Archiv für den Monat: Mai 2023

BVOU kritisiert überraschende Änderung in der Notfallversorgung scharf

Berlin –  Mit Kritik reagiert der Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU e.V.) auf den zustimmenden Beschluss der Ampelkoalition, dass Krankenhäuser zukünftig keine Fälle mehr an Praxen weiterverweisen dürfen. Dazu Dr. Burkhard Lembeck, BVOU-Präsident: „Alle Bemühungen, das Krankenhauspersonal zu entlasten, alle Bemühungen sich auf echte Notfälle zu fokussieren werden konterkariert. Man handelt gegen die Empfehlungen der Regierungskommission und gegen den Sachverstand der Fachgesellschaften. Ein Lehrstück für Realitätsferne!“

Hintergrund ist ein Änderungsantrag der Ampelkoalition, welcher ohne Vorankündigung in den Entwurf eines Gesetzes zur Unterstützung und Entlastung in der Pflege (Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz – PUEG) eingebracht wurde. Die Zustimmung fand am Freitag, den 26. Mai 2023 statt.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) war im Vorfeld beauftragt worden, Richtlinien für eine qualifizierte und standardisierte Ersteinschätzung des medizinischen Versorgungsbedarfs zu erstellen, die festlegen sollten, nach welchen Kriterien in die verschiedenen Versorgungsebenen gesteuert werden sollen. Neben der Behandlung schwerer Fälle in der Notaufnahme eines Krankenhauses war geplant, dass Patientinnen und Patienten durch diese qualifizierte Ersteinschätzung je nach Tageszeit an Notdienst- oder Facharztpraxen weitergeleitet werden.

Laut der in letzter Minute eingebrachten Änderungen der Ampelkoalition sollen nun Patienten, die die Notaufnahme von Krankenhäusern aufsuchen, ohne klassische Notfälle zu sein, ausschließlich im Krankenhaus oder in Notfallpraxen am Krankenhaus weiterbehandelt werden. Eine Weiterleitung in die vertragsärztliche Versorgung soll nicht mehr möglich sein.

„Die Arbeit des GBA, der an einem Vorschlag zur Neuorganisation der Notfallversorgung intensiv arbeitet und der bereits weit fortgeschritten ist, wird mit diesem Änderungsantrag konterkariert und die Selbstverwaltung insgesamt ausgehebelt“, mahnt Dr. Burkhard Lembeck. „In den Krankenhäusern laufen bereits jetzt viele Patienten auf, die keine Notfälle sind. Diese Situation wird durch den aktuellen Änderungsvorschlag nun exponentiell verschärft“.

Der Vorschlag des BVOU-Präsidenten zur Notfallreform: „Orthopäden und Unfallchirurgen fordern seit langem die Fokussierung auf echte Notfälle, eine Entlastung durch Wegnahme von Bagatellen und den Schutz der 24/7 arbeitenden Kolleginnen und Kollegen. Wir stellen fest: Das Personal, das rund um die Uhr arbeitet, die Kolleginnen und Kollegen im Schockraum haben keine Lobby! Neben dem Polytrauma sollen Sie auch den eingewachsenen Zehennagel nachts versorgen. Irgendwann wird auch der letzte motivierte Mitarbeiter das System verlassen haben!“

Der BVOU hatte bereits im vergangenen Herbst mit Unterstützung der DGOU (Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie) ein Eckpunktepapier zur ambulanten Versorgung von Notfällen in Orthopädie und Unfallchirurgie erarbeitet, das auch vom Berufsverband der Deutschen Chirurgie e.V. (BDC) mitgetragen wird. Es liefert neben einer umfassenden Analyse die Eckpunkte für eine leitliniengerechte Versorgung und bietet konkrete, einfach umsetzbare Lösungsvorschläge zur Entlastung der Notaufnahmen an. Die qualifizierte Ersteinschätzung sollte in diesem Vorschlag auch telefonisch, z.B. über die Notrufnummer 116 117, möglich sein und Notfallpatienten in die für sie passende Versorgungsstruktur weiterleiten. Nur so können Ressourcen geschont und Überlastungsspitzen in den Versorgungsebenen vermieden werden.

Dr. Lembeck kritisiert: „Die Vorschläge der Fachgesellschaften und Berufsverbände, der Sachverstand der Regierungskommission zur Reform der Notfallversorgung werden mit dem Beschluss zunichte gemacht!“

Weitere Informationen und Eckpunktepapier zur Notfallversorgung: www.bvou.net/positionspapier-notfallversorgung

Über den BVOU:
Der Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (BVOU) ist die berufspolitische Vertretung für mehr als 7.000 in Praxis und Klinik tätigen Kollegen und Kolleginnen. Der BVOU setzt die beruflichen Interessen seiner Mitglieder durch, indem er zum Vorteil der Patienten und des Gemeinwohls gemeinsam mit den wissenschaftlichen Gesellschaften den Standard orthopädisch-unfallchirurgischer Versorgung entwickelt, die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen prägt und dadurch die öffentliche Wahrnehmung seiner Mitglieder als Experten für orthopädisch-unfallchirurgische Versorgung gestaltet.

Kontakt bei Rückfragen:
Janosch Kuno
Straße des 17. Juni 106 – 108
10623 Berlin
presse@bvou.net
www.bvou.net

Bald mehr unnötige Patienten-„Notfälle“ im Krankenhaus dank Regierung

Berlin– Der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands e.V. (SpiFa) kritisiert Pläne der Ampelkoalition, wonach im Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG) durch die Hintertür Änderungen an der Notfallversorgung beschlossen werden sollen.

Bislang sah die Reform der Notfallversorgung eine Intensivierung der Patientensteuerung vor: nach einer qualifizierten Ersteinschätzung sollten Patientinnen und Patienten je nach Schwere und Dringlichkeit ihrer Erkrankung in die richtige Versorgungsebene vermittelt werden, Vertragsarztpraxen, integrierte Notfallzentren oder stationäre Notaufnahmen. Eine Richtlinie für dieses Ersteinschätzungsverfahren hat der hiermit beauftragte Gemeinsame Bundesausschuss bereits erarbeitet und steht kurz vor Beschlussfassung.

Die Notwendigkeit dieser Richtlinie, geschweige denn einer Ersteinschätzung scheint jedoch nun obsolet. Die Mitwirkenden der Regierungsparteien im Ausschuss für Gesundheit haben am gestrigen Tage den Antrag einer geplanten Änderung in § 120 Absatz 3b SGB V (Änderungsantrag Nr. 5) gebilligt. Diese Änderung würde es den Krankenhäusern künftig ermöglichen, Patientinnen und Patienten zu jeder Tageszeit zu behandeln, auch wenn bzw. obwohl sie laut Ersteinschätzung eigentlich gar nicht dafür qualifiziert würden.

Hierzu Dr. Dirk Heinrich, SpiFa-Vorstandsvorsitzender: „Mit dieser Änderung wird das gesamte Ersteinschätzungsverfahren ad absurdum geführt. Wenn eine Patientin oder ein Patient mitten am Tag in einer Notaufnahme aufschlägt, sind logischerweise alle Bereitschaftsdienstpraxen noch geschlossen. Da man aber theoretisch nur an diese weiterleiten darf, nicht aber an eine ,normale‘ zu diesen Uhrzeiten regulär geöffnete Vertragsarztpraxis, soll den Krankenhäusern nun erlaubt werden, selber zu behandeln. Damit sind die gesamte Systematik und das Versorgungsziel außer Kraft gesetzt.“

Der SpiFa bemängelt in diesem Zusammenhang erneut die Übergriffigkeit der Gesundheitspolitik in den Kompetenzbereich der Selbstverwaltung. Darüber hinaus bekräftigt er die Forderung nach einem absoluten Aufnahmeverbot von Patientinnen und Patienten für Krankenhäuser ohne integrierte Notfallzentren. Dieser Aspekt fand in der Empfehlung der Regierungskommission keine Berücksichtigung und muss unbedingt vom Gesetzgeber noch aufgegriffen werden.

