Für den Präsidenten des Berufsverbands der Orthopädie und Unfallchirurgie ist die Versorgung gefährdeter denn je. Für 2024 wünscht er sich ein Ende des Reformstaus in der Gesundheitspolitik. Ein Interview mit dem änd.
Steigende Preise, Fachkräftemangel – und immer wieder neue Gesetzesvorhaben aus dem Hause Lauterbach. 2023 war für die Ärzteschaft erneut kein einfaches Jahr. Wie ist Ihre Fachgruppe durch das Jahr gekommen?
Dr. Burkhard Lembeck: Als Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie haben wir uns auch im Jahr 2023 den Herausforderungen gestellt, mit denen uns die Politik des derzeitigen Gesundheitsministers tagtäglich konfrontiert. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Es ist kurz vor 12, die Unzufriedenheit in unserer Fachgruppe ist enorm. Das merkt man an den zahlreichen Protestkampagnen besonders in diesem Herbst, wie Praxis in Not, #Praxenkollaps, temporäre Praxisschließungen, Petitionen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Vergütung medizinischer Leistungen usw. Diese Hilferufe zeigen: Für Deutschlands Arztpraxen und Kliniken werden die Rahmenbedingungen immer schlechter: Politik und Krankenkassen tragen dazu bei, dass die Versorgung gefährdeter denn je ist.
Berufspolitisch gesehen: Was ist 2023 schlecht gelaufen?
Dr. Burkhard Lembeck: Um es auf den Punkt zu bringen: Die notwendigen Strukturreformen wurden nicht angegangen: Von einer „Revolution“ kann nicht die Rede sein, man will ambulantisieren – das ist im internationalen Vergleich auch überfällig – nur dann müssen dazu in der ambulanten Versorgung auch die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden: Das verträgt sich nicht mit einem budgetierten Honorarpool, einer nicht performanten TI usw. Die Digitalisierung z.B. erleben wir Ärzte als Zeitfresser und Kontrollinstrumentarium – wie kann es da voran gehen?
Weiterhin kommt dazu der Mitarbeitermangel: 75 % aller Ärzte haben es schwer, geeignetes Personal zu finden. Die Konsequenz daraus ist, dass viele Praxen ihr Leistungsangebot einschränken müssen. Die Patientenversorgung verschlechtert sich durch den Fachkräftemangel. Besonders dramatisch: Der Mangel bei den Medizinischen Fachangestellten (MFA).
Weiterhin kommt dazu das Thema Bürokratie: In diesem Jahr waren wir durchschnittlich 61 Arbeitstage mit Verwaltungstätigkeiten beschäftigt. Wertvolle Zeit, die für Patienten fehlt.
Weiterhin kommt dazu das Thema Inflation: Während der Handel und verschiedene Dienstleistungen ihre Preise erhöhen und an die gestiegenen Kosten anpassen können, dürfen wir das als niedergelassene Ärzte nicht. Kosten wachsen, die Einnahmen bleiben gleich – Kann das lange Gutgehen? Ich denke nicht.
Und wo wir schon bei der Vergütung sind: Unser Bundesgesundheitsminister hatte 2023 die Entbudgetierung für zeitintensive Neupatienten gestrichen. Dazu kommt, dass Herr Lauterbach die fertiggestellte und seit 30 Jahren überfällige Reform der ärztlichen Gebührenordnung aus ideologischen Gründen verschleppt. Wenn man Ambulantisierung will und gleichzeitig die ambulante Vergütung drosselt, wie soll das gehen?
Was lief gut?
Dr. Burkhard Lembeck: Der BVOU hat erfolgreich Projekte umgesetzt:. Seit zwei Jahren hat eine Arbeitsgruppe des BVOU zum Thema Hybrid DRG und Ambulantisierung die Daten aus der stationären und ambulanten Versorgung erhoben und Vergütungsmodelle durchgerechnet. Mit dem „Wiesbadener Modell“ haben wir einen Katalog an ambulantisierbaren Leistungen identifiziert und mit einem fairen und transparentem Preismodell verbunden, das auf einer riesigen Datenbank fußt. Das Modell haben wir publiziert und in vielen Sessions vorgetragen. Unter www.bvou.net sind Kataloge und Preislisten hinterlegt. Das Modell hat es bis ins Bundesgesundheitsministerium geschafft und wir konnten Karl Lauterbach anhand unserer Daten klar darlegen, dass der jetzige Reformentwurf des §115f nur dazu führen wird, dass mehr ausgegeben wird, ohne dass die benötigten Ambulantisierungseffekte erreicht werden.
