Archiv für den Monat: Mai 2023

Die neue Leitlinie Radiofrequenz-Denervation der Wirbelsäule

Eine Radiofrequenz-Denervation ist eine häufig bei chronischen Nacken- und Rückenschmerzen durchgeführte Therapie. Es gibt eine große Anzahl von Studien, die aber teils widersprüchliche Ergebnisse liefern, was vor allem an den Kriterien zur Auswahl geeigneter Patienten und an unterschiedlicher technischer Durchführung der Denervation liegt. Die Deutsche Wirbelsäulengesellschaft hat daher beschlossen, eine S3-Leitline zu erstellen, um evidenzbasierte Statements und Empfehlungen zur Indikation und Durchführung einer Radiofrequenz-Denervation zu geben.

Eine Radiofrequenz-Denervation (RF-Denervation) wird bei Patienten mit chronischen Wirbelsäulenschmerzen vor allem an der Hals- und Lendenwirbelsäule (HWS, LWS) sowie am Iliosakralgelenk (ISG) angewendet. Ziel ist es, durch thermische Koagulation eines Nerven die Schmerzweiterleitung zu unterbrechen. An der HWS und LWS ist dieser Nerv der Medial Branch (Abb. 1), der die nozizeptiven Informationen aus den Facettengelenken übermittelt und am ISG sind es die Lateral Branches.

Abb. 1: Schematische Darstellung des Rückenmarkes, der Nervenwurzeln und des Spinalnerven mit seinen Ästen. Aus dem Ramus dorsalis des Spinalnerven entspringt der Medial Branch, der unter anderem das Facettengelenk versorgt.

Somit kommen für eine RF-Denervation Patienten mit chronischen Schmerzen der Facettengelenk oder des ISG in Frage.

Bei der RF-Denervaton wird ein Wechselstromfeld zwischen einer Neutralelektrode auf der Haut und der Sondenspitze erzeugt. Durch den Größenunterschied zwischen Neutralelektrode und Sondenspitze sind die Feldlinien an der Sonde sehr dicht, was dazu führt, dass die Moleküle in der Umgebung der Sonde anfangen zu oszillieren, wodurch Wärme entsteht. Wird die Sonde in der Nähe eines Medial Branch oder eines Lateral Branch platziert (Abb. 2), so kann der Nerv koaguliert werden.

Abb. 2: Durchleuchtungsbild und schematische Darstellung einer Sonde am Medial Branch L4.

Ergebnisse von Studien

Da die RF-Denervation ein invasives Verfahren ist muss natürlich eine Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen. Eine sehr große Zahl von Studien mit unterschiedlichsten Ergebnissen wurde publiziert. So finden sich Studien mit sehr guten Ergebnissen (schmerzfrei, Integration ins Arbeitsleben) für durchschnittlich 15 Monate bei knapp 60 % der Patienten [1] aber auch Studien, die keine bessere Wirkung durch die RF-Denervation im Vergleich zu Physiotherapie alleine sehen [2].

Betrachtet man die vorhandenen randomisierten kontrollierten Studien (RCTs), die eine RF-Therapie mit einer Sham-Prozedur verglichen haben, so gibt es für die HWS gerademal 4 solcher Studien, für die LWS 7 und für das ISG 4. Auch die Ergebnisse dieser Studien sind sehr unterschiedlich. Dies liegt zum einen an der Qualität der Studien. Es finden sich teils sehr kleine Fallzahlen, ein hohes loss to Follow-up, unterschiedliche Patientengruppen oder ein Sponsoring, welches das Ergebnis beeinflussen kann. Auffällig ist aber auch, dass sich die Studien in Bezug auf Indikation zur RF-Denervation und technischer Durchführung unterscheiden.

Abb. 1: Schematische Darstellung des Rückenmarkes, der Nervenwurzeln und des Spinalnerven mit seinen Ästen. Aus dem Ramus dorsalis des
Spinalnerven entspringt der Medial Branch, der unter anderem das Facettengelenk versorgt.
Abb. 2: Durchleuchtungsbild und schematische Darstellung einer Sonde am Medial Branch L4.

Indikation

Eine RF-Denervation kommt nur bei einem spezifischen Rückenschmerz in Frage, der seine Ursache in den Facettengelenken oder dem ISG (incl. dorsalem Bandapparat) hat. Anamnese und klinische Untersuchung sind wichtig, können aber diese spezifische Ursache nicht beweisen, weshalb in der Regel vor einer RF-Denervation Testblockaden durchgeführt werden.

Bei den RCTs wurden Patienten mit chronischen Rückenschmerzen unterschiedlicher Dauer eingeschlossen. An der HWS wurden auch Patienten nach Verkehrsunfall oder mit zervikogenen Kopfschmerzen untersucht. Am ISG spielten klinische Tests eine unterschiedlich große Rolle bei den Einschlusskriterien.

Als Testblockaden kamen intraartikuläre Injektionen in die Facettengelenke oder in das ISG aber auch ein Medial Branch Block in Frage, welcher manchmal (auch Placebo-kontrolliert) wiederholt wurde. Ein Testblock wurde als positiv gewertet, wenn zwischen 50 und 100 % Schmerzreduktion erreicht wurde.

Technik

Auch die technische Durchführung der Denervationen unterscheidet sich in den Studien wesentlich. Die Position der Sonde in Relation zum Nerven (parallel oder rechtwinklig), die Dicke der Sonde, die verwendete Temperatur und die Dauer der Temperaturwirkung und auch die Zahl der Läsionen war unterschiedlich.

Dazu muss noch berücksichtig werden, dass es verschiedene Sondentypen gibt, die vor allem bei der Denervation des ISG Verwendung finden. Neben konventionellen Sonden, bei denen Teilweise die aktive Spitze verändert wurde (2 oder 3 aktive Arme), existieren gekühlte Sonden und bipolare Sonden sowie Sonden mit mehreren aktiven Feldern.

Leitlinie

Es bleiben bei Betrachtung der Studien also viele Unklarheiten und es schwierig, den zu erwartenden Nutzen zu beurteilen und Empfehlungen bezüglich der Patientenauswahl und der zu verwendenden Technik zu geben.

Daher entstand bei der Deutschen Wirbelsäulengesellschaft (DWG) die Idee, eine Leitlinie zu schreiben, die Empfehlungen bezogen auf die Situation in Deutschland gibt. Geplant wurde eine S3-Leitlinie, bei der die Empfehlungen auf einer systematischen Literatur-Recherche beruhen und die Evidenz in der Literatur kritisch bewertet wird. Es wurden acht relevante Fachgesellschaften und Patientenvertreter einbezogen.

Doch wie kann eine solche Leitlinie entstehen, wenn die Informationen aus den RCTs teils widersprüchlich und so schwierig auszuwerten sind? Es wurde eine Auswertungsmöglichkeit gewählt, bei der neben RCTs auch Beobachtungsstudien berücksichtigt werden können. Beim GRADE-System [3] wird die Qualität der Evidenz nicht auf eine gesamte Publikation bezogen sondern es werden Endpunkte formuliert, für die die Qualität der Evidenz in mehrerer Studien gemeinsam bewertet wird. Ein möglicher Endpunkt könnte z. B. die Schmerzreduktion nach 6 Monaten sein, ein anderer die Häufigkeit von Komplikationen. Die Bedeutung des Endpunktes (kritisch, wichtig, von begrenzter Bedeutung) wird beurteilt. Dann erfolgt für jeden Endpunkt die Beurteilung der Qualität der Evidenz. RCTs beginnen mit einer hohen Evidenz, Beobachtungsstudien mit einer niedrigen Evidenz. Die Qualität kann herauf- oder herabgestuft werden (Abb. 3).

Anhand dieser Evidenz können dann in der Leitlinie Empfehlungen und Statements gegeben werden, wobei ein A (⇑ ⇑ soll) für eine starke Empfehlung, ein B (⇑ sollte) für eine Empfehlung und ein 0 (⇔ kann) verwendet wurden.

In einer von der AWMF moderierten Konsensuskonferenz haben die beteiligten Fachgesellschaften dann Ende April 2023 über diese Empfehlungen abgestimmt. In Kürze kann dann die Leitlinie sowie eine Patientenfassung bei der AWMF eingesehen werden.

Abb. 3: Beispiel für eine Evidenzbeurteilung. 4 Studien werden ausgewertet. Es wurden 3 Endpunkte untersucht und gewertet (wichtig,
kritisch). In dem hier gezeigten Beispiel wurde der erste Endpunkt in allen Studien untersucht, der zweite nur in Studie 1, 2 und 4 und der dritte
nur in Studie 1 und 4. Für jeden der drei Endpunkte wir die Qualität der Evidenz nach klaren Kriterien festgelegt.

Folgende Fragen werden von der Leitlinie beantwortet:

  • Die Bedeutung von Anamnese und klinischer Untersuchung für die Auswahl von Patienten.
  • Die Relevanz bildgebender Verfahren für die Indikation zur Denervation.
  • Die Notwendigkeit einer konservativer Therapie vor einer RF-Denervation.
  • Die Durchführung von Testblockaden (intraartikulär, Medial Branch, Lateral Branch, wie oft, welche Medikamente)
  • Die notwendige Schmerzreduktion, damit ein Testblock als positiv gewertet werden kann.
  • Welche Bildgebung geeignet ist, um eine RF-Denervation durchzuführen.
  • Die Parameter bei der Denervation (Temperatur, Dauer, Durchmesser der Kanüle).
  • Der Typ der Sonde (konventionell monopolar, bipolar, cooled).
  • Die Lage der Sonde zum Nerven (parallel, rechtwinklig).
  • Die Notwendigkeit einer Teststimulation sensorisch oder motorisch.
  • Die Möglichkeit, eine RF-Denervation zu wiederholen.
  • Die Notwendigkeit, blutverdünnenden Medikamente oder Thrombozytenaggregationshemmer vor der Denervation abzusetzen.
  • Die Möglichkeit einer RF-Denervation bei Metall-Implantaten (Spondylodese).
  • Die Möglichkeit einer RF-Denervation bei Herz-Schrittmacher oder Defibrillator.
  • Mögliche Komplikationen­­.

Zusammenfassung

Die neue S3-Leitlinie zur Radiofrequenz-Denervation an den Facettengelenken und dem ISG liefert evidenzbasierte, konkrete Empfehlungen zur Patientenauswahl, Indikation und zum technischen Vorgehen bei Testblockaden und bei der Denervation.

Prof. Dr. med. Stephan Klessinger
Neurochirurgie Biberach
Eichendorffweg 5
88400 Biberach
klessinger@neurochirurgie-bc.de

Literatur auf Anfrage bei der Redaktion

 

Medikamentöse Therapie des Arthroseschmerz

Laut der Global-Burden-of-Disease-Studie zählen muskuloskelettale Schmerzen zu den führenden Ursachen einer beeinträchtigten Gesundheit [GDB 2019]. Der typische Arthrosepatient ist älter als 45 Jahre, hat mehr als eine Komorbidität, nimmt in der Regel multiple Medikationen und hat darüber hinaus noch andere altersbedingte muskuloskelettale Veränderungen.

Nicht-Opioid-Analgetika (NOPA)

Paracetamol: Paracetamol wird in Leitlinien nicht mehr empfohlen wird. Die analgetische Wirkung ist zu gering und die freie Verfügbarkeit für den Patienten führt schnell dazu, dass der Patient mit seiner Dosierung in einen hepatotoxischen Bereich kommt.

Metamizol: Metamizol ist gut verträglich und ein sehr verbreitetes Präparat zur Schmerzlinderung. Es ist als Schmerzmittel im Bereich von O&U weit verbreitet, hat jedoch kein Label für die Erstanwendung bei der Arthrose. Die primäre Indikation liegt im Bereich der perioperativen Schmerztherapie sowie bei Schmerzzuständen, die anders schon frustran gehandelt wurden. Daneben ist dringend eine Risiko- und Sicherungsaufklärung zu beachten (Jerosch et al. 2017).

NSAR: NSAR stellen eine weitgehend heterogene Gruppe dar, welche eine nicht-selektive und reversible Hemmung der Cyclooxygenasen (COX-1 und COX-2) bewirken. Hierbei unterscheiden sie sich von den Coxiben, die hoch-selektiv COX-2 hemmen. Gastrointestinale sowie kardiovaskulären Nebenwirkungen von sind jedoch von erheblicher Relevanz [Pelletier et al. 2016]. Hierbei wurde die Hemmung von COX-2 mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko assoziiert [Rao et al. 2008], weshalb diese bei erhöhtem kardiovaskulärem Risiko kontraindiziert sind. Hier bietet die topische Applikation von NSAR in Form von Gelen oder Pflastern eine sehr gute Alternative. Aufgrund der zu erwartenden geringeren systemischen Exposition gegenüber einer oralen Gabe ist das Risiko für unerwünschte Nebenwirkungen bei dieser Applikationsform deutlich verringert bei vergleichbarer Wirksambarkeit [Derry et al. 2016].

Wichtig ist, dass NSAR und COX-Hemmer niemals kombiniert werden, da sich die Nebenwirkungen dabei ebenfalls addieren. Zu Dosierungen und Kontraindikationen für einige der wichtigen NOPA siehe Tab.1.

 

Tab.1: Risikoprofil von NOPAs (Freys S, Pogatzki-Zahn E, 2020)

Verabreichungsform Dosierungen bei (gesunden) Erwachsenen* Kontraindikationen
Diclofenac

 

p.o.

supp.
i.m./s.c.

3 x 50 mg/d
retard: 2 x 75mg/d
25-100 mg 2-3x/d
75-150 mg einmaligMaximale Tagesdosis:

200 mg (2 mg/kg)

Allergie, Asthma, COPD,
Ulzera im Gastrointestinaltrakt, Anamnese chronischer Magen-Darm-Beschwerden,
koronare Herzerkrankung und Herzinsuffizienz (NYHA II-IV),Z.n. Herzinfarkt oder Apoplex,akute oder chronische Niereninsuffizienz (Kreatininclearance < 30 ml/min), schwere Leberfunktionsstörungen (Albumin < 25 g/l),

Volumenmangel, Schock,
Porphyrie, Schwangerschaft und Stillzeit

Parecoxib i.v. 2 x 20–40 mg/d

 

 

 

 

Maximale Tagesdosis:

80 mg

Allergie, Asthma,
aktives peptisches Ulkus oder akute gastrointestinale Blutung,
koronare Herzerkrankung und Herzinsuffizienz (NYHA II-IV),
Z.n. Herzinfarkt oder Apoplex,
akute oder chronische Niereninsuffizienz (Kreatininclearance < 30 ml/min), schwere Leberfunktionsstörungen (Albumin < 25 g/l),
Schwangerschaft, Stillzeit,
nicht eingestellter Hypertonus (relativ)
Ibuprofen

 

p.o.

supp.
i.v./s.c.