Quelle: SpiFa

Summer School 2023 für O&U: Anmeldung läuft

Berlin, 12.05.2023: Medizinstudierende ab 5. Semester können sich bis zum 1. Juli für die Summer School der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (DGOU) und des Berufsverbandes für Orthopädie und Unfallchirurgie e. V. (BVOU) bewerben. Bei dem Kurs vom 30. August bis zum 1. September 2023 in Kiel bekommen angehende Mediziner auch in diesem Jahr wieder Gelegenheit, einen Blick in ihre mögliche berufliche Zukunft zu werfen. Auf dem Programm der traditionellen Summer School O und U stehen Workshops wie Schwerverletztenversorgung, Arthroskopie, Instrumentenkunde und Nahtkurs, Endoprothetik und konservative Behandlung von Tendinopatien. Vorträge und Diskussionsrunden, beispielsweise zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, laden zur Information und zum Austausch ein. Außerdem gibt es Gelegenheit zum persönlichen Kennenlernen während eines sportiven Rahmenprogramms.

Die Auswahl der Teilnehmenden der Summer School wird jedes Jahr vom Jungen Forum O und U organisiert, um dem medizinischen Nachwuchs einen Einblick in das spannende und hochinteressante Fach O und U zu geben. In dem zweitägigen Intensivprogramm lernen die Studierenden Inhalte des Faches praxisnah kennen und erfahren etwas über das Berufsleben der in diesem spannenden Bereich tätigen Mediziner. Die wissenschaftliche Leitung der Summer School übernehmen die DKOU-Präsidenten der Fachgesellschaften und des Berufsverbandes für das Jahr 2024, Prof. Dr. med. A. Seekamp (DGU), Prof. Dr. med. M. Scheibel (DGOOC) und Dr. med. T. Vogel (BVOU).

Gemeinsam mit weiteren Chef- und Oberärzten, Hochschuldozenten sowie jungen Ärzten in der Weiterbildung berichten sie aus ihrem Arbeitsalltag und vor allem darüber, was für die Motivation wichtig ist, um sich diesem sehr breiten und fordernden Fachgebiet mit gleichbleibender Begeisterung zu widmen. Im engen Austausch bringen sie den Studierenden die vielfältigen Arbeitsbereiche von Orthopädie und Unfallchirurgie näher, beleuchten die gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen und sprechen über die beruflichen Zukunftsaussichten im Fach.

Studierende ab 5. klinisches Semester können sich bis zum 1. Juli 2023 für max. 30 Plätze der Summer School 2023 bewerben. In einem strukturierten Verfahren wählt das Junge Forum dann die Kandidaten aus, die kostenfrei teilnehmen können. Auch die Unterbringungskosten sowie den Eintritt zur traditionellen Abendveranstaltung übernehmen DGOU und BVOU. Aufgrund starker Nachfrage in den Vorjahren wird rechtzeitige Online-Bewerbung empfohlen.

Hochleistungslasertherapie in der stationären, konservativ-orthopädischen Versorgung

Im Bereich der konservativen Orthopädie ist die Anwendung von Lasern bereits seit vielen Jahren etabliert. Durch den Einsatz von High-Power-Lasern sind jedoch deutlich intensivere Therapiemöglichkeiten entstanden. Die Möglichkeit der Abgabe einer Laser-Dauerleistung von bis zu 40 Watt ermöglicht in tiefer liegenden Gewebestrukturen vielfältige Einwirkungen, die analgetisch, antiphlogistisch, hyperämisierend und den intrazellulären Stoffwechsel anregend sowie Muskel-detonisierend wirken.

Der von uns eingesetzte Laser hat trotz der hohen Dauerleistung eine sichere Anwendungstechnik. Im Applikationshandstück ist ein Beschleunigungssensor eingebaut, der sowohl durch Vibrationen als auch durch eine farbliche Kennzeichnung sicherstellt, dass keine zu hohe Laserenergie ins Gewebe abgegeben wird. Die hohe Dauerleistung ermöglicht einen schnellen Wirkungseintritt der abgegebenen Laserenergie bei gleichzeitig kurzer Therapiedauer pro Sitzung.

Für die unterschiedlichen Gewebestrukturen stehen verschiedene Applikationen zur Verfügung. Nutzt man zum Beispiel bei hartnäckigen Muskelverspannungen und Myogelosen einen der On-Contact-Applikatoren, kann man entlang der anatomischen Strukturen zusätzlich auch noch einen Massageeffekt erzielen, was sich in der Praxis als sehr hilfreich erweist. Wir setzen die Lasertherapie sowohl als Mono-Therapie, aber vor allem als Bestandteil unserer multimodalen Therapiekonzepte ein. Ein großer Vorteil ist, dass die Lasertherapie alle anderen therapeutischen Optionen möglich lässt.

Fallbeispiel eins:

59 Jahre alte Frau, seit einigen Wochen chronifizierende muskelbedingte Schmerzen im Bereich des Schulter-Nackengürtels links betont. Im Nativ-Röntgenbild der HWS fanden sich geringgradige, nicht über das Altersmaß hinaus gehende degenerative Veränderungen. Die durchgeführte Kernspintomographie der Halswirbelsäule erbrachte keine weiterführenden zusätzlichen Hinweise. Laborchemisch zeigte sich keine Auffälligkeit, insbesondere nicht im Hinblick auf eine mögliche Polymyalgia rheumatica.

Nach Durchführung von Krankengymnastik und myodetonisiernder Massage zeigte sich trotz zehnmaliger Anwendung keine richtungsweisende Verbesserung.

Die Patientin wurde insgesamt fünf Mal mit täglich Abstand jeweils 5 Minuten entlang der Schulter-Nacken-Muskulatur behandelt.

Schon nach der ersten Behandlung berichtete die Patientin über eine Schmerzlinderung, insbesondere nachts. Nach der fünften Behandlung konnte die Therapie erfolgreich abgeschlossen werden. Zur häuslichen Therapieweiterführung haben wir die Patientin zu einem Eigenprogramm angeleitet.

Fallbeispiel zwei:

53 Jahre alter Mann, spielt regelmäßig Tennis. Der Patient stellte sich mit Beschwerden an radialen Epicondylus und sowohl anamnestisch als auch klinisch typischer Epicondylitis vor. Die Beschwerden waren erst circa drei Wochen vorher erstmals aufgetreten, hatten sich jedoch im Verlauf deutlich gesteigert. Eine Vorbehandlung mit anderen Therapien hatte noch nicht stattgefunden. Wir hatten eine Laserbehandlung mit einer on-contact-Applikation für jeweils vier Minuten dreimal im Abstand von jeweils einem Tag Pause durchgeführt. Danach konnte der Patient berichten, dass er fast komplett schmerzfrei sei. Nach einer Woche hat er sich noch einmal vorgestellt und wir hatten eine weitere einmalige Laser Behandlung durchgeführt. Bei der nach zwei Wochen durchgeführten Kontrolluntersuchung berichtete der Patient, dass er vollständig beschwerdefrei sei.

Beide Fallbeispiele verdeutlichen, dass die High-Power-Laserapplikation mit Dauer-applikation eine Anwendung darstellt, die sich in den klinischen Alltag beziehungsweise den Praxis-Alltag gut integrieren lässt, die recht schnell durchgeführt werden kann und einen guten therapeutischen Benefit für die behandelten Patienten bringt.

 

Dr. med. Jan Holger Holtschmit, Chefarzt des Muskuloskelettalen Zentrums für Konservative Orthopädie, Schmerztherapie, Rheumatologie und Osteologie, St. Wendel

Ärztetag: Doppeltes Plädoyer für BÄK-Sitz im G-BA

Essen – Die Bundesärztekammer (BÄK) sollte stimmberechtigt in die Arbeit des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) einbezogen werden. Das hat der 127. Deutsche Ärztetag (DÄT) vergangene Woche in Essen gefordert. Er lag damit auf einer Linie mit Peter Müller, Richter am Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts und Gastredner beim DÄT-Tagesordnungspunkt „Freiheit und Verantwortung in der ärztlichen Profession“. In seinem vielbeklatschten Vortrag hatte der ehemalige saarländische Ministerpräsident u.a. erläutert, warum Freiberuflichkeit und Selbstverwaltung „gerade im ärztlichen Bereich eine wertvolle gesellschaftliche Ressource sind, die wir brauchen, wenn wir ein leistungsfähiges Gesundheitswesen und damit eine humane Gesellschaft organisieren wollen“.

