassung von OSG-Arthrodesen und supramalleolären
Umstellungsosteotomien erweitert.

Nachwuchsförderung

Neben dem Kurssystem bietet die D.A.F. Kurse für erfahrene Fußchirurgen/-innen (Masterkurse) sowie Kurse für Berufseinsteiger (Rookie-Kurse) an.

Reisestipendien

Jährlich wird ein ca. dreiwöchiges Reisestipendium für vier junge fußchirurgisch interessierte Kolleginnen und Kollegen angeboten. Alternierend werden fußchirurgische Zentren in den USA und in Europa besucht.

Dr. Jörn Dohle
Präsident der Deutschen Assoziation für Fuß und Sprunggelenk

Die Behandlung der Metatarsalgie

Als Metatarsalgie werden Schmerzen unter dem zentralen Vorfuß, insbesondere unter den Mittelfußköpfchen, 2–4 bezeichnet. Die Metatarsalgie ist damit durch die Kombination des Symptoms „Schmerz“ in einer typischen Lokalisation definiert. Verschiedene  Krankheitsbilder können Ursache für eine Metatarsalgie sein.

Üblicherweise wird zwischen biomechanischer Metatarsalgie und struktureller Metatarsalgie unterschieden.

Strukturelle Metatarsalgie

Die Behandlung der strukturellen Metatarsalgie orientiert sich an der vorliegenden Grunderkrankung.

Rheumatische Grunderkrankung

Eine Synovitis des Kleinzehengrundgelenks ist eine häufige Erstmanifestation einer rheumatischen Grunderkrankung und sollte deshalb im weiteren Verlauf sorgfältig beobachtet werden. Je nach Verlaufsform und Progredienz ist eine frühzeitige Basismedikation in Erwägung zu ziehen.

Morbus Freiberg-Köhler

Die avaskuläre Knorpel-Knochen-Nekrose des Mittelfußköpfchens ist als Morbus Freiberg-Köhler bekannt. Sie betrifft üblicherweise den dorsalen apikalen Anteil des Mittelfußköpfchens, wogegen die plantaren Anteile in der Regel intakt bleiben. Die konservativen Behandlungsoptionen sind sehr begrenzt, weshalb im weiteren Verlauf meistens eine operative Korrektur erforderlich wird. Bei kleineren Defekten ist ein einfaches Debridement mit Mikrofrakturierung möglich, wogegen bei größeren Defekten eine keilförmige Exzision mit Transposition der intakten plantaren Knorpelareale in den funktionell wichtigen zentralen Sektor erforderlich ist.

Morton Neurom

Das Morton-Neurom stellt im Kontrast zu den beiden zuvor genannten Pathologien ein Problem des intermetatarsalen Zwischenraums dar. Jede Zehe wird von insgesamt vier Hautnerven versorgt. Zwei streckseitige und zwei plantare Nerven. Die plantaren Nerven sind Endäste des Nervus plantaris medialis und Nervus plantaris lateralis und kommunizieren vor ihrer Aufteilung in die Zehen. Der gemeinsame Nervenstrang kann unter dem Ligamentum transversum profundum komprimiert werden und dann durch eine reaktive Fibrose des Endoneuriums zu einer Verdickung führen, die als Morton-Neurom bekannt ist. Meist ist der plantare Nerv zwischen den Mittelfußköpfchen 3 und 4, seltener zwischen den Mittelfußköpfchen 2 und 3 betroffen. Die Diagnose einer Metatarsalgie, aufgrund eines Morton-Neuroms, kann durch Testinfiltration mit einem Lokalanaesthetikum mit anschließender Belastung des Fußes gesichert werden. Unter Umständen kann der verdickte Nerv per MRT dargestellt werden. Ein unauffälliges oder negatives MRT schließt die Diagnose eines Morton-Neuroms jedoch nicht mit Sicherheit aus.

Die konservative Behandlung eines Morton-Neuroms besteht in einer Entlastung des verdickten Nervs durch eine Einlage sowie lokale Kortikoidinjektionen zur Reduktion des Schwellungszustandes. Bei anhaltenden Beschwerden ist eine operative Exzision des Nervs über einen dorsalen oder plantaren Zugang möglich.

Biomechanische Metatarsalgie

Bei der biomechanischen Metatarsalgie steht die Störung der Biomechanik des Fußes im Mittelpunkt der Pathologie. Der Fuß hat im Rahmen der Phylogenese einen  Funktionswandel vom Greiforgan zum „Stand- und Fortbewegungsorgan“ durchlaufen.

Der Funktionswandel hat ein Defizit der aktiven Stabilisatoren des Kleinzehengrundgelenks zur Folge, so dass die Stabilität vor allem auf den passiven Stabilisatoren, insbesondere der plantaren Gelenkkapsel beruht.

Pathologie der plantaren Platte

Die plantare Gelenkkapsel ist in der Abrollbewegung des Fußes besonders belastet. Es wird mittlerweile davon ausgegangen, dass es durch repetitive Mikrotraumatisierung der plantaren Gelenkkapsel des Kleinzehengrundgelenks, im fußchirurgischen Jargon auch „plantare Platte“ bezeichnet, zu einer progredienten Schädigung der plantaren Platte kommen kann.

Stadien der Schädigung der plantaren Platte

Die Schädigung stellt sich initial als eine Ausdünnung und Elongation dar, im mittleren Stadium kommt es zu einer queren Ruptur nahe der Anheftung an der Grundgliedbasis, bei fortgeschrittener Schädigung zu einer komplexen Ruptur mit Destruktion der plantaren Platte. Klinisch sind neben Schmerzen die Entwicklung einer Hammerzehe und eine zunehmende Instabilität des Zehengrundgelenks zu beobachten, die sich bis zur Luxation der Kleinzehe im Grundgelenk entwickeln kann.

Konservative Therapie: Einlagenversorgung

Die konservative Therapie besteht aus einer Entlastung der „plantaren Platte“ durch eine Modifikation des Schuhwerks in Kombination mit einer Einlagenversorgung.

Operative Therapie der biomechanischen Metatarsalgie: Anpassung des metatarsalen Alignments

Liegt eine fortgeschrittene Schädigung vor, ist in der Regel eine operative Rekonstruktion erforderlich. Eine operative Korrektur sollte

  • eine Stabilisierung des Kleinzehengrundgelenks
  • eine Korrektur des metatarsalen Alignments
  • eine Korrektur einer gleichzeitig vorhandenen Fehlstellung der Kleinzehe
  • eine Korrektur eventuell gleichzeitig vorhandener Fehlstellungen des ersten Vorfußstrahls mit einschließen.

Die Stabilisierung des Kleinzehengrundgelenks kann über eine PIP-Arthrodese, einen Beugesehnentransfer oder eine direkte operative Naht der plantaren Platte erfolgen. Eine Korrektur des metatarsalen Alignments kann über eine Weil-Osteotomie erfolgen.

Die von Lowell Weil inauguriert und nach ihm benannte Osteotomie des distalen Metatarsale erfolgt parallel zur Fußsohle. Die Verkürzung des Metatarsale erfolgt durch Verschieben des Mittelfußköpfchens nach proximal. Nach anfänglichem Enthusiasmus wird die Indikation zur WeilOsteotomie in fußchirurgischen Zentren mittlerweile restriktiv gestellt. Hinsichtlich der Korrektur des metatarsalen Alignments etablieren sich heute zunehmend minimalinvasive Verfahren, die nur selten mit den typischen Komplikationen der Weil-Osteotomie, i.e. einer schwebenden Zehe oder einer Gelenksteife, verbunden sind. Bei der DMMO (Distal Metatarsal Minimally invasive Osteotomie) erfolgt die Osteotomie über eine Stichinzision mit einer 2 mm Fräse. Auf eine Osteosynthese wird nach der Stellungskorrektur bei diesem Verfahren verzichtet. Dies bedeutet allerdings, dass die Korrekturstellung für ca. vier Wochen mit redressierenden Verbänden gesichert werden muss. Eine operative Rekonstruktion des Kleinzehengrundgelenks sollte immer mit einer Korrektur einer eventuell vorhandenen Fehlstellung der Zehe und einer Korrektur des ersten Vorfußstahls kombiniert werden. Kontrakte Deformitäten der Kleinzehe werden mit einer PIP-Arthrodese, flexible Fehlstellungen mit einem Beugesehnentransfer korrigiert. Beide Verfahren haben zusätzlich einen stabilisierenden Effekt auf das Kleinzehengrundgelenk.

Behandlung von luxierten Kleinzehengrundgelenken

Eine besondere Herausforderung stellt die Behandlung luxierter Kleinzehengrundgelenke dar. Eine dauerhafte Reposition und Rezentrierung ist nur bei gleichzeitiger Verkürzung des Metatarsale durch eine Weil-Osteotomie möglich. Dieses Konzept wird auch als „longitudinale Dekompression“ bezeichnet. Die Weil-Osteotomie erlaubt zwar eine Reposition des Gelenks, hat an sich aber keinen stabilisierenden Effekt, weshalb ergänzende Maßnahmen, wie z. B. ein Beugesehnentransfer, erforderlich sind. Alternativ ist eine Naht der plantaren Platte möglich, die über einen dorsalen oder plantaren Zugang erfolgen kann.

Fazit

Die Behandlung der Metatarsalgie orientiert sich an der zugrundeliegenden Pathologie. In der Regel kann durch eine klinische Untersuchung und Röntgenaufnahmen des Fußes in zwei Ebenen im Stand mit hinreichender Sicherheit auf die Ätiologie geschlossen werden. Die konservative Therapie besteht zunächst aus einer mechanischen Entlastung des Vorfußes durch eine Einlage und eine antiphlogistische Medikation. Bei anhaltenden Beschwerden sollte eine operative Korrektur unter Berücksichtigung der Biomechanik des Fußes und der aktuell vorliegenden strukturellen Schädigung in Erwägung gezogen werden.

Dr. Jörn Dohle,
Helios Klinikum Schwelm

Kleinzehendeformitäten: Ursachen und Therapien

Unter Kleinzehendeformitäten versteht man Hammer-, Krallen- und Malletzehen sowie den sog. Curly Toe. Häufigste Ursache dieser Deformitäten sind Dysbalancen der Sehnenkräfte, Fehlstellungen des ersten Strahles mit mechanischer Verdrängung der Kleinzehen mitunter aber auch unsachgerechtes Schuhwerk.

