Berlin/München – Muss die 1. OP-Assistenz von einem Arzt durchgeführt werden? Kommt darauf an, meint BVOU-Verbandsjustiziar, Dr. Jörg Heberer. Ausschlaggebender Faktor ist hier, ob eine ärztliche Assistenz bei dem Eingriff aufgrund seiner Art und Schwere, der durchzuführenden Assistenztätigkeiten und der Patientensicherheit erforderlich ist. Was das konkret bedeutet und welche Faktoren hierbei noch eine Rolle spielen, erläutert der Münchener Anwalt im Gespräch.
Herr Dr. Heberer, aus juristischer Sicht und auf den Punkt gebracht: Muss die 1. OP-Assistenz bei stationären Eingriffen von einem Arzt durchgeführt werden?
Dr. Jörg Heberer: Gesetzliche Vorschriften, von wem die 1. OP-Assistenz bei stationären Eingriffen übernommen werden muss bzw. welche Qualifikation vorausgesetzt ist, gibt es nach aktuellem Wissensstand nicht. Auch existiert hierzu bislang keine gefestigte Rechtsprechung.
Gilt das auch im ambulanten Bereich?
Dr. Heberer: Für ambulante und stationsersetzende Eingriffe im Krankenhaus nach § 115b SGB V sieht zum einen der seit 01.01.2023 geltende AOP-Vertrag in § 12 vor, dass zur Einhaltung des Facharztstandards die ärztlichen Leistungen gemäß § 115b SGB V nur von Fachärzten, unter Assistenz von Fachärzten oder unter deren unmittelbarer Aufsicht und Weisung mit der Möglichkeit des unverzüglichen Eingreifens zu erbringen sind. Eine entsprechende Regelung findet sich für diese Eingriffe auch in § 4 Abs. 1 Qualitätssicherungsvereinbarung nach § 115b SGB V (QSV nach § 115b SGB V) sowie in § 3 Abs. 1 S. 2 Qualitätssicherungsvereinbarung ambulantes Operieren nach § 135 Abs. 2 SGB V (QSV ambulantes Operieren) vom 28.11.2011. Folglich gilt diese Voraussetzung zur Einhaltung des Facharztstandards sowohl für ambulante Operationen im Krankenhaus als auch in der Arztpraxis. Diese Vorschriften lassen jedoch nach dem Wortlaut die Möglichkeit zur Delegation von ärztlichen Leistungen an nichtärztliche Mitarbeiter aus meiner Sicht grundsätzlich offen.
Zum anderen bestimmen die QSV ambulantes Operieren in § 4 Abs. 1 Unterpunkt 8 S. 1 und die QSV nach § 115b SGB V in § 5 Abs. 1, dass wenn bei Eingriffen gemäß § 115b SGB V ärztliche Assistenz erforderlich ist, der Arzt sicherzustellen hat, dass hinzugezogene Assistenten über die bei jedem individuellen Eingriff erforderliche Erfahrung und den medizinischen Kenntnisstand verfügen. Hier werden für die ärztliche Assistenz also zumindest Qualifikationsanforderungen vorgegeben. In den Anlagen 1A ff. zur QSV nach § 115b SGB V sind sodann diverse konkrete Anforderungen zur Qualitätssicherung bei verschiedenen Eingriffen im Krankenhaus (Koloskopie, invasive Kardiologie, Arthroskopie, photodynamische Therapie am Augenhintergrund) geregelt. Für die Durchführung beispielsweise einer Arthroskopie findet sich in Anlage 1C jedenfalls kein explizites Erfordernis einer ärztlichen Assistenz.
Was bedeutet das im Detail „kein explizites Erfordernis einer ärztlichen Assistenz“? Wer hat konkret im OP-Saal bei ambulanten Operationen anwesend zu sein, wenn keine ärztliche Assistenz erforderlich ist?
Dr. Heberer: Auf Ihre erste Frage ist zu sagen, dass dies bedeutet, dass bei der Durchführung einer ambulanten Arthroskopie im Krankenhaus die Qualitätssicherungsvereinbarung das Vorhandensein einer ärztlichen Assistenz nicht zwingend vorschreibt.