BÄK-Sitz als „Gebot der politischen Klugheit“

Die immer wieder aufflammende Frage, ob der G-BA ausreichend demokratisch legitimiert ist, streifte Müller nur. Aber zur Beteiligung legte er sich fest: „Hier werden zentrale Weichenstellungen vorgenommen. Da wäre es doch ein Gebot der politischen Klugheit, die, die besonders davon betroffen sind, daran zu beteiligen und der Bundesärztekammer Sitz und Stimme im G-BA zu geben.“ Das entspreche auch dem Gebot der Subsidiarität: „Ärztliche Selbstverwaltung ist gelebte Subsidiarität.“ Sie und die Freiberuflichkeit seien am Ende wie siamesische Zwillinge: „Wenn das eine weg ist, wird das andere nicht lange überleben.“

Grenzen der Kommerzialisierung sind sinnvoll

Darüber hinaus griff der Verfassungsrichter etliche Reizworte auf und bezog Stellung dazu. „Wenn das Recht der Freiberuflichkeit erhalten werden soll, gibt es Grenzen der Kommerzialisierung“, stellte er u.a. klar. Freiberufliche Tätigkeit sei „kein geeigneter Ort für die Erprobung marktradikaler Ansätze“ oder für dominantes Gewinnstreben. Zusätzlich gelte: „Wer permanent Wettbewerb, Wegfall von Zugangsbeschränkungen, Öffnung für neue Finanzinstrumente, Private Equity und Shareholder Value in den Wald hineinruft, darf sich nicht wundern, wenn ihm aus dem Wald Einbeziehung in die Gewerbesteuer entgegenschallt.“ Aber das CDU-Mitglied mahnte auch: „Schon Bonusregelungen und Zielvereinbarungen sind nicht ohne Weiteres mit dem Grundsatz der Therapiefreiheit und dem Primat des Patientenwohls vereinbar.“ Und ergänzte später: Ein Gewinnverbot im Gesundheitswesen – „das würde dann auch für Niedergelassene und Krankenhäuser gelten.“ Welche Gewinnmodelle noch zulässig seien und welche nicht mehr, das sei am Ende eher eine politisch als eine verfassungsrechtlich zu beantwortende Frage.

Regelungsdickicht lichten, mehr Freiheiten einräumen

Nach seinem eigentlichen Vortrag, im Dialog mit den Delegierten des Ärztetags, griff Müller deren vielgestaltige Kritik an der aktuellen Gesundheitspolitik und der Stoßrichtung vielen Reformen auf.  Wenn sie die schleichende Aushöhlung von Freiberuflichkeit und ärztlicher Selbstverwaltung aufhalten wolle, habe die Ärzteschaft eine Sisyphosarbeit vor sich. Aber seit Albert Camus wisse man, dass Sisyphos ein glücklicher Mensch gewesen sei. Der Verfassungsrichter regte zugleich ein gesamtgesellschaftliches Umdenken an: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser – das ist nicht die Idee des freiheitlichen Grundgesetzes.“ Die Verfassung gehe vielmehr von „Freiheit in Verantwortung“ aus. Deshalb müsse man auch weg von so manchem Regelungsdickicht, forderte er: „Ich war gestern bei der Eröffnung tief beeindruckt, wie viele Gesetze uns im Gesundheitsbereich bevorstehen. Mir wird da angst und bange.“

Sabine Rieser/Rie

Ärztinnen und Ärzte machen Medizin – und nur sie!

Berlin – Der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands e.V. (SpiFa) kritisiert die zunehmende Einflussnahme der Gesundheitspolitik in ärztliche Entscheidungen und Belange sowie in die Kompetenzbereiche der ärztlichen Selbstverwaltung.

Die Gesundheitspolitik der Ampelkoalition greift aus Sicht des SpiFa zunehmend in den ureigensten Bereich medizinischen Denkens und Handelns ein: die freie Ausübung des Berufes sowie die Möglichkeit der freien Bestimmung über die bestmögliche Versorgung von Patientinnen und Patienten.

Dazu zählt der SpiFa unter anderem die Schaffung von Parallelstrukturen, mittels welchen ureigenste ärztliche Aufgaben künftig substitutiert werden sollen.
Auch die geplante Implementierung medizinferner Stimmen in die Strukturen der Selbstverwaltung und die potenzielle Einflussnahme der Bundesländer in den Zulassungsausschüssen stellen aus Sicht des SpiFa klare Übergriffe in den alleinigen Kompetenz- und Entscheidungsbereich von Ärztinnen und Ärzten dar.

Hierzu der SpiFa-Vorstandsvorsitzende Dr. Dirk Heinrich: „Mit dieser Gesundheitspolitik stellt die Bundesregierung immer offensichtlicher das Wesen des freien Berufs von Ärztinnen und Ärzten in Frage. Vielmehr noch: sie begegnet dem freien Beruf Ärztin oder Arzt zunehmend mit Misstrauen oder gar Unverständnis und dem Anspruch, sie wüsste am besten, was für eine bestmögliche Versorgung von Patientinnen und Patienten in Deutschland benötigt würde. Dem treten wir klar entgegen. Die Fachärzteschaft in Deutschland begreift Patientenschutz als Verantwortung und Verpflichtung ihres freiberuflichen Handelns – auch der Politik gegenüber.“

Wenn es um das Thema Gesundheit von Patientinnen und Patienten geht, müssen Ärztinnen und Ärzte weiterhin frei in ihrer Entscheidung sein und bleiben, unabhängig davon, ob sie in der eigenen Niederlassung, Angestellte in Klinik oder Praxis, oder noch in der fachlichen Weiterbildung sind.

www.spifa.de

Ausschreibung Deutscher Journalistenpreis Orthopädie und Unfallchirurgie 2023

Gemeinsame Ausschreibung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (DGOU) und des Berufsverbandes für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (BVOU)

Berlin, xx.04.2023: Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (DGOU) und der Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (BVOU) loben im Jahr 2023 zum 14. Mal den Deutschen Journalistenpreis Orthopädie und Unfallchirurgie (JOU) aus. Mit der Würdigung herausragender Publikationen aus den Bereichen Print und Online, Rundfunk sowie TV möchten die Verbände die Qualität der Berichterstattung über orthopädisch-unfallchirurgische Themen würdigen und die hohe Bedeutung des Faches in der Öffentlichkeit sichtbar machen. Bewerbungen können bis zum 31. Juli 2023 eingereicht werden. Der Preis ist mit insgesamt 5.000 Euro dotiert. Er kann von der Jury auf mehrere Arbeiten aufgeteilt werden.

Verletzungen und Erkrankungen der Haltungs- und Bewegungsorgane, also von Knochen, Gelenken, Muskeln und Sehnen, sind immer öfter Ursache für langwierige Krankenhausaufenthalte und erhebliche Lebenseinschränkungen. Die Orthopädie und Unfallchirurgie hat in den vergangenen Jahrzehnten enorme Veränderungen und Entwicklungen erlebt, sodass Patienten heute von wesentlich verbesserten Behandlungen profitieren, die ihnen ihre Mobilität und Selbständigkeit bis ins hohe Alter sichern.

Ausgezeichnet werden herausragende journalistische Beiträge, die ein Thema aus dem Bereich Orthopädie und Unfallchirurgie fachlich fundiert, verständlich und differenziert darstellen. Das können z.B. Veröffentlichungen zu Prävention, Therapie und Rehabilitation, Krankheitsverläufen oder Innovationen sein sowie Beiträge zur aktuellen gesellschaftlichen oder gesundheitspolitischen Bedeutung von O und U. Die Beiträge sollen den Stellenwert des Faches Orthopädie und Unfallchirurgie beleuchten, über Behandlungsmethoden aufklären und Mediennutzern belastbare, transparente Informationen als Orientierungshilfe anbieten.

Teilnahmevoraussetzungen

Die Beiträge müssen in einem deutschsprachigen Medium (Print, Hörfunk, Fernsehen, Online) im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 31. Juli 2023 erschienen sein. Sie sollen sich durch gründliche Recherche, redaktionelle Unabhängigkeit, interessante Aufarbeitung und sachliche Korrektheit auszeichnen. Berücksichtigt werden sowohl umfangreiche Wort-Bild-Beiträge als auch kompakte Beiträge beispielsweise für lokale Medien oder Nachrichtenagenturen. Pro Autor kann nur ein Beitrag eingereicht werden. Auch Autoren-Teams können sich bewerben.

