Berlin – Mit Kritik reagiert der Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU e.V.) auf den zustimmenden Beschluss der Ampelkoalition, dass Krankenhäuser zukünftig keine Fälle mehr an Praxen weiterverweisen dürfen. Dazu Dr. Burkhard Lembeck, BVOU-Präsident: „Alle Bemühungen, das Krankenhauspersonal zu entlasten, alle Bemühungen sich auf echte Notfälle zu fokussieren werden konterkariert. Man handelt gegen die Empfehlungen der Regierungskommission und gegen den Sachverstand der Fachgesellschaften. Ein Lehrstück für Realitätsferne!“
Hintergrund ist ein Änderungsantrag der Ampelkoalition, welcher ohne Vorankündigung in den Entwurf eines Gesetzes zur Unterstützung und Entlastung in der Pflege (Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz – PUEG) eingebracht wurde. Die Zustimmung fand am Freitag, den 26. Mai 2023 statt.
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) war im Vorfeld beauftragt worden, Richtlinien für eine qualifizierte und standardisierte Ersteinschätzung des medizinischen Versorgungsbedarfs zu erstellen, die festlegen sollten, nach welchen Kriterien in die verschiedenen Versorgungsebenen gesteuert werden sollen. Neben der Behandlung schwerer Fälle in der Notaufnahme eines Krankenhauses war geplant, dass Patientinnen und Patienten durch diese qualifizierte Ersteinschätzung je nach Tageszeit an Notdienst- oder Facharztpraxen weitergeleitet werden.
Laut der in letzter Minute eingebrachten Änderungen der Ampelkoalition sollen nun Patienten, die die Notaufnahme von Krankenhäusern aufsuchen, ohne klassische Notfälle zu sein, ausschließlich im Krankenhaus oder in Notfallpraxen am Krankenhaus weiterbehandelt werden. Eine Weiterleitung in die vertragsärztliche Versorgung soll nicht mehr möglich sein.
„Die Arbeit des GBA, der an einem Vorschlag zur Neuorganisation der Notfallversorgung intensiv arbeitet und der bereits weit fortgeschritten ist, wird mit diesem Änderungsantrag konterkariert und die Selbstverwaltung insgesamt ausgehebelt“, mahnt Dr. Burkhard Lembeck. „In den Krankenhäusern laufen bereits jetzt viele Patienten auf, die keine Notfälle sind. Diese Situation wird durch den aktuellen Änderungsvorschlag nun exponentiell verschärft“.
Der Vorschlag des BVOU-Präsidenten zur Notfallreform: „Orthopäden und Unfallchirurgen fordern seit langem die Fokussierung auf echte Notfälle, eine Entlastung durch Wegnahme von Bagatellen und den Schutz der 24/7 arbeitenden Kolleginnen und Kollegen. Wir stellen fest: Das Personal, das rund um die Uhr arbeitet, die Kolleginnen und Kollegen im Schockraum haben keine Lobby! Neben dem Polytrauma sollen Sie auch den eingewachsenen Zehennagel nachts versorgen. Irgendwann wird auch der letzte motivierte Mitarbeiter das System verlassen haben!“
Der BVOU hatte bereits im vergangenen Herbst mit Unterstützung der DGOU (Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie) ein Eckpunktepapier zur ambulanten Versorgung von Notfällen in Orthopädie und Unfallchirurgie erarbeitet, das auch vom Berufsverband der Deutschen Chirurgie e.V. (BDC) mitgetragen wird. Es liefert neben einer umfassenden Analyse die Eckpunkte für eine leitliniengerechte Versorgung und bietet konkrete, einfach umsetzbare Lösungsvorschläge zur Entlastung der Notaufnahmen an. Die qualifizierte Ersteinschätzung sollte in diesem Vorschlag auch telefonisch, z.B. über die Notrufnummer 116 117, möglich sein und Notfallpatienten in die für sie passende Versorgungsstruktur weiterleiten. Nur so können Ressourcen geschont und Überlastungsspitzen in den Versorgungsebenen vermieden werden.
Dr. Lembeck kritisiert: „Die Vorschläge der Fachgesellschaften und Berufsverbände, der Sachverstand der Regierungskommission zur Reform der Notfallversorgung werden mit dem Beschluss zunichte gemacht!“
Über den BVOU: Der Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (BVOU) ist die berufspolitische Vertretung für mehr als 7.000 in Praxis und Klinik tätigen Kollegen und Kolleginnen. Der BVOU setzt die beruflichen Interessen seiner Mitglieder durch, indem er zum Vorteil der Patienten und des Gemeinwohls gemeinsam mit den wissenschaftlichen Gesellschaften den Standard orthopädisch-unfallchirurgischer Versorgung entwickelt, die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen prägt und dadurch die öffentliche Wahrnehmung seiner Mitglieder als Experten für orthopädisch-unfallchirurgische Versorgung gestaltet.
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Janosch Kuno
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Berlin– Der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands e.V. (SpiFa) kritisiert Pläne der Ampelkoalition, wonach im Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG) durch die Hintertür Änderungen an der Notfallversorgung beschlossen werden sollen.
Bislang sah die Reform der Notfallversorgung eine Intensivierung der Patientensteuerung vor: nach einer qualifizierten Ersteinschätzung sollten Patientinnen und Patienten je nach Schwere und Dringlichkeit ihrer Erkrankung in die richtige Versorgungsebene vermittelt werden, Vertragsarztpraxen, integrierte Notfallzentren oder stationäre Notaufnahmen. Eine Richtlinie für dieses Ersteinschätzungsverfahren hat der hiermit beauftragte Gemeinsame Bundesausschuss bereits erarbeitet und steht kurz vor Beschlussfassung.
Die Notwendigkeit dieser Richtlinie, geschweige denn einer Ersteinschätzung scheint jedoch nun obsolet. Die Mitwirkenden der Regierungsparteien im Ausschuss für Gesundheit haben am gestrigen Tage den Antrag einer geplanten Änderung in § 120 Absatz 3b SGB V (Änderungsantrag Nr. 5) gebilligt. Diese Änderung würde es den Krankenhäusern künftig ermöglichen, Patientinnen und Patienten zu jeder Tageszeit zu behandeln, auch wenn bzw. obwohl sie laut Ersteinschätzung eigentlich gar nicht dafür qualifiziert würden.
Hierzu Dr. Dirk Heinrich, SpiFa-Vorstandsvorsitzender: „Mit dieser Änderung wird das gesamte Ersteinschätzungsverfahren ad absurdum geführt. Wenn eine Patientin oder ein Patient mitten am Tag in einer Notaufnahme aufschlägt, sind logischerweise alle Bereitschaftsdienstpraxen noch geschlossen. Da man aber theoretisch nur an diese weiterleiten darf, nicht aber an eine ,normale‘ zu diesen Uhrzeiten regulär geöffnete Vertragsarztpraxis, soll den Krankenhäusern nun erlaubt werden, selber zu behandeln. Damit sind die gesamte Systematik und das Versorgungsziel außer Kraft gesetzt.“
Der SpiFa bemängelt in diesem Zusammenhang erneut die Übergriffigkeit der Gesundheitspolitik in den Kompetenzbereich der Selbstverwaltung. Darüber hinaus bekräftigt er die Forderung nach einem absoluten Aufnahmeverbot von Patientinnen und Patienten für Krankenhäuser ohne integrierte Notfallzentren. Dieser Aspekt fand in der Empfehlung der Regierungskommission keine Berücksichtigung und muss unbedingt vom Gesetzgeber noch aufgegriffen werden.
Berlin, 12.05.2023: Medizinstudierende ab 5. Semester können sich bis zum 1. Juli für die Summer School der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (DGOU) und des Berufsverbandes für Orthopädie und Unfallchirurgie e. V. (BVOU) bewerben. Bei dem Kurs vom 30. August bis zum 1. September 2023 in Kiel bekommen angehende Mediziner auch in diesem Jahr wieder Gelegenheit, einen Blick in ihre mögliche berufliche Zukunft zu werfen. Auf dem Programm der traditionellen Summer School O und U stehen Workshops wie Schwerverletztenversorgung, Arthroskopie, Instrumentenkunde und Nahtkurs, Endoprothetik und konservative Behandlung von Tendinopatien. Vorträge und Diskussionsrunden, beispielsweise zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, laden zur Information und zum Austausch ein. Außerdem gibt es Gelegenheit zum persönlichen Kennenlernen während eines sportiven Rahmenprogramms.