Meist berichten die Patienten über Schuhdruck und schmerzende Schwielen an den Zehen. Oft besteht eine Vergesellschaftung mit einem Hallux valgus oder Minusvariante des ersten Mittelfußknochens. Komplexe Fußdeformitäten wie der Hohlfuß/Ballenhohlfuß oder dem Knick-Plattfuß sind zu beachten, da sie Ursache für das Muskelungleichgewicht an den Kleinzehen darstellen. Beim Hohlfuß sollte stets eine neurologischen Untersuchung zu Identifizierung einer neurogenen Erkrankung wie z. B. der HMSN (hereditäre motosensorische Neuropathie) erfolgen.

Pathogenetisch überwiegen bei den Zehenfehlstellungen meist die Zehenstrecker gegenüber den schwächeren intrinsischen Muskeln, welche alleinig für die aktive Plantarflexion des Grundgliedes verantwortlich sind. Erschwerend kommt hinzu, dass aufgrund der Plantarisierung der Mittelfußköpfe auch die intrinsische Fußmuskulatur, Mm lumbricales und interossei, zu Zehenstreckern werden.

Definition von Zehendeformitäten

Wichtig ist zunächst die korrekte Diagnostik und Definition der jeweiligen Zehendeformität:

  • Hammerzehe: Beugefehlstellung im Mittelgelenk mit Kontakt der Zehenbeere zum Boden
  • Krallenzehe: Grundglied in Dorsalextension fixiert,
    Mittel- und Endgelenk in Beugefehlstellung ohne Kontakt der Zehenbeere zum Boden
  • Malletzehe: auch als Endgelenkhammerzehe mit Beugefehlstellung im Endgelenk bezeichnet.
  • Curley Toe: In Varusfehlstellung stehende Zehe (meist 4. oder 5. Zehe) mit Rotationsfehlstellung und Beugefehlstellung im Mittelgelenk (oft bei Kindern)

Therapie von Zehendeformitäten

 

Konservative Therapie

Zunächst sollte immer eine konservative Therapie erfolgen und hierbei auch die Fußdeformität adressiert werden. Hierzu stehen neben individuell gefertigten orthopädischen Einlagen und Schuhzurichtungen die physiotherapeutische Behandlung zur Verfügung. Wichtig erscheint das Erlernen von Übungen, die täglich in Eigentherapie durchgeführt werden, vor allem die aktive und passive Plantarflexion des Grundgliedes. Des Weiteren kann man mit Tapeverbänden  versuchen, mit Bandagen oder Orthesen die Fehlstellung zu verbessern oder ein Fortschreiten zu verhindern. Gelingt dies nicht, so sind operative Verfahren indiziert.

Operative Therapie

Operativ wird ein sogenanntes sequentielles Verfahren durchgeführt. Es wird geprüft, ob eine flexible oder fixierte Fehlstellung vorliegt. Bei flexiblen Fehlstellungen kann zunächst versucht werden, über Sehnenverlängerung der Strecksehnen das Muskelgleichgewicht wieder herzustellen, um die Fehlstellung in eine korrekte Stellung und Funktion zu überführen. Dies kann gut durch ein sog. Sehnenrelease im Bereich der Streckerhaube oder der langen bzw. kurzen Beugesehnen je nach Pathologie durchgeführt werden. Gerade beim diabetischen Fuß hat sich auch die Tenotomie der Beugesehnen durch Stichinzision sehr bewährt. Eine weitere Möglichkeit besteht bei flexiblen Deformitäten in einem Beugesehnentransfer durch Verlagerung der längsgespaltenen langen Beugesehne nach dorsal auf das Grundglied. Hierdurch erfolgt eine Umkehrung der Funktion mit Ausschaltung der Flexionswirkung auf Mittel- und Endglied. Bei fixierten Fehlstellungen und (Sub)-Luxationen hilft meist nur eine knöcherne Korrektur.

Bei fixierter Hammerzehenfehlstellung erfolgt neben der Ausschneidung des Clavus („Hühnerauge“) incl. dorsaler tangentialer Resektion der Kondylenprominenz in der minimalinvasiven Technik die achskorrigierende plantarbasige Korrekturkeilosteotomie der Grund- und ggf. auch die dorsalbasige Keilosteotomie der Mittelphalanx, das plantare Release des PIP-Gelenkes und eventuell das dorsale Release des MTP-Gelenkes und ggf. auch eine Tenotomie der langen Strecksehne.

Das Korrekturergebnis kann durch eine drei- bis vierwöchige temporäre K-Drahtfixierung oder bei guter Weichteilbalanzierung durch retinierende Verbände und Tapes gesichert werden. Alternativ ist die Durchführung einen PIP-Arthrodese möglich mit temporärer Drahtfixation oder mit einen PIP-Implantat.

Bei einer Krallenzehe wird aufgrund der Extensionsfehlstellung des Grundgliedes das Lösen von Kapsel- und Seitenbandkontrakturen des Grundgelenkes zusätzlich durchgeführt. Falls hierdurch keine orthograde Stellung erreicht werden kann, kommt zusätzlich ein den Mittelfußknochen retrokapital verkürzendes und elevierendes Verfahren wie z. B. die Weil-Osteotomie (in der Barouck Modifikation) zum Einsatz. Liegt eine Luxation im Grundgelenk vor ist die proximale Grundgliedteilresektion mit Strecksehnentransposition i.S.d. OP nach Stainsby ein wertvolles Verfahren, welches auch bei Revisionen Anwendung findet. Bei einer vor allem traumatischen Ruptur der plantaren Platte kann eine Naht/Rekonstruktion dieser Struktur indiziert sein.

Bei einer flexiblen Malletzehe kann durch ein Release der Beugesehnen und plantare Kapsulotomie im Endgelenk mit anschließender Redression die Korrektur erfolgen. Besteht eine kontrakte Fehlstellung so erfolgt meist eine DIP-Arthrodese.

Beim Curly Toe erfolgt meist eine Tenotomie der langen Beugesehne, ggf. auch eine Verlängerung der langen Strecksehne.

Post -OP Therapie

Wichtig ist die Nachbehandlung. Entscheidet man sich nicht für eine K-Drahtfixierung, so müssen die Zehen ausreichend lange mit redressierenden Verbänden gefolgt von Tapeverbänden, Silikonorthesen oder anderweitiger Orthesen nachbehandelt werden. Diese Nachbehandlungtherapie entspringt der minimal invasiven (MIS) Kleinzehenchirurgie, die augenblicklich sehr beliebt ist. Wichtig und entscheidend für das OP-Ergebnis ist die Nachbehandlung v.a. beim MIS-Vorgehen. Direkt postoperativ erfolgt eine SeriStrip-Retention und Retentionsverbände über sechs Wochen. Dies ist beim MIS Verfahren zwingend erforderlich. Es wird über gute Korrekturergebnisse berichtet.

Postoperativ kann in den meisten Fällen im Vorfußentlastungsschuh mit durchgängiger versteifter Sohle mit Abrollung eine schmerzadaptierte Vollbelastung durchgeführt werden. Ein Thromboembolieprophylaxe wird entsprechend der Richtlinien empfohlen. Die Patienten sollten über die Möglichkeit einer längerfristigen Schwellneigung der Kleinzehen nach OP aufgeklärt werden.

Bestehen komplexe Fußdeformitäten so sollte hier eine orthopädieschuhtechnische Versorgung mit Einlagen und ggf. orthopädische Zurichtungen am Konfektionsschuh nach der post-OP Phase eingeleitet werden. Fehlstellungen und Pathologien der Großzehe sind zu adressieren und ins Behandlungskonzept mit einzubeziehen.

Dr. Angela Simon, Malchin
Dr. Hartmut Stinus, Northeim

Literatur

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Diabetisches Fußsyndrom und „Charcotfuß“: Ein Thema für O und U?

In Kenntnis der Tatsache, dass heute beinahe jeder 10. Deutsche an Diabetes mellitus leidet, sich Zeichen einer diabetischen Neuropathie bei etwa 50% aller Diabetiker nach 25-jähriger Manifestation der Grunderkrankung finden sowie bis zu 25 % aller Diabetiker ein Ulkus im Fußbereich entwickeln können – mit Prävalenz eines diabetischen  Fußsyndroms nach fünfjähriger Erkrankungsdauer zwischen 7,6% (Diabetes mellitus Typ I ) und 8,5% (Diabetes mellitus Typ II) – findet sich der Patient auch in der orthopädisch-unfallchirurgischen Praxis. Zudem zählen typische orthopädische Krankheitsbilder wie Hallux valgus, Krallen- und Hammerzehen, Fußdeformitäten in Mittel- und Rückfußbereich, Kontrakturen des M. triceps surae und Einschränkungen der Gelenkmobilität, v.a. im Subtalargelenksbereich, zu den Risikofaktoren in der Ätiopathogenese des diabetischen Fußulkus (Tab. 1). Die lebenslange Inzidenz eines diabetischen Fußulkus liegt zwischen 19 und 34% mit einer jährlichen Inzidenz von 2%. Rezidive nach erfolgreich abgeheilten Ulkus sind mit 40 % pro Jahr zu erwarten, das Risiko steigt auf bis zu 65% binnen einer Frist von drei Jahren. Somit kommt der Prävention des diabetischen Fußulkus überragende Bedeutung zu, wie die wissenschaftlich basierten und 2019 aktualisierten acht Leitlinien der IWGDF (International Working Group on the Diabetic Foot) erkennen lassen.

Zählte früher der Charcotfuß (DNOAP) zu den raren Entitäten, so ist für diese prognostisch ernste Variante des diabetischen Fußsyndroms mit einer Prävalenz über der 1%-Marke zu rechnen. Klinisch bedeutsam wird dies, wenn man berücksichtigt, dass sich hinter mancher scheinbar traumatischen Genese, z. B. unter dem Bild einer OSG-Fraktur, eine DNOAP verbirgt. Zudem sehen wir zunehmend Patienten mit dem klinischen Vollbild eines Charcotfußes, ohne dass überhaupt ein manifester Diabetes mellitus vorliegt bzw. ohne dass wir die Genese der Neuropathie ätiologisch zuordnen können; diese „Charcoide“ machen etwa 10% aus.