Bewerbungsunterlagen

Bitte füllen Sie für Ihre Bewerbung das JOU-Stammblatt aus. Laden Sie dafür bitte das Onlineformular herunter, speichern Sie es lokal auf Ihrem Rechner und senden Sie es uns per E-Mail. Alternativ können Sie hier das Formular wahlweise auch als Word-Dokument downloaden.

Bitte reichen Sie außerdem folgende Dokumente in digitaler Form ein:

  • Für Printmedien: Word-Dokument des Textes sowie den Originalbeitrag eingescannt als PDF-Dokument
  • Für Hörfunkbeiträge: MP3-Datei mit Angabe des Sendetermins und ggf. dem Link zur Mediathek
  • Für Fernsehbeiträge: MP4-Datei mit Angabe des Sendetermins und ggf. dem Link zur Mediathek
  • Für Online-Beiträge/Podcasts/Videos: Link zum Beitrag sowie die Schaltzeiten und ggf. ein PDF-Dokument

Bitte nutzen Sie für die Datenübermittlung z.B. den kostenfreien Filehosting-Dienst https://wetransfer.com/

Jury
Eine unabhängige Jury bewertet die eingereichten Arbeiten und ermittelt die Preisträger. Die Jury setzt sich zusammen aus Medienvertretern, einem gesundheitspolitischen Vertreter sowie Repräsentanten und Ärzten der ausrichtenden Verbände. Die Preisvergabe erfolgt unter Ausschluss des Rechtsweges.

Einsendeschluss
Journalisten können ihre Bewerbungsunterlagen bis zum 31. Juli 2023 einreichen.

Informationen zum Journalistenpreis sowie zu früheren Preisträgern und deren Arbeiten: https://dgou.de/presse/journalistenpreis

Bewerbung und Kontakt für Rückfragen
Janosch Kuno
Kommunikation und Pressearbeit
Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (BVOU e.V.)
Straße des 17. Juni 106-108, 10623 Berlin
Telefon: +49 (0)30 797 444 55
Fax +49 (0)30 797 444 45
E-Mail: presse@bvou.net
www.bvou.net

Swetlana Meier
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) e.V.
Straße des 17. Juni 106-108, 10623 Berlin
Telefon: +49 (0)30 340 60 36 -16 oder -00
E-Mail: presse@dgou.de
www.dgou.de

Akutmedizinische interdisziplinäre Komplexbehandlung – das stationäre Konzept der ANOA: gut zwei Jahrzehnte lang angewandt und stetig angepasst

Komplexe Erkrankungen des Bewegungssystems wie beispielsweise degenerative Wirbelsäulen- und Gelenkerkrankungen, komplexe Funktions- und Bewegungsstörungen,  chronische Schmerzerkrankungen, rheumatische Erkrankungen oder auch Stoffwechselerkrankungen mit Störungen im Bewegungssystem sind in der Regel multifaktoriell bedingt. Dementsprechend benötigen diese komplexen Erkrankungen eine interdisziplinäre Diagnostik und – bei hoher Krankheitsintensität  – eine akutmedizinische  multimodale Komplexbehandlung.

Für eine befund- und mechanismengerechte Diagnostik und die Behandlung multifaktoriell bedingter Erkrankungen des Bewegungssystems wurde vor nunmehr 21 Jahren das ANOA-Konzept entwickelt. Das Konzept, zuletzt im Jahr 2020 erfolgreich überarbeitet, gilt mittlerweile als der Goldstandard in der Therapie chronischer Rückenschmerzen. Es verbindet orthopädische, manualmedizinisch-funktionelle, physiotherapeutische, psychotherapeutische sowie schmerzmedizinische Diagnostik- und Behandlungsansätze.

 

Über die ANOA

Die ANOA (Arbeitsgemeinschaft nichtoperativer orthopädischer manualmedizinischer Akutkliniken) ist eine bundesweit tätige medizinisch-wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft von aktuell 32 Akutkrankenhäusern, die multifaktorielle Erkrankungen des Bewegungssystems nichtoperativ orthopädisch-unfallchirurgisch, manualmedizinisch, schmerzmedizinisch und rheumatologisch behandeln. Die Kliniken haben sich auf interdisziplinäre Komplexbehandlungen multifaktorieller Struktur-, Funktions- und Schmerzerkrankungen des Bewegungssystems mit hoher Krankheitsintensität spezialisiert und zeichnen sich bei der akutmedizinischen Versorgung im Krankenhaus durch die Verbindung von Standardisierung und Individualisierung aus.

Die ANOA ist der Auffassung, dass nur im Rahmen einer ganzheitlichen Betrachtung eine nachhaltig wirksame Behandlungsstrategie erarbeitet werden kann. Kliniken im ANOA-Verbund verpflichten sich, Behandlungen nach den neuesten medizinischen Erkenntnissen durchzuführen und fortlaufend qualitätsgesichert zu evaluieren.

ANOA-Konzept 2.0: Drei Grunderkrankungsformen im Fokus

Die ANOA geht davon aus, dass diese komplexen Erkrankungen des Bewegungssystems subgruppenspezifisch in klinischen Behandlungspfaden mit befundgerechter Individualisierung behandelt werden sollten:

  • In der Gruppe der Struktur- und Funktionserkrankungen des Bewegungssystems sind morphologische Befunde und komplexe Funktionsstörungen Hauptfaktoren der Erkrankung. Struktur- und Funktionsstörungen müssen deshalb im Mittelpunkt der Behandlung stehen. Komorbidität, psychische und psychosoziale Faktoren haben häufig einen zusätzlichen Einfluss im Krankheitsgeschehen und müssen diagnostiziert und mitbehandelt werden.
  • Bei chronischen Schmerzerkrankungen des Bewegungssystems handelt es sich in der Regel um ein komplexes Bedingungsgefüge aus morphologisch-strukturell bedingten Störungen, komplexen Funktionsstörungen, somatischer und psychischer Komorbidität und anderen psychischen Einflussfaktoren, häufig verbunden mit schmerzrelevanten psychosozialen Kontextbedingungen und ausgeprägten Chronifizierungsprozessen. Patienten mit diesen Störungen benötigen eine auf die Behandlung des Bewegungssystems abgestimmte, interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie mit individueller Schwerpunktsetzung.
  • Rheumatische Erkrankungen mit hoher Krankheitsintensität führen häufig zu komplexen Struktur- und Funktionsstörungen des Bewegungssystems. Bei dieser Gruppe stehen rheumatisch bedingte Struktur- und Funktionsstörungen im Mittelpunkt der Komplexbehandlung. Auch hier müssen Komorbidität, psychische und psychosoziale Einflussfaktoren mit berücksichtigt werden.

 

Abb. 1 ANOA Konzept Übersicht

 

Diagnostik, Verlaufsdiagnostik und Behandlung bilden eine Einheit. Die Erreichung therapeutischer Zielstellungen und die akutmedizinische Behandlungsnotwendigkeit werden während der Komplexbehandlung fortlaufend evaluiert. Die Behandlung erfolgt multimodal im interdisziplinären therapeutischen Team unter ärztlicher Leitung.

Wesentlicher Bestandteil des Konzeptes ist das System der Klinischen Behandlungspfade. Bei der Überarbeitung des Konzeptes 2.0 wurden diese ANOA-spezifischen Pfade multimodaler nichtoperativer Komplexbehandlungen des Bewegungssystems verschlankt und die spezifischen Grunderkrankungsformen in den Fokus gerückt: die Behandlung strukturell- funktioneller Erkrankungen des Bewegungssystems (OPS 8-977), die chronischen Schmerzstörungen mit somatischen und psychischen Faktoren (OPS 8-918) und rheumatologische Komplexerkrankungen (OPS 8-983).

Jeder Behandlungspfad bildet eine subgruppenspezifische Methodenkombination mit definierter Behandlungsintensität und Behandlungsdauer ab. Die Behandlung ergibt sich durch eine befundgerechte Individualisierung auf der Grundlage des strukturierten klinischen Pfades.