Die Auswahl der Teilnehmenden der Summer School wird jedes Jahr vom Jungen Forum O und U organisiert, um dem medizinischen Nachwuchs einen Einblick in das spannende und hochinteressante Fach O und U zu geben. In dem zweitägigen Intensivprogramm lernen die Studierenden Inhalte des Faches praxisnah kennen und erfahren etwas über das Berufsleben der in diesem spannenden Bereich tätigen Mediziner. Die wissenschaftliche Leitung der Summer School übernehmen die DKOU-Präsidenten der Fachgesellschaften und des Berufsverbandes für das Jahr 2024, Prof. Dr. med. A. Seekamp (DGU), Prof. Dr. med. M. Scheibel (DGOOC) und Dr. med. T. Vogel (BVOU).
Gemeinsam mit weiteren Chef- und Oberärzten, Hochschuldozenten sowie jungen Ärzten in der Weiterbildung berichten sie aus ihrem Arbeitsalltag und vor allem darüber, was für die Motivation wichtig ist, um sich diesem sehr breiten und fordernden Fachgebiet mit gleichbleibender Begeisterung zu widmen. Im engen Austausch bringen sie den Studierenden die vielfältigen Arbeitsbereiche von Orthopädie und Unfallchirurgie näher, beleuchten die gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen und sprechen über die beruflichen Zukunftsaussichten im Fach.
Studierende ab 5. klinisches Semester können sich bis zum 1. Juli 2023 für max. 30 Plätze der Summer School 2023 bewerben. In einem strukturierten Verfahren wählt das Junge Forum dann die Kandidaten aus, die kostenfrei teilnehmen können. Auch die Unterbringungskosten sowie den Eintritt zur traditionellen Abendveranstaltung übernehmen DGOU und BVOU. Aufgrund starker Nachfrage in den Vorjahren wird rechtzeitige Online-Bewerbung empfohlen.
Im Bereich der konservativen Orthopädie ist die Anwendung von Lasern bereits seit vielen Jahren etabliert. Durch den Einsatz von High-Power-Lasern sind jedoch deutlich intensivere Therapiemöglichkeiten entstanden. Die Möglichkeit der Abgabe einer Laser-Dauerleistung von bis zu 40 Watt ermöglicht in tiefer liegenden Gewebestrukturen vielfältige Einwirkungen, die analgetisch, antiphlogistisch, hyperämisierend und den intrazellulären Stoffwechsel anregend sowie Muskel-detonisierend wirken.
Der von uns eingesetzte Laser hat trotz der hohen Dauerleistung eine sichere Anwendungstechnik. Im Applikationshandstück ist ein Beschleunigungssensor eingebaut, der sowohl durch Vibrationen als auch durch eine farbliche Kennzeichnung sicherstellt, dass keine zu hohe Laserenergie ins Gewebe abgegeben wird. Die hohe Dauerleistung ermöglicht einen schnellen Wirkungseintritt der abgegebenen Laserenergie bei gleichzeitig kurzer Therapiedauer pro Sitzung.
Für die unterschiedlichen Gewebestrukturen stehen verschiedene Applikationen zur Verfügung. Nutzt man zum Beispiel bei hartnäckigen Muskelverspannungen und Myogelosen einen der On-Contact-Applikatoren, kann man entlang der anatomischen Strukturen zusätzlich auch noch einen Massageeffekt erzielen, was sich in der Praxis als sehr hilfreich erweist. Wir setzen die Lasertherapie sowohl als Mono-Therapie, aber vor allem als Bestandteil unserer multimodalen Therapiekonzepte ein. Ein großer Vorteil ist, dass die Lasertherapie alle anderen therapeutischen Optionen möglich lässt.
Fallbeispiel eins:
59 Jahre alte Frau, seit einigen Wochen chronifizierende muskelbedingte Schmerzen im Bereich des Schulter-Nackengürtels links betont. Im Nativ-Röntgenbild der HWS fanden sich geringgradige, nicht über das Altersmaß hinaus gehende degenerative Veränderungen. Die durchgeführte Kernspintomographie der Halswirbelsäule erbrachte keine weiterführenden zusätzlichen Hinweise. Laborchemisch zeigte sich keine Auffälligkeit, insbesondere nicht im Hinblick auf eine mögliche Polymyalgia rheumatica.
Nach Durchführung von Krankengymnastik und myodetonisiernder Massage zeigte sich trotz zehnmaliger Anwendung keine richtungsweisende Verbesserung.
Die Patientin wurde insgesamt fünf Mal mit täglich Abstand jeweils 5 Minuten entlang der Schulter-Nacken-Muskulatur behandelt.
Schon nach der ersten Behandlung berichtete die Patientin über eine Schmerzlinderung, insbesondere nachts. Nach der fünften Behandlung konnte die Therapie erfolgreich abgeschlossen werden. Zur häuslichen Therapieweiterführung haben wir die Patientin zu einem Eigenprogramm angeleitet.
Fallbeispiel zwei:
53 Jahre alter Mann, spielt regelmäßig Tennis. Der Patient stellte sich mit Beschwerden an radialen Epicondylus und sowohl anamnestisch als auch klinisch typischer Epicondylitis vor. Die Beschwerden waren erst circa drei Wochen vorher erstmals aufgetreten, hatten sich jedoch im Verlauf deutlich gesteigert. Eine Vorbehandlung mit anderen Therapien hatte noch nicht stattgefunden. Wir hatten eine Laserbehandlung mit einer on-contact-Applikation für jeweils vier Minuten dreimal im Abstand von jeweils einem Tag Pause durchgeführt. Danach konnte der Patient berichten, dass er fast komplett schmerzfrei sei. Nach einer Woche hat er sich noch einmal vorgestellt und wir hatten eine weitere einmalige Laser Behandlung durchgeführt. Bei der nach zwei Wochen durchgeführten Kontrolluntersuchung berichtete der Patient, dass er vollständig beschwerdefrei sei.
Beide Fallbeispiele verdeutlichen, dass die High-Power-Laserapplikation mit Dauer-applikation eine Anwendung darstellt, die sich in den klinischen Alltag beziehungsweise den Praxis-Alltag gut integrieren lässt, die recht schnell durchgeführt werden kann und einen guten therapeutischen Benefit für die behandelten Patienten bringt.
Dr. med. Jan Holger Holtschmit, Chefarzt des Muskuloskelettalen Zentrums für Konservative Orthopädie, Schmerztherapie, Rheumatologie und Osteologie, St. Wendel
Essen – Die Bundesärztekammer (BÄK) sollte stimmberechtigt in die Arbeit des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) einbezogen werden. Das hat der 127. Deutsche Ärztetag (DÄT) vergangene Woche in Essen gefordert. Er lag damit auf einer Linie mit Peter Müller, Richter am Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts und Gastredner beim DÄT-Tagesordnungspunkt „Freiheit und Verantwortung in der ärztlichen Profession“. In seinem vielbeklatschten Vortrag hatte der ehemalige saarländische Ministerpräsident u.a. erläutert, warum Freiberuflichkeit und Selbstverwaltung „gerade im ärztlichen Bereich eine wertvolle gesellschaftliche Ressource sind, die wir brauchen, wenn wir ein leistungsfähiges Gesundheitswesen und damit eine humane Gesellschaft organisieren wollen“.
BÄK-Sitz als „Gebot der politischen Klugheit“
Die immer wieder aufflammende Frage, ob der G-BA ausreichend demokratisch legitimiert ist, streifte Müller nur. Aber zur Beteiligung legte er sich fest: „Hier werden zentrale Weichenstellungen vorgenommen. Da wäre es doch ein Gebot der politischen Klugheit, die, die besonders davon betroffen sind, daran zu beteiligen und der Bundesärztekammer Sitz und Stimme im G-BA zu geben.“ Das entspreche auch dem Gebot der Subsidiarität: „Ärztliche Selbstverwaltung ist gelebte Subsidiarität.“ Sie und die Freiberuflichkeit seien am Ende wie siamesische Zwillinge: „Wenn das eine weg ist, wird das andere nicht lange überleben.“
Grenzen der Kommerzialisierung sind sinnvoll
Darüber hinaus griff der Verfassungsrichter etliche Reizworte auf und bezog Stellung dazu. „Wenn das Recht der Freiberuflichkeit erhalten werden soll, gibt es Grenzen der Kommerzialisierung“, stellte er u.a. klar. Freiberufliche Tätigkeit sei „kein geeigneter Ort für die Erprobung marktradikaler Ansätze“ oder für dominantes Gewinnstreben. Zusätzlich gelte: „Wer permanent Wettbewerb, Wegfall von Zugangsbeschränkungen, Öffnung für neue Finanzinstrumente, Private Equity und Shareholder Value in den Wald hineinruft, darf sich nicht wundern, wenn ihm aus dem Wald Einbeziehung in die Gewerbesteuer entgegenschallt.“ Aber das CDU-Mitglied mahnte auch: „Schon Bonusregelungen und Zielvereinbarungen sind nicht ohne Weiteres mit dem Grundsatz der Therapiefreiheit und dem Primat des Patientenwohls vereinbar.“ Und ergänzte später: Ein Gewinnverbot im Gesundheitswesen – „das würde dann auch für Niedergelassene und Krankenhäuser gelten.“ Welche Gewinnmodelle noch zulässig seien und welche nicht mehr, das sei am Ende eher eine politisch als eine verfassungsrechtlich zu beantwortende Frage.
