Archiv für den Monat: März 2024

Machen Sie Ihre Expertise sichtbar: Jetzt Orthinformprofil vervollständigen

Die neu entwickelte Osteoporoseapp des BVOU basiert auf den neuesten medizinischen Leitlinien und berücksichtigt Faktoren wie Alter, Geschlecht, Knochendichte und andere Gesundheitsrisiken. Sie berechnet das Risiko an einer OSteoporose zu erkranken und zeigt die Ergebnisse übersichtlich an. Weiteres Feature der App: Hier können Patienten gezielt nach Osteoprose-Experten in ihrer Nähe suchen.  Unter www.orthinform.de/karten/osteologen sind sämtliche Experten deutschlandweit gelistet.

Wir möchten Sie deshalb herzlich dazu aufrufen, Ihr Orthinformprofil zu aktualisieren, insbesondere wenn Sie ein ausgewiesener Experte oder eine Expertin im Bereich Osteoporose sind. Ein vollständiges und aktuelles Profil hilft Patienten dabei, kompetente und spezialisierte Ärzte in Ihrer Nähe zu finden.

Als Osteoporoseexperte können Sie Ihr Profil nutzen, um Ihre Qualifikationen, Erfahrungen und Behandlungsschwerpunkte transparent und für Patienten leicht zugänglich zu präsentieren. Durch die Aktualisierung Ihres Profils verbessern Sie nicht nur Ihre Sichtbarkeit in der Ärztesuche, sondern tragen auch dazu bei, dass Patienten schneller zu Ihnen finden und von Ihrer Expertise profitieren können.

OrthoCast: Doppelfolge zum Thema Osteoporose

Passend zur neuen Osteoproseapp des BVOU, sind zum Thema zwei brandneue Podcastfolgen zum Thema Osteoporose entstanden. Die erste Orthocast-Folge mit Dr. Uwe de Jager werden wir uns mit den Ursachen und Präventionsmöglichkeiten von Osteoporose beschäftigen. Erfahren Sie, welche Faktoren das Risiko für Osteoporose erhöhen und wie Sie aktiv dazu beitragen können, Ihre Knochengesundheit zu erhalten. Unsere Experten werden den Hörern praktische Tipps und Ratschläge geben, wie Sie Osteoporose vorbeugen können.

In der zweiten Folge mit Prof. Andreas Kurth wird die neueste Leitlinie zur besseren Diagnostik und Therapie von Osteoporose vorstellen. Erfahren Sie, welche aktuellen Empfehlungen es gibt und welche neuen Erkenntnisse die Forschung in diesem Bereich hervorgebracht hat. Unser Moderatorenteam Dr. Anna-Katharina Doepfer und PD Dr. Robert Hudek wird Ihnen dabei helfen, die Leitlinie besser zu verstehen und zu erfahren, wie sie Ihnen im Umgang mit Osteoporose helfen kann.

Verpassen Sie nicht diese beiden spannenden und informativen Podcastfolgen, die Ihnen dabei helfen werden, mehr über Osteoporose zu erfahren und bessere Entscheidungen im Umgang mit dieser Erkrankung zu treffen. Bleiben Sie gespannt auf die Veröffentlichung und abonnieren Sie unseren Orthocast, um keine Folge zu verpassen.

Anwendung von KI in der Bildgebung für O&U

Die Künstliche Intelligenz (KI) hat in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung durchgemacht und findet mittlerweile in zahlreichen Bereichen Anwendung, so auch in der Medizin. In der Orthopädie und Unfallchirurgie (O&U) bietet KI großes Potenzial, die Bildgebung und deren Auswertung zu verbessern und die damit verbundenen Prozesse zu optimieren.

Jetzt schon können KI-basierte Systeme Bilder automatisch analysieren und auffällige Befunde erkennen. Dies kann zu einer schnelleren und präziseren Diagnose führen. Darüber hinaus kann KI helfen, die Bildgebung zu standardisieren und die Qualität der Befundung zu verbessern.

Die Entwicklung von KI-Anwendungen in der Bildgebung befindet sich noch in einem frühen Stadium, aber das Potenzial ist enorm. Insbesondere in der Optimierung von schnelleren und präziseren Diagnosen, Entlastung von Radiologen und Orthopäden bei der Befundung der durchgeführten Bildgebung als auch in der Verbesserung der Patientensicherheit liegen die aktuellen Hoffnungen. Nicht zuletzt ermöglicht die tiefergehende Analysefähigkeit der KI die Identifizierung neuer Muster und Zusammenhänge in den Bildgebungsdaten, was die Entwicklung innovativer Therapieansätze und die Personalisierung von Behandlungen vorantreiben könnte.