 

Abb. 2 ANOA Diagnostik und Klinische Pfade

Individuelle patientenbezogene Diagnostik

Das diagnostische Konzept der ANOA ist individuell patientenbezogen ausgerichtet und wird mit wissenschaftlich evaluierten Assessments durchgeführt.  Die Diagnostik erfolgt in den Bereichen der Morphologie, der Funktionsstörungen, der Psyche und der Schmerzchronifizierung. Psychosoziale Faktoren werden mitberücksichtigt. Die in der Diagnostik erhobenen Befunde werden interdisziplinär betrachtet und in ihrem Einfluss auf das Krankheitsgeschehen bewertet. Diagnosen, therapeutische Zielstellungen und Behandlungsstrategien werden interdisziplinär erarbeitet.

Die gezielte Anwendung mehrerer diagnostischer Verfahren erfolgt durch ein interdisziplinäres Team unter Nutzung schmerztherapeutischer Assessments, klinischer und apparativer Methoden. Schwerpunkte sind:

  • Neuroorthopädische Strukturdiagnostik
  • Manualmedizinische Funktionsdiagnostik
  • Psychodiagnostik
  • Schmerzdiagnostik
  • Apparativ gestützte Diagnostik unter funktionspathologischen Aspekten

Die erhobenen Befunde werden interdisziplinär in einer Teambesprechung hinsichtlich ihrer Relevanz für die vorliegende Erkrankung bewertet und bilden damit die Grundlage der Therapie.

Vielfältige therapeutische Methoden

Das Konzept der ANOA ist befundorientiert, multimodal und interdisziplinär. Die Zielstellung der Behandlung ist individuell patientenzentriert. Dazu erfolgt die gezielte und strukturierte Anwendung therapeutischer Verfahren mit kontinuierlicher interdisziplinärer Evaluation und Therapieanpassung.

Therapeutische Verfahren aus folgenden Fachgebieten kommen zur Anwendung: Orthopädie und Unfallchirurgie, Manuelle Medizin, Schmerzmedizin, Rheumatologie, Naturheilverfahren, Psychotherapie, Pflege, Physiotherapie sowie Trainingstherapie

Die Behandlung erfolgt im Rahmen nachstehend genannter klinischen Pfade, welche jeweils spezifische Kombinationen therapeutischer Methoden beinhalten und unterschiedliche therapeutische Schwerpunkte und Zielsetzungen berücksichtigen, die befundgerecht individualisiert werden:

  • Multimodal-nichtoperative Komplexbehandlung des Bewegungssystems (OPS 8-977)
  • Interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie (OPS 8-918)
  • Multimodale rheumatologische Komplexbehandlung (OPS 8-983)

Die Behandlungspfade beinhalten jeweils spezifische Kombinationen therapeutischer Methoden und berücksichtigen unterschiedliche therapeutische Schwerpunkte  sowie Zielsetzungen, die befundgerecht individualisiert werden.

Qualitätssicherung und wissenschaftliche Evaluation: Garanten für den Therapieerfolg

Über eine Symptomlinderung hinaus verfolgt das ANOA-Konzept auch die Entwicklung langfristig wirksamer Behandlungsstrategien. Dabei werden sowohl patientenbezogene Ressourcen als auch Handlungskompetenzen gefördert – mit dem übergeordneten Ziel, Patienten in ihrer Eigenverantwortung zu stärken.

Im Jahr 2016 hat die ANOA in Zusammenarbeit mit dem unabhängigen Zertifizierungsinstitut ClarCert in Ulm das Qualitätsicherungs- und Zertifizierungssystem ANOACert für Kliniken entwickelt, die Schmerzerkrankungen des Bewegungssystems nichtoperativmultimodal komplex behandeln. Dieses Qualitätssiegel wurde im Jahresverlauf 2020 entsprechend aktualisiert und wird seitdem vom Ulmer Instititut ClarCert zur Anwendung gebracht.

Ergänzend hierzu werden die Behandlungen nach dem ANOA-Konzept in wissenschaftlichen Studien und in Zusammenarbeit mit medizinischen Fachgesellschaften sowie universitären Einrichtungen wissenschaftlich evaluiert. Dabei lieferte den ersten relevanten wissenschaftlichen Nachweis zur Wirksamkeit und Nachhaltigkeit des Vorgehens innerhalb des ANOA-Konzeptes bereits 2014 / 2015 die Multicenterstudie.

350.000 Patienten seit 2002 behandelt

Im Laufe der Jahre wurden mehr als 350.000 Patientinnen und Patienten mit akuten und chronifizierten Erkrankungen des Bewegungssystems in ANOA-Kliniken orthopädisch – konservativ, interdisziplinär und multimodal komplex behandelt. Oft mit nachhaltig wirksamer Schmerzreduktion und Verbesserungen der Lebensqualität. Auch für die Zukunft sieht sich die ANOA – mit dem überarbeiteten ANOA-Konzept und der Neustrukturierung des Qualitätssicherungssystems ANOACert – für die Bedürfnisse der Patienten gut aufgestellt. Die Nachfrage nach einer Behandlung ist groß, einige Kliniken führen derzeit Wartelisten.

Dr. Jan Holger Holtschmit (Präsident der ANOA, Orthopäde und Chefarzt am Marienhaus Klinikum St. Wendel-Ottweiler

 

Die neue Leitlinie Radiofrequenz-Denervation der Wirbelsäule

Eine Radiofrequenz-Denervation ist eine häufig bei chronischen Nacken- und Rückenschmerzen durchgeführte Therapie. Es gibt eine große Anzahl von Studien, die aber teils widersprüchliche Ergebnisse liefern, was vor allem an den Kriterien zur Auswahl geeigneter Patienten und an unterschiedlicher technischer Durchführung der Denervation liegt. Die Deutsche Wirbelsäulengesellschaft hat daher beschlossen, eine S3-Leitline zu erstellen, um evidenzbasierte Statements und Empfehlungen zur Indikation und Durchführung einer Radiofrequenz-Denervation zu geben.

Eine Radiofrequenz-Denervation (RF-Denervation) wird bei Patienten mit chronischen Wirbelsäulenschmerzen vor allem an der Hals- und Lendenwirbelsäule (HWS, LWS) sowie am Iliosakralgelenk (ISG) angewendet. Ziel ist es, durch thermische Koagulation eines Nerven die Schmerzweiterleitung zu unterbrechen. An der HWS und LWS ist dieser Nerv der Medial Branch (Abb. 1), der die nozizeptiven Informationen aus den Facettengelenken übermittelt und am ISG sind es die Lateral Branches.

Abb. 1: Schematische Darstellung des Rückenmarkes, der Nervenwurzeln und des Spinalnerven mit seinen Ästen. Aus dem Ramus dorsalis des Spinalnerven entspringt der Medial Branch, der unter anderem das Facettengelenk versorgt.

Somit kommen für eine RF-Denervation Patienten mit chronischen Schmerzen der Facettengelenk oder des ISG in Frage.

Bei der RF-Denervaton wird ein Wechselstromfeld zwischen einer Neutralelektrode auf der Haut und der Sondenspitze erzeugt. Durch den Größenunterschied zwischen Neutralelektrode und Sondenspitze sind die Feldlinien an der Sonde sehr dicht, was dazu führt, dass die Moleküle in der Umgebung der Sonde anfangen zu oszillieren, wodurch Wärme entsteht. Wird die Sonde in der Nähe eines Medial Branch oder eines Lateral Branch platziert (Abb. 2), so kann der Nerv koaguliert werden.

Abb. 2: Durchleuchtungsbild und schematische Darstellung einer Sonde am Medial Branch L4.

Ergebnisse von Studien

Da die RF-Denervation ein invasives Verfahren ist muss natürlich eine Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen. Eine sehr große Zahl von Studien mit unterschiedlichsten Ergebnissen wurde publiziert. So finden sich Studien mit sehr guten Ergebnissen (schmerzfrei, Integration ins Arbeitsleben) für durchschnittlich 15 Monate bei knapp 60 % der Patienten [1] aber auch Studien, die keine bessere Wirkung durch die RF-Denervation im Vergleich zu Physiotherapie alleine sehen [2].

Betrachtet man die vorhandenen randomisierten kontrollierten Studien (RCTs), die eine RF-Therapie mit einer Sham-Prozedur verglichen haben, so gibt es für die HWS gerademal 4 solcher Studien, für die LWS 7 und für das ISG 4. Auch die Ergebnisse dieser Studien sind sehr unterschiedlich. Dies liegt zum einen an der Qualität der Studien. Es finden sich teils sehr kleine Fallzahlen, ein hohes loss to Follow-up, unterschiedliche Patientengruppen oder ein Sponsoring, welches das Ergebnis beeinflussen kann. Auffällig ist aber auch, dass sich die Studien in Bezug auf Indikation zur RF-Denervation und technischer Durchführung unterscheiden.