2-3 x 200-800 mg/d
retard: 2-3 x 800 mg/d2-4 x 600 mg/d
2-3x/400-600 mg

 

Maximale Tagesdosis:

2400 mg

Allergie, Asthma, COPD,
Ulzera im Gastrointestinaltrakt, Anamnese chronischer Magen-Darm-Beschwerden,
schwere Leber-, Nieren- oder Herzinsuffizienz,
Volumenmangel, Schock,
Schwangerschaft (3. Trimenon) und Stillzeit (bei unreifen Neugeborenen bzw. ductusabhängigen Vitien)
Metamizol

 

p.o.

supp.
i.v.

4 x 500-1000 mg/d
3-4 x 20-40 Trpf.
20 Trpf. = 500 mg
3-4 x 1000 mg
1 g/ 2,5 gMaximale Tagesdosis:

5 – 6 g

Allergie, Asthma,
Volumenmangel, Schock
Hämatopoesestörungen (Leuko-, Granulozytopenie),
Porphyrie,
Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenasemangel,Schwere Leber- und Niereninsuffizienz
Schwangerschaft, Stillzeit
Paracetamol

 

p.o.
supp.
i.v.
3-4 x 500-1000 mg

 

 

Maximale Tagesdosis:

4 g

Bekannte Unverträglichkeit,
schwere Leber- und Niereninsuffizienz,
Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel,
Alkoholabusus, chronische Mangelernährung

*Bei älteren Patienten ggf. reduzieren

 

Insoweit NSAR nicht ausreichend wirksam sind, kontraindiziert sind oder das Risiko für unerwünschte Wirkungen erhöht sind, wird nach der AWMF-Gonarthroseleitlinie die Verwendung von Glucosamin oral, Hyaluronsäure oder Corticosteroiden intraartikulär empfohlen.

Glucosamine: Die orale Gabe von Glucosaminen oder vergleichbaren Nahrungsergänzungsmitteln wirkt sehr langsam und zeigen erst nach 4-8 Wochen einen eventuell positiven Effekt (Bruyere et al. 2004, Clegg et al. 2005, Kahan et al. 2008).

Intraartikulare Corticoidgabe: Corticosteroide haben den raschesten Wirkeintritt und sind für etwa 3 Monate wirksam (Jerosch/Heisel 2010, Jerosch 2015). Bei Patienten, bei denen ein entzündlicher Schub einer Gonarthrose (aktivierte Arthrose) im Vordergrund steht, kann die intraartikuläre Applikation eines Steroids in Betracht gezogen werden.

Die Kombination Corticosteroid/Hyaluronsäure kann zu einer schnellen Linderung der Beschwerden führen. Eine Metaanalyse von Bannuru et al. (2015) konnte zeigen, dass die alleinige Injektion von Corticosteroid bis zu 4 Wochen hinsichtlich Schmerzreduktion effektiver war, als die Injektion von Hyaluronsäure alleine. Zwischen der 4. und 8. Woche waren die Ergebnisse vergleichbar und nach der 8. Woche zeigte die alleinige Applikation von Hyaluronsäure eine größere Effektivität.

Intraartikulare Hyaluronsäure (HA): HA wird seit mehreren Jahrzehnten bei der symptomatischen Behandlung von Arthrosen eingesetzt. Trotz einer Vielzahl an wissenschaftlichen Untersuchungen ist die Wirksamkeit dieser Therapieform in der Literatur nach wie vor umstritten. Eine klinisch relevante Schmerzhemmung wird in neueren und hochwertigen Metaanalysen beschrieben.

Die ESCEO-Gruppe formuliert eine praxisorientierte Argumentation und beschreibt Patienten, die besonders von einer HA-Therapie profitieren können. Die intraartikuläre Applikation von HA stellt aufgrund anderer Nebenwirkungen eine Behandlungsalternative zu NSAR dar, insbesondere bei Patienten, für die es Kontraindikationen für NSAR gibt. Auch kann die intraartikuläre HA Applikation zu einem verminderten Verbrauch an NSAR führen. Während Rutjes et al. (2012) relevante Nebenwirkungen bei der Verwendung von HA sahen, stellten Bannuru et al. (2015) weniger Studienabbrüche bei HA aufgrund von unerwünschten Wirkungen im Vergleich zu oralen Therapien (NSAR, Paracetamol) fest. Auch hat die intraartikuläre HA Applikation andere unerwünschte Wirkungen als die oralen Behandlungsoptionen wie beispielsweise NSAR, Opioide und Paracetamol. So sind Gelenkreaktionen nach intraartikulärer HA Applikation normalerweise mild und moderat mit nur geringem Knieschmerz, welcher durch Schonung, Eis und Analgetika gut zu behandeln ist. Die Beschwerden dauern üblicherweise nur wenige Tage an. Eine lokale oder allgemeine Überempfindlichkeitsreaktion ist selten.

HA-Präparate haben eine Wirkdauer von 6-12 Monaten. Die Effektgröße hinsichtlich Schmerz in Metaanalysen liegt zwischen 0,34 (0,22 – 0,46) und 0,63 (0,36 – 0,88); Effektgröße nach 4 Wochen ist besser als bei anderen pharmakologischen Behandlungen (Cox-2, NSAIDs, i.a. Corticoid und Paracetamol) (Henrotin et al. 2015). Insgesamt gibt es mehr als 100 vermarktete HA-Produkte weltweit. Diese differieren erheblich hinsichtlich des Ursprungs (tierische oder bakterielle Fermentation), des Molekulargewichtes (von 0,7 bis 3 MDa), der molekularen Struktur (linear, cross-linked, mixed oder beides), der Methode der cross-link Konzentration (0,8 bis 30 mg/ml), dem rheologischen Verhalten (Gel oder flüssig). Einige sind assoziiert mit anderen Molekülen (Mannitol, Sorbitol, Chondroitin Sulfat) mit unterschiedlichen Konzentrationen. Auf Grund dieser Rahmenbedingungen gibt es keine einzelne Klasse von HA-Produkten. Metaanalysen zeigen jedoch eine Überlegenheit von HA mit hohem Molekulargewicht (Vannabouathong et al. 2018, Hummer et al. 2019, Altman et al. 2016, Bhandari et al. 2017).

Durch eine gute Wahl des Injektionszeitpunktes, Berücksichtigung der Kellgren Lawrence Situation, der Co-Medikation sowie der Co-Therapie wird man den Effekt von Hyaluronsäuren auch optimieren können (Conrozier et al. 2020).

Während die oben genannten Therapieansätze rein als Schmerzreduktion anzusehen sind (SYSADOA) ergeben sich bei hochmolekularen Hyaluronsäuren durchaus auch Hinweise auf eine Beeinflussung der Knorpelstoffwechsel an sich (DMOAD). Insbesondere französische rheumatologische Arbeitsgruppen konnten zeigen, dass bei der intraartikulären Gabe von hochmolekularen Hyaluronsäuren eine Reduzierung des CTX-II nachweisbar ist und somit der Knorpelstoffwechsel an sich positiv beeinflusst wird (Henrotin et al. 2013, Conrozier et al. 2012). Der DMOAD Effekt wird in der Zukunft zunehmend interessanter werden (Henrotin et al. 2020). Aus den o.g. Gründen sind Hyaluronsäuren zwischenzeitlich in vielen internationalen Arthrose-Leitlinien als positiv bewertet worden.

PRP: Plättchenreiches Plasma (PRP) sowie vergleichbare Präparate (APC: Autologes Plättchenkonzentrat, ACS: Autologes konditioniertes Serum, BCS: blood clod secretom) werden im Rahmen der Injektionstherapie zunehmend im klinischen Alltag verwendet und in der Literatur evaluiert. Die Zubereitungsformen sind je nach Firma jedoch sehr unterschiedlich, sodass PRP nicht gleich PRP ist. PRP zeigt im Rahmen knorpelregenerativen Maßnahmen in Grundlagenarbeiten einen Vorteil bezüglich der Chondrozytenpoliferation und der Produktion von extrazellulärer Matrix. Ein fraglicher Effekt besteht auch in der klinischen Anwendung nach Mikrofrakturierung.

Ein Konsensuspapier der ESSKA (European Society of Sports Traumatology, Knee Surgery & Arthroscopy) von 2022  fasst die Ergebnisse von klinischen Studien der Stufen I und II sowie zusätzliche prospektive Studien zusammen (https://cdn.ymaws.com/www.esska.org/resource/resmgr/docs/consensus_projects/2203_orbit_brochure_spread.pdf). Es belegt die Wirksamkeit von PRP bei der Behandlung von Kniearthrose. Die Konsensusgruppe kommt zu dem Schluss, dass es genügend präklinische und klinische Belege gibt, um die Verwendung von PRP bei Kniearthrose zu empfehlen bzw. zu unterstützen. Die Überlegenheit von Präparaten einzelner Hersteller ist aufgrund der Datenlage noch nicht möglich.

Infiltrationskombinationstherapien

In der Literatur und im klinischen Alltag haben sich unterschiedliche Infiltrationskombinationstherapien entwickelt und teilweise bereits etabliert.

Cortison mit Lokalanästhesie: Diese Kombination führt aufgrund der Lokalanästhesiekomponente zu einer raschen Schmerzlinderung. Es hat sich jedoch gezeigt, dass Lokalanästhesie auch eine schädigende Wirkung auf Knorpelzellen haben, dieses insbesondere in experimentellen Studien. Durch das Cortison kommt es zu einer Reduktion der entzündlichen Komponente im Gelenk. Es ist jedoch auch ein schädigender Effekt auf Knorpelzellen bekannt.

Cortison mit Hyaluronsäure: Die Kombination von Cortison mit Hyaluronsäure wird im klinischen Alltag schon lange verwendet. In experimentellen und klinischen Studien zeigen sich hier vielversprechende Ergebnisse (Moser et. al.2021), sie konnten zeigen, dass bei kultivierten Knorpelzellen mit drei verschiedenen Lokalanästhetika (Lidocain, Bupivacain, Ropivacain), mit Cortison / Hyaluronsäure sowie der Kombination von Cortison und Hyaluronsäure, die Kombination mit der Hyaluronsäure zu einer geringeren Knorpelschädigung führt, als wenn Cortison und Lokalanästhetikum alleine verwendet wird. Bauer et al. (2016) zeigten in einer experimentellen Untersuchung, dass Cortison gemeinsam mit Hyaluronsäure sowohl einen antiinflammatorischen Effekt als auch gleichzeitig einen knorpelschonenden Effekt zeigt.

Hangody et al 2018 untersuchten in einer multizentrischen RCT den klinischen Effekt von Hyaluronsäure in Kombination mit Cortison bei der Gonarthrose. Als Placebo wurde Kochsalz verwendet. Hier zeigte sich, dass die Kombinationstherapie von Cortison und Hyaluronsäure dem Placebo in den ersten Wochen klinisch überlegen war.

Hyaluronsäure und PRP: Die Hyaluronsäure mit PRP zeigte in Metaanalysen, dass PRP gemeinsam mit Hyaluronsäure sowohl im WOMAC-Score als auch beim VAS-Score nach 12 Monaten bessere Ergebnisse zeigte als die alleinige Hyaluronsäuregabe (Karasavvidis et al. 2021, Bansal et al. 2021, Kim et al. 2021, Baria et al. 2022).

Opioide: Für Patienten mit chronischem Arthroseschmerz sind Opioide gemäß LONTS nur nach dem Versagen nicht-medikamentöser Therapie und/oder der Wirkungslosigkeit bzw. Kontraindikation anderer Analgetika und/oder einem nicht durchführbaren bzw. nicht gewünschten Gelenkersatz indiziert. Allgemein scheint jedoch gerade bei älteren Patienten eine Opioidgabe nur mit geringer analgetischer Wirkung und funktionaler Verbesserung bei gleichzeitig erhöhtem Nebenwirkungsrisiko beim Arthroseschmerz einherzugehen [Megale et al. 2018]. Schwach wirkende Opioide können bei nicht operablen Patienten oder Patienten, die für kurze Zeit bis zu einer Operation begleitet werden, sinnvoll sein. Hier muss jedoch auf eine adäquate Ko-Medikation geachtet werden, um unerwünschten Wirkungen der Opioide zu begegnen (LONTS Leitlinien).

Bisphosphonate: Bisphosphonate können eventuell einen positiven Effekt auf Schmerzen beim Knochenödem haben, jedoch keinen positiven Effekt auf den Gelenkknorpel (Cai et al. 2020).

Antikörper: Klinische Studien zeigten die Effektivität von monoklonalen Antikörpern gegen den Nervenwachstumsfaktor (NGF) für die Therapie von Arthroseschmerzen. Allerdings wurde dieser Therapie durch die FDA die endgültige Zulassung versagt, weil die sie in einzelnen Fällen mit einer rasch progredienten Arthroseentwicklung verbunden war. Dennoch werden in der Forschung derartige Konzepte weiter evaluiert (Schaible 2021).

Prof. Dr. med. Dr.h.c. Jörg Jerosch
Neuss

 

Literatur auf Anfrage bei der Redaktion.

 

 

Die Behandlung bei der Coccygodynie

Die Coccygodynie ist eine Erkrankung, die durch Schmerzen im Bereich des Steißbeins gekennzeichnet ist. Die Symptome können von leichten Beschwerden bis hin zu starken Schmerzen reichen, die das tägliche Leben dauerhaft beeinträchtigen können.