Letztlich werden wir den Prozess auch im Jahr 2024 begleiten müssen, um dann hoffentlich im Jahr 2025 zu einem besseren Start zu kommen.
Zur Notfallreform haben wir gemeinsam mit den Fachgesellschaften ein Eckpunktepapier veröffentlicht: Verpflichtende Ersteinschätzung, Neustrukturierung und Konzentration der ambulanten Notfallpraxen, Aufbau telemedizinischer Dienste sind unseres Erachtens unverzichtbare und einander bedingende Bestandteile einer Reform. Es ist erfreulich zu sehen, dass in Baden-Württemberg die dortige KV um den KV Vorstand Dr. Karsten Braun gerade eine Reform in diesem Sinne auf den Weg bringt.
Wir werden gehört und als Berufsverband wahr- und ernstgenommen. Das ist klar als Erfolg zu werten und gibt einen Funken Hoffnung.
Weiterhin positiv: Um Alternativen / Ergänzungen zum Honorar aus der kassenärztlichen Tätigkeit zu bieten, engagiert sich der BVOU seit Jahren bei Selektiv und Sonderverträgen: OrthoHeroBKK, OrthoKids, Orthovertrag Baden-Württemberg, TK-Vertrag zu den bildwandlergestützen Wirbelsäuleninfiltrationen – die Verträge laufen sehr gut und haben auch im Jahr 2023 deutlich im Volumen zugenommen und bieten für unsere Mitglieder viel. Das fällt nicht vom Himmel: Dank auch hier an alle BVOUler, die diese Verträge pflegen und mit Leben füllen. Eine Mörderarbeit! Weitere Selektivverträge sind in Arbeit und werden zum 01.01.2024 starten – in Hessen darf man sich freuen.
Welche Themen werden für Sie 2024 ganz vorne auf der Agenda stehen? Und wie wird sich Ihr Berufsverband konkret für diese Themen einsetzen?
Dr. Burkhard Lembeck: Zusätzlich zu den oben genannten Themen werden wir im kommenden Jahr im BVOU zwei weitere berufspolitische Schwerpunktthemen angehen:
Zum einen die ärztliche Weiterbildung im Verbund: Hier werden wir Musterverträge und Modelle vorlegen; uns dafür einsetzen, dass sich Weiterbildung bei der Vergütung lohnt und wie man Verbundweiterbildung in den KVen stützen kann.
Ein neues Schwerpunktthema wird die KI sein – hier schauen wir, wie uns diese im Arbeitsalltag bei Arztbriefschreibung, Bildbefundung oder auch Terminvergaben konkret helfen kann oder wird.
Beim den DMPs kommen wir bei der Osteoporose voran: In immer mehr Kven werden Verträge dazu abgeschlossen – wir begleiten dies – inhaltlich und kommunikativ.
Beim Thema EBM haben wir in der Vergangenheit die Umsetzung des TSVG begleitet und kommuniziert. Durch die teilweise Rückabwicklung ist es leider in einigen Kven zu erheblichen Verwerfungen gekommen, während in anderen dies so nicht der Fall war.
Wir nehmen dies zum Anlass die länderspezifischen Unterschiede beim Kassenhonorar unter die Lupe zu nehmen: Wie kommt es, dass Fallwerte differieren, welche Rolle spielen die HVMs, die Gesamtvergütungen usw.? Dazu bauen wir eine Datenbank auf, um die Situation im Bereich O+U erst einmal zu analysieren, um dann ggfs. in die Länder hinein Empfehlungen geben zu können.
Was wäre Ihr größter Wunsch für das kommende Jahr?
Dr. Burkhard Lembeck: Berufspolitisch: Es muss sich der Reformstau in der Gesundheitspolitik endlich auflösen: Aber von Krankenhausrevolution, Reform der Notfallversorgung usw. ist bisher nichts angekommen. Die Diagnosen sind lange gestellt – es müssen die Therapien auch eingeleitet werden. Der BVOU liefert konkrete Lösungen und bietet sich an zu helfen.
Für unseren Berufsverband: Das Jahr 2023 war für unseren BVOU ein gutes: Der Verband wächst, steht wirtschaftlich kerngesund da und ich bin dankbar für all die engagierten Mitglieder, Mandatsträger, Referatsleiter, Vorständler und Profis in der Geschäftsstelle, die das möglich gemacht haben.
Wenn das Jahr 2024 für uns genauso arbeitsreich, prall und erfolgreich verläuft wie das Jahr 2023, dann wäre das mein Wunsch für das kommende Jahr!
Quelle: „Unzufriedenheit bei Orthopäden und Unfallchirurgen ist enorm“ (aend.de)