Abb. 1: Schematische Darstellung des Rückenmarkes, der Nervenwurzeln und des Spinalnerven mit seinen Ästen. Aus dem Ramus dorsalis des
Spinalnerven entspringt der Medial Branch, der unter anderem das Facettengelenk versorgt.

Abb. 2: Durchleuchtungsbild und schematische Darstellung einer Sonde am Medial Branch L4.

Indikation

Eine RF-Denervation kommt nur bei einem spezifischen Rückenschmerz in Frage, der seine Ursache in den Facettengelenken oder dem ISG (incl. dorsalem Bandapparat) hat. Anamnese und klinische Untersuchung sind wichtig, können aber diese spezifische Ursache nicht beweisen, weshalb in der Regel vor einer RF-Denervation Testblockaden durchgeführt werden.

Bei den RCTs wurden Patienten mit chronischen Rückenschmerzen unterschiedlicher Dauer eingeschlossen. An der HWS wurden auch Patienten nach Verkehrsunfall oder mit zervikogenen Kopfschmerzen untersucht. Am ISG spielten klinische Tests eine unterschiedlich große Rolle bei den Einschlusskriterien.

Als Testblockaden kamen intraartikuläre Injektionen in die Facettengelenke oder in das ISG aber auch ein Medial Branch Block in Frage, welcher manchmal (auch Placebo-kontrolliert) wiederholt wurde. Ein Testblock wurde als positiv gewertet, wenn zwischen 50 und 100 % Schmerzreduktion erreicht wurde.

Technik

Auch die technische Durchführung der Denervationen unterscheidet sich in den Studien wesentlich. Die Position der Sonde in Relation zum Nerven (parallel oder rechtwinklig), die Dicke der Sonde, die verwendete Temperatur und die Dauer der Temperaturwirkung und auch die Zahl der Läsionen war unterschiedlich.

Dazu muss noch berücksichtig werden, dass es verschiedene Sondentypen gibt, die vor allem bei der Denervation des ISG Verwendung finden. Neben konventionellen Sonden, bei denen Teilweise die aktive Spitze verändert wurde (2 oder 3 aktive Arme), existieren gekühlte Sonden und bipolare Sonden sowie Sonden mit mehreren aktiven Feldern.

Leitlinie

Es bleiben bei Betrachtung der Studien also viele Unklarheiten und es schwierig, den zu erwartenden Nutzen zu beurteilen und Empfehlungen bezüglich der Patientenauswahl und der zu verwendenden Technik zu geben.

Daher entstand bei der Deutschen Wirbelsäulengesellschaft (DWG) die Idee, eine Leitlinie zu schreiben, die Empfehlungen bezogen auf die Situation in Deutschland gibt. Geplant wurde eine S3-Leitlinie, bei der die Empfehlungen auf einer systematischen Literatur-Recherche beruhen und die Evidenz in der Literatur kritisch bewertet wird. Es wurden acht relevante Fachgesellschaften und Patientenvertreter einbezogen.

Doch wie kann eine solche Leitlinie entstehen, wenn die Informationen aus den RCTs teils widersprüchlich und so schwierig auszuwerten sind? Es wurde eine Auswertungsmöglichkeit gewählt, bei der neben RCTs auch Beobachtungsstudien berücksichtigt werden können. Beim GRADE-System [3] wird die Qualität der Evidenz nicht auf eine gesamte Publikation bezogen sondern es werden Endpunkte formuliert, für die die Qualität der Evidenz in mehrerer Studien gemeinsam bewertet wird. Ein möglicher Endpunkt könnte z. B. die Schmerzreduktion nach 6 Monaten sein, ein anderer die Häufigkeit von Komplikationen. Die Bedeutung des Endpunktes (kritisch, wichtig, von begrenzter Bedeutung) wird beurteilt. Dann erfolgt für jeden Endpunkt die Beurteilung der Qualität der Evidenz. RCTs beginnen mit einer hohen Evidenz, Beobachtungsstudien mit einer niedrigen Evidenz. Die Qualität kann herauf- oder herabgestuft werden (Abb. 3).

Anhand dieser Evidenz können dann in der Leitlinie Empfehlungen und Statements gegeben werden, wobei ein A (⇑ ⇑ soll) für eine starke Empfehlung, ein B (⇑ sollte) für eine Empfehlung und ein 0 (⇔ kann) verwendet wurden.

In einer von der AWMF moderierten Konsensuskonferenz haben die beteiligten Fachgesellschaften dann Ende April 2023 über diese Empfehlungen abgestimmt. In Kürze kann dann die Leitlinie sowie eine Patientenfassung bei der AWMF eingesehen werden.

Abb. 3: Beispiel für eine Evidenzbeurteilung. 4 Studien werden ausgewertet. Es wurden 3 Endpunkte untersucht und gewertet (wichtig,
kritisch). In dem hier gezeigten Beispiel wurde der erste Endpunkt in allen Studien untersucht, der zweite nur in Studie 1, 2 und 4 und der dritte
nur in Studie 1 und 4. Für jeden der drei Endpunkte wir die Qualität der Evidenz nach klaren Kriterien festgelegt.

Folgende Fragen werden von der Leitlinie beantwortet:

  • Die Bedeutung von Anamnese und klinischer Untersuchung für die Auswahl von Patienten.
  • Die Relevanz bildgebender Verfahren für die Indikation zur Denervation.
  • Die Notwendigkeit einer konservativer Therapie vor einer RF-Denervation.
  • Die Durchführung von Testblockaden (intraartikulär, Medial Branch, Lateral Branch, wie oft, welche Medikamente)
  • Die notwendige Schmerzreduktion, damit ein Testblock als positiv gewertet werden kann.
  • Welche Bildgebung geeignet ist, um eine RF-Denervation durchzuführen.
  • Die Parameter bei der Denervation (Temperatur, Dauer, Durchmesser der Kanüle).
  • Der Typ der Sonde (konventionell monopolar, bipolar, cooled).
  • Die Lage der Sonde zum Nerven (parallel, rechtwinklig).
  • Die Notwendigkeit einer Teststimulation sensorisch oder motorisch.
  • Die Möglichkeit, eine RF-Denervation zu wiederholen.
  • Die Notwendigkeit, blutverdünnenden Medikamente oder Thrombozytenaggregationshemmer vor der Denervation abzusetzen.
  • Die Möglichkeit einer RF-Denervation bei Metall-Implantaten (Spondylodese).
  • Die Möglichkeit einer RF-Denervation bei Herz-Schrittmacher oder Defibrillator.
  • Mögliche Komplikationen­­.

Zusammenfassung

Die neue S3-Leitlinie zur Radiofrequenz-Denervation an den Facettengelenken und dem ISG liefert evidenzbasierte, konkrete Empfehlungen zur Patientenauswahl, Indikation und zum technischen Vorgehen bei Testblockaden und bei der Denervation.

Prof. Dr. med. Stephan Klessinger
Neurochirurgie Biberach
Eichendorffweg 5
88400 Biberach
klessinger@neurochirurgie-bc.de

Literatur auf Anfrage bei der Redaktion

 

Medikamentöse Therapie des Arthroseschmerz

Laut der Global-Burden-of-Disease-Studie zählen muskuloskelettale Schmerzen zu den führenden Ursachen einer beeinträchtigten Gesundheit [GDB 2019]. Der typische Arthrosepatient ist älter als 45 Jahre, hat mehr als eine Komorbidität, nimmt in der Regel multiple Medikationen und hat darüber hinaus noch andere altersbedingte muskuloskelettale Veränderungen.

Nicht-Opioid-Analgetika (NOPA)

Paracetamol: Paracetamol wird in Leitlinien nicht mehr empfohlen wird. Die analgetische Wirkung ist zu gering und die freie Verfügbarkeit für den Patienten führt schnell dazu, dass der Patient mit seiner Dosierung in einen hepatotoxischen Bereich kommt.