Bereits 1859 beschrieb Simpson die Coccygodynie als schmerzhaften Zustand beim Sitzen und Aufstehen (1). Wegen der Kuckucksschnabel ähnlichen Form des Steißbeins, leitet sich das Wort Coccygodynie aus den beiden griechischen Wörtern „Coccyx“ wegen der Anatomie und „Dynie“ für den Schmerz verwendeten Nachsilbe ab (2). Typischerweise berichten die Patienten über Schmerzen im Sitzen, die sich bei Lageänderung verstärken und häufig, vorallem nach längerer Schmerzdauer um das Steißbein herum ausstrahlen. Teilweise werden auch Schmerzen bei der Defäkation berichtet. Da das Krankheitsbild der Coccygodynie bis heute nicht immer ernst genommen wird, berichten Patienten von einer verzögerten oder häufig auch keiner Behandlung, trotz einer Vielzahl an Arztbesuchen.

In diesem Artikel werden die Ursachen, Symptome und Behandlungsmöglichkeiten von Coccygodynie genauer betrachtet.

Anatomie

Das Steißbein ist das dreieckige Endstück der Wirbelsäule. Obwohl der Singularbegriff “Steißbein” impliziert, dass es sich um einen einzelnen Knochen handelt, besteht es in der Regel aus 2 bis 5 separaten Wirbelkörpern, mit erheblicher Variabilität. Bis auf das erste Bandscheibenfach treten sie häufig fusioniert auf. Untersuchungen von Maigne haben auch gezeigt, dass die Bandscheibenzwischenräume auch gelenkartig mit knorpligen Anteilen angelegt sein können, was ebenfalls zu einer pathologischen Beweglichkeit führen kann (3).

Die Verbindung zum Kreuzbein ist das Sacrococcygeal-Gelenk. Trotz des Begriffs Gelenk ist dort eine faserknorpelige Bandscheibe enthalten, nur in Einzelfällen konnte Gelenknorpel nachgewiesen werden (4). Zudem verfügt das 1. Steissbeinsegment über rudimentäre, bilaterale Facettengelenke. Die normale Beweglichkeit dieser Zwischenwirbelräume besteht in einer leichte Ventralflexion z. B. beim Sitzen.

Neben den beiden Sitzbeinhöckern (Tuber ischiadicum) kann das Steißbein biomechanisch als Dreibein zur Stabilisierung der sitzenden Position angesehen werden (5).

Nozizeptiv und sympathisch wird das Steißbein durch das Ganglion impar, dem unpaarigen Ende des Grenzstrangs mit afferenter Innervation aus dem Perineum, dem distalen Rektum, dem Anus, der distalen Harnröhre und der distalen Vagina versorgt. Die Lage des Ganglions impar kann variieren, liegt aber im Allgemeinen nahe der Mittellinie ventral des ersten Bandscheibenzwischenraumes (6).

Ätiologie

Die Inzidenz von Steißbeinbeschwerden wird mit 1% angegeben, die Dunkelziffer liegt jedoch deutlich höher. Als Ursachen werden direkte vertikale Traumata, wiederholte Mikrotraumata oder bei Frauen der natürliche Geburtsvorgang benannt. Somit sind Kinder sehr selten betroffen und Frauen 4–5-mal häufiger als Männer (7). Die Folgen eines direkten Traumas können von Prellungen bis hin zu Fraktur-Dislokation des Steißbeins variieren. Eine knöcherne Fraktur ist dabei jedoch selten, eher kommt es zu einer Zerreißung in einem der rudimentären Bandscheibenfächer. Eine traumatische oder nicht-traumatische Beeinträchtigung der Steißbeinbänder kann zu einer dynamischen Instabilität des Steißbeins führen (übermäßige Bewegung des Steißbeins während der Belastung oder beim Sitzen).

Weitere Risikofaktoren in der Literatur sind Adipositas und schneller Gewichtsverlust, da die dämpfende Wirkung des Fetts verloren geht (4,8,9). Der Autor kann jedoch die Aussage zur Adipositas nicht bestätigen, da es sich vermehrt um schlankere Patienten handelt.

Sollte, entgegen der Versorgungsrealität, noch keine weitere Abklärung anderer Ursachen erfolgt sein, müssen schwerwiegendere Gründe, wie z. B. Infektionen (einschließlich Weichteilabszesse und Osteomyelitis), gynäkologische Gründe (Endometriose), urologische Ursachen (Prostatitis) oder Malignität (Chordom) jedoch ausgeschlossen werden (10).

Steißbein kann auch ein übertragener Schmerz aufgrund von Erkrankungen des unteren Gastrointestinaltrakts oder des Urogenitaltrakts sein (9).

Die Anamnese des typischen Patienten

Man könnte sagen, dass sich die Symptome seit der Erstbeschreibung einer klinischen Symptomatik durch Thiele 1963 nicht wesentlich geändert haben [17]. Er beschreibt die Patienten mit scharfem Stechen oder manchmal einem Schmerz in den unteren Kreuzbein- oder Steißbeinsegmenten, insbesondere beim Sitzen auf ebenen und harten Oberflächen. Die Schwere der Schmerzen variiert.  Aktivitäten, die zu einer erhöhten Belastung des M. levator ani führen, wie Stuhlgang und Geschlechtsverkehr, können bei solchen Patienten ebenfalls zu einer Verstärkung der Symptome führen. Klassisch berichten die Patienten auch von Schmerzen beim nach hinten neigen im Sitzen, so dass Autofahren und Sitzen auf dem Sofa als unangenehm beschrieben werden. Gerade die Sitzposition im Auto wird als extrem schmerzhaft beschrieben, obwohl in der Regel schon ein Ringsitzkissen eingesetzt wird. Die wenigsten haben Schmerzen beim Gehen und im Liegen. Der Großteil bevorzugt weiche Sitzunterlagen.

Fast alle Patienten fühlen sich nicht ernst genommen und sind in ihrer Lebensqualität maximal eingeschränkt. Viele Patienten berichten zudem, dass sie das Gefühl hätten, das Steißbein bewege sich bei Lageänderung.

Klinische Untersuchung

Bei der körperlichen Untersuchung sollte zunächst die typische Sitzhaltung des Patienten, welche nach vorne geneigt ist, beachtet werden. Als nächstes kann die Palpation der darüber liegenden Haut, des Steißbeins und der angrenzenden Bänder und Muskeln fokale Druckempfindlichkeit zeigen [18]. Danach ist es wichtig, das schmerzhafte Areal zu palpieren und den die druckdolente Stelle von den cranialen Sacrumanteilen abzugrenzen. Typisch ist ein Druckschmerz direkt an der Steißbeinspitze. Dort kann auch eine ventrale Instabilität oder eine Subluxation getastet werden. Um einen besseren Eindruck über eine dorsale Instabilität zu bekommen ist eine rektale Untersuchung nötig (11).

Bildgebung

Wenn man eine konventionelle Röntgenaufnahme des Steißbeins in zwei Ebenen anfordert, werden diese meistens seitlich im Liegen, manchmal auch im Stehen durchgeführt. Die Patienten haben jedoch meistens weder im Liegen noch im Stehen Beschwerden, so dass sich auf den Bildern so gut wie nie eine Pathologie zeigt. Dazu kommt noch die enorme Variabilität des Steißbeins, die eine Beurteilung über das Vorliegen einer Pathologie je nach Beurteiler erschwert.

Bereits 1994 veröffentlichten Maigne et al aus Paris die Technik der dynamischen Funktionsaufnahmen des Steißbeins in seitlich stehender und sitzender Position (12,13). Dabei wird zunächst eine Aufnahme im Stehen und nach 5-minütigem Sitzen in schmerzhafter, reklinierter Position im Sitzen angefertigt. In der Originalpublikation wurden die Folien der Aufnahmen übereinandergelegt und eine Winkelbeweglichkeit von mehr als 25° oder weniger als 5° als abnormal beschrieben.

In der Versorgungsrealität ist diese Art der Bildgebung jedoch weitgehend unbekannt und auch schwierig anzufordern. Selbst mit detaillierter Überweisung kommt es zu Schwierigkeiten. Diese Erfahrungen machte nicht nur der Autor schon häufig, sondern werden auch aus anderen Ländern berichtet (9).

Aus Sicht des Autors sind die Funktionsaufnahmen der Goldstandard in der Diagnosestellung und sollten immer durchgeführt werden. Da durch die Digitalisierung die ursprüngliche Messmethode von Maigne heutzutage nur schwer durchführbar ist, wurde vom Autor 2021 die Benditz-König Klassifikation veröffentlicht, um eine schnelle Einschätzung des digitalen Röntgenbildes zu ermöglichen (14). Es werden 4 Typen unterschieden. Bei Typ I handelt es sich um ein langes Segment das nach ventral mehr als 15° abkippt, bei Typ II um mehrere Segmente. Typ II war der häufigste Typ. Typ III und IV beschreiben Subluxationen nach dorsal, wobei mehr als 50% der Typ IV Patienten operiert wurden, was im Vergleich zu Typ I und II signifikant erhöht ist. (Abb. 1)

Die AP-Aufnahmen hat nur einen geringeren Stellenwert in der Diagnosestellung und wird aus Strahlenschutzgründen nicht regelhaft benötigt. Sollte die klinische Untersuchung eine laterale Achsdeviation vermuten lassen, so ist die Aufnahme zur Verifikation sinnvoll.

Therapie

Konservative Therapie

In der Literatur sind viel verschiedene konservative Behandlungsmethoden beschrieben. Laut Literatur sind konservative Maßnahmen auch in 90% der Fälle erfolgreich [23]. Sie immer vollumfänglich ausgeschöpft werden und über mindestens 6 Monate nach Beginn der Schmerzen probiert werden, bevor eine Operation in Betracht gezogen werden kann.

Trotz spärlicher Beweise in der Literatur, sollten im als Erstes nicht-steroidale entzündungshemmenden Medikamenten in Kombination mit einem Ringsitzkissen oder Keilkissen verordnet werden. Zudem kann Krankengymnastik zum Haltungstraining eingesetzt werden.

Je nach dargestellter Instabilität in der Bildgebung gibt es zwei Ansätze für die manuelle Therapie. Geht man von einem Spasmus der Beckenbodenmuskulatur (M. levator ani) aus, (in der Bildgebung nur geringe Instabilität) so spielt das Massieren der langen Fasern des Levator ani eine Rolle bei der Linderung der Muskelkrämpfe und der Unterbrechung des Teufelskreises der Schmerzen [17].

Thiele beschreibt eine zentrale Rolle des Levator-ani-Spasmus, da Steißbeinkrämpfe zusätzlich Schmerzen verursachen und die Degeneration der Kreuzbein- und Steißbeingelenke fortschreitet, was wiederum zu mehr Krämpfen führt.

Bei Patienten mit erheblicher Instabilität dagegen führen Massagen zu einem eher schlechten Ergebnis, so dass Maigne in diesen Fällen eine Steißbeinmanipulation empfiehlt. Dabei sollte mit dem Finger innerhalb des Rektums und dem Daumen außen das Steißbein umgriffen werden. Weiterhin sollte die Steißbeinstreckung nach Manipulation für einige Minuten aufrechterhalten werden, indem mit dem Zeigefinger Gegendruck auf das Steißbein und mit der anderen Hand Druck nach hinten auf das untere Kreuzbein ausgeübt wird [24]. Diese Behandlungen werden auch von Osteopathen häufig erfolgreich durchgeführt.

Sollten diese nicht invasiven Behandlungsmethoden nicht zum Erfolg führen, sollten Injektionen mit Lokalanästhetikum und Steroiden zum Einsatz kommen. Dabei hat die Lokalanästhetikagabe auch eine diagnostische Funktion, um ein mögliches operatives Ergebnis abzuschätzen. In der Literatur werden bildwandlergestützte, CT-gesteuerte oder Freihandinjektionen beschrieben. Ziel ist dabei die Umflutung des schmerzhaften Areals [2,7]. Der Autor verwendet zur Diagnosesicherung bei Erstinfiltration 2ml Mecain 1% und 10mg Triamcinolon, als therapeutische Infiltration dann im Abstand von einigen Wochen 40mg Triamcinolon und 4ml Mecain 1% (11,15).

Eine Sonderform der Injektion ist der Ganglion-Impar-Block. Dieser ist ebenfalls mit unterschiedlichen Techniken in der Literatur vertreten. Unter Bildgebung (CT, Bildwandler) wird dabei das ventral des ersten Bandscheibenfaches gelegene Ganglion entweder direkt durch die Bandscheibe oder von seitlich kommend zunächst mit Kontrastmittel dargestellt (reversed C-sign) und dann infiltriert [25–28].

 

Operative Therapie

Bei nicht Ansprechen oder nur kurzem Ansprechen der konservativen Methoden, besteht die Möglichkeit der operativen Entfernung des Steißbeins, der Coccygektomie. Obwohl in den meisten Fachkreisen umstritten und negativ belegt, zeigt die Literatur eine Erfolgsrate von 85-100% [8,33–37]. Aus Sicht des Autors ist die Auswahl der zu operierenden Patienten wie immer der Schlüssel zum erfolgreichen Ergebnis. Es sollte mindestens 6 Monate ein konservativer Therapieversuch gelaufen sein, eine deutliche klinische und radiologische Instabilität vorliegen und die Testinfiltration mittels Lokalanästhetikum positiv gewesen sein. Wichtig, ist ebenfalls die Aufklärung des Patienten, dass die Schmerzen nicht sofort nach der OP verschwunden sind und der Wundschmerz auch noch mehrere Monate nach der OP anhalten kann.

Technisch sind verschiedene Methoden beschrieben. Prinzipiell unterscheidet man die totale von einer partiellen Coccygektomie. Je nach Literatur sind beide gleich erfolgreich, wobei bei der partiellen Coccygektomie Rezidive beschrieben sind. Der Autor setzt das Steißbein immer an der instabilen Stelle ab, um möglichst wenig Kollateralschaden zu verursachen.

Zur Vermeidung von Infektionen sollte eine gute Abdichtung der Naht und des Pflasterverbandes stattfinden. Einige Autoren empfehlen eine 48h Antibiose, um Infektionen und wundbezogene Komplikationen, einschließlich Wunddehiszenz und verzögerter Heilung zu vermeiden [40].