Kommt es zum tiefen Infekt,sind Amputationen oft unausweichlich; das diabetische Fußsyndrom bedingt 50–60% aller nicht traumatischen Amputationen an der unteren Extremität, die Inzidenz der Amputationen beim Diabetiker liegt bei 6–8/1000/Jahr, wobei einerseits die Majoramputationen zahlenmäßig abnehmen, die Zahl der Minoramputationen jedoch steigt.

Der richtigen und der rechtzeitigen Diagnosestellung kommt somit wesentliche Bedeutung für den weiteren klinischen Verlauf zu. Eine verzögerte Diagnosestellung ist häufig mit einem deutlich höheren Komplikationsrisiko verknüpft. Darüber hinaus sind klar die Elemente der Prävention des diabetischen Fußsyndroms definiert (Tab. 2).

Diagnostik

Anamnese, Inspektion der Füße, die Inaugenscheinnahme des Schuhwerks, die klinische Prüfung des Gefäßstatus (Gehstrecke, Fußpulse, die Bestimmung des Knöchel-ArmIndex) und die klinische Untersuchung auf das Vorliegen einer diabetischen Neuropathie,sind wegweisend.

Die distale, symmetrische, sensomotorische Neuropathie ist die häufigste Form der diabetischen Neuropathie. Die Diagnostik ist keineswegs nur „ein Fall für den Neurologen“ oder nur mittels neurophysiologischer Diagnostik zu stellen: die Untersuchung mit der Stimmgabel nach Rydel-Seiffer, etwa am Außen- und Innenknöchel zur Beurteilung der Pallästhesie (Vibrationsempfinden), die Prüfung von Spitz-Stumpf-Diskriminierung und Temperatur (kalt-warm)- Empfinden bzw. das Berührempfinden mit dem Semmes-Weinstein-Monofilament 10 g, geben klare Hinweise auf das Vorliegen und den Schweregrad einer Neuropathie.

Selbst wenn es an sämtlichen vorgenannten diagnostischen Hilfsmitteln fehlt, kann die orientierende 1–2 Sekunden dauernde leichte Berührung der Zehen des Patienten und die entsprechende oder fehlende Rückmeldung des Patienten hierzu wesentliche Hinweise für eine Neuropathie ergeben. Dies ist allein schon deshalb bedeutsam, da sie bei über 90%  der Ulzerationen am Fuß eine wesentliche Ursache oder Teilursache darstellt und es ohne Neuropathie keine schweren Verlaufsformen wie den Charcotfuß gibt. Ulkogene Risikokonstellationen wie plantare Hyperkeratosen, sind leichter zu therapieren als
das chronische Ulkus. Beim Fußulkus ist der Nachweis einer Verbindung der chronischen Wunde zum Knochen mit dem einfachen „probe to bone“-Test (Kontakt mit einer sterilen Sonde über das Ulkus bis zum Knochen) der Beleg für ein hohes Gefährdungspotenzial,bevor die klassischen klinischen Infektzeichen vorliegen.

Vermeintlich typische klinische Infektzeichen wie die Rötung, Schwellung, Schmerz und Überwärmung können auch Zeichen eines akuten Charcotfußes ohne bakteriellen Infekt sein. Die Differenzierung kann durchfünfminütige Elevation der betroffenen Extremität im Liegen gelingen: beim akuten Charcotfuß geht dann die Rötung und auch ein Teil der Schwellung deutlich zurück, beim Infekt nicht. Bei unauffälligem Röntgenbild in der Frühphase der Erkrankung kann hier die MRT-Bildgebung wegweisend sein, die in fortgeschrittenen Stadien im MRT nicht leicht vom tiefen Infekt zu unterscheiden ist.

Therapie

Neben dem Mantra einer Optimierung des Blutzuckerspiegels und der Co-Morbiditäten, kommt beim diabetischen Fußulkus der Entlastung der betroffenen Extremität – heute typischerweise durch einen nicht abnehmbaren kniehohen Walker mit modularer oder Diabetes adaptierter Einlage – eine wesentliche Bedeutung zu; der klassische „total contact cast“ ist aufwändig und bedarf einer Expertise in der Anwendung, die nicht flächendeckend gewährleistet ist. Abnehmbare und nur knöchelhohe Orthesen sind Patienten mit Kontraindikationen für den hohen und geschlossenen Walker vorbehalten. Voraussetzung für einen Heilerfolg des neuropathischen oder des neuropathisch-ischämischen Ulkus ist eine adäquate regionale Vaskularität, die Entfernung von nekrotischem oder infiziertem Gewebe und die stadiengerechte Infektionskontrolle unter supportiver Antibiotikatherapie oder beim tiefen Infekt mit Progress, Abszess, Gangrän oder gar Sepsiszeichen, auch ein chirurgisches Vorgehen nach den Prinzipien der septischen Chirurgie.

Die Rolle biologisch aktiver Verbandsmittel wird für den Heilverlauf eines plantaren diabetischen Ulkus überschätzt. Chirurgische Konzepte, insbesondere bei Versagen der konservativen Therapieprinzipien, haben ihre Berechtigung und können im Individualfall erhebliche Fortschritte im Heilungsfortgang eines chronischen plantaren Ulkus bedeuten, wenn z. B. die plantare Druckverteilung durch korrigierende Osteotomien, minimalinvasive Achillessehnenverlängerung, Eingriffe zur Verbesserung des Alignements der Zehen (z. B. perkutane Flexortenotomien) oder metatasophalangealen Arthroplastiken verbessert wird. Major-Amputationen sollten, wenn irgendwie möglich, vermieden werden.

Gelenkresektionen oder Metatarsalstrahl(teil-)resektionen können ggf. als „innere Amputation“ unter möglichst weitreichendem Erhalt der wertvollen Fußsohlenhaut erfolgen, wobei der operative Zugang über das Ulkus eine Option eines weichteilschonenden operativen Vorgehens darstellen kann.

Beim akuten Charcotfuß gilt es die Diagnose so frühzeitig zu stellen, dass durch die ebenfalls frühe Versorgung mit einem kniehohen Walker oder total contact cast die phasenhaft verlaufende Destruktion der Fußtektonik vermieden werden kann. Mit Rückgang der erhöhten lokalen Hauttemperatur und Übergang in ein chronisches Stadium nach Wochen oder Monaten, ist anhand der Kriterien von Instabilität, Fehlstellung und Weichteilkompromittierung zu entscheiden, ob chirurgische Maßnahmen, die von der Exostektomie bis zur Korrekturarthrodese ein weites Feld von Maßnahmen umfassen, die einen langfristigen Extremitätenerhalt unterstützen. Der Befall des Rückfußes ist regelhaft mit einem hohen Grad an Fehlstellung oder Instabilität verbunden und bedarf am häufigsten einer chirurgischen Stabilisation (vgl. Abb. 1 und 2). Die Pathophysiologie der Grunderkrankung macht ein überproportionales Maß an Stabilität erforderlich. Die Heilungszeiten bis zur Konsolidierung sind in der Regel doppelt so lange anzusetzen wie beim Nicht-Diabetiker, wobei auch die Ausbildung einer straffen Pseudarthrose funktionell akzeptable Resultate mit langfristig stabiler plantigrader Fußposition und Extremitätenerhalt gewährleisten kann.

Die regelhafte Kontrolle des Charcotfußes hinsichtlich sich anbahnender Weichteilläsionen oder Überwärmung als Zeichen eines neuen Schubs, ist wesentlicher Teil der Präventionsstrategie, da bei jedem fünften Patienten neue Manifestationen einer DNOAP am ipsi- oder kontralateralen Fuß auftreten.

Dem praktisch tätigen Orthopäden kommt somit durchaus eine relevante Rolle in der Detektion und der Behandlungswahl des diabetischen Fußes, aber eben auch der Prävention, idealerweise in einem interdisziplinären und interprofessionellen Expertenteam zu.

Univ.-Prof. Dr.Thomas Mittlmeier,
Universitätsmedizin Rostock,
Chirurgische Klink und Poliklinik,
Abt. für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie

Das Shoulder Pacemaker Therapiekonzept zur Behandlung der funktionellen hinteren Schulterinstabilität

Neben einer häufig traumatisch bedingten, strukturellen Schulterinstabilität können auch pathologische Muskelaktivierungsmuster in einer atraumatischen funktionellen Schulterinstabilität (Polar Typ III) resultieren.1 Basierend auf dem Pathomechanismus, der Richtung der Instabilität und der Kontrollierbarkeit wurden kürzlich verschiedene Gruppen dieser Pathologie identifiziert, wobei die unkontrollierbare positionsabhängige funktionelle posteriore Schulterinstabilität (NCP-FPSI) als häufigster Subtyp erfasst wurde.2

Klinische und elektromyografische Studien verweisen auf eine zugrundeliegende muskuläre Dysbalance der Rotatorenmanschette und der periskapulären Muskulatur im Sinne einer Hyperaktivität der Innenrotatoren (z. B. M. pect. major, M. lat. dorsi) und einer Hypoaktivität der Außenrotatoren (z. B. M. infraspinatus), die während einer bestimmten Phase der Armbewegung zu schwerwiegenden Instabilitätsbeschwerden führen, ohne hierbei ein strukturelles Korrelat aufzuweisen.3, 4 (Abb. 1) Die geschätzte Prävalenz dieser eher seltenen Pathologie wurde mit 0,5%–2,6% innerhalb eines jungen und sportlich aktiven Kollektivs beziffert, wobei initiale Symptome bereits im Jugendalter auftreten können.5 Betroffene Patienten berichten neben einem permanenten Instabilitätsgefühl, chronischen Schmerzen und funktionellen Einschränkungen auch über eine Stigmatisierung aufgrund der auffälligen Subluxationen oder Dislokationen.6 Sowohl eine gezielte Physiotherapie inklusive Training zur Reaktivierung der Muskulatur werden als derzeitige Behandlungsoption der Wahl empfohlen, zeigen aber in mehreren Fällen keinen ausreichenden Erfolg.4, 7 Nach einigen erfolglosen konservativen Therapieversuchen unterziehen sich manche Patienten mit NCP-FPSI einer chirurgischen Intervention, die aufgrund der postoperativ weiterhin vorhandenen funktionellen Beschwerden in einer Schmerzzunahme und einer Abnahme der Schulterfunktion resultieren kann.4, 7–11 In Anbetracht der Ineffektivität gegenwärtiger Behandlungsoptionen wurde daher ein rein symptomatisches Vorgehen („skilfull neglect“) aufgrund einer potentiellen Regression der Beschwerden nach mehreren Jahren empfohlen, welches in Anbetracht der meist jungen und sportlich aktiven Patienten allerdings nicht zielführend erscheint.9, 10

Basierend auf der Anwendung von gezielter elektrischer Muskelstimulation, welche bereits
bei Schlaganfallpatienten erfolgreich gegen Schulterinstabilität eingesetzt wurde,12, 13 ist das sogenannte Shoulder Pacemaker-Therapiekonzept entwickelt worden. Es handelt sich hierbei um eine Kombination aus konzentrischen, exzentrischen und funktionellen Bewegungsübungen unter Anwendung von automatisierter und gezielter elektrischer Muskelstimulation (EMS) der hypoaktiven Muskulatur. (Abb. 2)

Das Shoulder Pacemaker Konzept wurde bei Patienten mit NCP-FPSI und zuvor gescheiterten Therapieversuchen angewendet und 2 Jahre nachbeobachtet.6 Aktuell wird dieser Behandlungsansatz in einer multizentrischen klinischen Studie prospektiv evaluiert und ist für weitere Studienteilnehmer an den Standorten Berlin, Düsseldorf, Hannover, Karlsruhe, München und Zürich verfügbar (Kontaktaufnahme gerne per Email an den
korrespondierenden Autor möglich).