Regelungsdickicht lichten, mehr Freiheiten einräumen
Nach seinem eigentlichen Vortrag, im Dialog mit den Delegierten des Ärztetags, griff Müller deren vielgestaltige Kritik an der aktuellen Gesundheitspolitik und der Stoßrichtung vielen Reformen auf. Wenn sie die schleichende Aushöhlung von Freiberuflichkeit und ärztlicher Selbstverwaltung aufhalten wolle, habe die Ärzteschaft eine Sisyphosarbeit vor sich. Aber seit Albert Camus wisse man, dass Sisyphos ein glücklicher Mensch gewesen sei. Der Verfassungsrichter regte zugleich ein gesamtgesellschaftliches Umdenken an: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser – das ist nicht die Idee des freiheitlichen Grundgesetzes.“ Die Verfassung gehe vielmehr von „Freiheit in Verantwortung“ aus. Deshalb müsse man auch weg von so manchem Regelungsdickicht, forderte er: „Ich war gestern bei der Eröffnung tief beeindruckt, wie viele Gesetze uns im Gesundheitsbereich bevorstehen. Mir wird da angst und bange.“
Berlin – Der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands e.V. (SpiFa) kritisiert die zunehmende Einflussnahme der Gesundheitspolitik in ärztliche Entscheidungen und Belange sowie in die Kompetenzbereiche der ärztlichen Selbstverwaltung.
Die Gesundheitspolitik der Ampelkoalition greift aus Sicht des SpiFa zunehmend in den ureigensten Bereich medizinischen Denkens und Handelns ein: die freie Ausübung des Berufes sowie die Möglichkeit der freien Bestimmung über die bestmögliche Versorgung von Patientinnen und Patienten.
Dazu zählt der SpiFa unter anderem die Schaffung von Parallelstrukturen, mittels welchen ureigenste ärztliche Aufgaben künftig substitutiert werden sollen.
Auch die geplante Implementierung medizinferner Stimmen in die Strukturen der Selbstverwaltung und die potenzielle Einflussnahme der Bundesländer in den Zulassungsausschüssen stellen aus Sicht des SpiFa klare Übergriffe in den alleinigen Kompetenz- und Entscheidungsbereich von Ärztinnen und Ärzten dar.
Hierzu der SpiFa-Vorstandsvorsitzende Dr. Dirk Heinrich: „Mit dieser Gesundheitspolitik stellt die Bundesregierung immer offensichtlicher das Wesen des freien Berufs von Ärztinnen und Ärzten in Frage. Vielmehr noch: sie begegnet dem freien Beruf Ärztin oder Arzt zunehmend mit Misstrauen oder gar Unverständnis und dem Anspruch, sie wüsste am besten, was für eine bestmögliche Versorgung von Patientinnen und Patienten in Deutschland benötigt würde. Dem treten wir klar entgegen. Die Fachärzteschaft in Deutschland begreift Patientenschutz als Verantwortung und Verpflichtung ihres freiberuflichen Handelns – auch der Politik gegenüber.“
Wenn es um das Thema Gesundheit von Patientinnen und Patienten geht, müssen Ärztinnen und Ärzte weiterhin frei in ihrer Entscheidung sein und bleiben, unabhängig davon, ob sie in der eigenen Niederlassung, Angestellte in Klinik oder Praxis, oder noch in der fachlichen Weiterbildung sind.
Gemeinsame Ausschreibung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (DGOU) und des Berufsverbandes für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (BVOU)
Berlin, xx.04.2023: Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (DGOU) und der Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (BVOU) loben im Jahr 2023 zum 14. Mal den Deutschen Journalistenpreis Orthopädie und Unfallchirurgie (JOU) aus. Mit der Würdigung herausragender Publikationen aus den Bereichen Print und Online, Rundfunk sowie TV möchten die Verbände die Qualität der Berichterstattung über orthopädisch-unfallchirurgische Themen würdigen und die hohe Bedeutung des Faches in der Öffentlichkeit sichtbar machen. Bewerbungen können bis zum 31. Juli 2023 eingereicht werden. Der Preis ist mit insgesamt 5.000 Euro dotiert. Er kann von der Jury auf mehrere Arbeiten aufgeteilt werden.
Verletzungen und Erkrankungen der Haltungs- und Bewegungsorgane, also von Knochen, Gelenken, Muskeln und Sehnen, sind immer öfter Ursache für langwierige Krankenhausaufenthalte und erhebliche Lebenseinschränkungen. Die Orthopädie und Unfallchirurgie hat in den vergangenen Jahrzehnten enorme Veränderungen und Entwicklungen erlebt, sodass Patienten heute von wesentlich verbesserten Behandlungen profitieren, die ihnen ihre Mobilität und Selbständigkeit bis ins hohe Alter sichern.
Ausgezeichnet werden herausragende journalistische Beiträge, die ein Thema aus dem Bereich Orthopädie und Unfallchirurgie fachlich fundiert, verständlich und differenziert darstellen. Das können z.B. Veröffentlichungen zu Prävention, Therapie und Rehabilitation, Krankheitsverläufen oder Innovationen sein sowie Beiträge zur aktuellen gesellschaftlichen oder gesundheitspolitischen Bedeutung von O und U. Die Beiträge sollen den Stellenwert des Faches Orthopädie und Unfallchirurgie beleuchten, über Behandlungsmethoden aufklären und Mediennutzern belastbare, transparente Informationen als Orientierungshilfe anbieten.
Teilnahmevoraussetzungen
Die Beiträge müssen in einem deutschsprachigen Medium (Print, Hörfunk, Fernsehen, Online) im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 31. Juli 2023 erschienen sein. Sie sollen sich durch gründliche Recherche, redaktionelle Unabhängigkeit, interessante Aufarbeitung und sachliche Korrektheit auszeichnen. Berücksichtigt werden sowohl umfangreiche Wort-Bild-Beiträge als auch kompakte Beiträge beispielsweise für lokale Medien oder Nachrichtenagenturen. Pro Autor kann nur ein Beitrag eingereicht werden. Auch Autoren-Teams können sich bewerben.
Bewerbungsunterlagen
Bitte füllen Sie für Ihre Bewerbung das JOU-Stammblatt aus. Laden Sie dafür bitte das Onlineformular herunter, speichern Sie es lokal auf Ihrem Rechner und senden Sie es uns per E-Mail. Alternativ können Sie hier das Formular wahlweise auch als Word-Dokument downloaden.
Bitte reichen Sie außerdem folgende Dokumente in digitaler Form ein:
Für Printmedien: Word-Dokument des Textes sowie den Originalbeitrag eingescannt als PDF-Dokument
Für Hörfunkbeiträge: MP3-Datei mit Angabe des Sendetermins und ggf. dem Link zur Mediathek
Für Fernsehbeiträge: MP4-Datei mit Angabe des Sendetermins und ggf. dem Link zur Mediathek
Für Online-Beiträge/Podcasts/Videos: Link zum Beitrag sowie die Schaltzeiten und ggf. ein PDF-Dokument
Bitte nutzen Sie für die Datenübermittlung z.B. den kostenfreien Filehosting-Dienst https://wetransfer.com/
Jury Eine unabhängige Jury bewertet die eingereichten Arbeiten und ermittelt die Preisträger. Die Jury setzt sich zusammen aus Medienvertretern, einem gesundheitspolitischen Vertreter sowie Repräsentanten und Ärzten der ausrichtenden Verbände. Die Preisvergabe erfolgt unter Ausschluss des Rechtsweges.
Einsendeschluss Journalisten können ihre Bewerbungsunterlagen bis zum 31. Juli 2023 einreichen.
Bewerbung und Kontakt für Rückfragen Janosch Kuno
Kommunikation und Pressearbeit
Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (BVOU e.V.)