 

Fazit

Patienten mit Steißbeinbeschwerden sollte frühzeitig ernst genommen werden. Wenn sich ein Patient mit typischen Druckschmerzen über der Steißbeinspitze vorstellt und diese Schmerzen bei Lageänderungen auch noch verstärkt werden, sollte zwingend eine Röntgenfunktionsaufnahme des Steißbeins seitlich im Stehen und Sitzen durchgeführt werden. In der Zwischenzeit kann ein Therapieversuch mit NSAR und Ringsitzkissen gestartet werden. Nach Vorliegen der Aufnahmen sollte eine Testinfiltration des Steißbeins, ggf. unter Bildwandler mit Lokalanästhetikum und einem Glukokortikoid durchgeführt und bei Bedarf wiederholt werden. Sollte dies zu keiner dauerhaften Besserung führen, ist die Coccygektomie durch einen erfahrenen Behandler sicher und gut wirksam.

 

Prof. Dr. med. Achim Benditz, MHBA
Sektion Orthopädie und Wirbelsäulentherapie
Klinikum Fichtelgebirge Marktredwitz
Schillerhain 1-8
95615 Marktredwitz
E-Mail: info@professor-benditz.de

 

Literatur

  1. Simpson J. Coccygodynia and disseases and deformities of the coccyx. Med Times Gaz. 1859;40:1–7.
  2. Garg B, Ahuja K. Coccydynia-A comprehensive review on etiology, radiological features and management options. Journal of clinical orthopaedics and trauma. 2021 Jan;12(1):123–9.
  3. Maigne JY, Lagauche D, Doursounian L. Instability of the coccyx in coccydynia. J Bone Joint Surg Br. 2000;82-B(7):1038–41.
  4. Maigne JY, Lagauche D, Doursounian L. Instability of the coccyx in coccydynia. J Bone Joint Surg Br. 2000;82(7):1038–41.
  5. Lirette LS, Chaiban G, Tolba R, Eissa H. Coccydynia: an overview of the anatomy, etiology, and treatment of coccyx pain. Ochsner J. 2014;14(1):84–7.
  6. Kerr EE, Benson D, Schrot RJ. Coccygectomy for chronic refractory coccygodynia: clinical case series and literature review. J Neurosurg Spine. 2011;14(5):654–63.
  7. Benditz A, König MA. [Therapy-resistant coccygodynia should no longer be considered a myth : The surgical approach]. Orthopade. 2019 Jan;48(1):92–5.
  8. Maigne JY, Doursounian L, Chatellier G. Causes and mechanisms of common coccydynia: role of body mass index and coccygeal trauma. Spine (Phila Pa 1976). 2000;25(23):3072–9.
  9. Mabrouk A, Alloush A, Foye P. Coccyx Pain [Internet]. StatPearls. 2021 [cited 2021 Oct 3]. Available from: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/33085286
  10. Patijn J, Janssen M, Hayek S, Mekhail N, van Zundert J, van Kleef M. 14. Coccygodynia. Pain Pract [Internet]. 2010 [cited 2022 Oct 23];10(6):554–9. Available from: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/20825565/
  11. Benditz A. Coccygodynia—An often underestimated clinical picture. Z Rheumatol. 2022;
  12. Maigne JY, Guedj S, Straus C. Idiopathic coccygodynia: Lateral roentgenograms in the sitting position and coccygeal discography. Spine (Phila Pa 1976). 1994 Apr 15;19(8):930–4.
  13. Maigne JY, Tamalet B. Standardized radiologic protocol for the study of common coccygodynia and characteristics of the lesions observed in the sitting position. Clinical elements differentiating luxation, hypermobility, and normal mobility. Spine (Phila Pa 1976). 1996;21(22):2588–93.
  14. König MA, Grifka J, Benditz A. A novel radiological classification for displaced os coccyx: the Benditz-König classification. Eur Spine J [Internet]. 2021 Sep 8 [cited 2021 Oct 2]; Available from: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/34495391
  15. Benditz A, Koehl P, Necula R, Schuh A. Coccygodynia. MMW-Fortschritte der Medizin. 2022 Sep 1;164(15):44–5.

 

 

 

 

 

 

 

Anwendungsgebiete für Botulinumtoxin in der orthopädisch-unfallchirurgisch-schmerztherapeutischen Praxis

Die Orthopädie und Unfallchirurgie beschäftigt sich mit den angeborenen und erworbenen Störungen und Verletzungen am Stütz- und Bewegungsapparat. Was liegt also näher, als sich mit einem Medikament zu beschäftigen, welches in der Lage ist, einen Muskel für eine gewisse Zeit zu schwächen und damit positive Effekte zu erzielen, gefährdete Strukturen zu schützen, Schmerzen zu lindern und Ungleichgewichte zu reduzieren?

Botulinumtoxin ist ein Exotoxin des stäbchenförmigen anaeroben Bakteriums Clostridium botulinum, welches in verschiedenen Subformen existiert. Die meisten Typen sind human- und/oder tierpathogen, bei manchen Typen ist die Pathogenität nicht bekannt. Botulinumtoxine werden teilweise gleichzeitig auch in verschiedenen Typen vom gleichen Bakterium produziert, in seltenen Fällen handelt es sich auch um Toxine anderer Clostridienarten. Der Subtyp Botulinumtoxin A gilt als das weltweit bekannteste stärkste Gift. Die dazugehörige Erkrankung wird Botulismus genannt, europaweit treten durchschnittlich ca. 100 Fälle pro Jahr auf, wobei diese Zahl im Jahr 2023 durch eine neue iatrogene Anwendung ansteigen dürfte – vorwiegend im südosteuropäischen Raum erfolgte ohne Zulassung gehäuft die endoskopische Infiltration der Magenmuskulatur mit dem Ziel der Motilitätssenkung zur Gewichtsabnahme, wobei es in größerer Anzahl zu klinisch relevanten ungewollten Überdosierungen kam. Die Erkrankung tritt in verschiedenen Formen auf, mit unbehandelt potentiell letalem Ausgang. In sehr hoher Verdünnung werden verschiedene Formen des Botulinumtoxin Typ A, beginnend vor ca. 30 Jahren, auch zur Behandlung einer Vielzahl von Erkrankungen verwendet. In der EU sind im Wesentlichen drei verschiedene Typen erhältlich, kürzlich kam noch ein 4. Typ aus Südkorea hinzu, ein 5. Typ aus den USA besitzt die Zulassung, ist  Stand Mai 2023 jedoch (noch) nicht erhältlich, diese beiden Typen sind jedoch in ihren Heimatländern schon lange auf dem Markt etabliert. Daneben existiert auch noch ein weiterer Typ Botulinumtoxin Typ B als Medikament, welches jedoch keine große Rolle spielt.

Wirkprinzip

Seit Jahrzehnten bekannt ist der Wirkmechanismus der präsynaptischen Blockade der Freisetzung von Acetylcholin im synaptischen Spalt, entsprechend einer irreversiblen chemischen Denervierung über einen gewissen Zeitraum. Danach bilden sich die entsprechenden Strukturen neu aus, die ursprüngliche Funktion kehrt zurück. Der gleiche Transmitter findet sich auch in Drüsengeweben, wodurch sich auch eine analoge Wirkung erklärt, welche in der Regel jedoch länger anhält. In den letzten ca. 20 Jahren vermehrten sich jedoch auch Erkenntnisse über ein weiteren Wirkmechanismus, bei welchem im sensiblen Schenkel relevante Botenstoffe in der Freisetzung gehemmt werden, hier v.a. das CGRP. Schmerztherapeutisch bedeutet dies neben der Hemmung der sensiblen Schmerzentstehung in der Folge eine Reduktion der peripheren und nachfolgend auch der zentralen Sensibilisierung. Hieraus ergeben sich eine Vielzahl von neuen potentiellen Indikationen v.a. in unserem Gebiet.

Zugelassene Indikationen

Es gibt eine Vielzahl von offiziell zugelassenen Indikationen, wobei nicht alle Indikationen für alle Präparate zugelassen sind. Hierbei handelt es sich im Bereich der ästhetischen Medizin um die Behandlung von Falten im Bereich der Glabella, der Stirn und dem lateralen Augenwinkel sowie die Hyperhydrosis axillaris, im Bereich der Neurologie die cervikalen Dystonien, der Blepharospasmus, der Spasmus hemifacialis, die chronische Migräne sowie (fachübergreifend) die infantile Cerebralparese sowie weitere Spastiken der oberen und unteren Extremitäten anderer Genese, im Bereich der Urologie und Urogynäkologie die Harninkontinenz, der imperative Harndrang und die Pollakisurie sowie fachübergreifend (neu) die Siallorhöe. Als echte zugelassene Schmerzindikation ist neben der chronischen Migräne auch der Effekt zu benennen, dass die Behandlung der Spastik neben der antispastischen Wirkung auch eine Reduktion des spastikbedingten Schmerzes bewirkt. Selbiges gilt für die Dystonien, welche aber im Gegensatz zu den Spastiken eher als neurologische denn als interdisziplinäre Erkrankungen anzusehen sind. Diese Dystonien können jedoch ebenfalls mit starken schmerzhaften Zuständen einhergehen, deren Reduktion auch zu einer Schmerzreduktion führen kann.

Voraussetzung für die Behandlung

Die Behandlung mit Botulinumtoxin ist sowohl generell als auch in der Behandlung im Bereich der GKV nicht an eine bestimmte Facharztqualifikation gebunden, für alle Präparate wird jedoch eine (nicht näher definierte) Fachkenntnis verlangt. Die Anwendung durch Zahnärzte ohne humanmedizinischen Studienabschluss oder durch nicht-ärztliches Personal ist in Deutschland rechtlich nicht zulässig.

Anwendung zulasten der GKV

Sofern die fachlichen Qualifikationen des Behandlers/der Behandlerin, die präparatespezifische Indikationen, die Beachtung der WANZ-Kriterien und die Beachtung der Kontraindikationen gegeben ist, kann und muss die Behandlung zulasten der GKV erfolgen. Eine Ausnahme stellen die ästhetischen Indikationen der Faltentherapie dar, welche zwar eine inlabel-Anwendung darstellen, jedoch nicht zum Leistungskatalog der GKV gehören.

Off-label-use orthopädisch-unfallchirurgisch-schmerztherapeutischen Bereich

Es existieren eine Anzahl von Indikationen, für welche keine offizielle Zulassung besteht, die Anwendung jedoch als Heilversuch nach Ausschöpfung der zugelassenen Behandlungen erwogen werden kann. Voraussetzung hierfür sollte sein, dass möglichst eine größere Anzahl von qualitativ möglichst hochwertigen Studien für die jeweilige Indikation vorliegen, sodass im jeweiligen Einzelfall eine positive Indikation gestellt werden kann. Hierbei kann man pragmatisch in drei Kategorien unterteilen:

  1. Sinnvolle Indikationen, für welche eine größere Anzahl von (überwiegend) positiven qualitativ hochwertigen Studien und gegebenenfalls sogar systematische Übersichtsarbeiten mit und ohne Metaanalysen vorliegen.
  2. Mögliche Indikationen, für welche eine kleinere Anzahl von (überwiegend) positiven qualitativ hochwertigen Studien, qualitativ geringerwertige Studien und gegebenenfalls sogar systematische Übersichtsarbeiten mit und ohne Metaanalysen vorliegen.

III.          Einzelfall-Indikationen, für welche nur einzelne Studien verschiedener Qualität und/oder widersprüchlichen Ergebnissen vorliegen.

Die Indikationsstellung gelingt umso einfacher, desto größer sich der wissenschaftliche Background darstellt. Grundsätzlich stellt der Off-Label-Use eines Präparates keine generelle Kontraindikation dar, neben der von sehr seltenen Einzelfällen abgesehen Verordnungsfähigkeit zulasten der GKV muss hier eine adäquate Aufklärung und auch die haftungsrechtliche Absicherung des Anwenders/der Anwenderin beachtet werden, da hier die Herstellerhaftung für ein Off-Label-Use nicht greift.

In die Kategorie I der sinnvollen Indikationen kann man nach heutigem Wissensstand (ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Korrektheit) für unser Fachgebiet und fachübergreifend die Schmerztherapie folgende Indikationen eingruppieren: Myofasziale Triggerpunkte im Bereich HWS/BWS und Schulterregion inkl. Cervikocephalgien, Epicondylitis humeroradialis, Plantarfasciitis und Trigeminusneuralgie.

In die Kategorie II der möglichen Indikationen kann man nach heutigem Wissensstand (ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Korrektheit) für unser Fachgebiet und fachübergreifend die Schmerztherapie folgende Indikationen eingruppieren: Myofasziale Triggerpunkte im Bereich LWS, Bruxismus, Postzosterneuralgie, extraartikuläre Muskelentspannung bei Coxarthrose und anterior knee pain, intraartikuläre Therapie der Gonarthrose sowie Schulteraffektionen (adhäsive Kapsulitis, Impingementsyndrom und Omarthrose).

In die Kategorie III der Einzelfall-Indikationen kann man nach heutigem Wissensstand (ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Korrektheit) eine Vielzahl von Indikationen in unser Fachgebiet und fachübergreifend in der Schmerztherapie eingruppieren, so z.B. diabetische Neuralgie, Morton-Neurom, Muskelentspannung bei Achillessehnenruptur, intraartikuläre Therapie von Reizzuständen nach Knieendoprothese, Stumpfschmerzen sowie Anwendungsproblematiken bei Exoprothesen durch vermehrte Schweißbildung.