Methodik

Innerhalb eines Jahres wurden insgesamt 24 Fälle mit NCP-FPSI rekrutiert. Einschlusskriterium war eine mindestens 3-monatige fehlgeschlagene konventionelle Physiotherapie, um eine Negativselektion der Studienkohorte zu erreichen. Zuvor erfolglose chirurgische Interventionen zählten nicht als

 

Abb. 1 Eine unkontrollierbare positionsabhängige funktionelle posteriore Schulterinstabilität kann während einem bestimmten Punkt der Armbewegung als Subluxation oder Dislokation beobachtet werden. Links ist das klinische Bild, rechts die entsprechende fluoroskopische Aufnahme dargestellt. Abb. 2 Das Shoulder Pacemaker Therapiekonzept zur Behandlung der funktionellen posterioren Schulterinstabilität.
Abb. 3 Longitudinale Erhebung der Schulterfunktionsscore SSV, WOSI und Rowe über einen Zeitraum von zwei Jahren.

Ausschlusskriterium. Vor Studieneinschluss wurde der Instabilitätsmechanismus anhand klinischer Untersuchung, aktueller MRT- Aufnahmen und einmaliger dynamischer fluoroskopischer Bildwandleranalyse verifiziert. Es wurden keine ausreichenden strukturellen Defekte beobachtet, welche die massive positionsabhängige Instabilität erklären könnten. Bei einem bilateralen Auftreten wurde nur die instabilere Seite analysiert, um die Strahlenbelastung unter Anwendung eines Röntgenschutzes minimal zu halten. Das EMSbasierende Behandlungsprotokoll umfasste drei aufeinanderfolgende Intensitätslevel mit konsekutiver Steigerung der Stimulationsintensität und Übungskomplexität über eine Dauer von 3 bis 6 Wochen mit 3 Stunden Training pro Woche. Hierbei wurde ein tragbares EMS-Gerät mit einer Frequenz von 35Hz verwendet, um eine tonische Kontraktion der Außenrotatoren und der Skapularetraktoren zu erreichen. 3 von 24 Fällen wurden aufgrund mangelhafter Compliance aus der Studie ausgeschlossen. Die longitudinale Evaluation der Schulterfunktion umfasste die Erhebung der Zufriedenheit mit der Behandlung, den Western Ontario Shoulder Instability Index (WOSI), den Rowe Score und den Subjective Shoulder Value (SSV) 0 Wochen, 2 Wochen, 4 Wochen, 3 Monate, 6 Monate, 12 Monate und 24 Monate nach Interventionsende.6

Ergebnisse

Nach Therapieabschluss konnten alle eingeschlossenen Fälle eine klinisch instabilitätsfreie Armbewegung ohne Anzeichen einer Subluxation oder Dislokation durchführen. Die Teilnehmer waren mit dem Therapiekonzept sehr zufrieden (81%) oder zufrieden (19 %) und würden es zu 100 % weiterempfehlen. Entsprechend wurde eine signifikante Verbesserung der erhobenen Scores beobachtet, sodass schulterbelastende berufliche und sportliche Tätigkeiten fortgeführt werden konnten. Ein anhaltender Therapieeffekt wurde zudem selbst 2 Jahre nach Therapieende noch festgestellt (p<0.001). (Abb. 3) Ein besserer Behandlungseffekt wurde bei jungen (p=0.005), schlanken (p=0.019) und sportlich aktiven (p=0.003) Patienten erzielt, die einen höheren WOSI-Basiswert (p=0.04) und ein einseitiges Auftreten der Pathologie (p=0.046) vorwiesen. Eine erhöhte glenoidale Retroversion (p=0.004), eine posterior scapulohumerale Dezentrierung (p=0.021) und eine dysplastische knöcherne Glenoidform (p=0.044) waren mit einer schlechteren Permanenz des Behandlungseffekts nach einem Jahr verbunden. Dieser Trend konnte jedoch für die zweijährige Nachbeobachtung nicht bestätigt werden.

Die Gesamtrezidivrate während der zweijährigen Nachbeobachtung war gering: Ein Fall erlitt einen traumatischen Unfall und berichtete über eine anschließende rezidivierende Instabilität 2 Wochen nach der letzten Therapieeinheit. Ein Fall wurde mit einem Wiederauftreten der Instabilität bei der 6-monatigen Nachuntersuchung beobachtet. In einem weiteren Fällen kam es zu einem Wiederauftreten der Beschwerden nach 24 Monaten, wobei eine erneute Behandlung nach Studienabschluss erfolgte und zu einer raschen Beschwerdebesserung führte. Trotz der effektiven Behandlung der nicht kontrollierbaren Komponente durch das Shoulder Pacemaker Therapiekonzept waren die meisten Teilnehmer weiterhin in der Lage, eine willentliche, kontrollierte Subluxation ihrer Schulter durchzuführen. Es wurden keine Komplikationen außer gelegentlichen Muskelschmerzen beobachtet.6

Schlussfolgerung

Insgesamt stellt das Shoulder Pacemaker Therapiekonzept eine innovative und effiziente Behandlungsoption für Patienten mit NCP-FPSI dar. Auch Patienten mit zuvor fehlgeschlagener konventioneller Physiotherapie erreichten eine rasche Beschwerdebesserung und zeigten einen anhaltenden Effekt über einen Zeitraum von 2 Jahren. Junge und sportliche Patienten mit geringerem Gewicht und einseitiger Pathologie profitierten am meisten von der Behandlung. Strukturelle Auffälligkeiten des hinteren Glenoids können die Langlebigkeit des Behandlungseffekts beeinträchtigen. Im Falle eines Wiederauftretens der nichtkontrollierbaren Instabilitätskomponente ist eine Wiederholung der nicht-invasiven Behandlung möglich. Im Rahmen einer multizentrischen randomisierten, klinischen Studie wird dieses Konzept derzeit prospektiv evaluiert, wobei weitere Studienteilnehmer gesucht werden (E-Mail an den korrespondierenden Autor).

Literatur

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  5. Danzinger, V., E. Schulz, and P. Moroder, Epidemiology of functional shoulder instability: an online survey. BMC Musculoskeletal Disorders, 2019. 20(1): p. 281.
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  11. Moroder, P., et al., Use of shoulder pacemaker for treatment of functional shoulder instability: Proof of concept. Obere Extrem, 2017. 12(2): p. 103–108.
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  13. Jeon, S., et al., The effects of electromyography-triggered electrical stimulation on shoulder subluxation, muscle activation, pain, and function in persons with stroke: A pilot study. NeuroRehabilitation, 2017. 40(1): p. 69–75. L

Kommission Leitlinie und Begutachtung der DVSE

Die Kommission Leitlinie und Begutachtung der Deutschen Vereinigung für Schulter- und Ellenbogenchirurgie (DVSE, Vorsitzender: PD Dr. Marc Banerjee, Köln) ist eingebettet in die Leitlinienkommission der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie (DGOOC, Sektionsleiter Prof. Andreas Roth, Leipzig). Die DGOOC ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V., AWMF). Sämtliche Leitlinien, an denen die DVSE beteiligt ist, sind bei der AWMF angemeldet.

2016 hat die Leitlinienkommission der DVSE unter der Leitung von Dr. Ruprecht Beickert, Murnau eine Empfehlung zur Begutachtung des Rotatorenmanschettenschadens der Schulter nach Arbeitsunfällen herausgegeben.1 Ziel war es, die Expertise von Vertretern der Organgesellschaft und von Vertretern der BG-Kliniken und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) zu bündeln, um eine Empfehlung auf dem Boden der bestmöglichen Evidenz zu erstellen. Bei fehlender Evidenz wurden die getroffenen Aussagen im Konsensverfahren als „hoch“, „mittel“ oder „schwach“ gewertet. Der Unfallzusammenhang („haftungsbegründende Kausalität“) wird hierbei in zwei Schritten
geprüft. Zunächst wird im Sinne der Bedingungstheorie geprüft ob sich das Unfallereignis oder ein etwaiger Vorschaden hinwegdenken lassen, ohne dass der Gesundheitsschaden damit entfällt. Im zweiten Schritt wird nach der Theorie der rechtlich wesentlichen Bedingung durch Abwägen/Gewichtung aller infrage kommenden Tatsachen und Indizien entschieden, ob das Unfallereignis wesentliche Teil, -Mitursache des Gesundheitsschadens
(des Rotatorenmanschettenschadens) war.