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Telefon: +49 (0)30 797 444 55
Fax +49 (0)30 797 444 45
E-Mail: presse@bvou.net www.bvou.net
Swetlana Meier
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) e.V.
Straße des 17. Juni 106-108, 10623 Berlin
Telefon: +49 (0)30 340 60 36 -16 oder -00
E-Mail: presse@dgou.de www.dgou.de
Sonografisch gestützte schmerztherapeutische Interventionen an der LWS
Die ultraschallgesteuerten Injektionen an der Lendenwirbelsäule sind im Hinblick auf Wirkung und Komplikationen den Bildwandler-gesteuerten Injektionen nicht unterlegen. Als alternative, röntgenstrahlenfreie Möglichkeit der bildgesteuerten Intervention, finden diese Techniken bereits eine breite Anwendung und zeigen sich in der Zukunftsperspektive als vielversprechend.
Einleitung:
Injektionen an der Lendenwirbelsäule sind in der Diagnostik und Therapie von spezifischen Schmerzen der LWS als wesentlicher Bestandteil eines zielorientierten Behandlungskonzeptes zu sehen. Diese Interventionen können anatomisch landmarken-orientiert oder unter Bildsteuerung erfolgen. Während dabei die Bildwandler-Bildsteuerung in Anbetracht der wissenschaftlichen Evidenz zumindest in der Therorie als «Gold-Standard» bezeichnet werden kann, erfährt die Ultraschall-Bildsteuerung in der interventionellen Schmerztherapie auch praktisch in den letzten Jahren eine rasch progrediente Bedeutung. Diese positive Entwicklung ist nicht allein im technologischen Fortschritt der Ultraschall-Hardware zu sehen, sondern auch in der ambulant sehr guten Verfügbarkeit, der fehlenden Röntgenstrahlenbelastung für Patient und Behandlungsteam und im Vergleich zu den Bildwandlertechniken in einer Zeitersparnis zu begründen. Erstmals in 1980 an der LWS durch Cork [1] et al. beschrieben, waren dabei die Zugänge in den epiduralen Raum der LWS. Inzwischen sind sämtliche anatomische Areale der Lendenwirbelsäule nach entsprechender Technikschulung, Kenntnis der sonografischen Wirbelsäulenanatomie und Nutzung einer aktuellen Ultraschall-Hardware kontrolliert darzustellen. Lediglich, und dies gilt insbesondere an der LWS bei entsprechender Weichteilauflage, bei übermäßig adipösen Patienten mit einem BMI > 40, kommen die Ultraschalltechniken regelhaft an die Darstellungsgrenzen. Folgende ultraschall-gesteuerten Injektionstechniken sollen in dieser Abhandlung beispielhaft zur Übersichtsbeschreibung kommen: 1. Injektionen periartikulär am kranialen SIG, 2. Injektionen periartikulär an den lumbalen Facettengelenken und 3. Injektion des Epiduralraums über den sakralen Zugang.
Die ultraschallgesteuerten Techniken können bis auf die epidural-sakrale Injektion alle auch in sitzender Position durchgeführt werden. Nicht zu vernachlässigen ist bei dieser Technik im Sitzen jedoch die obligate Präsenz von Assistenzpersonal, welches für eine Patientenabsicherung von ventral dringend anzuraten ist. Sollte aus organisatorischen Gründen die Intervention alleinig durch den ärztlichen Behandler durchgeführt werden, ist die Injektion in Bauchlage zu bevorzugen.
Vor der Desinfektion von Patient und sterilem Überzug des Schallkopfes empfiehlt sich die manualmedizinisch kontrollierte Indentifikation und Markierung der anatomischen Schlüssel-Landmarken, wie z.B. der Beckenkämme, der SIPS und der Dornfortsätze. Im Anschluss daran erfolgt eine Ultraschalldarstellung der individuellen Anatomie des Patienten. Erst wenn eine mühelose und eindeutige sonografische Identifikation der anatomischen Zielstrukturen sichergestellt wurde, ist die eigentliche Intervention inkl. Desinfektion einzuleiten.
Während sich i.d.R. an der HWS und BWS die Verwendung eines linearen Schallkopfes mit hochauflösenden Frequenzen von 8-12 MHZ empfiehlt, sind diese Transducer im Bereich der LWS eher ungeeignet. Die Ausnahme bildet hier ein weiteres Mal der sakrale Zugang in den Epiduralraum über den Hiatus sakralis. Durch die sehr dünne Weichteilauflage in dieser anatomischen Region ist hier ebenfalls der lineare Hochfrequenzschallkopf anzuraten. Ansonsten empfiehlt sich im Bereich der LWS die Verwendung eines niedrig-mittelfrequenten Curvedlinear-Tranducer mit einem Anwendungsbereich von 2-6 MHz, da die anatomischen Strukturen hier doch deutlich tiefer gelegen sind.
Die Injektion erfolgt immer in In-Plane-Technik und die Out-Off-Plane-Technik sollte allenfalls zur Nadellagenkontrolle zur Verwendung kommen.
Die Komplikationsrate und -art bei den ultraschallgesteuerten Injektionen an der LWS unterscheidet sich lt. Studienlage und Erfahrung der Verfasser nicht von denen der Bildwandler-gesteuerten Interventionen. Generell sollte dabei unterschieden und entsprechend reagiert werden nach Komplikationen, welche bedingt sind durch die Nadellage und solche, welche durch die beigebrachten Medikamente hervorgerufen werden.
Anatomie/Sonoanatomie:
Selbstredend sind auch im Bereich der LWS, des Kreuzbeins und der SIG anatomische Landmarken zur Basisorientierung des weiteren Vorgehens zu identifizieren. Dabei ist in der Darstellung zu unterscheiden zwischen der longitudinalen und der transversalen Ebene.
In der Longitudinalebene sind im Bereich des Os Sakrums insbesondere die Dornfortsatzreihe in der Mittellinie und die sakralen Neuroforamina ca. 2 cm paramedian darzustellen. Ebenfalls in der Mittellinie kaudal zu den unteren sakralen Dornfortsätzen zeigt sich, von sehr wenig Weichteilgewebe bedeckt, der Hiatus sakralis als Zugang in den Epiduralraum. Im Bereich der LWS zeigen sich longitudinal ebenfalls in der Mittellinie die Dornfortsätze. Diese sind in der Regel eindeutig vom Dornfortsatz SWK1 zu unterscheiden und folgerichtig zur Segmentlokalisation zu nutzen. Ca. 2-3 cm paramedian zeigt sich ca. 2-3 cm ventraler als die Dornfortsatzreihe die Facettengelenksreihe mit ihren «echoreichen Hügeln und Tälern». Weitere 2-3 cm paramedian lateral und 2-3 cm weiter ventral ist die Ebene der Querfortsätze in der Longitudinalebene zu identifizieren. Die Darstellung von 3 Querfortsätzen nebeneinander als echoreiche halbrunde Schallschatten wird in der Literatur charakteristisch als «Neptun-Dreizack-Zeichen» beschrieben.
In der Transversalebene des Sakrums ist kaudal der Hiatus Sakralis als rundliche Öffnung und beidseitig begrenz durch die Cornus i.d.R. eindeutig identifizierbar. Verweilt der Untersucher in dieser Ebene und translatiert den Schallkopf langsam nach kranial sind hier die sakralen Dornfortsätze und die begleitenden Neuroforamina darzustellen. Dabei hat der Dornfortsatz von SWK1 eine sehr charakteristische Form, wird als «Batmans-Head» bezeichnet und kann somit ebenfalls sehr gut zur Segmenthöhenlokalisation genutzt werden. Lateral des Dornfortsatzes von SWK1 zeigt sich das SIPS mit dem kranialen, periartikulären Zugang zum SIG. Weiter kranial im Bereich der LWS sind in der Transversalebene i.d.R. sämtliche relevanten anatomischen Strukturen sehr übersichtlich darstellbar. Dazu zählen insbesondere die Dornfortsätze, die Laminae, die Facettengelenke mit Gelenkspalt und die Querfortsätze.
Techniken der Ultraschallinjektionen an der LWS:
Sonografie-gesteuerte Injektion des kranialen SIG periartikulär:
Material:
Hautdesinfektion
Sterile Abdeckung und sterile Handschuhe
10ml Spritzenkörper
Aufziehnadel
Sterile Kompressen
0,8 x 120mm-Nadel
Sterile Wundauflage (Pflaster)
Medikamente (beispielhafte Darstellung des Standards des Autors): 10ml Bupivacain 0.25% + 2ml Dexamethason (=8mg)
Lagerung des Patienten:
Sitzende Position möglich – Bauchlage empfohlen.