Dosierungen, Anwendungsfrequenz und Anwendungsdauer

Manche Indikationen bedürfen in der Regel einer regelmäßigen Behandlung, wie z.B. Spastiken oder chronische Migräne, bei anderen Indikationen reichen oft eine einmalige oder eine niederfrequente Behandlung. Die normale Wirkdauer beträgt bei „muskulären“ Anwendungen sowie im Bereich der Schmerztherapie ca. 3 Monate, wobei sich dieses Intervall – v.a. bei regelmäßiger Anwendung – im Einzelfall auch etwas verlängern kann, im Bereich des Drüsengewebes beträgt die Wirkdauer normalerweise ca. 6 Monate. Die Behandlung mit Botulinumtoxin ist keine Akuttherapie, die verschiedenen Wirkungen setzen teilweise nach einigen Tagen, teilweise aber auch erst nach einigen Wochen ein. Das Mindestintervall von 3 Monaten zwischen zwei Anwendungen sollte eingehalten werden, da in einer geringen Frequenz und unterschiedlich je nach Präparat mit der Bildung von neutralisierenden Antikörpern zu rechnen ist, welche jedoch auch als dosisabhängig gilt. Für die einzelnen Präparate existieren Höchstdosen, bei deren Überschreitung der Inlabel-use verlassen wird. Gerade im Bereich der neurologischen Indikationen ist oft eine sehr sorgsame Indikationsstellung notwendig, da die Höchstdosen bei komplexen Erkrankungsbildern schnell überschritten werden, zudem handelt es sich um eine seitens der Präparate hochpreisige Therapie von bis zu ca. 1700 € pro Behandlung in der Maximaldosis. Bei der Behandlung von einzelnen Muskeln existieren von den Herstellern Dosisempfehlungen mit einer gewissen Spannbreite, wobei hier drei Aspekte zu beachten sind:

  1. Die Dosierungen der verschiedenen Präparate sind nicht 1:1 offiziell herstellerseitig umrechenbar, wobei für die Haupttypen Abo,- Inco- und Onabotulinumtoxin vielfach in der Literatur publizierte Orientierungswertes in der Umrechnung existieren.
  2. Die offiziellen Dosierungen beziehen sich auf offizielle Indikationen, so bedarf es in der Regel zur Behandlung außerhalb der Spastik geringerer Dosierungen als bei Spastik.
  3. Die individuelle Dosierung sollte sich immer an der Indikation, gegebenfalls dem individuellen Muskelstatus sowie Vorerfahrungen richten: Im muskulären Bereich droht bei einer Unterdosierung ein ausbleibender oder geringerer Therapieeffekt, bei einer Überdosierung dagegen eine höhergradige Parese ohne stärkeren Effekt auf das Therapieziel.

Ausbildung

Es existieren eine Reihe von Ausbildungsangeboten im Bereich der offiziellen Indikationen, für unser Fachgebiet existiert seit mittlerweile über 10 Jahren mit mittlerweile über 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine Ausbildungsserie der IGOST (Sektion Schmerz DGOOC und DGOU), nähere Informationen auf der Homepage der IGOST www.igost.de und der Homepage der Kursserie www.orthobotulinumtoxin.de.

 

Dr. S. Grüner (Köln), Prof. Dr. M. Lippert-Grüner (Köln, Prag)

AK Botulinumtoxin IGOST, Kursleiter

 

 

Sonografische Interventionsmöglichkeiten an der Wirbelsäule – Teil 2

Seit circa 15 Jahren haben sich unter Ultraschall gesteuerte Injektionen etabliert.

Ultraschallgesteuerte Infiltrationen stellen insbesondere im Bereich der Brustwirbelsäule einen zusätzlichen Sicherheitsaspekt dar. Weiterhin führen sie zu einer deutlichen Abnahme der Strahlenexposition.

Ultraschallgesteuerte thorakale periartikuläre Facettenblockaden kommen sowohl als Diagnostikum, als auch als therapeutische Maßnahme in Betracht.

Klinisch relevante Anatomie

Die thorakalen Facettengelenke werden aus dem pars infraarticularis und dem angrenzenden Pars supraarticularis des darunterliegenden Wirbelkörpers gebildet. Das Gelenk wird von einer Synovia und kräftigen Gelenkkapsel umschlossen. Die Gelenkkapsel ist dicht innerviert. Jedes Facettengelenk wird über den Ramus dorsalis auf Segmenthöhe und dem Ramus dorsalis des darüber liegenden Wirbelkörpers versorgt. Somit setzt sich auch in der Brustwirbelsäule die „doppelte Innervierung“ der Facettengelenke, wie auch im Bereich der Lendenwirbelsäule, weiter fort. Dies ist klinisch/diagnostisch wichtig, wenn die Medial Branches, zur Austestung einer geplanten Radiofrequenztherapie, blockiert werden sollen.

Material:

  • Hautdesinfektion
  • Sterile Abdeckung und sterile Handschuhe
  • 10ml Spritzenkörper
  • Aufziehnadel
  • Sterile Kompressen
  • 0,8 x 120mm-Nadel
  • Sterile Wundauflage (Pflaster)
  • Medikamente (beispielhafte Darstellung des Standards des Autors): 5 ml Bupivacain 0.125%-0.25% + 2ml Dexamethason (=8mg)

 

Technik

Ultraschallgesteuerte periartikuläre Infiltrationen können sowohl beim liegenden, als auch sitzenden Patienten durchgeführt werden. Injiziert werden pro Facettengelenk 1-2 ml eines langwirksamen Lokalanästhetikums mit niedriger Konzentration. Wird eine inflamatorische Ursache vermutet, kann auch ein Steroid hinzugefügt werden.

Die Technik erfolgt in 2 Schritten.

 

  1. Schritt

Zunächst Darstellung eines paramedianen, longitudinalen Schnittes etwa 3-4 cm lateral der Mittellinie auf der Höhe des zu infiltrierenden Facettengelenkes mit einer Tiefeneinstellung von 7-8 cm. Von hier aus wird nun der Schallkopf nach medial geführt, bis die Processi transversi als hyperechotischer breite Streifen sichtbar werden. Die Rippenköpfe verlaufen hier leicht nach kranial versetzt ventral der Processi transversi. Dieses klassische Zeichen wird aus als „Tridentzeichen“ beschrieben (Bild 5a und 5b).

 

Abb. 5a & 5b: Darstellung des „Trident“ und Hügel-Täler der Facettengelenke
Abb. 5a & 5b: Darstellung des „Trident“ und Hügel-Täler der Facettengelenke
  1. Schritt

Nach Identifizierung der Processi transversi erfolgt ein weiteres medialisieren des Transducers bis die Pars infra- und supraarticularis des Facettengelenkes sichtbar werden. Diese erscheinen an der lateralen Begrenzung zunächst als echoreiche Hügel und Täler. Wenn das gewünschte Facettengelenke dargestellt ist erfolgt die Desinfektion des Punktionsgebietes und eine 22 G-Nadel wird in-plane durch die Haut gestochen und unter direkter Visualisierung an die Pars inferior oder superior des Facettengelenkes geführt und die Gelenkkapsel mit 1 ml Lokalanästhetikum und eines Steroids, nach Aspiration umflutet.

Die ultraschallgesteuerte Blockade des Nervus Intercostalis

Im Gegensatz zu den bildwandlergesteuerten Infiltrationen der Interkostalnerven stellen ultraschallgesteuerte Infiltrationen hier einen deutlichen Sicherheitsgewinn dar, da der Interkostalraum hier kontinuierlich dargestellt wird und somit auch die Pleura. Weiterhin lassen sich auch die den Nerven begleitenden Gefäße darstellen, was die Wahrscheinlichkeit einer intravasalen Lokalanästhetikainjektion verringert.

Ultraschall gesteuerte N. Interkostalisblockaden können in einer Vielzahl klinischer Szenarien aus therapeutischen und diagnostischen Gründen durchgeführt werden. Diese reichen von der Akutschmerztherapie nach Rippenfrakturen bis zur Verabreichung neurolytischer Substanzen in chronischen und palliativen Schmerzszenarien.

Klinisch relevante Anatomie

Nach dem Austritt aus dem Neuroforamen gibt der Interkostalnerv- einen N. recurrens ab, der durch das Neuroforamen zurück in den Spinalkanal zieht und hier u.a. die Meningen, Ligamente und teilweise Wirbelkörper innerviert. Den Spinalnerven begleiten auch sympathische Nervenfasern (myelinisierter präganglionärer Fasern der weissen Rr. Communicantes), als auch unmyelinisierte postganglionäre Fasern der Rr. Grisei.

Der Interkostalnerv teilt sich dann auf in einen posterioren und anterioren Ast. Der posteriore Ast versorgt die thorakalen Facettengelenke, dorsale Rückenmuskulatur und Haut. Der dickere ventrale Ast zieht weiter nach lateral und verläuft hier gemeinsam mit den Interkostalgefässen im Sulcus subcostalis in Richtung Sternum (Bild 6).

Abb. 6: Darstellung der Interkostalgefässe und Pleura

Die Interkostalnerven innervieren die Haut, Muskulatur, Rippen und das parietale Peritoneum und die parietale Pleura.

Material:

  • Hautdesinfektion
  • Sterile Abdeckung und sterile Handschuhe
  • 10ml Spritzenkörper
  • Aufziehnadel
  • Sterile Kompressen
  • 0,8 x 120mm-Nadel
  • Sterile Wundauflage (Pflaster)
  • Medikamente (beispielhafte Darstellung des Standards des Autors): 5 ml Bupivacain 0.125%-0.25% + 2ml Dexamethason (=8mg)

Technik

Der ultraschallgesteuerte Interkostalblock kann sowohl in Bauchlage, Seitenlage, als auch in sitzender Position durchgeführt werden.

Injiziert werden etwa 5 ml eines langwirksamen Lokalanästhetikums mit niedriger Konzentration. Wird eine inflammatorische Ursache vermutet kann auch ein Depotsteroid wie Triamzinolon 10-20 mg zusätzlich verabreicht werden.

Zunächst erfolgt die Palpation der zu blockierenden Rippe und die anatomischen Landmarken werden markiert.

Ein linearer hochfrequenz Transducer wird in der Longitudinalebene am Angulus posterior der Rippe aufgesetzt mit einer Rotation um 15° nach lateral.

Der Interkostalraum stellt ein sehr gutes akustisches Fenster dar, so dass auch die Pleura sehr gut als helle, echoreiche Struktur sichtbar ist.

Wenn alle Strukturen sicher identifiziert wurden, wird die Haut im Punktionsgebiet desinfiziert und und eine 22 G Nadel von der unteren Begrenzung des Schallkopfes aus in-plane unter kontinuierlicher Ultraschallkontrolle so weit vorgeschoben, bis die Nadelspitze an der Aussenseite des M. intercotalis interior liegt. Durch Hydrodissektion kann die Nadelposition zusätzlich kontrolliert werden.

Autor:

Dr. med. B.C. Schultheis

Leitender Arzt der interventionellen Schmerztherapie der Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie, Wirbelsäulenchirurgie und interventionelle Schmerztherapie

MSZ
Krankenhaus Neuwerk
Dünner Strasse 214-216
41066 Mönchengladbach
Mailadresse: c.schultheis@kh-neuwerk.de

 

 

 

Ermitteln Sie den ökologischen Fußabdruck Ihrer Klinik oder Praxis

Nachhaltigkeit in Klinik und Praxis ist wichtiger denn je: In Kliniken und Arztpraxen wird immer mehr Wert auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz gelegt. Die Gesundheitsbranche ist ein großer Verbraucher von Ressourcen und erzeugt große Mengen an Abfall, aber es gibt viele innovative Konzepte und Technologien, die dazu beitragen können, diesen Footprint zu reduzieren.

Ein wichtiger Ansatz ist die Verwendung von umweltfreundlichen Produkten und Materialien in Krankenhäusern und Arztpraxen. Dazu können beispielsweise die Verwendung von recyceltem Papier oder biologisch abbaubaren Einwegprodukten gehören. Krankenhäuser können auch ihre Beschaffungsmethoden überdenken und sich auf nachhaltige Alternativen konzentrieren.

Eine weitere Möglichkeit ist die Verbesserung der Energieeffizienz von Einrichtungen. Krankenhäuser können energieeffiziente Beleuchtungs- und Kühlungssysteme einsetzen und alternative Energiequellen wie Solarenergie nutzen.

Auch die Reduzierung von Abfall und die Einführung von Recyclingprogrammen ist ein wichtiger Schritt hin zu Nachhaltigkeit. Hier können Krankenhäuser und Arztpraxen auf umweltfreundliche Praktiken und Programme zurückgreifen, um Abfall zu reduzieren und Recycling zu fördern.

Insgesamt ist Nachhaltigkeit ein wichtiger Faktor für die Gesundheitsbranche und es gibt viele Möglichkeiten zur Verbesserung der Nachhaltigkeit in Kliniken und Arztpraxen. Durch die Umsetzung von nachhaltigen Praktiken und Programmen können diese Einrichtungen dazu beitragen, die Umwelt zu schützen und gleichzeitig eine hohe Patientenversorgung aufrechtzuerhalten.

Ermitteln Sie den ökologischen Fußabdruck Ihrer Klinik oder Praxis

Interessierte können eine Umfrage zu ihrem ökologischen Fußabdruck ausfüllen und die erforderlichen Daten in den Online-Fragebogen eintragen. Auf Wunsch erhalten sie auf Basis dieser Eingaben ihren ökologischen Fußabdruck in Tonnen CO2 pro Jahr zugesendet. Auf diese Weise sammelt der BVOU gemeinsam mit der Firma Greenviu Daten und gibt den Teilnehmern gleichzeitig wertvolle Informationen zurück.

Greenviu ist eine im Jahr 2021 gegründete Initiative, welche sich dem Thema Klimaschutz und Nachhaltigkeit in der Medizin verschrieben hat. Greenviu ist Partner der UN-Initiative „ClimateNeutralNOW“ und unterstützt Mediziner und Zahnmediziner dabei, ihren ökologischen Fußabdruck durch nachhaltigeres Arbeiten zu reduzieren. Dabei wird Wert darauf gelegt, dass alle Empfehlungen und Maßnahmen wissenschaftlich basiert sind. Der von Greenviu entwickelte „Footprint Calculator“ ist zur Zeit der einzige wissenschaftlich basierte Algorithmus, welcher in der Lage ist, den ökologischen Fußabdruck einer medizinischen Institution in Tonnen CO2 pro Jahr zu berechnen und eine detaillierte Aussage zur dessen Zusammensetzung zu machen. Basierend darauf werden individuelle Empfehlungen gegeben, wie der eigene ökologische Fußabdruck reduziert werden kann.

Dr. Klaus Reinhardt als BÄK-Präsident bestätigt

Essen – Nach der Wiederwahl von Dr. Klaus Reinhardt zum Präsidenten der Bundesärztekammer (BÄK) hat der 127. Deutsche Ärztetag am 18.5.2023  in Essen auch zwei BÄK-Vizepräsidentinnen gewählt. Damit ist das Präsidium der Bundesärztekammer komplett.