Hervorzuhebende Kernaussagen, die sich von bisherigen Paradigmen der Zusammenhangsbegutachtung unterscheiden, sind u. a.:

  • ein Impingement in der Vorgeschichte ist kein sicheres Indiz für eine Vorschädigung
  • die Beurteilung der Akromionmorphologie nach Bigliani lässt keine Rückschlüsse auf
    einen Unfallzusammenhang zu
  • der direkte Anprall und der Sturz auf die nach vorne ausgestreckte Hand schließt einen traumatischen Rotatorenmanschettenschaden nicht a priori aus
  • bei der Frage der Eignung eines Unfallereignisses soll die  Zusammenhangsbegutachtung nicht mit der Begründung abgebrochen werden, dass das Ereignis generell nicht geeignet sei, den Gesundheitsschaden herbeizuführen
  • der histologische Befund leistet oft keinen Beitrag zur Frage des Unfallzusammenhangs

2017 wurde die S2e-Leitlinie Rotatorenmanschette (AWMF-Registernummer 033-041) federführend unter der DGOOC und der DVSE als Sektion der DGOOC in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) unter der Leitung von Prof. Dennis Liem, Berlin und Prof. Ulrich Brunner, Agatharied veröffentlicht.2 Die wichtigsten Aussagen zur Therapie können wie folgt zusammengefasst werden:

NSAR zeigen gegenüber der Placebobehandlung bei der Behandlung von Partialläsionen eine Schmerzreduktion (Evidenzlevel 1). Die Kombination aus Cortisoninfiltration und Bewegungstherapie/manueller Therapie kann zur Anwendung kommen (Evidenzlevel 1).

Asymptomatische RM-Rupturen sollten nicht operiert werden. Mini-open und arthroskopische Rekonstruktionen zeigen vergleichbare klinische Ergebnisse, wobei offene Zugänge direkt postoperativ zu mehr Schmerzen führen (Evidenzlevel2). Die knöcherne Einheilung der Sehne führt zu besseren klinischen Ergebnissen (Evidenzlevel 2). Double row Rekonstruktionen zeigen im Vergleich zu single row Rekonstruktionen geringere ReRupturraten, die klinischen Ergebnisse unterscheiden sich nicht (Evidenzlevel 1). Da sich die klinischen Ergebnisse der Rotatorenmaschettenrekonstruktion mit und ohne begleitender Akromioplastik nicht zu unterscheiden scheinen, wird keine generelle Empfehlung zur begleitenden Akromioplastik gegeben (Evidenzlevel 1). Sollte begleitend eine Tenotomie der langen Bizepssehne durchgeführt werden, so besteht kein Unterschied im klinischen Ergebnis zwischen Tenotomie und Tenodese. Die Indikation zur Tenotomie/Tenodese wird in Abhängigkeit von Patientenalter und funktionellem Anspruch gestellt (Evidenzlevel 2). Bei Massenrupturen ist die Teilrekonstruktion gegenüber dem
Debridement zu präferieren. Der Latissimus dorsi Transfer zeigt bei irreparabler  Supraspinatussehnenruptur bei intakter Subscapularissehne im kurzfristigen Verlauf eine signifikante Verbesserung von Schmerz und Funktion. Die additive Gabe von platelet rich plasma (PRP) zeigt in prospektiv randomisierten Studien keinen klinischen Vorteil, aber geringere Re-Rupturraten. Es wird nach Maßgabe des Operateurs eine postoperative Immobilisation zwischen 3 und 6 Wochen empfohlen. Eine längere Immobilisation hat keine Nachteile, während eine zu aggressive Nachbehandlung zu einer höheren Re-Rupturrate führen kann.

Ebenso 2017 wurde in Analogie zu den Sonderheften der Zeitschrift „Obere Extremität“ zur klinischen Untersuchung von Schulter und Ellenbogen unter der Leitung von PD Dr. Marc Banerjee, Köln und Prof. Dr. Lars Lehmann, Karlsruhe ein Sonderheft zur Bildgebung in der Schulter- und Ellenbogenchirurgie veröffentlicht.3 Das Heft besteht aus 3 Teilen. Im ersten Teil werden aus Sicht des Klinikers durch DVSE Autoren Empfehlungen zur Bildgebung zu 13 Schulter- und 3 Ellenbogenpathologien gegeben. Im zweiten Teil werden Empfehlungen zur Bildgebung zu den genannten Pathologien aus der Sicht der Radiologen durch Kollegen der Deutschen Gesellschaft für muskuloskelettale Radiologie (DGMSR) gegeben. Im dritten Teil werden Einstellungen zu 18 nativen Röntgenaufnahmen an der Schulter und 3 Einstellungen nativer Röntgenaufnahmen am Ellenbogen beschrieben.

2018 wurde als Gemeinschaftsprojekt der DVSE und der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) unter der Federführung von Dr. Michael Hackl, Köln und PD Dr. Sebastian Siebenlist, München die S2e Leitlinie Ellenbogen Erstluxation (AWMF-Registernummer 012-034) publiziert.4 Hierzu sei auf den Beitrag von Dr. Hackl
in diesem Heft verwiesen. 2019 wurde von DGOOC und der GOTS (Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin) unter der Leitung von Prof. Thomas Tischer, Rostock die S2k-Leitlinie Epicondylopathia radialis humeri (ERH, AWMF-Registernummer 033-019) publiziert.5 Basierend auf dem Konsens der beteiligten Autoren wurden bezüglich der Therapie folgende Empfehlungen bzw. Statements verabschiedet:

Cortisoninjektionen führen zu keiner langfristigen Besserung und bergen das Risiko von Komplikationen. Da nicht genügend wissenschaftliche Evidenz zur Injektion mit Eigenblut, PRP, Botulinumtoxin u. a. existiert, ist eine abschließende Beurteilung nicht möglich. Eine Trainingstherapie für die Handgelenksextensoren wird empfohlen. Von alleiniger manueller Therapie (MT) wird abgeraten, die Kombination von Trainingstherapie und MT kann durchgeführt werden. Aufgrund der unzureichenden Datenlage kann keine Aussage zur Friktionsmassage getroffen werden. Elektrotherapie und Ultraschallbehandlung sollten jeweils als alleinige Maßnahme nicht durchgeführt werden. Magnetfeldtherapie, Sauerstoff- und Strahlentherapie sollten per se nicht durchgeführt werden. Akupunktur kann bei der ERH angewendet werden, extrakorporale Stoßwellenbehandlung (ESWT) bei der therapie-resistenten Epicondylopathie. Epicondylitisbandagen und Tapes können als Therapieoptionen erwogen werden. Die Prognose der konservativen Therapie ist gut, die Epicondylopathie hat innerhalb von 12 Monaten eine hohe spontane Beschwerderegredienz.

Bei Versagen der konsequenten konservativen Therapie über mindestens 6 Monate kann bei Nachweis eines strukturellen Korrelates eine operative Therapie erwogen werden, wobei weder eine Empfehlung bezüglich des optimalen OP-Zeitpunktes noch zur Auswahl des operativen Verfahrens (auch ob arthroskopisch oder offen) gegeben werden kann. Grundsätzlich wird ein befundabhängiges Vorgehen, ggf. mit Refixation der Extensoren empfohlen. Die operativen Verfahren führen in der Regel zur subjektiven Patientenzufriedenheit.

Derzeit laufen zwei weitere S2e Leitlinienprojekte der DVSE, die Leitlinie Subacromiales Impingement unter der Federführung von Dr. Sophia Hünnebeck, Berlin (AWMF-Registernummer 033-056) sowie die Leitlinie Schultersteife unter der Federführung von Dr. Friedrich Dehlinger, Albstadt (AWMF-Registernummer 033-053). Beide Leitlinien befinden sich im Stadium der Leitlinienentwicklung, das konstituierende Treffen, die systematische Evidenzbasierung sowie die Literaturrecherche sind abgeschlossen. Mit einem Abschluss beider Projekte ist im ersten Halbjahr 2021 zu rechnen.

Literatur

  1. Beickert R, Panzer S, Geßmann J, Seybold D, Pauly S, Wurm S, Lehmann L, Scholtysik D. Begutachtung des Rotatorenmanschettenschadens der Schulter nach Arbeitsunfällen. Trauma Berufskrankh. 2016; 18:222–247 DOI 10.1007/s10039-016-0167-0. https://www.dvse.info/ downloads/begutachtung.html
  2. S2e Leitlinie Rotatorenmanschette-AWMF Registernummer 033-041 Veröffentlicht März 2017. https://www.dvse.info/ downloads/leitlinien.html
  3. Bildgebung in der Schulter- und Ellenbogenchirurgie. Obere Extremität, Band 12-Supplement 1, Mai 2017. https://www.dvse.info/ downloads/bildgebung.html
  4. S2e Leitlinie Ellenbogen Erstluxation- AWMF Registernummer 012-034 Veröffentlicht Juli 2018. https:// www.awmf.org/uploads/tx_ szleitlinien/012-034l_S2e_ Ellbogen-Erstluxation_2019-05.pdf
  5. S2k Leitlinie Epicondylopathia radialis humeri- AWMF Registernummer 033-019. Veröffentlicht Juni 2019. https://www.awmf.org/uploads/ tx_szleitlinien/033-019l_S2k_ Epicondylopathia_radialis_ humeri_2019-09.pdf

Aktuelle Therapiekonzepte bei ligamentärer Ellenbogenluxation

Die „einfache“ Ellenbogenluxation ohne relevante knöcherne Begleitläsion stellt keinesfalls eine Bagatellverletzung dar, sondern ist gekennzeichnet durch eine ausgedehnte und individuell unterschiedliche Zerreißung des Kapsel-Band-Apparats und der umgebenden muskulotendinösen Strukturen. Angesichts der Komplexität dieser Pathologie wurde in Fachkreisen der Begriff der „einfachen Ellenbogenluxation“ in den vergangenen Jahren durch den Ausdruck „ligamentäre Ellenbogenluxation“ ersetzt.

Typischerweise sind von dieser Verletzung junge Männer im Rahmen eines Sturzes auf das extendierte Handgelenk bei supiniertem Unterarm betroffen. Hierbei kommt es gemäß der „Ring Theorie“ von Shawn O’Driscoll zu einer Innenrotation des Oberarmes beziehungsweise des Oberkörpers gegenüber dem Unterarm mit folglich ringförmiger, von lateral beginnender Ruptur der Kapsel-Band-Strukturen. Mit steigendem Alter werden ligamentäre Ellenbogenluxationen auch infolge von Bagatelltraumata und dann insbesondere beim weiblichen Geschlecht beobachtet.