Falls keine ärztliche Assistenz bei Eingriffen nach § 115b SGB V erforderlich ist, muss aber nach § 5 Abs. 2 der QSV nach § 115b SGB V sowie nach § 4 Abs. 1 Unterpunkt 8 S. 2 QSV ambulantes Operieren mindestens ein qualifizierter Mitarbeiter mit abgeschlossener Ausbildung in einem nichtärztlichen Heilberuf oder im Beruf als Arzthelfer als unmittelbare Assistenz anwesend sein. Weiterhin muss eine Hilfskraft (mindestens in Bereitschaft) sowie, falls medizinisch erforderlich, auch für Anästhesien ein Mitarbeiter mit entsprechenden Kenntnissen anwesend sein.
Bedeutet das also eine individuelle Entscheidung von Fall zu Fall?
Dr. Heberer: Das ist richtig. Grundsätzlich muss sowohl bei stationären als auch ambulanten Eingriffen nach meiner Ansicht in jedem Einzelfall an dem Maßstab der verkehrsüblichen, berufsspezifischen ärztlichen Sorgfaltspflicht geprüft werden, ob und inwieweit bei Kernleistungen des ärztlichen Handelns, wie einer Operation, eine Assistenz überhaupt erforderlich ist, Teile dieser Leistung sodann durch einen ärztlichen OP-Assistenten erbracht werden müssen oder ob und inwieweit diese Leistungen bei Wahrung des Facharztstandards auch auf nichtärztliches Personal übertragen werden können. Diese Fragen sind stets abhängig von der Art und Schwere des Eingriffs, von der Art der durch den Assistenten zu erbringenden Leistungen sowie von der Frage, ob die Leistungserbringung durch den Assistenten zu einer Gefährdung für den Patienten führen kann.
Wie lautet hier der Standpunkt von BÄK, KBV und medizinischer Fachgesellschaften?
Dr. Heberer: Nachdem die Durchführung einer Operation zu den originär ärztlichen Aufgaben zählt und der Operateur für jeden OP-Schritt voll verantwortlich ist, vertreten die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung nach wie vor seit 2008 die Auffassung, dass die 1. OP-Assistenz und damit die eigenverantwortliche Übernahme operativer Teilschritte ausschließlich durch einen ärztlichen Mitarbeiter zulässig ist. Somit sollen nach deren Ansicht beispielsweise PA, CTA oder OTA, die allesamt nichtärztliche Mitarbeiter sind, nur die 2. oder 3. OP-Assistenz übernehmen dürfen (s. hierzu: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung, Persönliche Leistungserbringung – Möglichkeit und Grenzen der Delegation ärztlicher Leistungen, Stand 29.08.2008, S. 8, https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/_old-files/downloads/Empfehlungen_Persoenliche_Leistungserbringung.pdf, abgerufen 23.12.2022). Nach Auffassung einiger Fachgesellschaften hingegen sollen bei entsprechender individueller Qualifikation der vorgenannten Berufsgruppen diese auch die 1. OP-Assistenz übernehmen können.
Gibt es Situationen, bei denen eine durchzuführende ärztliche Leistung von nichtärztlichem Personal durchgeführt werden kann beziehungsweise darf? Wenn ja, was muss beachtet werden?
Dr. Heberer: Eine Delegation ärztlicher Leistungen an nichtärztliche Mitarbeiter ist nach der Rechtsprechung nur bei Leistungen möglich, die der Arzt wegen ihrer Art oder der mit ihnen verbundenen besonderen Gefährlichkeit für den Patienten oder wegen der Umstände ihrer Erbringung, insbesondere der Schwere des Krankheitsfalles, nicht höchstpersönlich erbringen muss. Die Entscheidung, ob und an wen der Arzt eine solche Leistung delegiert, ob er den betreffenden Mitarbeiter ggf. besonders anzuleiten und wie er ihn zu überwachen hat, muss der Arzt von der Qualifikation des jeweiligen Mitarbeiters abhängig machen.