Technik:
Zu Beginn steht die sichere und bequeme Lagerung des Patienten nach entsprechender Teilentkleidung der anatomischen Zielregion. Nun folgt die manual-medizinische Identifikation und Markierung der anatomischen Schlüssel-Landmarken (SIPS, Beckenkämme, Dornfortsatz LWK5). Der Untersucher verschafft sich einen ultraschallgesteuerten Eindruck der individuellen Patientenanatomie. Wenn das eigentliche anatomische Ziel klar identifiziert werden kann, erfolgt eine Markierung des zu erwartenden Einstichareals mit Hilfe einer stumpfen Druckmarkierung, z.B. einem Kugelschreiber ohne Miene. Nun erfolgt die Desinfektion und das sterile Abdecken nach SOP.
Diese gesamte Prozedur erfolgt unter Darstellung der Anatomie ausschließlich in der Transversalebene. Primär erfolgt die sichere Einstellen des Hiatus Sakralis. Der Transducer wird nun nach kranial translatiert, bis der Dornfortsatz von SWK1 („Batmans Head“) einwandfrei identifiziert ist. Auf dieser Segmenthöhe wird nun der Schallkopf dezent zur ipsilateralen Zielregion verschoben, bis die SIPS (Spina iliaca posterior superior) zu erkennen ist. Die echoarme Spalte zwischen der medialen Begrenzung der SIPS und der lateralen Begrenzung der Massa lateralis des Sakrums ist das Zielgebiet dieser Injektion. Die Nadelführung erfolgt nun in In-Plane-Technik unter dauerhafter Darstellung insbesondere der Nadelspitze von medial nach lateral in einem Winkel von ca. 45° bis zum Knochenkontakt. Dieser ist ausdrücklich gewünscht und die Nadel wird nun 1-2 mm zurück gezogen. Nach entsprechender Aspirationskontrolle erfolgt nun die visualisierte Injektion von 6-12 ml des o.g. Innjektionsgemisches. Die Nadel wird anschließend entfernt, es ist eine Abschlussdesinfektion empfohlen und im Anschluss eine manuelle Kompression der Einstichstelle für ca. 30 sek. Dann wird das Injektionsfeld mit den Kompressen steril getrocknet und die sterile Wundauflage durchgeführt.
Sonografie-gesteuerte Injektion der lumbalen Facettengelenke periartikulär:
Material:
Das Material ist 1:1 aus der Technik der Injektionen des SIG zu entnehmen.
Lagerung des Patienten:
Sitzende Position möglich – Bauchlage empfohlen.
Technik:
Zu Beginn steht die sichere und bequeme Lagerung des Patienten nach entsprechender Teilentkleidung der anatomischen Zielregion. Nun folgt die manual-medizinische Identifikation und Markierung der anatomischen Schlüssel-Landmarken (SIPS, Beckenkämme, Dornfortsatz LWK5). Der Untersucher verschafft sich einen ultraschallgesteuerten Eindruck der individuellen Patientenanatomie. Wenn das eigentliche anatomische Ziel klar identifiziert werden kann, erfolgt eine Markierung der zu erwartenden Einstichareale mit Hilfe einer stumpfen Druckmarkierung, z.B. einem Kugelschreiber ohne Miene. Nun erfolgt die Desinfektion und das sterile Abdecken nach SOP.
Es wird mit der anatomischen Darstellung der kaudalen Dornfortsätze in der Mittellinie mit einer Schallkopfpositionierung in der Longitudinalebene begonnen. Anschließend erfolgt die Translation des Schallkopfes in dieser Ebene nach paramedian, bis die Facettengelenkebene mit den charakteristischen echoreichen Hügeln und Tälern einwandfrei dargestellt werden kann. Im Anschluss ist die sichere Identifikation des kaudalen Facettengelenkes von LWK5/SWK1 anzuraten, um dann das eigentliche Zielfacettengelenk aufzusuchen. Dieses wird im Bild zentriert und der Schallkopf um 90° in die Transversalebene rotiert. Durch dezentes „Schaukeln“ des Transducers ist nun die zweifelsfreie Abbildung des Facettengelenkes, des kranialen Querfortsatzes, der Lamina des kranialen Wirbelbogens und des kranialen Dornfortsatzes herauszuarbeiten. Die Gelenkkapsel und ggf. der Gelenkspalt sind das eigentliche Zielgebiet dieser Injektion. Die Nadelführung erfolgt nun in In-Plane-Technik unter dauerhafter Darstellung insbesondere der Nadelspitze von lateral nach medial in einem Winkel von ca. 45° bis zum Knochenkontakt. Nach entsprechender Aspirationskontrolle erfolgt nun die visualisierte Injektion von 1,5 – 3 ml des o.g. Innjektionsgemischs pro Facettengelenk. Die Nadel wird anschließend entfernt, es ist eine Abschlussdesinfektion empfohlen und im Anschluss eine manuelle Kompression der Einstichstelle für ca. 30 sek. Dann wird das Injektionsfeld mit den Kompressen steril getrocknet und die sterile Wundauflage durchgeführt.
Sonografie-gesteuerte Injektion des Hiatus sacralis:
Material:
Hautdesinfektion (Cave: In Anbetracht der Schleimhautnähe ist ein alkoholfreies Desinfektionsmittel anzuraten!)
Sterile Abdeckung und sterile Handschuhe
20ml Spritzenkörper
Aufziehnadel
Sterile Kompressen
Spinalkanüle 22G
Medikamente (beispielhafte Darstellung des Standards des Autors): 10ml Bupivacain 0.25% + 8ml NaCl 0,9% + 2ml Dexamethason (=8mg)
Lagerung des Patienten:
Bauchlage.
Technik:
Zu Beginn steht die sichere und bequeme Lagerung des Patienten nach entsprechender Teilentkleidung der anatomischen Zielregion. Eine manualmedizinische Markierung der anatomischen Schlüssel-Landmarken entfällt bei dieser Injektion. An dessen statt erfolgt das sichere Ertasten des Steißbeines. Ca. 1 – 3 cm kranial davon ist i.d.R. der Hiatus sakralis mit seinen Cornu zu palpieren. Der Untersucher verschafft sich einen ultraschallgesteuerten Eindruck der individuellen Patientenanatomie. Bei eindeutiger Identifikation des Hiatus sakralis, erfolgt die Druckpunkt-Markierung des zu erwartenden Einstichareals. Nun erfolgt die Desinfektion und das sterile Abdecken nach SOP.
In der Transversalebene wird nun der Hiatus sakralis nebst seinen Cornu in seiner charakteristischen Präsenz visualisiert und im Ultraschallbild zentriert. Nun erfolgt die Rotation des Schallkopfs um 90° in die Longitudinalebene zur Darstellung der Sakralkanalachse und des Hiatus sakralis. Nach Identifikation dieses anatomischen Zielgebietes wird nun die Spinalkanüle in In-Plane-Technik mit einem flachen Winkel von kaudal nach kranial i.R. Hiatus eingebracht. Die Penetration der Hiatusmembran erzeugt einen dezenten Widerstandsverlust und geht mit einem typischen „Knacken“ einher. Die Nadel wird unmittelbar nach der Penetration der Membran nicht weiter als 5 mm vorgeschoben, da die Nadelspitze nun bereits im Epiduralraum als anatomischen Ziel platziert ist. Eine Durapenetration ist bei Beachtung dieses Hinweises mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Fakultativ kann die Nadellage vor der eigentlichen Injektion nochmal in der Transversalebene kontrolliert werden. Dazu wird der Schallkopf um 90° zurück rotiert und die Nadel erscheint als punktförmiger Schallschatten des Nadelquerschnitts im Hiatus sakralis. Im Anschluss wird das Injektat mit einem Volumen von 10 – 20 ml je nach epiduralem Zielsegment eingebracht. Sicherheitshalber ist ein zartes Palpieren des kranialen Hautareals unmittelbar über dem Hiatus anzuraten. Nur bei akzidenteller Nadellage dorsal des Hiatus wäre in diesem Fall die anflutende Injektionslösung zu tasten und eine Neuplatzierung der Nadel anzuraten. Die Nadel wird anschließend entfern, eine Abschlussdesinfektion wird empfohlen und im Anschluss eine manuelle Kompression der Einstichstelle für ca. 30 sek. Dann wird das Injektionsfeld mit den Kompressen steril getrocknet. Die Auflage eine Klebepflasters ist in dieser anatomischen Region nur wenig zielführend. Stattdessen wird eine eingerollte Konmpresse zur additiven Kompression auf die Einstichstelle verbracht und der Patient explizit darauf hingewiesen, diese nach ca. 30 min eigenständig zu entfernen, um entsprechende Druckulcera zu vermeiden.