Klinische Erstversorgung

Vor Durchführung einer Gelenkreposition sollte eine Röntgenbildgebung in 2 Ebenen erfolgen, um einerseits die Verdachtsdiagnose der Ellenbogenluxation zu sichern und andererseits relevante knöcherne Begleitverletzungen auszuschließen, die gegebenenfalls einer anderen Therapieform bedürfen (z.B. Fixateur externe bei komplexer Luxationsfraktur). Ist die ligamentäre Luxation radiologisch verifiziert und die regelrechte Sensomotorik und Durchblutung der Extremität überprüft, sollte unverzüglich die geschlossene Reposition erfolgen. Hierfür ist in der Regel eine Analgosedierung des Patienten erforderlich. Dies bietet den Vorteil, dass nach Reposition – wenn möglich unter Bildwandlerkontrolle – die Gelenkstabilität und Reluxationstendenz überprüft und dokumentiert werden kann, ehe ein Oberarmcast in 90° Flexion angelegt wird. Abschließend ist die kongruente Reposition mittels Röntgenbildgebung sicherzustellen und die erneute Prüfung der peripheren Durchblutung, Motorik und Sensibilität obligat.

Konservative Behandlungsoptionen

Nach erfolgreicher Reposition des Gelenks stellt die nicht-operative, frühfunktionelle Behandlung der ligamentären Ellenbogenluxation den evidenzbasierten Therapiestandard dar. Allen voran Iordens et al. konnten in einer randomisiertkontrollierten Studie darlegen, dass die frühfunktionelle Behandlung ohne Ruhigstellung zu bevorzugen ist, da sie gegenüber der dreiwöchigen Gipsruhigstellung zu einer kürzeren Rekonvaleszenzzeit führt, ohne dabei ein erhöhtes Risiko für eine Reluxation oder bleibende Instabilität zu bergen. Die Mobilisation des Ellenbogengelenks sollte dabei in aktiver beziehungsweise in aktiv-assistierter Form erfolgen; eine passive Beübung ist nicht zu empfehlen, da sie unbemerkt zu einer Subluxation führen und so die Ausheilung der rupturierten Kollateralbänder behindern kann. Im eigenen Vorgehen wird – nach kurzzeitiger Ruhigstellung (max. 5 bis 7 Tage) im Oberarmcast zur Schmerzreduktion – die aktive Mobilisation gemäß dem „Overhead Motion Protocol“ präferiert (Abb.1).

Hierbei bringt der Patient in Rückenlage den Oberarm in die Vertikale und bewegt in dieser Position das Ellenbogengelenk. Durch die Schwerkraft kommt es zu einer Autozentrierung des Ellenbogengelenks, wodurch die aktiv-assistierte Mobilisation sicher und unter Aufhebung von Distraktions- sowie Varus-/Valguskräften erfolgen kann.

Der Nutzen von Bewegungsorthesen wird kontrovers diskutiert. Nach Meinung der Autoren kann die Orthesenbehandlung durchaus sinnvoll sein, um Varus-/Valgusbewegungen zu reduzieren, sofern der Patient im korrekten Umgang mit der Orthese ausreichend geschult ist.

Indikation zur Operation

Während die Mehrheit der Ellenbogenluxationen erfolgreich der konservativen Therapie zugeführt werden kann, so werden dennoch in bis zu zwei Drittel der Fälle bleibende Beschwerden in Form von Schmerzen, Bewegungseinschränkungen oder subjektivem Instabilitätsgefühl beschrieben.

Bei offener oder irreponibler Luxation sowie bei begleitender Gefäß-Nerven-Verletzung besteht die primäre Operationsindikation. Abhängig von der Verletzungsschwere können Patienten jedoch auch ohne Vorliegen dieser „absoluten“ Operationsindikationen von einer operativen Bandrefixation profitieren, wenngleich dies in der verfügbaren Literatur bisher unzureichend abgebildet ist. Nach Meinung der Autoren sind hierfür engmaschige klinische Kontrollen besonders wichtig. Erreicht der Patient/die Patientin keinen suffizienten funktionellen Bogen innerhalb der ersten Wochen nach Luxation oder kann er/sie den Ellenbogen bei Alltagsbewegungen im Raum nicht selbstständig ohne Zuhilfenahme des anderen Arms stabilisieren, so kann insbesondere bei Patienten mit körperlichem Anspruch die Indikation zur Operation gestellt werden. Typischerweise bestätigt eine ergänzende MRT die ausgedehnte Weichteilverletzung mit in der Regel rupturiertem Extensoren- und Flexorenursprung und zeigt eine Gelenkinkongruenz beziehungsweise – subluxation; die MRT sollte jedoch immer in Verbindung mit
der Klinik betrachtet und eine OP-Indikation nicht alleinig auf dem Boden eines MR-Befunds gestellt werden.

Operationstechniken

Bei operativer Behandlung der Ellenbogenluxation steht die Reinsertion der in der Regel humeral ausgerissenen Kollateralbänder im Vordergrund. Eine vorgeschaltete Arthroskopie kann dabei helfen, begleitende Knorpelläsionen zu detektieren und zu behandeln sowie das Instabilitätsmuster genauer zu differenzieren. Die Refixation der
Kollateralbänder und der in der Regel zumindest teilrupturierten Extensoren/Flexoren erfolgt im eigenen Vorgehen mittels Fadenankern, kann jedoch auch transossär durchgeführt werden (Abb. 2). Bei unzureichender Gewebequalität kam klassischerweise additiv ein Bewegungsfixateur zum Einsatz, der jedoch ein nicht zu vernachlässigendes Komplikationspotenzial birgt. In den vergangenen Jahren wird in diesen Situationen vermehrt die Kollateralbandaugmentation mit Fadentape propagiert, welches im Verlauf des Kollateralbandes abgespannt wird, um den refixierten Bandapparat in der  Einheilungsphase zu entlasten und eine frühfunktionelle Nachbehandlung zu ermöglichen (Abb. 3).

Literatur

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Buchbesprechung: Das Sportlerknie

Berlin – Das Werk „Das Sportlerknie“ sei, so die Aussage der renommierten Sportmediziner und Herausgeber (Prof. Dr. Martin Engelhardt aus Osnabrück, Dr. Casper Grimm aus Osnabrück und Prof. Dr. Stefan Nehrer aus Krems an der Donau), ein Buch, welches sich als Nachschlagewerk wie auch für die Ausbildung jüngerer Kollegen geeignet sei. Es thematisiere die wichtigsten Verletzungen, Fehlbelastungen und überlastungsschäden des Kniegelenkes.

Auf 255 Seiten wird die komplexe Thematik mit Hilfe von mehr als 200 farbigen Abbildungen dargestellt. Es begrenzt sich offenbar bewusst auf jene Pathologien, welche dem Behandler in Praxis und Klinik gehäuft begegnen werden und als „wahre Pathologien“ zu bewerten sind. Die Gliederung des Buches ist übersichtlich. Der Abschnitt Diagnostik besticht insbesondere durch die hervorragenden Abbildung von Herrn Prof. Dr. Breitenseher, wie sie der ein oder andere Leser gewiss aus den MR-Trainern dieses Autors gewohnt sein dürfte. Das Kapitel hinsichtlich der Sonografie erscheint, im Vergleich mit der vorhandenen Literatur aus Orthopädie und Unfallchirurgie, zunächst überdurchschnittlich lang. Dies ist ausgesprochen erfreulich und sollte den Leser motivieren dieser wertvollen Untersuchung ein höheres Gewicht beizumessen.

Insgesamt bleibt das Buch in seinen anatomischen Bezeichnungen nicht immer korrekt. Bei Betrachtung der Kapitel zu den einzelnen Überlastungsschäden und Verletzungen fallen sehr gut gegliederte Kapitel mit positiv übersichtlichem Umfang auf. Bei einzelnen Verletzungen fällt dem Leser jedoch auf, dass die Nachbehandlungsschemata doch mitunter sehr kurz und wenig dezidiert ausfallen. Im Weiteren folgt ein Kapitel zu sportartspezifischen Aspekten, welches von einzelnen Verbandsärzten geschrieben wurde.

Unter Berücksichtigung des Buches „Sportverletzungen – GOTS Manual“, welches ebenfalls von Prof. Dr. Engelhardt herausgegeben wurde, könnte der Leser meinen, dass es sich um eine Wiederholung, herausgegebeben unter einem anderen Verlag, sein könnte. Doch weit gefehlt. Resümierend möchte ich sagen, dass dies ein Buch ist, welches meines Erachtens als empfehlenswert zu betrachten ist. Durchaus eigent es sich als Nachschlagewerk, gleichwohl der Leser nicht alle erforderlichen Informationen finden wird, welche man nach dem Lesen des Titels und des Vorwortes erwartet.

Autor der Rezension:
Dr. med. David Merschin
Helios Klinikum Bad Saarow

Rehabilitation nach SchulterOperation – Rotatorenmanschettenrekonstruktion

Analog zur zunehmenden, chirurgischen Spezialisierung und Verfeinerung der OP-Methoden, hat sich in den vergangenen Jahren auch ein Wandel in der Rehabilitation nach Schulter-Operationen vollzogen. Getragen wird sie primär von der ambulanten Physiotherapie und immer häufiger auch vom selbstbestimmten Patienten, der seine Therapie beispielsweise via App ergänzt und aufwertet oder gar autonom umsetzt. Dies setzt Behandlungsstandard voraus, welche seitens der DVSE in den vergangenen Jahren mit erarbeitet wurden.

Leider besteht für viele operative Eingriffe an den Oberen Extremitäten hinsichtlich der sich anschließenden Rehabilitation und deren Inhalte kein Konsens. Selbst für ein und dieselbe Operation konkurrieren Rehabilitationsprotokolle, die selbst bei grundlegenden Inhalten wie der Dauer der Ruhigstellung, der Anwendung einer Orthese oder allfälligen Bewegungslimitierungen inhaltlich erheblich variieren. Ein Grund hierfür ist die unklare Evidenzlage für viele der gängigen Rehabilitationsinhalte. Dabei ist mit Gründung des „Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)“ im Jahr 2004 die Evidenzbasierung im deutschen Gesundheitssystem zu einem zentralen Thema geworden. Nicht zuletzt aufgrund des Leitlinienprogramms der Deutschen Rentenversicherung wurde das Thema auch zunehmend in den Bereich der Rehabilitation getragen.4,5 Die Kommission Rehabilitation der Deutschen Gesellschaft für Schulter und Ellenbogenchirurgie (DVSE) hat sich daher intensiv mit dieser Problematik auseinandergesetzt. In Zusammenarbeit mit den wichtigsten deutschen Physiotherapieverbänden (Deutscher Verband für Physiotherapie (ZVK) e.V.; Verband Physikalische Therapie (VPT) e.V.) und der Sektion Rehabilitation – Physikalische Therapie der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e. V. (DGOU) wurden bereits für die Nachbehandlung der Rotatorenmanschettennaht,3 der Inversen Prothese1 und Schulterstabilisierung2 Empfehlungen ausgearbeitet. Diese Reihe wird mit der Nachbehandlungsempfehlungen nach Stabilisierung des AC-Gelenkes und nach
Ellenbogenarthrolyse 2020 und 2021 weiter fortgesetzt werden.

