Immer mehr Kliniken in Deutschland modernisieren ihre Operationssäle. Mittlerweile verfügen auch mittlere und kleinere Krankenhäuser über Hightech-Operationsräume und der sogenannte „Hybrid OP“ erweitert den Arbeitsplatz der Chirurgie oftmals um ein robotisches Assistenzsystem. Dazu gehört unter anderem ein computergestütztes Assistenzsystem, welches das Operieren für Chirurgen weniger belastend und damit für Patienten sicherer macht. Wie „Teamarbeit“ mit einem Roboter gelingt, stellt BVOU-Vizepräsident Univ.-Prof. Dr. med. habil. Tobias Renkawitz vor und wirft ein Blick in die technische Zukunft von O&U.
Herr Professor Renkawitz, sie beschäftigen sich seit über 15 Jahren mit computerassistierten Operationsverfahren in der Hüft- und Knieendoprothetik. Wie kann ein Computer beim Einsetzen eines künstlichen Kniegelenks helfen?
Prof. Tobias Renkawitz: Der Einsatz einer Knietotalendoprothese zählt zu den häufigen Eingriffen der orthopädischen Chirurgie. Trotz großer Fortschritte in der Materialtechnik liegt der Anteil an unzufriedenen Patienten weiterhin bei rund 20 %. Dieses Phänomen findet sich mehr oder weniger durchgängig in fast allen westlichen Ländern. Wir kennen mittlerweile eine ganze Reihe von erfolgreichen Operationstechniken, um diese unerfreulich hohe Rate zu senken. Grundvoraussetzung ist dabei allerdings, dass der Operateur diese Technik intraoperativ auch präzise umsetzt. Aus vielen wissenschaftlichen Auswertungen wissen wir, dass sich selbst ein sehr erfahrener Chirurg mit jahrzehntelanger Erfahrung oft täuscht, wenn er sich nur auf sein Augenmaß verlässt. Ein künstliches Kniegelenk sollte aber sehr genau und orientiert an der patientenindividuellen Anatomie positioniert werden. Computerassistierte Operationsverfahren bieten hier eine wertvolle Unterstützung, denn Knochenschnitte und die dreidimensionale Ausrichtung der Knieprothese lassen sich exakt umsetzen. Gleichzeitig erhält der Operateur wichtige Informationen über Weichteilstrukturen wie Bänder und Sehnen und kann damit das künstliche Kniegelenk gut balancieren.
Wo liegt der Unterschied zwischen Navigation und Robotik?
Prof. Renkawitz: Die Robotik ist sozusagen die Weiterentwicklung der Navigation, beide basieren aber auf demselben Grundprinzip, der Stereotaxie. Auf eine strahlenbelastende präoperative Computertomographie oder teure MRT-Aufnahmen kann bei Navigations- und Robotiksystemen der neuesten Generation durch die „bildfreie Technologie“ verzichtet werden. Dabei wird von einer Spezialkamera im Operationssaal Infrarotlicht ausgesendet und von reflektierenden Markerkugeln am Patienten und an Operationswerkzeugen zurückgeworfen. Diese Lichtsignale wandelt, vereinfacht gesagt, ein Computer in ein virtuelles Gelenkmodell um, dass auf großen Monitoren im OP angezeigt wird. Das Operationsteam kann anhand dieses virtuellen Modells zum Beispiel simulieren, wie sich eine bestimmte Orientierung der Prothese auswirkt und danach das Ergebnis live und in Echtzeit kontrollieren. Bei der Navigation befestigt der Operateur, geleitet durch das Navigationssystem, noch konventionelle Sägeschablonen am Knochen und kontrolliert danach das Ergebnis. Bei der Robotik führt eine Roboterarm die Säge selbständig in die gewünschte räumliche Position, Sägeschablonen werden also nicht mehr benötigt und die Sägeführung wird durch den Roboterarm präziser.
An wie vielen Kliniken in Deutschland wird beispielsweise bei Knie-Operationen derzeit ein Robotiksystem eingesetzt?