Evidenzen:
Die Studienlage zu den ultraschallgesteuerten Injektionen an der LWS belegt tendenziell die Gleichwertigkeit der Ultraschallsteuerung zu den Bildwandler-gesteuerten Techniken im Hinblick auf die Wirkung, die Sicherheit einer korrekten Nadellage und der Komplikationen [2,3,4,5,6]. Vorteilhaft wird bei der Ultraschalltechnik gar die Zeitersparnis und insbesondere das Fehlen von radiologischer Strahlung gewertet. Allerdings muss an dieser Stelle auch erwähnt werden, dass eine Kontrastmitteldarstellung des Injektatabflusses zum jetzigen Zeitpunkt nur bei technisch sehr hochwertigen Ultraschallgeräten möglich erscheint. Bei bestimmten Indikationen ist die Ultraschallsteuerung hier also der Bildwandlersteuerung unterlegen.
Literatur:
Cork RC, Kryc JJ, Vaughan RW. Ultrasonic localization of the lumbar epidural space. Anesthesiology 1980;52:513–6.
Hofmeister M, Dowsett LE, Lorenzetti DL et al. Ultrasound versus fluroscopy-guides injections in the lower back for he management of pain: a systematic review. Eur Radiol 2019. doi: 10.1007/s00330-01906065-3
Jee H, Lee JH, Park KD et al. Ultrasound-guided versus fluoroscopyguided sacroiliac joint intra-articular injections in the noninflammatory sacroiliac joint dysfunction: a prospective, randomized, single-blinded study. Arch Phys Med Rehabil 2014; 95 (2): 330–337
Evansa I, Logina I, Vanags I et al. Ultrasound versus fluoroscopicguided epidural steroid inejctions in patients with degenerative spinal disease: a randomized study. Eur J Anaesthesiol 2015; 32 (4): 262–268
Weidle PA, Legat M, Schultheis BC. Ultrasound-guided Injections of the Spine: An Overview. Arthritis und Rheuma 2020; 40(02): 73-84
Autor:
Dr. med. Patrick A. Weidle
Chefarzt der Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie, Wirbelsäulenchirurgie und interventionelle Schmerztherapie
Die Rehabilitation hat sich als 3. Säule im deutschen Gesundheitswesen insbesondere in der Behandlung chronischer Erkrankungen etabliert. Zielsetzung aller rehabilitativer Maßnahmen ist es, gemäß dem ICF-Modell der WHO eine bestmögliche Reintegration der betroffenen Patienten in Beruf, soziales und privates Umfeld zu erreichen. Dabei stehen aufgrund der unterschiedlichen Kostenträgerschaften unterschiedliche Rehabilitationsziele im Vordergrund:
Bei der Deutschen Rentenversicherung steht die Reintegration in das Erwerbsleben an erster Stelle („Rehabilitation vor Rente“),
bei der Krankenversicherung/Pflegeversicherung die Vermeidung weiterer Krankheit-/Pflegekosten („Rehabilitation vor Pflege“).
Im vorliegenden Beitrag wird auf die Behandlung von Rückenschmerzpatienten mit chronischen Beschwerden fokussiert. Diese stellen einen Hauptteil der behandelten Patienten in VMO-Programmen dar.
Beim chronifizierten Rückenschmerz gibt es im deutschen Gesundheitswesen verschiedene Behandlungsangebote:
Die verhaltensmedizinisch orientierte Rehabilitation (VMO) ist dabei eine spezifische Art der orthopädischen Rehabilitation mit dem Ziel der langfristigen Verhaltensänderung und Stabilisation im Sinne einer Rekonditionierung. Die VMO beinhaltet dabei einen längeren Behandlungszeitrahmen, sowie die Durchführung eines aufeinander abgestimmten orthopädisch-psychosomatischen Konzeptes. Zugrunde liegt diesem Ansatz von der somatischen Seite her das Rekonditionierungsmodell von Mayer (1), dass davon ausgeht, dass bei vorhandenen somatischen Problemen sich ein Schon-/Vermeidungsverhalten entwickelt, dass zu zunehmender körperlicher Inaktivität mit zusätzlichen muskulären Atrophien und Fehlhaltungen, zu sozialem Rückzug und zu sekundär sich entwickelnder Depressivität führt, was wiederum zur Zunahme der Inaktivität führt. Um den Betroffenen aus diesem Teufelskreis herauszuholen, bedarf es eines vorsichtigen, konditionierenden Behandlungsansatzes. Zudem können chronifizierte Rückenschmerzen sich aufgrund primärer psychischer Erkrankungen oder sekundärer psychischer Veränderungen aufgrund steter Pressionen bspw. am Arbeitsplatz oder im Privatleben entwickeln. (s. Abb. 2) Da beide Bereiche sich oft überlappen, ist ein Behandlungsansatz erforderlich, der therapeutisch beide Aspekte angeht.
Primär ist es die wesentliche Aufgabe des Behandlungsteams, den Patienten mit seinen somatischen Problemen „abzuholen“. Dazu bedarf es eines spezifisch auf die zugrundeliegende Pathologie ausgerichteten somatischen Behandlunganteils, der auf einer subtilen Vordiagnostik beruht. Gemäß des Behandlungskonzeptes von G. Waddell (2) werden dabei zunächst bedrohliche somatische Probleme (Red flags) ausgeschlossen. Dies sollte eigentlich bereits im Vorfeld vor Aufnahme in die Rehabilitation im akutmedizinischen Bereich erfolgt sein. Komplettiert wird diese Diagnostik durch die Abklärung eventueller rheumatischer Erkrankungen, einer subtilen manualmedizinischen und klinischen Diagnostik, sowie der Abklärung psychosozialer Risikofaktoren und Problemfelder. Dabei spielen in nicht unerheblichem Rahmen auch beruflich-soziale Bedingungen eine wichtige Rolle in der Entwicklung von Chronifizierung, Angst und Depression. Dies konnte eindrücklich an einer eigenen Studie (Abb. 3) gezeigt werden.
Bei chronifizierten Rückenschmerzen ist die Evidenz für die Wirksamkeit multimodaler, multi- und interdisziplinärer, Verhaltens-verändernder Programme nachgewiesen. Diese Programme sind dann besonders erfolgreich, wenn Sie folgende Charakteristika aufweisen:
hohe Intensität u. Umfang der Therapien,
Individuelle Orientierung an der funktionellen Problemlage des Rehabilitanden,
Bewegungstherapeutische Inhalte zum Abbau der Bewegungsangst,
Berufsbezogenes Training beinhaltet,
Multidisziplinäres, interdisziplinär zusammenarbeitendes und sich abstimmendes Team,
Mit dem Patienten vereinbarte und abgestimmte Rehabilitationsziele
Im Team in allen Bereichen kommunizierte Ziele
Kognitiv-behaviorale u. edukative Inhalte mit Rekonditionierung als Ziel,
Inhalte zum Stressmanagement beinhaltet,
Komorbide psychische Störungen werden mitbehandelt.
Der Effekt derartiger Behandlungsprogramme konnte auch in einem Cochrane-Review aus dem Jahr 2014 (3) an mehr als 6000 Studien bestätigt werden. Die Autoren kamen zum Schluss, dass multidisziplinäre biopsychosoziale Programme Effekte in Schmerzminderung und Funktionsverbesserung, zeigten und einen positiven Einfluss auf die Wiedereingliederung hatten. In Reviews (4,5) konnten dabei positive Prognosefaktoren für die Reintegration an den Arbeitsplatz erarbeitet werden. Diese sind:
jüngeres Alter der Betroffenen
Männliches Geschlecht
subjektive Prognose der Erwerbsfähigkeit (SPE) positiv
(Überzeugung des Betroffenen, dass es klappt)
Beschwerdedauer < 5 Jahre
Beschwerden nur aus einer Gruppe (somatisch/psychisch)
Geringerer Schmerzscore
Noch bestehender Arbeitsplatz
Kürzere AU-Dauer
Aktive, akzeptierte Position am Arbeitsplatz
Stabile Beziehung (Partnerschaft, Ehe)
Dabei scheint insbesondere die subjektive Prognose der Erwerbsfähigkeit (SPE) durch den Betroffenen selbst und eine aktive, akzeptierte Position am Arbeitsplatz einer der wesentlichen Prädiktoren zu sein. Dementsprechend ist es auch Aufgabe der Rehabilitation, gerade diese Aspekte in der Therapie mit aufzugreifen.