In diesem Artikel werden wir die technischen Hintergründe von KI-Anwendungen in der Bildanalyse erörtern. Darüber hinaus werden Beispiele aus aktuellen schon bestehenden Anwendungen aus der Praxis wie aus der Wissenschaft vorgestellt. Abschließend trauen wir uns einen Blick in die Zukunft zu werfen und mögliche Entwicklungen in den nächsten 10 Jahren auf diesem Gebiet in unserem Fachgebiet zu skizzieren.

Grundprinzipien der Künstlichen Intelligenz

Ausgewählte Formen der Künstlichen Intelligenz

Maschinelles Lernen (ML) ist ein Teilbereich der Künstlichen Intelligenz (KI), der sich mit der Entwicklung von Algorithmen befasst, die aus Daten lernen und sich im Laufe der Zeit verbessern können. ML-Algorithmen lernen aus explizit bereitgestellten Datensätzen mit definierten Merkmalen. Als Anwendungsbereiche für ML eignet sich für Aufgaben mit klar definierten Regeln und Merkmalen.

Deep Learning (DL) ist eine Unterart des Maschinellen Lernens, wobei tiefe neuronale Netzwerke mit vielen Schichten verwendet werden, um komplexe Muster in Daten zu erkennen. Neuronale Netze sind eine abstrakte Darstellung des menschlichen Gehirns. Sie bestehen aus vielen miteinander verbundenen künstlichen Neuronen, die Informationen verarbeiten und weiterleiten. Deep Learning Modelle besitzen die Möglichkeit eine automatisierte Merkmalsextraktion und Mustererkennung in großen Datenmengen durchzuführen. Diese Technik hat sich als besonders wirkungsvoll in der medizinischen Bildanalyse erwiesen. Convolutional Neuronal Networks (CNNs) sind DL Modelle, die speziell für die Verarbeitung von Bilddaten konzipiert sind, um automatisch komplexe Merkmale aus Bildern zu extrahieren.

Spezifische Lernmethoden in der Anwendung von Künstlicher Intelligenz

Beim Supervised Learning wird der Algorithmus mit einer großen Menge von gelabelten Daten trainiert, d.h., jede Eingabe (z. B. ein Bild) ist mit einem Label (z. B. die Diagnose) verknüpft. Der Algorithmus lernt, die Eingabedaten anhand der Labels zu klassifizieren oder Vorhersagen zu treffen. Diese Methode wird häufig verwendet, um Modelle zu trainieren, die spezifische Erkrankungen in medizinischen Bildern identifizieren.

Im Gegensatz dazu verwendet Unsupervised Learning ungelabelte Daten. Der Algorithmus versucht, Muster oder Strukturen in den Daten selbstständig zu finden, ohne vorherige Kennzeichnung. Diese Technik eignet sich gut für die Erkennung von Anomalien oder für die Segmentierung, bei der Bilder in relevante Abschnitte unterteilt werden, ohne dass spezifische Diagnoseetiketten verwendet werden.

Reinforcement Learning (RL) ist ein Teilgebiet des maschinellen Lernens, bei dem es darum geht, das bestmögliche Verhalten in einer bestimmten Situation zu lernen, um die größtmögliche Belohnung zu bekommen. Anders als bei anderen Lernmethoden, bei denen aus klaren Beispielen gelernt wird, probiert hier ein „Agent“ verschiedene Handlungen aus und lernt aus den Konsequenzen – Belohnungen für gute Entscheidungen und Strafen für schlechte. RL hat in der Medizin aktuell noch wenige Anwendungsfälle. Jedoch in anderen Bereich wie autonomes Fahren und Automatisierung industrieller Prozesse hat es vielfältige Verwendung.

Segmentierung und Bildklassifikation

Segmentierung und Bilddatenklassifikation sind fundamentale Methoden in der medizinischen Bilddatenanalyse. Sie spielen eine entscheidende Rolle bei der automatisierten Auswertung von Röntgenbildern, MRT und CT-Scans. Somit können diese Anwendungen in Zukunft die die Diagnosestellung als auch die Planung und Therapie in der Orthopädie und Unfallchirurgie unterstützen.

Das Ziel der Segmentierung ist es, ein Bild in mehrere Segmente oder Bereiche zu unterteilen, die jeweils bestimmte Eigenschaften teilen, wie z. B. Farbe, Intensität oder Textur. Diese Bereiche repräsentieren oft spezifische Objekte oder Teile eines Objekts im Bild.