Rotatorenmanschettennaht

Die Rotatorenmanschettenrekonstruktion (RMR) hat sich als erfolgreiches operatives Behandlungsverfahren etabliert. Eine Verbesserung bezüglich Kraft, Beweglichkeit und Schmerzsituation kann nach einer Operation erwartet werden.6 Um die teilweise schwache Evidenzlage für die Rehabilitationsinhalte auszugleichen, hat die Kommission Rehabilitation der DVSE 2016 Ergebnisse einer Metaanalyse mit Ergebnissen einer Expertenumfrage kombiniert, um konkrete, praktische Empfehlungen zur Nachbehandlung abgeben zu können.3 Für den Themenbereich „Ruhigstellung und Lagerung“ konnte geschlussfolgert werden, dass eine frühe passive, postoperative Bewegungsübung ohne Hinweise für eine erhöhte Rate an Einheilungsstörungen oder Re-Rupturen angewandt werden kann. Der Schutz vor zu früher aktiver Belastung kann mittels Ruhigstellung in einer Orthese umgesetzt werden. Es gibt keine evidenzbasierten Empfehlungen hinsichtlich der Dauer der postoperativen Ruhigstellung.

Tab. 1 Phasenmodell der Nachbehandlung nach RMR (modifiziert / gekürzt; aus Jung et al. 2016)

Die Experten gaben als durchschnittliche Zeit 4.9 Wochen an (Median 6w; SD 1-12w). Die Anwendung eines Armabduktionskissens kann erwogen werden und wird von 82% der Experten auch eingesetzt (Abb. 1).

Abb. 1 Ruhigstellung in einer Armabduktionsorthese

Auf Basis der eingeschlossenen Studien kann keine Empfehlung mit hohem Evidenzlevel für oder gegen die Anwendung einer CPM-Therapie (continous passive motion) nach RMR und auch nicht für die Dauer, Frequenz und Intensität der CPMBehandlung gegeben werden. Es bleibt jedoch anzumerken, dass eine starke Evidenz dafür vorliegt, dass sich passive Bewegungsübungen nicht negativ auf den Heilungsprozess auswirken. Dies deckt sich mit der 2019 publizierten Bewertung des IQWiG zur Anwendung und Kostenerstattung der CPM.

Die enge Zusammenarbeit mit Physiotherapeuten/-innen ist an der Schulter aus den Augen der DVSE unerlässlich. Knapp 95 % der DVSEExperten waren 2016 der Meinung, dass die primäre Instruktion nach einer RMR durch eine/en Physiotherapeuten/-in sinnvoll ist. Dennoch ist ein Trend zu Selbstübungen und beispielsweise Video- oder App-basierten Programmen festzuhalten. Auch wenn aktuell noch keine Level-I basierte Empfehlungen für oder gegen die Anwendung von Selbstübungen versus Physiotherapie gibt, ist der Einsatz solcher Programme aufgrund der Studienlage durchaus als Ergänzung zu erwägen.

Um eine kontinuierliche Progression der Nachbehandlung zu ermöglichen, sollte der postoperative Verlauf in unterschiedliche Phasen aufgeteilt werden. Gängig ist eine Gliederung in 4 postoperative Phasen, welche eine sinnvolle Aufteilung in unterschiedliche Behandlungsschwerpunkte und Ziele ermöglichen. Die zeitlichen Angaben sind dabei zeit- und kriterienbasiert. Sie orientieren sich an den allgemeinen Wundheilungsphasen und aus den von Tierstudien bekannten Zeitverläufen der Gewebsheilung und bilden gewissermassen den Rahmen. Die spezifischen Kriterien, welche der Patient zum Übergang zwischen den einzelnen Rehabilitationsphasen erfüllen sollte, lassen sich aus der vorhandenen Literatur nicht exakt ableiten, jedoch bietet die „International Classification of Functioning, Disability and Health“ (ICF) eine gute Grundlage zur Zieldefinition. Zusammengefasst lassen sich diese Zeitangaben und Kriterien in ein Phasenmodell umsetzen, welches als praktische Grundlage sowohl der Physiotherapie, als auch für den Patienten nützlich sein kann (Tab. 1).

Fazit

Die RMR hat sich heute als Standardverfahren etabliert. Die zu erwartende postoperative Nachbehandlungszeit ist lang und zeitaufwändig. Für einige Therapieinhalte lassen sich bereits heute Empfehlungen herausarbeiten, insbesondere zur frühen passiven Bewegungsübung, der Behandlung mittels Physiotherapie und Eigenübungen sowie der Anwendung von Orthesen zur Ruhigstellung. Auch die Umsetzung eines zeit- und kriterienbasierten Nachbehandlungsschema hat sich etabliert.

Literatur

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  2. Haasters et al., Rehabilitation after arthroscopic bankart repair for traumatic shoulder instability – A systematic review in submission; in submission; 2020
  3. Jung C. et al., Rehabilitation nach Rotatorenmanschettenrekonstruktion; Obere Extremität; 11:16–31; 2016
  4. Korsukéwitz C. et al., Zur Bedeutung von Leitlinien für die Rehabilitation. Rehabilitation; 42:67–73; 2003
  5. Korsukéwitz C. et al., Evidenz und Qualität in der Rehabilitation: Die Leitlinien der Deutschen Rentenversicherung. In: Bund DR (Hrsg) 17. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium.Bremen, p 31–32; 2008
  6. Lapner P.L. et al., A multicenter randomized controlled trial comparing single-row with double-row fixation in arthroscopic rotator cuff repair. J Bone Joint Surg Am 94:1249–1257; 2012

Trends in der inversen Schulterendoprothetik

Steigende Implantationsraten, eine zunehmende Indikationserweiterung auf proximale Humerusfrakturen, der Trend zur vermehrten Lateralisierung und Änderung des Prothesendesigns sowie die Entwicklung der patientenspezifschen Instrumentierung – es tut sich etwas in der inversen Schulterendoprothetik.

Seit Einführung der modernen inversen Prothese 1987 durch Paul Grammont hat sich die Versorgungssituation massiv gesteigert. Dies nicht zuletzt aufgrund der langanhaltend sehr guten funktionellen Resultate für unterschiedlichste Indikationsgebiete (Tab.1). Mit nachweislich 15 Jahren Überlebensraten zwischen 80 und 95% (Tab. 2) und über die Zeit stabilen Constant Score Werten zwischen 70 und 85% zeigt die inverse Prothese subjektiv und objektiv denen der Hüftendoprothese vergleichbare Resultate (Tab. 1).

Einschränkungen insbesondere der Rotationsfähigkeit sowie das vermehrt über die Zeit erkennbare scapuläre Notching führten, insbesondere getriggert durch die  Biomechanischen Überlegungen von Marc Frankle, zu einer Rückbesinnung
auf ursprüngliche Prothesenformate aus den frühen 70er Jahren. Diese Modelle zeichneten sich insbesondere durch eine vermehrte Lateralisierung der Gelenklinie und anatomische humerale Inkliniation aus. Das frühe Versagen dieser Prothesen resultierte jedoch mitnichten aus diesem Designwie fälschlicherweise häufig zitiert-, sondern aus der vollständigen Kopplung der humeralen und glenoidalen Komponente sowie unzureichender glenoidaler Fixierungsmöglichkeit.

So entstand insbesondere im Laufe der letzten 5 Jahre ein stete Veränderung hinsichtlich Inklination, Retrotorsion und Offset (durch humerale oder laterale, metallische oder biologische Lateralisierung)

Design

Eine der wichtigen Veränderungen ist das Abrücken vom ursprünglichen, von Paul Grammont in den 1980er Jahren entwickelten, Design mit einer humeralen Inklination von 155° hin zu einer vermehrten Lateralisierung mit Verwendung von Humerusschäften mit einer anatomischen Inklination von 135° (Abb. 1). Dies hat theoretisch Einfluss auf Beweglichkeit, Stabilität, Notching, Neuropraxie und Konvertierbarkeit, im Frakturfall auf die Tuberculaeinheilung sowie potentiell durch Reduktion der Distalisierung auf die Häufigkeit von Ermüdungsfrakturen an Spina und Acromion. Die Steilstellung der inversen Prothesenpfanne verringert das Risiko des sogenannten „Inferior Scapular Notching“ (Abb. 2). Zusätzlich entscheidend im Hinblick auf das Notchimpingement ist die ausreichend kaudale Positionierung der Glenoidkomponente.

Unter einem sog. „Notching“ versteht man eine sichtbare Einkerbung am unteren Skapulahals im a.p.-Röntgenbild. Sie entsteht durch einen mechanischen Konflikt bei Adduktion des Armes und wird in vier Grade klassifiziert.8

Auch die Form der Glenosphäre und der Abstand zwischen Drehzentrum und Prothesenschaft hat Auswirkung auf die Biomechanik des Gelenks und die postoperative Beweglichkeit. Umso weiter das Drehzentrum nach lateral und kaudal verlagert wird, umso mehr nimmt der Abstand der Pfanne zum Skapulahals zu und der Bewegungsumfang vergrößert sich.9, 10

In einer Review-Arbeit von Erickson et al.11, die insgesamt 38 Studien und 2.222 Schultern einschloss, wurde nach einem durchschnittlichen Follow-Up von 37,9 Monaten eine Notching-Rate von 2.8% für lateralisierte inverse Prothesen mit 135° und 16.8% für Prothesen mit 155° humeraler Inklination beschrieben.