Verhaltensmedizinisch-orientierte Rehabilitation hat damit folgende Indikationsbereiche:
Orthopädische Patienten mit chronischen Schmerzen und seelischen Belastungen
Nicht nur Rückenschmerz, auch bspw. chronischer Schulter-Nacken-Armschmerz
Chronische Schmerzerkrankungen mit somatischen und psychischen Faktoren
Degenerative Veränderungen mit chronischen Schmerzen.
Seitens der Deutschen Rentenversicherung Bund werden nach Vorlage eines Konzeptes durch die Einrichtung derartige Programme unter folgenden Aspekten akzeptiert:
An der Klinik der Autoren wird seit mehr als 20 Jahren ein derartiges Behandlungskonzept durchgeführt, dass im Rahmen einer großen wissenschaftlichen Evaluationsstudie nachuntersucht worden ist und auch langfristig, das heißt mehr als 6 Monate nach Beendigung der Rehabilitation, positive Effekte auf Schmerzreduktion, Medikation, Funktionsverbesserung und die Wiedereingliederung an den Arbeitsplatz nachgewiesen hat (6,7).
Dabei werden orthopädisch-somatische und psychosomatisch-psychologische Therapieansätze angewandt. Die Patienten werden in geschlossenen Gruppen mit jeweils maximal 8 Patienten unter Leitung eines Leitungstherapeuten behandelt, die jeweiligen somatischen und psychologischen Therapien sind aufeinander abgestimmt. Auf eine Konstanz in der Betreuung der Behandler für den Patienten wird besonders geachtet. Wöchentlich finden Teambesprechungen der Behandler statt, um sich verändernde Zielsetzungen oder Probleme in der Behandlung der einzelnen Patienten zu besprechen und im Team geänderte Vorgehensweisen abzustimmen.
Zur Vorbereitung des ärztlichen Aufnahmegespräches werden standardisiert Fragebögen eingesetzt, die sowohl die Chronifizierungstendenzen, Schmerz Score und psychosoziale Belastungsfaktoren (vor allem Angst und Depression) abgreifen. Noch am Aufnahmetag erfolgen Facharztvorstellungen. Werden bei den Fragebögen, die psychosoziale Probleme erfassen bestimmte vor definierte Cut-Offs überschritten, erfolgt eine automatische Zuweisung zur psychologischen Einzelberatung. Die Zuweisung zu den 3 Schwerpunktgruppen mit unterschiedlichen Behandlungsansätze erfolgt im Rahmen einer Planungsteambesprechung (max. 2 Tage nach Aufnahme), an der Stationsoberarzt, Psychologe, Sozialarbeiter und Programmplaner teilnehmen. Neben dem entsprechenden Gruppenprogramm erhält jeder Patient ein an seine individuellen Problembedürfnisse angepasstes individuelles Behandlungsprogramm unter Betonung auch beruflich orientierter Aspekte. (Abb. 5,6) Dies kann im Bedarfsfall auch interventionelle Behandlungen (TLA) beinhalten.
Im Hinblick auf den Arbeitsplatz ist die Berücksichtigung dieser Aspekte in der Therapie wesentlich. Nicht selten bestehen erhebliche Pressionssituationen mit Konflikten am Arbeitsplatz (sowohl mit Vorgesetzten als auch Kollegen), fehlender Resilienz gegenüber Druck seitens des Arbeitgebers oder der Kollegen und große Angst vor sozialem Absturz bei Verlust des Arbeitsplatzes. Dies betrifft bei Rückenschmerzpatienten insbesondere Arbeitnehmer aus den Bereichen der ehemaligen Arbeiter Rentenversicherung, die häufig auf ihre körperlichen Fähigkeiten angewiesen sind und weniger ausweicht Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben.
Die Behandlung in geschlossenen Gruppen ist ein wesentlicher Erfolgsgarant für die Behandlung. Sie stärkt die Eigenmotivation der Patienten durch den Austausch untereinander, man kann sich gemeinsam mit Problemen und Lösungsmöglichkeiten beschäftigen und dabei Perspektiven entwickeln. Bei vielen Betroffenen liegt aufgrund der länger bestehenden Beschwerdesymptomatik und der Angst, sozial abzufallen, eine entsprechende Hilflosigkeit und das Fehlen von Perspektiven vor. Dem entsprechend ist gerade die Entwicklung von Perspektiven und die Erarbeitung von Zielen, wie man letztere erreichen kann, von besonderem Wert. Ziele des Programmes sind dementsprechend die Rekonditionierung, das Erarbeiten realistischer und objektiv nachprüfbarer Ziele und die Motivation für ein Weitermachen.
An alle Teilnehmer wird ein entsprechendes Behandlungsmanual abgegeben, das den Patienten ermöglicht, ein vor–und nachbereitendes Arbeiten durchzuführen. Im Rahmen einer Einleitungsbesprechung werden dabei die Inhalte und Zielsetzungen mit den Beteiligten besprochen, in einer Abschlussbesprechung werden Hausaufgaben für die langfristige Bestätigung und Nachhaltigkeit abgesprochen. Gemäß der Idee von Deck (8) schreiben die Patienten gegen Ende der Rehabilitation einen Brief an sich selbst mit Erinnerung an die selbst festgelegten Ziele und Aufgaben, der dann 3 Monate nach Entlassung aus der Klinik von der Klinik an die Patienten als „Reminder“ verschickt wird. Ziel ist hier Nachhaltigkeit.
Auch zu den VMO-Programmen liegt eine Studie zur Evidenz von Hampel (9) vor, die bei der Evaluation von 4 Kliniken nachweisen konnte, dass vor allem die subjektive Prognose der Erwerbsfähigkeit (der eigentlich zentrale Prognose Aspekt bei chronifizierten Rückenschmerzen) sich verbessern konnte. Dabei konnte die Autoren feststellen, dass besonders Patienten mit der Entwicklung von depressiven Verhaltensaspekten von derartigen Programmen am stärksten profitieren. Sie fordert aus diesen Ergebnissen eine frühzeitigere Erfassung psychischer Veränderungen in der ambulanten Vorbehandlung.
Zusammenfassend stellt die verhaltensmedizinisch-orientierte Rehabilitation eine wichtige Behandlungsoption bei Patienten mit chronifizierten Rückenschmerzen und somatischen sowie psychischen Risikofaktoren und Veränderungen dar. Die Mitberücksichtigung gerade des Arbeitsplatzes und des Arbeitsplatzumfeldes ist dabei von besonderer Bedeutung.
Greitemann B, Wolke J., Schröder A.
Korrespondenzadresse:
Greitemann, Bernhard
Klinik Münsterland der DRV Westfalen
Auf der Stöwwe 11
D-49214 Bad Rothenfelde
Komplexe Erkrankungen des Bewegungssystems wie beispielsweise degenerative Wirbelsäulen- und Gelenkerkrankungen, komplexe Funktions- und Bewegungsstörungen, chronische Schmerzerkrankungen, rheumatische Erkrankungen oder auch Stoffwechselerkrankungen mit Störungen im Bewegungssystem sind in der Regel multifaktoriell bedingt. Dementsprechend benötigen diese komplexen Erkrankungen eine interdisziplinäre Diagnostik und – bei hoher Krankheitsintensität – eine akutmedizinische multimodale Komplexbehandlung.
Für eine befund- und mechanismengerechte Diagnostik und die Behandlung multifaktoriell bedingter Erkrankungen des Bewegungssystems wurde vor nunmehr 21 Jahren das ANOA-Konzept entwickelt. Das Konzept, zuletzt im Jahr 2020 erfolgreich überarbeitet, gilt mittlerweile als der Goldstandard in der Therapie chronischer Rückenschmerzen. Es verbindet orthopädische, manualmedizinisch-funktionelle, physiotherapeutische, psychotherapeutische sowie schmerzmedizinische Diagnostik- und Behandlungsansätze.
Über die ANOA
Die ANOA (Arbeitsgemeinschaft nichtoperativer orthopädischer manualmedizinischer Akutkliniken) ist eine bundesweit tätige medizinisch-wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft von aktuell 32 Akutkrankenhäusern, die multifaktorielle Erkrankungen des Bewegungssystems nichtoperativ orthopädisch-unfallchirurgisch, manualmedizinisch, schmerzmedizinisch und rheumatologisch behandeln. Die Kliniken haben sich auf interdisziplinäre Komplexbehandlungen multifaktorieller Struktur-, Funktions- und Schmerzerkrankungen des Bewegungssystems mit hoher Krankheitsintensität spezialisiert und zeichnen sich bei der akutmedizinischen Versorgung im Krankenhaus durch die Verbindung von Standardisierung und Individualisierung aus.