Sollen die Leistungen an einen Mitarbeiter delegiert werden, der über eine abgeschlossene, ihn dazu befähigende Ausbildung in einem Fachberuf im Gesundheitswesen verfügt, kann sich der Arzt regelmäßig darauf beschränken, diese formale Qualifikation des Mitarbeiters festzustellen (z. B. Zeugnis), sich zu Beginn der Zusammenarbeit davon zu überzeugen, dass die Leistungen des Mitarbeiters auch tatsächlich seiner formalen Qualifikation entsprechende Qualität haben und die Qualität der erbrachten Leistungen stichprobenartig zu überprüfen. Sofern die Qualität nicht ausreichend ist, muss der Mitarbeiter nachgeschult, eingehender überwacht und bei Nichterfüllung der Anforderungen an eine Delegation, letztendlich hierauf verzichtet werden.
Sofern eine Leistung an einen Mitarbeiter delegiert werden soll, der nicht über eine abgeschlossene Ausbildung in einem Fachberuf im Gesundheitswesen verfügt, die die zu delegierende Leistungen einschließt, bestehen für den Arzt Auswahl-, Anleitungs- und Überwachungspflichten. Auswahlpflicht bedeutet, dass der Arzt aufgrund der allgemeinen Fähigkeiten des Mitarbeiters prüfen muss, ob dieser für eine Delegation der konkreten Leistung geeignet erscheint. Ist dies der Fall, so muss er den Mitarbeiter zur eigenständigen Durchführung der Leistung anlernen (Anleitungspflicht). Eine regelmäßige Überwachungspflicht besteht allerdings auch dann noch weiter, nachdem er sich davon überzeugt hat, dass der Mitarbeiter die Durchführung der Leistung beherrscht. Erst mit der Zeit kann er sich dann wie bei einem Fachberufsangehörigen auf Stichproben beschränken. Stets gilt jedoch, dass bei der Erbringung delegierter Leistungen durch nichtärztliche Mitarbeiter der Arzt verpflichtet ist, sich grundsätzlich in unmittelbarer Nähe (Rufweite) aufzuhalten (vgl. BÄK/KBV, a. a. O., S. 4, 5).
Die Anordnungsverantwortung sowie die Auswahl-, Anleitungs- und Überwachungspflichten liegen somit in jedem Falle weiter beim Arzt. Der Mitarbeiter an den delegiert wird, muss zwingend die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Durchführung der delegierten Leistung aufweisen.
Inwieweit unterschieden sich die Befugnisse von OTA, CTA, Physician Assistant und so weiter?
Dr. Heberer: Die nachstehende aktuelle juristische Kommentarliteratur vertritt nach meiner Ansicht grundsätzlich dieselbe Auffassung wie Bundesärztekammer und KBV, jedoch mit dem Erfordernis einer konkreten ärztlichen Gefahrenanalyse in jedem Einzelfall:
„Operative Leistungen stellen eine originär ärztliche Tätigkeit dar. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass sich Berufe, wie Operations-Technischer Assistent (OTA), Chirurgisch-Technischer Assistent (CTA), Physician Assistant, Anästhesie-Technischer Assistent und Gefäßassistent DGG herausgebildet haben. Eine gesetzliche Fixierung der jeweiligen Berufsbilder besteht nicht, da keine Ausbildungsgesetze vorliegen. Nur für den OTA existieren zwar Empfehlungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Auch die dort in § 1 Abs. 2 genannten Ausbildungsziele legen nicht den Schluss nahe, dass der OTA etwa qualifiziert wird, etwa einen Wundverschluss selbstständig vorzunehmen. Zwar erachtet (auch) die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie e.V. (DGU) im OP-Bereich den Physician Assistant für geeignet, Leistungen der OP-Assistenz sowie ggf. eigenständig den Wundverschluss durchzuführen. Solange aber nicht sicher geklärt ist, ob eine solche Delegation zu einer Gefahrerhöhung beim Patienten führt, ist schon aus haftungsrechtlichen Gesichtspunkten anzuraten, eine differenzierte Gefahrenanalyse anzustellen (vgl. Reuther in: Rieger/Dahm/Katzenmeier/Stellpflug/Ziegler, Arztrecht Krankenhausrecht Medizinrecht, b) Einzelne (nicht-)delegationsfähige Leistungen, juris 90. Lieferung, 12/2022, Dokumentenstand 02/2019, Rn. 50).“
Welche Rolle spielt die Schwere des Eingriffs bei der Entscheidung?