In ihrem Amt als Vizepräsidentin bestätigt wurde die 72-jährige Fachärztin für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Dr. Ellen Lundershausen. Sie arbeitet seit 1991 in Erfurt als niedergelassene HNO-Ärztin. Seit 2015 ist Lundershausen Präsidentin der Landesärztekammer Thüringen. Von 2008 bis 2020 war sie Vizepräsidentin des Deutschen Berufsverbandes der HNO-Ärzte.

In Anbetracht der Herausforderungen durch die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens rief Lundershausen die Ärzteschaft zur Geschlossenheit auf. „Wir müssen füreinander einstehen. Gemeinsam sind wir aktiver Gegner der Kommerzialisierung. Krankenhäuser gehören nicht an die Börse und Praxen nicht in die Hände von Investmentfonds. Wir Ärztinnen und Ärzte sind ausschließlich unseren Patientinnen und Patienten verpflichtet“, erklärte sie.

Neu ins Amt der Vizepräsidentin gewählt wurde Dr. Susanne Johna. Sie arbeitet als Oberärztin für Krankenhaushygiene am St. Josefs-Hospital in Rüdesheim. Seit 2016 ist Johna Mitglied im Vorstand der Bundesärztekammer und seit November 2019         1. Vorsitzende des Marburger Bundes Bundesverband.

Johna betonte die Bedeutung von Kooperation und Koordination zur Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung. „In Anbetracht des Fachkräftemangels müssen wir gemeinsam Konzepte entwickeln, wie wir die gesundheitliche Versorgung sicherstellen können. Versorgungssicherheit erfordert, dass wir die Sektorengrenzen überwinden und Doppelstrukturen abbauen“, sagte Johna.

Nach der Wahl des BÄK-Präsidenten und der beiden Vizepräsidentinnen der Bundesärztekammer votiert der Ärztetag zudem über die Besetzung der beiden Ämter als weitere Ärztin/weiterer Arzt im Vorstand der Bundesärztekammer.

Quelle: BÄK

Flyer “RICHTIG wachsen lernen”: Kostenfreie Flyer für junge Patienten

Um Sie in Ihrem Praxisalltag zu unterstützen und die Patienten-Prävention sowie -Versorgung zu stärken, bietet der BVOU als eine seiner vielen Serviceleistungen nun auch Flyer für die kleinen Patienten an.

Es wird auf Übungen aus den beiden BVOU-Initiativen Orthofit und OrthoKids verwiesen und anders als bei sonstigen Flyern kann digital auf coole Übungsvideos zugegriffen werden. Sie können das Training ganz individuell auf Ihre Patienten mit dem Ankreuzen der passenden Übungen gestalten.

Das Bewegungsprogramm Orthofit steht für die gesunde Entwicklung von Füßen und Rücken und klärt über eine gesunde Entwicklung des Bewegungsapparats auf. als Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie können Sie hier an der Initiative teilnehmen: https://www.aktion-orthofit.de/orthopaeden

In Baden-Württemberg ist zum 1. August 2022 das G-BA Innovationsprojekt OrthoKids gestartet:

OrthoKids ist eine orthopädische Vorsorgeuntersuchung für Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 10 und 14 Jahren.

Die gerade in diesem Lebensabschnitt gehäuft auftretenden Skelettdeformitäten und eventuell auch Folgen nicht erkannter angeborener orthopädischer Erkrankungen, sollen frühzeitig erkannt werden. Bei Bedarf kann ein heute i. d. R. hoch erfolgreich konservativer oder operativer Therapieansatz durchgeführt werden: Hier seien exemplarisch nur die konservativen und operativen Möglichkeiten bei Skoliose oder Beindeformitäten zu nennen.

OrthoKids wird von einer umfangreichen wissenschaftlichen Studie begleitet.
Weitere Informationen erhalten Sie auf der Seite Ihrer KV BaWü: https://www.kvbawue.de/praxis/vertraege-recht/vertraege-von-a-z/orthokids/

Die Flyer können von allen* BVOU-Mitgliedern kostenfrei bestellt werden.

*Wir müssen eine Verfälschung der OrthoKids-Studie vermeiden und bitten Sie daher zu beachten, dass eine Bestellung mit KV-Sitz in Baden-Württemberg bis zum Ende der Projektlaufzeit von OrthoKids (voraussichtlich 31.12.2024) nicht möglich ist.
Wir empfehlen Ihnen daher die Teilnahme an OrthoKids und Orthofit: als teilnehmender Arzt erhalten Sie anderweitige Patienteninformationen.

Sonografische Interventionsmöglichkeiten an der Wirbelsäule – Teil 1

Seit circa 15 Jahren haben sich unter Ultraschall gesteuerte Injektionen etabliert. An der Wirbelsäule können damit mittlerweile alle Regionen, also HWS, BWS und LWS bedient werden. Dabei können cervical die Facettengelenke, die Medial Branches und die Spinalnerven therapiert werden. Diese Verfahren bieten sich sowohl zu therapeutischen Zwecken als auch teilweise zur Diagnostik an.

Seit den 80-iger Jahren gilt die Fluoroskopie als Goldstandard der unter Bildgebung assistierten interventionelle Verfahren an der Wirbelsäule entwickelt. In den letzten 15 Jahren gewinnen Verfahren unter sonographischer Steuerung an Bedeutung.

Insbesondere bei den Schmerzspezialisten in den USA wurde diese Entwicklung vorangetrieben.

Dabei konnten sich Injektionen sowohl im Bereich der Lendenwirbelsäule, der BWS und der HWS etablieren.

In diesem Abschnitt soll speziell auf die Techniken an der HWS eingegangen werden. Die anatomisch relevanten Strukturen befinden sich nur in einer Tiefe von 2 – 3 cm, so dass diese sehr gut mit einem hochauflösenden linearen Schallkopf dargestellt werden können.

Bei sämtlichen Eingriffen sind eine Hautdesinfektion, ein steriler Überzug des Transducers und die Applikation eines sterilen Sonogels zu empfehlen. Ausnahmsweise kann auch die alleinige Alkoholsprühdesinfektion durchgeführt werden, dann muss die No-touch Technik berücksichtigt werden.

An der HWS werden in der Regel hochauflösende Frequenzen zwischen 8 und 12 Megahertz mit einem linearen Schallkopf verwendet, da die wesentlichen Strukturen sich in einer Tiefe von 2 – 3 cm gefunden werden.

Durch Farb- bzw. Powerdoppler ist können beim Eingriff die Gefässe an der HWS wie die Arteria vertebralis und carotis dargestellt werden. Hierdurch können Gefäss – und Nervenstrukturen umgangen werden. Nachteilig wirkt sich aus, dass eine versehentliche Punktion nicht dargestellt werden kann, dies ist dagegen unter BV mit Kontrastmittel möglich.

Mittels der In-Plane Darstellung wird die Nadel im Längsverlauf des sonographischen Schnittes geführt. Die Injektionskanüle und die Zielstruktur werden in einer Schicht dargestellt, dabei erfolgt die Punktion in einer Realtime – Darstellung. Der optimale Eintrittspunkt der Nadel ist von der Tiefe der zu erreichenden Struktur abhängig.

Die Out-of-Plane Technik bezeichnet die Nadelinsertion mittig quer zum Ultraschallkopf auf der Längsseite. Die Nadel kann dabei nur als Punkt dargestellt werden.

Anatomie/Sonoanatomie

Die wichtigsten Strukturen, welche sonographisch an der Halswirbelsäule erreicht werden können, sind neben den Facettengelenken, der sogenannte Medial Branch und der Spinalnerv der einzelnen Segmente.

Diese Strukturen und die Lokalisation sollen im Folgenden näher erläutert werden.

In der Longitudinalebene, lateral längs zur Halswirbelsäule in Verlängerung zum Mastoid, können ventral gut die Processi transversi dargestellt werden.

Verschiebt man den Transducerkopf etwas nach dorsal, so werden die Massa lateralis und die sogenannte Facettengelenkslinie sichtbar (Bild 1). Die Facettengelenke sind im Bereich der Anhebungen und der Medial Branch im Bereich der Absenkungen lokalisiert.

In diesem Schnitt kann das betreffende Segment bestimmt werden. Direkt cranial des Facettengelenkes C2/C3 kommt es zu einem steilen Abfall der Gelenklinie, da das nächste Facettengelenk C1/C2 deutlich verschoben zur Mittellinie liegt (Bild1). Dieser Abfall der Gelenklinie identifiziert die Wirbel C1 und C2 .

Die Spinalnerven cervical sind auf den Höhen C5, C6 und C7 häufigsten betroffen. Der Spinalnerv C8 kann auf Grund der umgebenden ossären Strukturen eingeschränkt abgebildet werden.

Deutlich kann in der Transversalebene auf Höhe des Ringknorpels der Prozessus transversus von C6 dargestellt werden, dabei bildet sich dieser mit einem prominenten anterioren und kleineren posterioren Tuberkel aus (Bild4). Auf Höhe C5 ist der Prozessus transversus kelchartig, während auf Höhe C7 nur der dorsale Tuberkel als langsam ansteigende Linie prominent ist.

Abb. 1: Höhenorientierung im Longitudinalschnitt der Halswirbelsäule.
Der Pfeil markiert das Facettengelenk C2/C3. Beachte den Abfall
der Gelenkpfeilersilhouette von C2. Caudal des Facettengelenks ist
im Tal der Massa lateralis der Medial branch C3 lokalisiert.

Benötigtes Equipment:

  • Ultraschallgerät mit planarem Ultraschallkopf. Frequenz zwischen 8 und 12 Megahertz.
  • Möglichkeiten der Farbdoppler – bzw. Powerdopplersonographie.
  • Steriler Ultraschallkopfbezug, steriles Ultraschallgel.

Materialien:

Nadeln:

  • Nadeln mit kleinem Durchmesser (23G bis 26G), Länge 60 – 80 mm.
  • Hautdesinfektionsmittel, ohne Jod.
  • Sterile Handschuhe.
  • Mindestens 2 Spritzen mit 2 bzw. 5ml.
  • Überleitungsröhrchen
  • Venöse Verweilkanüle.
  • Physiologisches Monitoring mit Blutdruckmessung, EKG und Pulsoxymetrie.

Injektionsmedikamente:
Lokalanästhetika:

  • Bupivacain, 0.25% bis 0.5%
  • Ropivacain, 0.2% bis 0.75%
  • Lidocain, 1% bis 2%

Steroide wasserlöslich

  • Betamethason, 6 bis 18mg
  • Triamcinolon, 20 bis 80mg
  • Dexamethason, 8mg

1 Durchführung der Intervention am Medial Branch cervical

Der Patient ist in Seitenlage, so dass die zu therapierende Seite oben ist. Das Ultraschallgerät ist gegenüber platziert. Es erfolgt zunächst die Darstellung der Artikularpfeiler in Längsachse der HWS. Es können sowohl die Facettengelenke (Erhebungen) sowie der Verlauf der Medial Branches in den Absenkungen der lateralen Gelenkpfeiler identifiziert werden. Das Tal des Gelenkpfeilers zeigt sich in der Regel echoreich, ist jedoch etwas kontrastärmer in der Darstellung als die Erhebung mit dem Gelenkspalt. Die Bestimmung des betreffenden Segmentes erfolgt wie oben dargestellt. Bei korrekter Einstellung ist der Weg zum Zielpunkt kurz.

Die Nadel inseriert nach Identifikation der notwenigen Höhe und des Targets in posteriorer Technik mit Orientierung nach anterior in Out-of-Plane Schallkopfposition die Haut. Danach wird der Ultraschallkopf um 90° in In-Plane Position gebracht. So kann sicher der Gelenkpfeiler erreicht werden (Bild2).

Dann erfolgt die Injektion des Medikamentes, dieses zeigt sich echoarm. Mittels Powerdoppler kann der Flow dargestellt werden.

Die posteriore Technik hat den Vorteil, dass die anterior des Gelenkpfeilers liegenden Strukturen, Spinalnerven und  Vertebralarterie, auch bei zu flachem Winkel nicht erreicht werden, da diese mehr median liegen. Bei zu steilem Winkel wird der posteriore Raum erreicht.

Abb. 2: Nadel in In-plane Technik am Medial Branch C5.

2 Durchführung der Intervention an den cervicalen Facettengelenken perikapsulär

Die Facettengelenke selbst können unter Ultraschall auch von dorsal in einer In-Plane Technik erreicht werden. Dabei entspricht das Vorgehen der Injektion am Medial Branch mit dem Unterschied, dass das Target die Erhöhung in der Gelenkpfeilerreihe bei Längsausrichtung des Sonokopfes zur HWS ist.

Nach dem das Zielgelenk identifiziert ist wird der Ultraschallkopf um 90° gedreht, das Zielgelenk zeigt sich relativ oberflächlich und abgerundet im Vergleich zu den tiefer liegenden Gelenkpfeilern (Bild3). Der Ultraschallkopf kann dann etwas nach ventral verschoben werden, so dass das Zielgelenk näher an den Nadeleintrittspunkt rückt. Die Nadel wird inseriert und in einer leicht antero-medialen Richtung an den Gelenkspalt geführt.

Abb. 3: Nadel in In-Plane Technik an Facettengelenk C4/5.

3 Durchführung der Intervention am cervicalen Spinalnerv

Der Patient liegt auf der Seite. Die zu behandelnde Seite ist oben. Das Ultraschallgerät ist wiederum gegenüber dem Operateur platziert. Es erfolgt die Höhenorientierung wie oben in der Tansversalebene in Höhe C6 (Ringknorpel). Das Target ist der Prozessus transversus C6. Dieser zeigt typischer Weise einen prominenten anterioren Tuberkel und kleineren posterioren Fortsatz. Echoarm stellt sich dazwischen der Spinalnerv dar (Bild4).

Der Targetpoint ist oberhalb des posterioren Tuberkels ca. 5 mm dorsal des Spinalnerven lokalisert. Ein Vorschieben bis über den Spinalnerven sollte bei der dort laufenden Arteria radicularis vermieden werden. Eine Verwendung des Doppler am Ultraschallgerät kann hier die Sicherheit verbessern.