Prof. Renkawitz: Die Kollegen der Orthopädischen Universitätsklinik in Würzburg haben dazu eine aktuelle Analyse vorgelegt. In den letzten zehn Jahren sind demzufolge rund 0,5 % aller Knie TEP Operationen mit einem Roboter durchgeführt worden. Aufhorchen lässt allerdings der Trend, denn seit 2018 nimmt die Rate an roboterassistierten Knieendoprothese stark zu – jährlich zeigen sich derzeit Wachstumsraten bis zu 80 %. Die absolute Versorgungszahlen sind also noch relativ gering, das Interesse nimmt aber deutlich zu. Einen ähnlichen Trend haben wir damals übrigens auch zu Beginn der Navigationsära gesehen. Die spannende Frage wird also sein, ob sich diese Entwicklung
verfestigt.
„Navigation und Robotik erlauben also
einen viel höheren Grad an Individualisierung
während der Operation.“ Prof. Dr. Tobias Renkawitz
Die steigende Tendenz lässt daraus schließen: Ein Navigationssystem oder Roboter macht eine Operation besser. Wie stehen Sie zu dieser Aussage? Gibt es hierzu Studien?
Prof. Renkawitz: Für die Navigationstechnologie gibt es eine Reihe von wissenschaftlichen Studien, für die Robotik ist die Datenlage naturgemäß noch geringer. Allerdings haben viele dieser Studien gewisse Nachteile, denn das Operationsergebnis wird von sehr vielen Faktoren beeinflusst und man kann deshalb manchmal nicht genau sagen, ob es trotz oder wegen dem Einsatz eines Computers so geworden ist. Darüber hinaus wissen wir, dass das Operationsergebnis und auch die Haltbarkeit eines Knieprothese wesentlich von der Operationstechnik beeinflusst wird. Hier gibt es verschiedene Philosophien wie man ein künstliches Kniegelenk optimalerweise ausrichtet und das wird in vielen Arbeiten leider kaum diskutiert. Wissenschaftlich hochwertige Arbeiten sind deshalb rar, und die Studienlage ist nicht einheitlich. In einer eigenen Arbeit an 350 Patienten konnten wir zeigen, dass zehn Jahre nach einem Kniegelenkersatz mithilfe von Navigationstechnologie mit unserer Operationstechnik 1,9 Prozent der Prothesen gewechselt werden mussten, bei den Freihandimplantaten waren es 6,4 Prozent. Diesen Trend sieht man übrigens auch im australischen Register in einer größeren Kohorte mit über 44.500 navigierten Operationen. Es bleibt eine wichtige Zukunftsaufgabe, mit evidenzbasierten Studien den Nutzen dieser Verfahren zu bewerten. Wir müssen Navigationstechnologie und Robotik deshalb auch innerhalb des deutschen Endoprothesenregisters integrieren.
Für Chirurgen ist der Robotikeinsatz eine Arbeitserleichterung, aber was bringt es für den Patienten?
Prof. Renkawitz: Ich glaube nicht, dass computerassistierte Operationsverfahren automatisch eine Arbeitserleichterung sind. Der Computer ist erst einmal ein Hilfsmittel, und es liegt in der Kunst des Operateurs, die angezeigten Informationen zu bewerten und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen beziehungsweise die Operationstechnik darauf anzupassen. Navigation und Robotik erlauben also einen viel höheren Grad an Individualisierung während der Operation. Dazu braucht es aber gute Ausbildung, Erfahrung, und ein hohes Maß an Spezialisierung. Oder, um es etwas überspitzt auszudrücken: Ein Roboter macht aus einem schlechten Operateur nicht automatisch einen guten.
Patienten denken bei OP-Robotern an eine höhere Präzision und haben die Hoffnung auf ein zuverlässigeres Ergebnis. Lässt sich diese Aussage pauschal mit ja beantworten?