Dr. Heberer: Ich denke durchaus, dass im Rahmen dieser Einzelfallbetrachtung unbedingt nach der Überschaubarkeit bzw. Schwere des Eingriffs unterschieden werden muss. Die Gefährdung des Patienten durch den Eingriff bestimmt hier in jedem Einzelfall das Maß der objektivierten und erforderlichen Sorgfaltspflicht des Arztes. Eine Beeinträchtigung der Versorgungsqualität und der Patientensicherheit muss in jedem Falle ausgeschlossen werden. Zudem muss der Facharztstandard gewahrt werden.
Zusammengefasst sprechen somit Ihre Erwägungen dafür, dass die 1. OP-Assistenz ärztlichen Mitarbeitern vorbehalten ist, sofern eine ärztliche Assistenz aufgrund des Eingriffs und der Patientensicherheit nach medizinischen Gesichtspunkten erforderlich ist. Festzuhalten ist jedoch, dass es keine zwingenden Vorschriften oder klärende Rechtsprechung dazu gibt, dass die 1. OP-Assistenz nur durch einen Arzt vorgenommen werden darf. Auch die Empfehlungen der BÄK/KBV besitzen keine ausschließliche rechtliche Verbindlichkeit. Was raten Sie also unseren operierenden Mitgliedern?
Dr. Heberer: Letztendlich obliegt diese Entscheidung allein aufgrund medizinischer Aspekte immer dem die OP durchführenden Arzt, der auch die Anordnungsverantwortung trägt. Ob die Durchführung der 1. OP-Assistenz durch einen nichtärztlichen Mitarbeiter medizinisch vertretbar ist, muss der Arzt entscheiden. Wie gesagt, sind hier auch die verschiedenen Eingriffsarten und deren Umfang in die Abwägung miteinzubeziehen. Da dies jedoch eine rein medizinische Fragestellung in jedem konkreten Einzelfall ist, kann ich aus juristischer Sicht – auch mangels Rechtsprechung – hierzu bedauerlicherweise keine abschließende Beurteilung abgeben.
Nichtärztlich oder Arzt: Wie riskant ist diese Entscheidung im Schadensfall?
Dr. Heberer: Sofern sich durch den nichtärztlichen ersten OP-Assistenten ein Schaden realisieren sollte, bleibt es im Rahmen einer juristischen Auseinandersetzung immer der Entscheidung eines medizinischen Sachverständigen vorbehalten, ob der Einsatz des nichtärztlichen Mitarbeiters im konkreten Einzelfall als medizinisch vertretbar angesehen werden kann. Dies bedeutet somit aber auch, dass eine generell gültige Aussage über die Zulässigkeit der 1. OP-Assistenz durch nichtärztliche Mitarbeiter bzw. über die Notwendigkeit durch einen ärztlichen Mitarbeiter nicht getroffen werden kann. Ein gewisses Risiko, dass ein Sachverständiger in einem konkreten Fall zu dem Ergebnis kommt, dass die 1. OP-Assistenz nicht durch einen nichtärztlichen Mitarbeiter hätte durchgeführt werden dürfen, sondern zwingend durch einen Arzt hätte erfolgen müssen, kann somit nie ausgeschlossen werden.
Herr Dr. Heberer, vielen Dank für diese Informationen!
Das Gespräch führte Janosch Kuno, Pressearbeit BVOU.