Nach dem das Ziel identifiziert ist, wird die Nadel von posterior – lateral inseriert und in einer leicht antero-medialen Richtung über den posterioren Fortsatz geführt. Ist die Zielregion erreicht,  kann das Medikament appliziert werden. Es zeigt sich dann eine fast echofreie Zone um den Spinalnerv. Für C5 und C7 wird der Transducer nach cranial bzw. caudal in der gleichen Ebene verschoben. Bei C7 empfiehlt sich der Doppler um eindeutig die Arteria vertebralis, welche hier vor dem Spinalnerven frei läuft, darzustellen.

Abb. 4: Nadel in inplane Technik in der Transversaleben auf Höhe
C6. Gut sichtbar sind das vordere und hintere Tuberkel des Prozessus
transversus C6 sowie der Spinalnerv C6.

Komplikationsmöglichkeiten:

Betreffend die Injektion an die cervicalen Facettengelenke, die Medial Branches und der Spinalnerven besteht ein geringes Risiko für eine Nervenverletzung bzw. Hämatombildung. Für letztere Indikation kann mit der Sonografietechnik eine Punktion der Art. spinalis vermieden werden. Infekte wurden durch den Autor noch nie beobachtet.

Evidenzen:

Seitens der Halswirbelsäule liegen insbesondere für die Injektion am Medial Branch gute RCT-Studien vor. Hervorzuheben ist hier die Studie [1] von Siegenthaler at al, in welcher auf sämtlichen Höhen der Intervention, einschliesslich des 3. Occiptalnerven, ein randomisierter Vergleich zwischen Ultraschall und Fluoroskopie durchgeführt wurde. Es konnte dabei eine gleiche Erfolgsquote bei geringerer Performancezeit für die Ultraschallintervention feststellt werden.

Thonnagith [2] zeigte 2016 in einem Review auf, dass eine hohe Trefferquote bei sämtlichen Medial Branches, ausschliesslich C7, erzielt werden kann.

In RCTs konnte bezüglich der Nervenwurzelinjektion eine gleich gute Wirksamkeit der Sonografie gesteuerten Technik gegenüber der Bildwandler gesteuerten Technik nachgewiesen werden [3].

Literatur auf Anfrage bei der Redaktion

 

Autor:

Dr. med. Martin Legat

Chefarzt Schmerz Zentrum Zofingen

Schmerz Zentrum Zofingen

Hintere Hauptgasse 9

CH – 4800 Zofingen

Interdisziplinäre multimodale stationäre und tagesklinische (teilstationäre) Schmerztherapie (IMST)

Der chronische, therapieresistente Rückenschmerz umfasst gleichzeitig somatische, psychische und soziale Dimensionen, die idealerweise durch ein interdisziplinäres Assessment erfasst werden und einer multimodalen Therapie bedürfen.

Tabelle 1: Indikationskriterien für ein interdisziplinäres multimodales Therapieprogramm (nach Arnold et al. 2019)

  • Hohe Erkrankungsschwere mit erheblichen biopsychosozialen Konsequenzen
  • Fehlschlag einer vorherigen unimodalen Schmerzbehandlung, eines schmerzbedingten operativen/interventionellen Eingriffs oder einer Entzugsbehandlung
  • Schmerzbedingte Beeinträchtigung der Lebensqualität und des Lebensvollzugs
  • Somatische oder psychosoziale Begleiterkrankung mit nachweisbarem Einfluss auf das Schmerzgeschehen
  • Die psychischen und sozialen Belastungen sind nicht Ausdruck einer eigenständigen psychiatrischen oder zerebralen Erkrankung
  • Vorliegen von Risikofaktoren für eine Schmerzchronifizierung

Unter interdisziplinärer multimodaler Therapie wird die gleichzeitige, in der Vorgehensweise integrierte sowie konzeptionell abgestimmte Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen verstanden. Ärzte mehrerer Fachrichtungen, Psychotherapeuten und Physiotherapeuten gehören ständig zum Behandlungsteam. Obligat sind die gemeinsame Beurteilung des Behandlungsverlaufs innerhalb regelmäßiger Teambesprechungen und die Einbindung aller Therapeuten (Casser 2013). Dabei erfolgt die Diagnostik und Behandlung nach einem integrativen Konzept mit verhaltensmedizinischer Orientierung. Im Vordergrund stehen die medizinische und psychotherapeutische Behandlung, die Edukation, Entspannungsverfahren und körperliche Übungsprogramme (Arnold et al. 2009).

Im DRG-System ist diese Therapieform durch die OPS 8-918 fest etabliert und damit auch vergütungsrelevant.

Die Programme können ambulant, teilstationär oder stationär durchgeführt werden. Die Evidenzlage multimodaler Schmerztherapie ist vor allem beim Rückenschmerz inzwischen unstrittig (Flor et al. 1992, Guzman et al. 2002, Schonstein et al. 2002, Jensen et al. 2009, Hildebrandt u. Pfingsten 2009). Auch im Hinblick auf die Kosten konnte nachgewiesen werden, dass multimodale Therapieprogramme beim Rückenschmerz nachhaltig erfolgreich sind und eine deutliche Kostenreduktion im weiteren Handlungsverlauf bewirken (Nagel u. Korb 2009).

Voraussetzung eines multimodalen Therapieprogramms sollte die Indikationsprüfung (s. Tab. 1) durch ein interdisziplinäres Schmerzassessment (Casser 2016) sein, wie es bei Therapieresistenz nach spätestens 6 bzw. 12 Wochen gefordert wird (NVL 2017).

Interdisziplinäres multimodales Assessment

Rückenschmerzpatienten mit rezidivierenden oder anhaltenden Schmerzen, die sich noch im Beginn des Chronifizierungsprozesses finden, aber ein erhöhtes Risiko zur Chronifizierung aufweisen, wie aber auch Patienten, die sich bereits in einem höheren Chronifizierungsstadium befinden und bei denen eine bisherige mono- oder multidisziplinäre Behandlung nicht zum Erfolg geführt hat, sollten eine fundierte Beurteilung durch ein interdisziplinäres Assessment erfahren (Casser 2016). Dieses Assessment sollte ergebnisoffen durchgeführt werden, woraus sich unterschiedliche Konsequenzen ergeben können:

Eine Weiterbehandlung ambulant beim Haus- bzw. Facharzt mit konkreten Therapieempfehlungen bzw. die Einleitung eines ambulanten, teilstationären oder stationären multimodalen Therapieprogrammes in Abhängigkeit von den Ergebnissen des Assessments, der Prognose des Rückenschmerzes sowie der individuellen Gegebenheiten (Arnold 2009).

Die Bestandteile des Assessments werden bereits durch den OPS-Kode 1 -910 „multidisziplinäre algesiologische Diagnostik“ beschrieben. Hinsichtlich eines interdisziplinären Assessments vor umfassender multimodaler Schmerztherapie wurden die Inhalte, die beteiligten Disziplinen und der Umfang eines Assessments von der Adhoc-Kommission „multimodale interdisziplinäre Schmerztherapie“ der Deutschen Schmergesellschaft e.V. erarbeitet (Casser et al. 2013).

Tabelle 2: Bestandteile eines interdisziplinären, multimodalen Schmerzassessments

  • Ausführliche medizinische Anamnese und orientierende körperliche Untersuchung (orthopädisch, neurologisch, ggf. rheumatologisch), ggf. ergänzende zusätzliche bildgebende und elektroneurographische Verfahren und invasive Maßnahmen sowie Testverfahren und standardisierte klinische Interviews,
    fakultativ unter Hinzuziehung weiterer med. Fachbereiche
  • Psychologisch/psychosomatische Diagnostik mit Anamnese, Verhaltensbeobachtung und Erhebung des psychopathologischen Status
  • Physio-, Moto-, ergotherapeutische Befundung
  • Sozialmedizinische Beurteilung
  • Teambesprechung mit zusammenfassender Diagnosebeschreibung und Abstimmung des weiteren Vorgehens, ggf. individuelles Therapieprogramm
  • Abschlussgespräch mit dem Patienten

Vorzugsweise sollte die Dokumentation dieses Assessments vollständig und standardisiert erfolgen, vorzugsweise anhand des KEDOQ- Schmerzdatenerfassungs-und Auswertungssystems mit Strukturdaten, Kerndatensatz inklusive Deutscher Schmerzfragebogen (DSF), Bestimmung des Chronifizierungsgrades (MPSS), Erfassung der Schmerzdiagnose sowie der relevanten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen (Casser et al 2013).
Bei den Qualitätsanforderungen eines Rückenschmerz-Assessments, wie sie bereits das Experten-Panel der Bertelsmannstiftung (2007) formulierte, sollte bezüglich der Behandlerklassifikation der Schmerztherapeut mit fortlaufender Rezertifizierung, der Orthopäde mit der Zusatzqualifikation „Manualmedizin“, der ärztliche und psychologische Psychotherapeut mit schmerztherapeutischer Qualifikation, der Neurologe, der Physiotherapeut mit manualmedizinischen Kenntnissen von Alltags- Funktions und Belastungstests sowie schmerztherapeutischer Erfahrung sowie ein wirbelsäulensäulenchirurgisch tätiger Facharzt zur Beurteilung operativer Optionen bzw. vorangegangener operativer Maßnahmen hinzugezogen werden.
Die Beteiligung operativ tätiger Orthopäden und Neurochirurgen hat sich beim Rückenschmerz als sinnvoll herausgestellt, um einerseits auch diese Maßnahmen frühzeitig zu diskutieren bzw. im Vorfeld gestellte Operationsindikationen interdisziplinär zu beurteilen, auch mit dem Ziel einer differenzierten Patientenaufklärung. Sie setzt allerdings grundlegende schmerztherapeutische Erfahrung des Operateurs und vorbehaltlose Aufnahme in das Assessment-Team voraus.

Therapieinhalte der interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie

Zentrale Bausteine der IMST sind die medizinische und psychologische Behandlung, die Edukation, die Entspannung und körperlich übende Verfahren.

Die Therapie beruht auf einer gemeinsamen „Philosophie“ der Einschätzung und Behandlung chronischer Schmerzen mit dem Ziel einer funktionellen Schmerzverarbeitung und der körperlichen, psychischen und sozialen (Re-) Aktivierung des Patienten (Arnold et al. 2014). Dazu gehört auch eine enge Verlaufskontrolle in Form von Teamsitzungen, in dem alle Behandler die Zielsetzung, Behandlungsfortschritte und Probleme erörtern. Diese sollte mindestens einmal pro Woche stattfinden zusätzlich zur ständigen Absprache zwischen den Teammitgliedern und der täglichen Visite. Das Zusammentragen verschiedener Erkenntnisse aus Anamnese und Behandlung des Patienten und die gemeinsam abgestimmte, ständig zu aktualisierende Behandlungsstrategie bedeutet, dass die Gesamtbehandlung deutlich wirksamer ist als die Einzelmaßnahmen der multimodalen Behandlung (Huge et al. 2010, Pfingsten 2001). Dies setzt eine professionelle, wertschätzende, empathische und ressourcenorientierte therapeutische Haltung aller Teammitglieder gegenüber dem Patienten, aber auch untereinander voraus. Dabei sind auch die Grenzen der therapeutischen Möglichkeiten der einzelnen Fachbereiche und ihrer Methoden kritisch zu reflektieren, zumal häufig eine kausale Behandlung nicht oder nur begrenzt möglich ist.

Nach einem ausführlichen interdisziplinären Assessment erfolgt die indikationsbezogene Auswahl der Vorgehensweise durch Erstellung eines individuellen Behandlungsplanes, in dem die Ressourcen des einzelnen Patienten berücksichtigt werden (Arnold et al. 2014). Zu den interdisziplinären Maßnahmen im engeren Sinne zählt auch die interdisziplinäre Visite mit Beteiligung aller behandelnder Ärzte, Psychotherapeuten, Physiotherapeuten, Pflegetherapeuten und Sozialarbeitern mit möglichst zeitnaher Besprechung unter dem Eindruck des Patientenkontaktes, der bei der Visite im Vordergrund stehen sollte.  Zusätzlich eignen sich zur intensiven Versorgung insbesondere bei Problemfällen interdisziplinäre Fallbesprechungen sowie gemeinsame Untersuchungen am Krankenbett oder in den Therapieräumen mit fachübergreifender Besetzung.

Kriterien einer echten Interdisziplinarität ist das Bewusstsein einer gemeinsamen Verantwortung, die Durchführung gemeinsamer Untersuchungen und Befunderhebung, ein transparenter Kommunikationsprozess und ein ständiger Informationsaustausch innerhalb des Teams mit Vermeidung diagnostischer oder therapeutischer „Auftragsarbeiten“ (Loeser 1998).

Besondere ärztliche Aufgaben

Ärzte verschiedener Fachrichtungen tragen in interdisziplinärer Absprache die medizinische und rechtliche Verantwortung für den Patienten. Dies beinhaltet eine fachlich korrekte Diagnostik und Bewertung, die Überprüfung der Behandlungsindikation, die Risikoaufklärung sowie die Therapie nicht nur der Schmerzen, sondern auch bestehender Komorbiditäten bis hin zu Kommunikation mit medizinischen Diensten und Kostenträgern (Arnold et al. 2014).

Spezielle ärztliche Aufgaben sind die tägliche Visite, die Aufklärung und Edukation des Patienten, die spezielle medikamentöse Schmerztherapie (Ein- und -umstellung sowie Entzug) sowie nach sorgfältiger Indikationsstellung gezielte manualmedizinische Maßnahmen bzw. therapeutische lokal- und regionalanästhesiologische Verfahren. Besondere Bedeutung kommt den ärztlichen Einzelgesprächen und Verlaufsuntersuchungen zu, in denen dem Patienten das biopsychosoziale Krankheitsmodell, die Erkenntnisse um Maßnahmen des interdisziplinären Teams sowie individuelle Fragestellungen und Lösungsoptionen dargestellt und diskutiert werden. Außerdem obliegt dem Arzt das Verfassen des Abschlussberichtes auf der Basis der interdisziplinär erhobenen Befunde und mit Formulierung der Diagnosen und des weiteren Vorgehens.

Psychotherapeutische Behandlungsaspekte

Psychotherapeutische Diagnostik und Therapie erfolgt beim chronischen Rückenschmerzpatienten in der Regel in einem multimodalen interdisziplinären Programm. Darüber hinaus können im Rahmen der psychotherapeutischen Arbeit natürlich Konstellationen auftreten, die eine ambulante oder stationäre Therapie in einem psychosomatischen oder psychotherapeutischen Setting erforderlich machen.