Das Ziel der Bildklassifikation ist es, ein ganzes Bild oder bestimmte Objekte in einem Bild einer von mehreren Kategorien (Klassen) zuzuordnen. Dies kann von einfachen Klassifizierungen wie „Tier“ oder „Fahrzeug“ bis hin zu spezifischeren Kategorien wie „Katze“ oder „Auto“ reichen.

In der Literatur sind in den letzten Jahren zunehmend erste Anwendungsversuche von KI-Systemen in der Orthopädie und Unfallchirurgie publiziert worden.

Gelenkrekonstruktion

Im Bereich der Gelenkrekonstruktion werden hauptsächlich Use-Cases in Bezug auf die Bildanalyse, Evaluation von Implantaten und im Bereich des vorhersagenden Behandlungsverlaufsverlaufs veröffentlicht.

Im Kontext der Bildanalyse werden Einsatzmöglichkeiten insbesondere der Identifizierung von Gelenkpathologien, Achs- und Gelenkstellung und Implantaterkennung zugeordnet. Im Bereich der Bildanalyse von nativradiologischen Bildern mit einem CNN-Model wurden vielversprechende Daten bei der automatischen Erkennung von Arthrosestadien im Bereich der Hüfte (Xue et al. 2017) (Üreten et al. 2020) und dem Kniegelenk (Swiecicki et al. 2021) veröffentlicht. Auch erste kommerzielle Anbieter in diesem Bereich sind auf dem Markt.

Ein weiterer Ansatz ist die Evaluation der Röntgenbilder nach Implantation eines Gelenkersatzes auf Lockerungsanzeichen im Verlauf. Auch hier konnte schon gezeigt werden, dass ein trainiertes CNN-Modell zuverlässig mit einer Sensitivität von 94 % und eine Spezifität von 96 % diese radiologischen Anzeichen erfassen kann (Borjali et al. 2019).

Im Bereich der Vorhersage von Patientenverläufen hat eine Studie mit Daten von 17.443 Patienten aus der Datenbank des American College of Surgeons National Surgical Quality Improvement Program gezeigt, dass die Wiederaufnahme in ein Krankenhaus nach einer Revisionsoperation bei Kniegelenksimplantaten erfolgreich vorhergesagt werden kann. Dabei kamen vier verschiedene maschinelle Lernmodelle zur Anwendung, um zu demonstrieren, dass solche Vorhersagen mit guter Genauigkeit möglich sind. Das Ziel dieser Studie war es, mit dem Wissen aus der Vorhersage gewisse Risikofaktoren zu therapieren, dass die erneute Aufnahme ins Krankenhaus vermieden werden kann (Chen et al. 2024).

Auch erste Anwendung im Bereich der patienten-spezifischen präoperativen Planung von Gelenkersatz mit einem ML-Algorithmus wurden untersucht. Hier zeigte sich, dass die durchschnittliche Anzahl der Korrekturen, die ein Chirurg, an dem mit KI generierten, präoperativen Plan vornehmen musste, im Vergleich zum Standardplan des Herstellers um 39,7 % reduziert werden konnte. Die Größe des femoralen und tibialen Implantats im Plan des Herstellers war in 68,4 % bzw. 73,1 % der Fälle korrekt, während der auf KI basierende Plan in 82,2 % bzw. 85,0 % der Fälle korrekt war, verglichen mit dem vom Chirurgen genehmigten Plan (Lambrechts et al. 2022).

Wirbelsäule

KI-Anwendungen im Bereich der Wirbelsäule werden aktuell vornehmlich in Bezug auf Erkennung von anatomischen Strukturen und der Detektierung von spinalen Pathologien entwickelt. Anatomische Strukturen In den letzten Jahren wurden mittels unterschiedlicher CNN-Modell die Erkennung von Wirbelkörpern (Forsberg et al. 2017), Bandscheiben (Lin et al. 2020), den Spinalkanal und lateralen Recessus (Hallinan et al. 2021) als auch der paravertebralen Muskulatur im MRT-Bild vorangetrieben. Auch bei der Erkennung und der Berechnung des Verfettungsgrades im Bereich der paravertebralen Muskulatur der LWS konnten gute Ergebnisse in einer Studie gezeigt werden (Baur et al. 2022). Bei der Analyse von MRT-Bildern muss man anmerken, dass diese im Vergleich zum nativen Röntgenbild bzw. einem CT-Bild deutlich erschwert ist, da innerhalb eines MRT-Bildes deutlich mehr Informationen über die Gewebe enthalten sind. Zudem kommt hinzu, dass MRT unterschiedliche Arten von Kontrasten verwendet, um verschiedene Gewebe hervorzuheben. Auch sind MRT-Bilder aus unterschiedlichen Untersuchungen und unterschiedlichen Geräten viel variabler als CT-Bilder, was das Training der KI-Anwendungen deutlicher erschwert.