Metamizol: Metamizol ist gut verträglich und ein sehr verbreitetes Präparat zur Schmerzlinderung. Es ist als Schmerzmittel im Bereich von O&U weit verbreitet, hat jedoch kein Label für die Erstanwendung bei der Arthrose. Die primäre Indikation liegt im Bereich der perioperativen Schmerztherapie sowie bei Schmerzzuständen, die anders schon frustran gehandelt wurden. Daneben ist dringend eine Risiko- und Sicherungsaufklärung zu beachten (Jerosch et al. 2017).

NSAR: NSAR stellen eine weitgehend heterogene Gruppe dar, welche eine nicht-selektive und reversible Hemmung der Cyclooxygenasen (COX-1 und COX-2) bewirken. Hierbei unterscheiden sie sich von den Coxiben, die hoch-selektiv COX-2 hemmen. Gastrointestinale sowie kardiovaskulären Nebenwirkungen von sind jedoch von erheblicher Relevanz [Pelletier et al. 2016]. Hierbei wurde die Hemmung von COX-2 mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko assoziiert [Rao et al. 2008], weshalb diese bei erhöhtem kardiovaskulärem Risiko kontraindiziert sind. Hier bietet die topische Applikation von NSAR in Form von Gelen oder Pflastern eine sehr gute Alternative. Aufgrund der zu erwartenden geringeren systemischen Exposition gegenüber einer oralen Gabe ist das Risiko für unerwünschte Nebenwirkungen bei dieser Applikationsform deutlich verringert bei vergleichbarer Wirksambarkeit [Derry et al. 2016].

Wichtig ist, dass NSAR und COX-Hemmer niemals kombiniert werden, da sich die Nebenwirkungen dabei ebenfalls addieren. Zu Dosierungen und Kontraindikationen für einige der wichtigen NOPA siehe Tab.1.

 

Tab.1: Risikoprofil von NOPAs (Freys S, Pogatzki-Zahn E, 2020)

Verabreichungsform Dosierungen bei (gesunden) Erwachsenen* Kontraindikationen
Diclofenac

 

p.o.

supp.
i.m./s.c.

3 x 50 mg/d
retard: 2 x 75mg/d
25-100 mg 2-3x/d
75-150 mg einmaligMaximale Tagesdosis:

200 mg (2 mg/kg)

Allergie, Asthma, COPD,
Ulzera im Gastrointestinaltrakt, Anamnese chronischer Magen-Darm-Beschwerden,
koronare Herzerkrankung und Herzinsuffizienz (NYHA II-IV),Z.n. Herzinfarkt oder Apoplex,akute oder chronische Niereninsuffizienz (Kreatininclearance < 30 ml/min), schwere Leberfunktionsstörungen (Albumin < 25 g/l),

Volumenmangel, Schock,
Porphyrie, Schwangerschaft und Stillzeit

Parecoxib i.v. 2 x 20–40 mg/d

 

 

 

 

Maximale Tagesdosis:

80 mg

Allergie, Asthma,
aktives peptisches Ulkus oder akute gastrointestinale Blutung,
koronare Herzerkrankung und Herzinsuffizienz (NYHA II-IV),
Z.n. Herzinfarkt oder Apoplex,
akute oder chronische Niereninsuffizienz (Kreatininclearance < 30 ml/min), schwere Leberfunktionsstörungen (Albumin < 25 g/l),
Schwangerschaft, Stillzeit,
nicht eingestellter Hypertonus (relativ)
Ibuprofen

 

p.o.

supp.
i.v./s.c.

2-3 x 200-800 mg/d
retard: 2-3 x 800 mg/d2-4 x 600 mg/d
2-3x/400-600 mg

 

Maximale Tagesdosis:

2400 mg

Allergie, Asthma, COPD,
Ulzera im Gastrointestinaltrakt, Anamnese chronischer Magen-Darm-Beschwerden,
schwere Leber-, Nieren- oder Herzinsuffizienz,
Volumenmangel, Schock,
Schwangerschaft (3. Trimenon) und Stillzeit (bei unreifen Neugeborenen bzw. ductusabhängigen Vitien)
Metamizol

 

p.o.

supp.
i.v.

4 x 500-1000 mg/d
3-4 x 20-40 Trpf.
20 Trpf. = 500 mg
3-4 x 1000 mg
1 g/ 2,5 gMaximale Tagesdosis:

5 – 6 g

Allergie, Asthma,
Volumenmangel, Schock
Hämatopoesestörungen (Leuko-, Granulozytopenie),
Porphyrie,
Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenasemangel,Schwere Leber- und Niereninsuffizienz
Schwangerschaft, Stillzeit
Paracetamol

 

p.o.
supp.
i.v.
3-4 x 500-1000 mg

 

 

Maximale Tagesdosis:

4 g

Bekannte Unverträglichkeit,
schwere Leber- und Niereninsuffizienz,
Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel,
Alkoholabusus, chronische Mangelernährung

*Bei älteren Patienten ggf. reduzieren

 

Insoweit NSAR nicht ausreichend wirksam sind, kontraindiziert sind oder das Risiko für unerwünschte Wirkungen erhöht sind, wird nach der AWMF-Gonarthroseleitlinie die Verwendung von Glucosamin oral, Hyaluronsäure oder Corticosteroiden intraartikulär empfohlen.

Glucosamine: Die orale Gabe von Glucosaminen oder vergleichbaren Nahrungsergänzungsmitteln wirkt sehr langsam und zeigen erst nach 4-8 Wochen einen eventuell positiven Effekt (Bruyere et al. 2004, Clegg et al. 2005, Kahan et al. 2008).

Intraartikulare Corticoidgabe: Corticosteroide haben den raschesten Wirkeintritt und sind für etwa 3 Monate wirksam (Jerosch/Heisel 2010, Jerosch 2015). Bei Patienten, bei denen ein entzündlicher Schub einer Gonarthrose (aktivierte Arthrose) im Vordergrund steht, kann die intraartikuläre Applikation eines Steroids in Betracht gezogen werden.

Die Kombination Corticosteroid/Hyaluronsäure kann zu einer schnellen Linderung der Beschwerden führen. Eine Metaanalyse von Bannuru et al. (2015) konnte zeigen, dass die alleinige Injektion von Corticosteroid bis zu 4 Wochen hinsichtlich Schmerzreduktion effektiver war, als die Injektion von Hyaluronsäure alleine. Zwischen der 4. und 8. Woche waren die Ergebnisse vergleichbar und nach der 8. Woche zeigte die alleinige Applikation von Hyaluronsäure eine größere Effektivität.

Intraartikulare Hyaluronsäure (HA): HA wird seit mehreren Jahrzehnten bei der symptomatischen Behandlung von Arthrosen eingesetzt. Trotz einer Vielzahl an wissenschaftlichen Untersuchungen ist die Wirksamkeit dieser Therapieform in der Literatur nach wie vor umstritten. Eine klinisch relevante Schmerzhemmung wird in neueren und hochwertigen Metaanalysen beschrieben.

Die ESCEO-Gruppe formuliert eine praxisorientierte Argumentation und beschreibt Patienten, die besonders von einer HA-Therapie profitieren können. Die intraartikuläre Applikation von HA stellt aufgrund anderer Nebenwirkungen eine Behandlungsalternative zu NSAR dar, insbesondere bei Patienten, für die es Kontraindikationen für NSAR gibt. Auch kann die intraartikuläre HA Applikation zu einem verminderten Verbrauch an NSAR führen. Während Rutjes et al. (2012) relevante Nebenwirkungen bei der Verwendung von HA sahen, stellten Bannuru et al. (2015) weniger Studienabbrüche bei HA aufgrund von unerwünschten Wirkungen im Vergleich zu oralen Therapien (NSAR, Paracetamol) fest. Auch hat die intraartikuläre HA Applikation andere unerwünschte Wirkungen als die oralen Behandlungsoptionen wie beispielsweise NSAR, Opioide und Paracetamol. So sind Gelenkreaktionen nach intraartikulärer HA Applikation normalerweise mild und moderat mit nur geringem Knieschmerz, welcher durch Schonung, Eis und Analgetika gut zu behandeln ist. Die Beschwerden dauern üblicherweise nur wenige Tage an. Eine lokale oder allgemeine Überempfindlichkeitsreaktion ist selten.