Prof. Renkawitz: Pauschal ganz sicher nicht. Ja, die Genauigkeit liegt bei computerassistierten Systemen deutlich höher als bei der Freihand Methode. Es geht aber vor allem darum, dass wir uns Gedanken über die optimale, patientenindividuelle Operationstechnik machen. Wenn man die falsche Ausrichtung für ein Kunstgelenk wählt, dann kann man das mit dem Roboter natürlich präzise schlecht erreichen – das hilft unseren Patienten aber nicht weiter. Computerassistierte Operationsverfahren sind deshalb wertvolle Hilfsmittel, aber keine Zaubermittel.
Inwiefern sind Roboter auch als Marketing-Werkzeug zu verstehen?
Prof. Renkawitz: Wenn man sich einmal die Entwicklung der Robotik in den USA ansieht, dann darf man das klar konstatieren. Es gibt Auswertungen die zeigen, dass sich durch das Angebot einer robotischen Knieoperation Patientenströme leiten lassen. Mir ist wichtig, dass wir, bei allem Verständnis für den Wettbewerb im Gesundheitssektor, dabei nicht den Fokus verlieren. Nicht das Marketing, sondern unsere Patientinnen und Patienten sollten an erster Stelle stehen. Bei manchen Darstellungen hat man mittlerweile fast den Eindruck, dass eine robotische Operation einer Wellness Behandlung gleichkommt. Hier wünsche ich mir mehr Fingerspitzengefühl und wissenschaftliche Sachlichkeit in der Debatte.
Dem Chirurgen soll die Arbeit erleichtert werden, die Behandlung des Patienten soll sich verbessern. Welchen finanziellen Vorteil hat der Einsatz für das Krankenhaus?
Prof. Renkawitz: Für die Robotik gibt es theoretische Modelle, nach denen sich der Operationsablauf beschleunigen soll, da zum Beispiel die Befestigung von Knochenschablonen entfällt. Aus meiner eigenen Erfahrung ist der Aufwand bei der Verwendung von computerassistierten Operationsverfahren insgesamt höher. Die Navigation selbst war bisher im DRG-System nicht erlössteigernd, für die Robotik gibt es dazu eine aktuelle Diskussion, die noch nicht zu Ende geführt ist. Im Moment kosten computerassistierte Operationsverfahren im Vergleich zum Standardvorgehen das Krankenhaus unter dem Strich mehr Geld.
Kratzt der Einsatz von OP-Robotern in dem hierarchisch organisierten OP-Saal an der Autorität des Chefchirurgen?
Prof. Renkawitz: Nicht Autorität, sondern Patientensicherheit und das Operationsergebnis zählen. Computerassistierte Operationsverfahren machen die Prozedur für das ganze Operationsteam sichtbar und Entscheidungen werden damit transparent, qualitativ nachvollziehbar und reproduzierbar. Nur so kann man heute erfolgreich im OP-Team arbeiten. Richtig eingesetzt sind Navigation und Robotik im übrigen auch hervorragende Instrumente in der chirurgischen Ausbildung.
Wo sehen Sie den Einsatz von OP-Roboter in 10 Jahren?
Prof. Renkawitz: Die Systeme werden sich weiter etablieren. Die Hardware – also der Roboter Arm und die daran befestigten Präzisionsinstrumente werden sich weiter verbessern. Viel wichtiger ist allerdings die Perspektive in der Software, also in den Berechnungsalgorithmen, die dem Chirurgen dann bei der Platzierung des Kniegelenkes helfen. Die patientenindividuelle Kinematik könnte beispielsweise zukünftig mit wissenschaftlich basierten Optimierungsalgorithmen auf Basis künstlicher Intelligenz kombiniert werden. Es geht also darum, operative Erfolgsstrategien intraoperativ und in Echtzeit umzusetzen. Am Ende entscheidet der Patientennutzen – gerade deshalb brauchen wir in Orthopädie und Unfallchirurgie auch weiterhin eine starke Expertise in der evidenzbasierten Medizin.
Herr Professor Renkawitz, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Janosch Kuno.