Aus Erfahrung ist es jedoch zwingend die Aufgabe der interdisziplinären multimodalen Therapie, diese zusätzlichen Behandlungswege auf das individuelle Schmerzgeschehen des Patienten auszurichten, weil ansonsten von dessen Seite die Spaltung von Psyche und Körper weiter aufrechterhalten wird und die Therapieeffekte getrennt nebeneinander stehen (Casser et al. 2013).

Die NVL (2017) empfiehlt zur Therapie des chronischen Kreuzschmerzes die progressive Muskelrelaxation (Jacobson 1939), sowie eine multimodal eingebettete Verhaltenstherapie . Auch tiefenpsychologische Ansätze haben sich in den letzten Jahren entwickelt und werden in multimodalen Einrichtungen angewendet (Senf u Gerlach 2011).
Wesentlich für einen längerfristigen Therapieerfolg ist die systematische Anleitung sowohl von Entspannungsverfahren als auch konkreten verhaltenstherapeutischen Ansätzen mit dem Fokus auf die selbständige Übernahme und Manifestation dieser Ansätze in den Lebensalltag der Patienten.

Das zentrale Behandlungsziel einer multimodalen Therapie chronischer Schmerzen besteht in der Wiederherstellung der objektiven und subjektiven Funktionsfähigkeit („functional restoration“), die mit einer Steigerung der Kontrollfähigkeit und des Kompetenzgefühls des Patienten einhergeht und ressourcenorientiert therapeutisch unterstützt wird (Arnold et al. 2009).

Im Mittelpunkt steht die Therapie nach den oben genannten Ansätzen, v. a. das Fear-Avoidance – bzw. das Avoidance-Endurance -Modell (Hasenbring u. Verbunt 2010) sowie die Akzeptanz- und Achtsamkeitsförderung.

Für die Vermittlung von veränderten Verhaltensweisen, z. B. konsequente Entspannungs- und körperliche Übungen sowie Ausdauer, die die Patienten nach der multimodalen Therapie aufrechterhalten sollen, bedarf es einer frühzeitigen Fokussierung auf den Transfer in den Alltag, der auch während der Therapie besprochen und zum Teil vollzogen werden muss.

Bewegungstherapie

Der Beitrag der bewegungstherapeutischen Disziplinen, in erster Linie der Physio-Sporttherapie aber auch Ergo- und Mototherapie, beruht in Ergänzung zur ärztlichen Funktionsuntersuchung der Analyse der Bewegungselemente, insbesondere der Einschätzung von Kraft, Beweglichkeit, koordinativen Fähigkeiten und Ausdauer, der Erhebung des Bewegungsstatus und der Beurteilung von Bewegungsverhalten und vegetativer Reaktionen (Arnold et al. 2014). Ziel der bewegungstherapeutischen Maßnahmen ist die möglichst weitgehende Wiederherstellung körperlicher Funktionsfähigkeit und Aktivität in Abstimmung mit den organspezifischen Befunden und den Vorstellungen des Patienten. Gerade in der Physiotherapie müssen bei chronischen Schmerzpatienten erst die oftmals fehlenden Kenntnisse und Erfahrungen der Patienten bzgl. körperlicher Funktionen, aber auch das mangelnde Bewusstsein individueller Einflussmöglichkeiten durch Aufklärung und Anleitung sowie Austausch in der Gruppe verändert werden. Dazu gehört das Aufzeigen von Maßnahmen zur Beeinflussung physiologischer Reaktionen wie z.B. durch Biofeedback. Die häufig vorhandenen Defizite der Körperwahrnehmung, erkennbar an pathologischer Haltung, verändertem Muskeltonus und Bewegungsmustern sowie gestörtem Körperschema, speziell bei chronischen Schmerzpatienten bedarf des Trainings der Körperwahrnehmung bzgl. Sensibilität, Propriozeption und Sinneswahrnehmung, unterstützt durch Biofeedback, EMG, Spiegeltherapie und Ultraschall. Das häufig erhöhte Anspannungsniveau wird mit Tonusregulation durch aktive Variation, Entspannung, gelenkte Wahrnehmung, Atementspannung und Biofeedback versucht zu beeinflussen. Der Veränderung des vegetativen Nervensystems wirken Stressbewältigung durch Bewegung  und Sport wie auch Entspannungstechniken und physikalischen Therapiemaßnahmen entgegen. Problembereiche wie körperliche Funktionsbeeinträchtigungen unter Berücksichtigung struktureller wie auch funktioneller Veränderungen, Dekonditionierungen aufgrund unangemessener Schonung und Nichtgebrauch, Angstvermeidungsverhalten, mangelndes Vertrauen in die körperliche Leistungsfähigkeit und Fehleinschätzung der körperlichen Leistungsfähigkeit mit einem ausgeprägten Überforderungsverhalten bedarf der fortlaufenden Beurteilung der Funktionsfähigkeit der Bewegungsorgane (Clinical Reasoning). Desweiteren erstreckt sich das Behandlungsspektrum auch auf einzel- und gruppentherapeutische Maßnahmen zur lokalen und globalen Stabilisation, Mobilisation und Koordinationsverbesserung, Aktivitätssteigerung durch Pacing-Programme, Rekonditionierung durch Sport, Kraft- und Ausdauertraining sowie Eigenübungen, Balancierung von Be- und Entlastung und Entwicklung von Selbsthilfestrategien in Fortsetzung und Vertiefung der parallel stattfindenden Psychotherapie.

Gerade verminderte dysfunktionale körperliche Leistungsfähigkeit durch Schonung bzw. ständiges ausgeprägtes  Überforderungsverhalten lassen sich durch Pacing-Programme und Graded Activity oder Konfrontation („Exposure“) in Zusammenarbeit mit den Psychotherapeuten korrigieren. Ebenso gilt dies für die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit unterstützt durch Work Conditioning bzw. Workhardening.

Ergebnisse

Prospektive Studien zeigen für die MMST positive und langfristige Effekte hinsichtlich einer Verminderung der Beschwerden sowie der Krankheitssymptomatik und auch der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen für unterschiedliche Schmerzerkrankungen und Patientengruppen (Hechler et al. 2014, Schiltenwolf et al. 2006, Häuser et al. 2009, Brömme et al. 2015, Buchner et al. 2006, Gunreben-Stempfle et al. 2009, Hildebrandt u. Pfingsten 2009, Mattenklodt et al. 2008, Nagel u. Korb 2009, Pöhlmann et al. 2009, Schütze et al. 2009).

Auch international belegen systematische Reviews und Metaanalysen die Effektivität multimodaler Schmerztherapie-Programme beim Rückenschmerz (Kamper et al. 2014), Fibromyalgiesyndrom (Häuser et al. 2009) und weiteren Schmerzsyndromen (Scascighini u. Toma 2008).

IMST ist aber auch bei spezifischen Schmerzsyndromen im Zusammenhang mit psychischen Faktoren effektiv. So zeigten sich bei verschiedenen neuropathischen Schmerzsyndromen hochsignifikante Verbesserungen bezüglich Schmerzintensität und Funktion (Seddigh et al. 2014). Ebenso wird die IMST bei therapieresistenten chronischen Schulterschmerzen mit schmerzunterhaltenem Verhalten empfohlen (Diercks et al. 2014) sowie beim chronischen Kopfschmerz.

Auch im Bereich chronisch-rheumatischer Beschwerden gibt es eine multimodale rheumatologische Komplexbehandlung (OPS 8-983) mit Berücksichtigung der Funktionseinschränkung und des Schmerzausmaßes zu Beginn und am Ende des stationären Aufenthaltes. Steht die Behandlung chronifizierter Schmerzsyndromen insbesondere myofaszieller Beschwerden, Fibromyalgie bzw. stabil eingestellter entzündlich-rheumatische Erkrankungen mit deutlichen psychosozialen Faktoren im Vordergrund, sollte der IMST (OPS 8-918) der Vorzug gegeben werden.

Erste Ergebnisse einer prospektiven multizentrischen Studie zur Effektivität bezüglich Schmerzintensität und Funktionsstatus bei chronischen vertebragenen Schmerzsyndromen mit multimodaler muskuloskelettaler Komplextherapie (OPS 8-977) mit besonderer Berücksichtigung manualmedizinischer und physiotherapeutischer Maßnahmen sowie psychotherapeutischer Beteiligung zeigen bei Abschluss der komplexen Behandlung signifikante Verbesserungen (Smolenski et al. 2014, Niemier et al. 2018).

Eine wirkliche Verbesserung der Versorgung chronisch Schmerzkranker dürfte nur durch eine flächendeckende Implementation multimodaler Schmerztherapie-Programme in das Gesundheitssystem erreicht werden. Dazu müssten die strukturellen und organisatorischen Voraussetzungen z.B. in Form eines Disease-Management-Programms (DMP Rückenschmerz) geschaffen werden, um die Behandlungsform bei nachgewiesenem Bedarf deutschlandweit und sektorenübergreifend einzusetzen.

Tagesklinische (teilstationäre) Behandlung

In einer schmerztherapeutischen Tagesklinik werden Patientinnen und Patienten mit chronischen Schmerzen in einer festen Gruppe über einen Zeitraum von drei bis vier Wochen mit einem interdisziplinären multimodalen Behandlungsprogramm behandelt, das heißt, die Behandlung findet werktags in eigenen Therapieräumen statt. Neben Gruppenbehandlungen finden auch Einzelbehandlungen und -gespräche statt. Für die Pausen zwischen den Anwendungen / Therapien steht ein Ruhe- und Rückzugsraum zur Verfügung. Die Fahrt zur Klinik und nach Hause erfolgt in Eigenregie des Patienten.

Inhaltlich finden auch hier die Kriterien der interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie ihre Anwendung. In Abgrenzung zur vollstationären Behandlung muss eine psycho-physische Leistungsfähigkeit vorliegen, die eine behandlungstägliche An- und Abreise zulässt. Entscheidend für die Aufnahme in eine teilstationäre Behandlung sind weniger die Schmerzdiagnosen, sondern vielmehr keine wesentliche Mobilitätseinschränkungen, bedingt durch eine kardio-pulmonale Leistungseinschränkung oder auch bedingt durch somatische oder psychische Komorbiditäten. Medikamentenentzüge, insbesondere von Opiaten, sind für eine tagesklinische Behandlung nicht geeignet. Zu beachten ist, dass es nicht immer harte Kriterien sind, die für die eine oder andere Behandlungsform sprechen, sondern dass die Übergänge fließend sein können und es immer wieder am Einzelfall orientierte Entscheidungen im Rahmen des Assessments geben muss. Ein Vorteil der teilstationären Behandlung liegt im Gegensatz zur vollstationären Behandlung darin, dass behandlungstäglich eine Rückkehr in die gewohnten familiären und sozialen Bezüge stattfindet, so dass der Übertrag der therapeutisch intendierten Verhaltensänderungen der teilstationären Behandlung leichter gelingen kann. Andererseits kann im Rahmen einer vollstationären interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie (IMST) gerade die zeitlich befristete Trennung aus einem problematischen privaten bzw. sozialen Umfeld indiziert sein. Für die Behandlungsdauer können damit negative Einflussfaktoren aus dem ambulanten Umfeld der Patienten minimiert werden, die einem Therapieerfolg entgegenstehen.

Die Zuordnung zu den Versorgungssektoren d.h. zur ambulanten oder tagesklinischen ( teilstationären) oder stationären Behandlung erfolgt anhand der Ausprägung der Schmerzerkrankung, deren Chronizität und Komplexität sowie der daraus resultierenden Einschränkungen der Funktionsfähigkeit des Patienten in den verschiedenen Lebensbereichen und der durch Komorbiditäten verursachten Leistungseinschränkungen.

So kommen für eine ambulanten IMST in ersten Linie Patienten in Frage, die noch eine vergleichbar kurze Schmerzgeschichte haben, eher chronifizierungsgefährdet sind bzw. sich in einem frühen Stadium der Chronifizierung (MPSS I/II) befinden, so dass die Erkrankung noch nicht zu umfassenden Veränderungen im Leben des Betroffenen geführt hat. Patienten mit einer ausreichend stabilen psychischen wie auch physischen Belastbarkeit, die noch dazu in der Lage sind , ihren Alltag aufrecht zu erhalten und beruflichen Anforderungen gerecht zu werden, können in die ambulante IMST, sozusagen berufsbegleitend eingeschlossen werden.

Vor allem aus gesundheitlich-ökonomischem Blickwinkel ist die dadurch gegebene Möglichkeit hervorzuheben, Patienten mit erhöhtem Risiko einer Chronifizierung im ambulanten Bereich frühzeitig identifizieren und dieser Entwicklung wirksam entgegenzusteuern zu können (Pfingsten et al. 2019).

Fazit und Ausblick

Interdisziplinäre Multimodale Schmerztherapieprogramme (IMST) orientieren sich an den Behandlungszielen der funktionellen Wiederherstellung („functional restoration“) und einem biopsychosozialen Modell. Die in diesem Konsensuspapier dargestellten Therapieinhalte sind nach der Meinung der beteiligten Experten geeignet, diese Ziele zu erreichen. Sie müssen von einem eng kooperierenden interdisziplinären Behandlungsteam getragen werden. Bisher liegen dafür Erfahrungen vorwiegend aus dem tagesklinischen und stationären Behandlungssetting vor. Niederschwellige ambulant durchgeführte multimodale Programme sind kaum verbreitet und sollten in Zukunft weiter entwickelt und evaluiert werden. Sie müssen sich an den hier diskutierten Prinzipien und Vorgaben orientieren. Die Grundsätze der IMST, nämlich die biopsychosoziale Sicht von Schmerz, multimodale und interdisziplinäre Ansätze in Diagnostik und Behandlung auch akuter Schmerzsyndrome können dazu beitragen, der Chronifizierung von Schmerz entgegenzuwirken.

Prof. Dr. med. Hans-Raimund Casser
DRK Schmerz-Zentrum Mainz
Ärztlicher Direktor
Mainz

Literatur auf Anfrage bei der Redaktion.