HA-Präparate haben eine Wirkdauer von 6-12 Monaten. Die Effektgröße hinsichtlich Schmerz in Metaanalysen liegt zwischen 0,34 (0,22 – 0,46) und 0,63 (0,36 – 0,88); Effektgröße nach 4 Wochen ist besser als bei anderen pharmakologischen Behandlungen (Cox-2, NSAIDs, i.a. Corticoid und Paracetamol) (Henrotin et al. 2015). Insgesamt gibt es mehr als 100 vermarktete HA-Produkte weltweit. Diese differieren erheblich hinsichtlich des Ursprungs (tierische oder bakterielle Fermentation), des Molekulargewichtes (von 0,7 bis 3 MDa), der molekularen Struktur (linear, cross-linked, mixed oder beides), der Methode der cross-link Konzentration (0,8 bis 30 mg/ml), dem rheologischen Verhalten (Gel oder flüssig). Einige sind assoziiert mit anderen Molekülen (Mannitol, Sorbitol, Chondroitin Sulfat) mit unterschiedlichen Konzentrationen. Auf Grund dieser Rahmenbedingungen gibt es keine einzelne Klasse von HA-Produkten. Metaanalysen zeigen jedoch eine Überlegenheit von HA mit hohem Molekulargewicht (Vannabouathong et al. 2018, Hummer et al. 2019, Altman et al. 2016, Bhandari et al. 2017).

Durch eine gute Wahl des Injektionszeitpunktes, Berücksichtigung der Kellgren Lawrence Situation, der Co-Medikation sowie der Co-Therapie wird man den Effekt von Hyaluronsäuren auch optimieren können (Conrozier et al. 2020).

Während die oben genannten Therapieansätze rein als Schmerzreduktion anzusehen sind (SYSADOA) ergeben sich bei hochmolekularen Hyaluronsäuren durchaus auch Hinweise auf eine Beeinflussung der Knorpelstoffwechsel an sich (DMOAD). Insbesondere französische rheumatologische Arbeitsgruppen konnten zeigen, dass bei der intraartikulären Gabe von hochmolekularen Hyaluronsäuren eine Reduzierung des CTX-II nachweisbar ist und somit der Knorpelstoffwechsel an sich positiv beeinflusst wird (Henrotin et al. 2013, Conrozier et al. 2012). Der DMOAD Effekt wird in der Zukunft zunehmend interessanter werden (Henrotin et al. 2020). Aus den o.g. Gründen sind Hyaluronsäuren zwischenzeitlich in vielen internationalen Arthrose-Leitlinien als positiv bewertet worden.

PRP: Plättchenreiches Plasma (PRP) sowie vergleichbare Präparate (APC: Autologes Plättchenkonzentrat, ACS: Autologes konditioniertes Serum, BCS: blood clod secretom) werden im Rahmen der Injektionstherapie zunehmend im klinischen Alltag verwendet und in der Literatur evaluiert. Die Zubereitungsformen sind je nach Firma jedoch sehr unterschiedlich, sodass PRP nicht gleich PRP ist. PRP zeigt im Rahmen knorpelregenerativen Maßnahmen in Grundlagenarbeiten einen Vorteil bezüglich der Chondrozytenpoliferation und der Produktion von extrazellulärer Matrix. Ein fraglicher Effekt besteht auch in der klinischen Anwendung nach Mikrofrakturierung.

Ein Konsensuspapier der ESSKA (European Society of Sports Traumatology, Knee Surgery & Arthroscopy) von 2022  fasst die Ergebnisse von klinischen Studien der Stufen I und II sowie zusätzliche prospektive Studien zusammen (https://cdn.ymaws.com/www.esska.org/resource/resmgr/docs/consensus_projects/2203_orbit_brochure_spread.pdf). Es belegt die Wirksamkeit von PRP bei der Behandlung von Kniearthrose. Die Konsensusgruppe kommt zu dem Schluss, dass es genügend präklinische und klinische Belege gibt, um die Verwendung von PRP bei Kniearthrose zu empfehlen bzw. zu unterstützen. Die Überlegenheit von Präparaten einzelner Hersteller ist aufgrund der Datenlage noch nicht möglich.

Infiltrationskombinationstherapien

In der Literatur und im klinischen Alltag haben sich unterschiedliche Infiltrationskombinationstherapien entwickelt und teilweise bereits etabliert.

Cortison mit Lokalanästhesie: Diese Kombination führt aufgrund der Lokalanästhesiekomponente zu einer raschen Schmerzlinderung. Es hat sich jedoch gezeigt, dass Lokalanästhesie auch eine schädigende Wirkung auf Knorpelzellen haben, dieses insbesondere in experimentellen Studien. Durch das Cortison kommt es zu einer Reduktion der entzündlichen Komponente im Gelenk. Es ist jedoch auch ein schädigender Effekt auf Knorpelzellen bekannt.

Cortison mit Hyaluronsäure: Die Kombination von Cortison mit Hyaluronsäure wird im klinischen Alltag schon lange verwendet. In experimentellen und klinischen Studien zeigen sich hier vielversprechende Ergebnisse (Moser et. al.2021), sie konnten zeigen, dass bei kultivierten Knorpelzellen mit drei verschiedenen Lokalanästhetika (Lidocain, Bupivacain, Ropivacain), mit Cortison / Hyaluronsäure sowie der Kombination von Cortison und Hyaluronsäure, die Kombination mit der Hyaluronsäure zu einer geringeren Knorpelschädigung führt, als wenn Cortison und Lokalanästhetikum alleine verwendet wird. Bauer et al. (2016) zeigten in einer experimentellen Untersuchung, dass Cortison gemeinsam mit Hyaluronsäure sowohl einen antiinflammatorischen Effekt als auch gleichzeitig einen knorpelschonenden Effekt zeigt.

Hangody et al 2018 untersuchten in einer multizentrischen RCT den klinischen Effekt von Hyaluronsäure in Kombination mit Cortison bei der Gonarthrose. Als Placebo wurde Kochsalz verwendet. Hier zeigte sich, dass die Kombinationstherapie von Cortison und Hyaluronsäure dem Placebo in den ersten Wochen klinisch überlegen war.

Hyaluronsäure und PRP: Die Hyaluronsäure mit PRP zeigte in Metaanalysen, dass PRP gemeinsam mit Hyaluronsäure sowohl im WOMAC-Score als auch beim VAS-Score nach 12 Monaten bessere Ergebnisse zeigte als die alleinige Hyaluronsäuregabe (Karasavvidis et al. 2021, Bansal et al. 2021, Kim et al. 2021, Baria et al. 2022).

Opioide: Für Patienten mit chronischem Arthroseschmerz sind Opioide gemäß LONTS nur nach dem Versagen nicht-medikamentöser Therapie und/oder der Wirkungslosigkeit bzw. Kontraindikation anderer Analgetika und/oder einem nicht durchführbaren bzw. nicht gewünschten Gelenkersatz indiziert. Allgemein scheint jedoch gerade bei älteren Patienten eine Opioidgabe nur mit geringer analgetischer Wirkung und funktionaler Verbesserung bei gleichzeitig erhöhtem Nebenwirkungsrisiko beim Arthroseschmerz einherzugehen [Megale et al. 2018]. Schwach wirkende Opioide können bei nicht operablen Patienten oder Patienten, die für kurze Zeit bis zu einer Operation begleitet werden, sinnvoll sein. Hier muss jedoch auf eine adäquate Ko-Medikation geachtet werden, um unerwünschten Wirkungen der Opioide zu begegnen (LONTS Leitlinien).

Bisphosphonate: Bisphosphonate können eventuell einen positiven Effekt auf Schmerzen beim Knochenödem haben, jedoch keinen positiven Effekt auf den Gelenkknorpel (Cai et al. 2020).

Antikörper: Klinische Studien zeigten die Effektivität von monoklonalen Antikörpern gegen den Nervenwachstumsfaktor (NGF) für die Therapie von Arthroseschmerzen. Allerdings wurde dieser Therapie durch die FDA die endgültige Zulassung versagt, weil die sie in einzelnen Fällen mit einer rasch progredienten Arthroseentwicklung verbunden war. Dennoch werden in der Forschung derartige Konzepte weiter evaluiert (Schaible 2021).

Prof. Dr. med. Dr.h.c. Jörg Jerosch
Neuss

 

Literatur auf Anfrage bei der Redaktion.