Die ANOA ist der Auffassung, dass nur im Rahmen einer ganzheitlichen Betrachtung eine nachhaltig wirksame Behandlungsstrategie erarbeitet werden kann. Kliniken im ANOA-Verbund verpflichten sich, Behandlungen nach den neuesten medizinischen Erkenntnissen durchzuführen und fortlaufend qualitätsgesichert zu evaluieren.
ANOA-Konzept 2.0: Drei Grunderkrankungsformen im Fokus
Die ANOA geht davon aus, dass diese komplexen Erkrankungen des Bewegungssystems subgruppenspezifisch in klinischen Behandlungspfaden mit befundgerechter Individualisierung behandelt werden sollten:
In der Gruppe der Struktur- und Funktionserkrankungen des Bewegungssystems sind morphologische Befunde und komplexe Funktionsstörungen Hauptfaktoren der Erkrankung. Struktur- und Funktionsstörungen müssen deshalb im Mittelpunkt der Behandlung stehen. Komorbidität, psychische und psychosoziale Faktoren haben häufig einen zusätzlichen Einfluss im Krankheitsgeschehen und müssen diagnostiziert und mitbehandelt werden.
Bei chronischen Schmerzerkrankungen des Bewegungssystems handelt es sich in der Regel um ein komplexes Bedingungsgefüge aus morphologisch-strukturell bedingten Störungen, komplexen Funktionsstörungen, somatischer und psychischer Komorbidität und anderen psychischen Einflussfaktoren, häufig verbunden mit schmerzrelevanten psychosozialen Kontextbedingungen und ausgeprägten Chronifizierungsprozessen. Patienten mit diesen Störungen benötigen eine auf die Behandlung des Bewegungssystems abgestimmte, interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie mit individueller Schwerpunktsetzung.
Rheumatische Erkrankungen mit hoher Krankheitsintensität führen häufig zu komplexen Struktur- und Funktionsstörungen des Bewegungssystems. Bei dieser Gruppe stehen rheumatisch bedingte Struktur- und Funktionsstörungen im Mittelpunkt der Komplexbehandlung. Auch hier müssen Komorbidität, psychische und psychosoziale Einflussfaktoren mit berücksichtigt werden.
Diagnostik, Verlaufsdiagnostik und Behandlung bilden eine Einheit. Die Erreichung therapeutischer Zielstellungen und die akutmedizinische Behandlungsnotwendigkeit werden während der Komplexbehandlung fortlaufend evaluiert. Die Behandlung erfolgt multimodal im interdisziplinären therapeutischen Team unter ärztlicher Leitung.
Wesentlicher Bestandteil des Konzeptes ist das System der Klinischen Behandlungspfade. Bei der Überarbeitung des Konzeptes 2.0 wurden diese ANOA-spezifischen Pfade multimodaler nichtoperativer Komplexbehandlungen des Bewegungssystems verschlankt und die spezifischen Grunderkrankungsformen in den Fokus gerückt: die Behandlung strukturell- funktioneller Erkrankungen des Bewegungssystems (OPS 8-977), die chronischen Schmerzstörungen mit somatischen und psychischen Faktoren (OPS 8-918) und rheumatologische Komplexerkrankungen (OPS 8-983).
Jeder Behandlungspfad bildet eine subgruppenspezifische Methodenkombination mit definierter Behandlungsintensität und Behandlungsdauer ab. Die Behandlung ergibt sich durch eine befundgerechte Individualisierung auf der Grundlage des strukturierten klinischen Pfades.
Individuelle patientenbezogene Diagnostik
Das diagnostische Konzept der ANOA ist individuell patientenbezogen ausgerichtet und wird mit wissenschaftlich evaluierten Assessments durchgeführt. Die Diagnostik erfolgt in den Bereichen der Morphologie, der Funktionsstörungen, der Psyche und der Schmerzchronifizierung. Psychosoziale Faktoren werden mitberücksichtigt. Die in der Diagnostik erhobenen Befunde werden interdisziplinär betrachtet und in ihrem Einfluss auf das Krankheitsgeschehen bewertet. Diagnosen, therapeutische Zielstellungen und Behandlungsstrategien werden interdisziplinär erarbeitet.
Die gezielte Anwendung mehrerer diagnostischer Verfahren erfolgt durch ein interdisziplinäres Team unter Nutzung schmerztherapeutischer Assessments, klinischer und apparativer Methoden. Schwerpunkte sind:
Neuroorthopädische Strukturdiagnostik
Manualmedizinische Funktionsdiagnostik
Psychodiagnostik
Schmerzdiagnostik
Apparativ gestützte Diagnostik unter funktionspathologischen Aspekten
Die erhobenen Befunde werden interdisziplinär in einer Teambesprechung hinsichtlich ihrer Relevanz für die vorliegende Erkrankung bewertet und bilden damit die Grundlage der Therapie.
Vielfältige therapeutische Methoden
Das Konzept der ANOA ist befundorientiert, multimodal und interdisziplinär. Die Zielstellung der Behandlung ist individuell patientenzentriert. Dazu erfolgt die gezielte und strukturierte Anwendung therapeutischer Verfahren mit kontinuierlicher interdisziplinärer Evaluation und Therapieanpassung.
Therapeutische Verfahren aus folgenden Fachgebieten kommen zur Anwendung: Orthopädie und Unfallchirurgie, Manuelle Medizin, Schmerzmedizin, Rheumatologie, Naturheilverfahren, Psychotherapie, Pflege, Physiotherapie sowie Trainingstherapie
Die Behandlung erfolgt im Rahmen nachstehend genannter klinischen Pfade, welche jeweils spezifische Kombinationen therapeutischer Methoden beinhalten und unterschiedliche therapeutische Schwerpunkte und Zielsetzungen berücksichtigen, die befundgerecht individualisiert werden:
Multimodal-nichtoperative Komplexbehandlung des Bewegungssystems (OPS 8-977)
Die Behandlungspfade beinhalten jeweils spezifische Kombinationen therapeutischer Methoden und berücksichtigen unterschiedliche therapeutische Schwerpunkte sowie Zielsetzungen, die befundgerecht individualisiert werden.
Qualitätssicherung und wissenschaftliche Evaluation: Garanten für den Therapieerfolg
Über eine Symptomlinderung hinaus verfolgt das ANOA-Konzept auch die Entwicklung langfristig wirksamer Behandlungsstrategien. Dabei werden sowohl patientenbezogene Ressourcen als auch Handlungskompetenzen gefördert – mit dem übergeordneten Ziel, Patienten in ihrer Eigenverantwortung zu stärken.
Im Jahr 2016 hat die ANOA in Zusammenarbeit mit dem unabhängigen Zertifizierungsinstitut ClarCert in Ulm das Qualitätsicherungs- und Zertifizierungssystem ANOACert für Kliniken entwickelt, die Schmerzerkrankungen des Bewegungssystems nichtoperativmultimodal komplex behandeln. Dieses Qualitätssiegel wurde im Jahresverlauf 2020 entsprechend aktualisiert und wird seitdem vom Ulmer Instititut ClarCert zur Anwendung gebracht.
Ergänzend hierzu werden die Behandlungen nach dem ANOA-Konzept in wissenschaftlichen Studien und in Zusammenarbeit mit medizinischen Fachgesellschaften sowie universitären Einrichtungen wissenschaftlich evaluiert. Dabei lieferte den ersten relevanten wissenschaftlichen Nachweis zur Wirksamkeit und Nachhaltigkeit des Vorgehens innerhalb des ANOA-Konzeptes bereits 2014 / 2015 die Multicenterstudie.
350.000 Patienten seit 2002 behandelt
Im Laufe der Jahre wurden mehr als 350.000 Patientinnen und Patienten mit akuten und chronifizierten Erkrankungen des Bewegungssystems in ANOA-Kliniken orthopädisch – konservativ, interdisziplinär und multimodal komplex behandelt. Oft mit nachhaltig wirksamer Schmerzreduktion und Verbesserungen der Lebensqualität. Auch für die Zukunft sieht sich die ANOA – mit dem überarbeiteten ANOA-Konzept und der Neustrukturierung des Qualitätssicherungssystems ANOACert – für die Bedürfnisse der Patienten gut aufgestellt. Die Nachfrage nach einer Behandlung ist groß, einige Kliniken führen derzeit Wartelisten.
Dr. Jan Holger Holtschmit (Präsident der ANOA, Orthopäde und Chefarzt am Marienhaus Klinikum St. Wendel-Ottweiler