Prothesen mit 135° humeraler Inklination zeigten bislang jedoch kein erhöhtes Luxationsrisiko, was lange als Gegenargument für die Verwendung von Prothesen mit 135° humeraler Inklination angeführt wurde. Ganz im Gegenteil- der veränderte Kraftvektor des Deltoideus führt zu einer ins Glenosphärenzenztrum zentrierenden und stabilisierenden Delta-Aktivität. In einer kürzlich veröffentlichten randomisierten kontrollierten Studie von Gobezie et al.12 waren keine funktionellen Unterschiede zwischen beiden Prothesendesigns im 2-Jahres-Follow-Up nachweisen. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob die höhere Notchingrate der 155°-Prothesen die Langzeitergebnisse negativ beeinflusst.

Indikation – Inverse Schulterendoprothetik bei proximalen Humerusfrakturen

Insbesondere bei der Versorgung geriatrischer Patienten mit proximalen Humerusfrakturen nimmt die primäre inverse Arthroplastik einen zunehmenden Stellenwert ein.

Bei in der Literatur beschrieben Revisionsraten von bis zu 25% nach osteosynthetischer Versorgung scheint die primäre inverse Prothese mit Komplikationsraten von unter 5% und zuverlässig guten postoperativen Ergebnissen, insbesondere bei komplexen mehrfragmentären Frakturen, eine geeignete Alternative.13 Für Deutschland konnte im Zeitraum zwischen 2007 und 2016 bereits eine Zunahme der Implantationsraten inverser Schulterprothesen bei proximalen Humerusfrakturen um das Achtfache gezeigt werden.14

 

Abb. 2 Klassifikation des „Inferior Scapular Notching“ nach Sirveaux:1, 2 Grad 1: Geringes Notching mit Erosion des lateralen Glenoidpfeiler, Grad 2: Erosion des lateralen Glenoidpfeiler mit Randsklerose, Grad 3: Erosion reicht über die inferiore Schraube hinaus, Grad 4: Erosion bis unter die Basisplatte mit Lockerungszeichen. Abb. 3
Fallbeispiel einer patientenspezifischen Instrumentierung nach präoperativer Planung mit Matchpoint (Fa. DJO) bei einem Patienten mit einer Glenoidkonfiguration Typ B3 nach Walch (a) und Typ E1 nach Huguet/Favard (b). Mittels 3D-Druck wurden ein Replikat des Glenoids sowie eine Bohrschablone erstellt (c). Diese wird intraoperativ an der Coracoidbasis ausgerichtet (d). Die Auffüllung des Glenoiddefekts erfolgte mit dem resezierten Humeruskopf, wobei das Graft mit Hilfe des Glenoid-Replikats exakt präpariert werden kann (e). Anschließend wird das Graft über den vorgebohrten K-Draht eingebracht und mittels der Baseplate fixiert (f). Im postoperativen CT zeigt sich eine optimale Lage der zentralen Schraube sowie eine vollständige Auffüllung der glenoidalen Defekt

Vergleicht man bei der Therapie proximaler Humerusfrakturen die Ergebnisse der inversen Schulterprothesen mit den Ergebnissen der Hemiendoprothesen, so haben mehrere Review-Arbeiten mit großen Fallzahlen und einem Patientenalter über 60 bzw. 65 Jahren signifikant bessere postoperative Ergebnisse sowohl in der Funktion als auch der Beweglichkeit der Schulter bei primärer Implantation einer inversen Prothese gezeigt. Die Flexion war im Schnitt um 24,3° bzw. 21° gebessert und auch die postoperative Schmerzangabe war signifikant geringer.15, 16, 17 Allerdings gilt es zu beachten, dass Langzeit-Resultate abzuwarten sind und auch die optimale operative Versorgung jüngerer Patienten unter 60 Jahren mit komplexen proximalen Humerusfrakturen weiter kritisch diskutiert wird.

Wichtig in Bezug auf die Fraktursituation und das postoperative Ergebnis ist besonders die Refixation und Einheilung der Tuberkula.18 Wir konnten im Rahmen einer multizentrischen Studie zeigen, dass durch die regelrechte Einheilung des Tuberkulum majus sowohl die postoperative Schulterfunktion als auch die subjektive Patientenzufriedenheit signifikant gebessert waren.19, 20 Bei einem Kollektiv von 64 nachuntersuchten Patienten lag der durchschnittliche altersadaptierte Constant Score nach knapp 2 Jahren bei 72%. Bei 77% der Patienten konnte eine regelrechte Einheilung des Tuberculum majus erzielt werden. Sowohl der altersadaptierte Constant Score (78% vs. 54%) als auch die subjektive Patientenzufriedenheit (76% vs. 54%) waren bei diesen Patienten signifikant verbessert.

Omarthrose mit fortgeschrittenem Glenoidverbrauch

Auch bei älteren Patienten mit primärer Omarthrose, welche bereits fortgeschrittene degenerative Veränderungen der Rotatorenmanschette oder eine dorsale Dezentrierung des Humeruskopfes mit posteriorem Glenoidverschleiß zeigen, wird immer häufiger eine primäre inverse Schulterprothese implantiert. Diese Entwicklung ist der Tatsache geschuldet, dass Walch et. al21 bei einer bikonkaven Glenoidkonfiguration eine sehr hohe glenoidale Lockerungsrate bei anatomischen Totalendoprothesen von bis zu 20% nach durchschnittlich 6,5 Jahren Follow-Up nachgewiesen haben.

Außerdem liegen mittlerweile verlässliche Langzeitergebnisse für inverse Prothesen vor, wobei die 10-Jahres-Überlebensrate der primären inversen Prothesen bei 90% liegt.1 Bei einer durchschnittlichen Follow-Up-Zeit von 9,5 Jahren verbesserte sich der absolute und relative Constant-Score signifikant von 24 auf 59 Punkte bzw. von 33% auf 74%. Favard et al. konnten in einer retrospektiven Studie an insgesamt 527 implantierten inversen Schulterprothesen zeigen, dass sich die Beweglichkeit der operierten Schulter für die aktive Elevation auf 128,6°±32,6 bei einer Ausgangsbeweglichkeit von 69,3°±34 verbesserte.22

Patientenspezifische Instrumentierung

Mehr und mehr in den Vordergrund kommt die sogenannte „patienten-spezifische Instrumentierung“ (PSI). Mit diesem Verfahren kann die Genauigkeit und die Platzierung der Glenoidkomponente deutlich verbessert werden. Die Lockerung der Glenoidkomponente stellt nämlich aktuell den häufigsten Grund für ein Prothesenversagen dar.23

Abb. 4 Fallbeispiel einer intraoperativen Navigation nach präoperativer Planung mit Equinoxe (Fa. Exactech) bei einem Patienten mit einem extremen knöchernen Glenoiddefekt (a, b). Zunächst wird ein Allograft in den Glenoiddefekt eingebracht und mit K-Drähten fixiert (c). Anschließend erfolgt das navigierte Einbringen der Baseplate (d, e). Dies erfolgt Anhand der präoperativen CT-Bildgebung und der intraoperativ markierten knöchernen Landmarken. Im postoperativen CT zeigt sich eine optimale Lage des zentralen Zapfens und der peripheren Schrauben sowie eine vollständige Auffüllung der glenoidalen Defektzone durch das Graft (f, g, h).

Gründe für ein frühzeitiges Versagen können eine Fehlpositionierung, eine inkomplette oder unzureichende Korrektur der pathologischen Glenoidveränderungen, eine persistierende Humeruskopf-Subluxation oder Dezentrierung sowie eine Insuffizienz der Rotatorenmanschette sein.

Ziel der PSI ist es:

  • die Glenoidanatomie bestmöglich wiederherzustellen
  • den subchondralen Knochensubstanzverlust möglichst zu minimieren
  • die Gelenklinie möglichst wenig zu medialisieren
  • eine optimale Fixierung und Positionierung der Implantate zu erzielen
  • möglichst wenig mechanische Stressbelastung auf das Implantat zu bringen

Für die PSI-Planung stehen unterschiedliche Programme, welche jeweils an ein einzelnes Prothesensystem gebunden sind, zur Verfügung. Präoperativ erfolgt die CT-Planung, welche in möglichst geringer Schichtdicke (max. 1 mm) sowie mit Erfassung der gesamten Scapula durchgeführt wird. Die CT-Daten werden dann online hochgeladen und die Parameter der Scapualgeometrie (Skapulafläche, neutrale Inklinationsachse,  Glenoidfläche) bestimmt sowie die virtuelle Planung durchgeführt. Insbesondere werden die optimale Lage des zentralen Bohrdrahts, die Richtung der Gleonidpräparation sowie die Positionierung der Glenoidkomponente definiert. Wenn ein relevanter Knochensubstanzdefekt vorliegt, wird die Notwendigkeit der Korrekturfräßung bzw. der knöchernen oder metallischen Augmentierung überprüft und die genauen Maße des Grafts berechnet. Nach Abschluss der Planung wird das Zielinstrumentarium sowie als Referenz eine Schablone des Glenoids mit einem 3D-Drucker hergestellt. Ein beispielhafter Fall für PSI mit 3D Schablone wird in Abb. 3 dargestellt.

Grundsätzlich muss zwischen patientenspezifischer Instrumentierung (Abb. 3) und intraoperativer Navigation unterschieden werden. Hierfür wird ein CT-Datensatz und in eine Planungssoftware integriert. Im Gegensatz zur PSI kann diese Planung dem Operateur nun in „Real-time“ im Operationssaal zur Verfügung gestellt werden. Dazu werden optische GPS Geräte am Schultergürtel knöchern fixiert und die knöchernen Landmarken definiert, bis eine virtuelle Landkarte des OP-Situs auf dem Bildschirm verfügbar ist und mit der präoperativen CT-Planung gematcht werden kann. In Abb. 4 wird ein Beispielfall mit intraoperativer Navigation demonstriert.

Insgesamt lässt die verfügbare Literatur darauf schließen, dass sich die Genauigkeit der Glenoidimplantation mittels PSI und intraoperativer Navigation verbessert, was dazu führt, dass postoperative Versions- oder Neigungsfehler vermieden werden können.24 Insbesondere bei komplexer Glenoidmorphologie scheint der Einsatz von PSI von Nutzen zu sein.25

Literatur:

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