Spinale Pathologien

Zu vielen spinalen Pathologien wurden bisher erste Anwendungen einer automatisieren KI-unterstützen Bildanalyse veröffentlicht. So konnten eine Arbeitsgruppe zeigen, dass degenerative Veränderungen im Bereich der HWS ebenso wie Myelonschädigungen mit einem guten Ergebnis mit einem CNN-Model detektiert werden konnten (Ma et al. 2020). Verschiedene Studien zeigten auch, dass es möglich ist neuroforaminale Stenosen, Facettengelenksarthrosen als auch Spinalkanalstenosen in der MRT Bildgebung mit Hilfe von CNNModellen zu erkennen (Bharadwaj et al. 2023).

Mit verschiedenen Ansätzen und unterschiedlichen KIModellen haben Forschungsgruppen Modell generiert, um die Verkrümmung der Wirbelsäule bei Skoliosepatienten aus verschiedenen Perspektiven anhand von Röntgenbildern zu analysieren und zu vermessen. Weng et al. entwickelte ein Modell mit Hilfe der Architektur eines ResidualNetwork und eines U-Nets Modells für die präzise Messungen der Wirbelsäulenachse, das sich besonders durch seine Zuverlässigkeit bei verschiedenen Deformitätsgraden hervorhebt (Weng et al. 2019). Wu et al. führten ein Netzwerk ein, dass durch die Verarbeitung von verschiedenen Bildansichten, Röntgenaufnahmen aus verschiedenen Perspektiven, analysiert und den Cobb-Winkel sowie Wirbelsäulenmarkierungen präzise bestimmen kann (Wu et al. 2018). Häufig sind bei starken Wirbelsäulenverkrümmungen die einzelnen Wirbelkörper von anderen anatomischen Strukturen wie die Rippenansätze überlagert, was eine automatisierte Auswertung dieser Fälle erschwert. Durch die Verwendung ein Merkmalsfusionsmodul konnte in einer anderen Arbeit die Genauigkeit der Bewertung von Röntgenbildern bei Skoliose verbesserte, indem Informationen aus unterschiedlichen Röntgenansichten effektiv nutzt wurden und unklare Wirbelsäulenpunkte besser identifiziert wurden (Zhang et al. 2022).

Weitere Anwendungsbereiche in O und U

In der orthopädischen Onkologie werden zunehmend KI-basierte Technologien für die bildgestützte Diagnose von Tumoren eingesetzt. Moderne tiefenlernbasierte Algorithmen können primäre Knochentumoren auf Röntgenbildern als gutartig oder bösartig klassifizieren, mit ähnlicher Genauigkeit wie Fachärzte. In Studien von He et al. und Eweje et al. erreichten solche Modelle eine Genauigkeit von über 73 %, was in diesen Untersuchungen der Leistung von spezialisierten Radiologen entspricht. Diese Algorithmen könnten die Diagnose in unklaren Fällen verbessern und invasive Verfahren reduzieren.

Im Bereich der Frakturerkennung wurden beispielsweise beim Training von Deep-Learning-Netzwerken mit Röntgenbildern zur Erkennung spezifischer Frakturtypen mit kleineren Datensätzen hohe Erkennungsgenauigkeiten erzielt. Beispielsweise erreichten CNNs Erkennungsraten von 94,4 % für Femurhalsfrakturen, 95,5 % für intertrochantäre Hüftfrakturen und 96 % für distale Radiusfrakturen (Gan et al. 2019) (Adams et al. 2019). Darüber hinaus haben andere Forscher Deep-Learning-Methoden nicht nur zur Erkennung, sondern auch zur funktionellen Klassifizierung von Fraktursubtypen, wie etwa bei proximalen Humerus-, Fersenbein- und Beckenfrakturen, erfolgreich eingesetzt (Krogue et al. 2020).

Sowohl Verletzungen des vorderen Kreuzbands als auch Meniskusverletzungen zählen zu den häufigsten Pathologien in der Sportmedizin. In jüngerer Vergangenheit wurde erfolgreich demonstriert, dass diese Verletzungen mithilfe von CNN-effektiv in MRT-Bildern erkannt werden können (Minamoto et al. 2022) (Li et al. 2022).

Herausforderungen und Entwicklungen

Die Entwicklung von KI-Anwendungen in der Bildanalyse für Orthopädie und Unfallchirurgie nimmt zunehmend mehr Raum ein. Jedoch steht sie auch vor einigen Herausforderungen, insbesondere hinsichtlich der Datenverfügbarkeit und der Modellgenauigkeit. Nicht wenige Studien über die Implementierung von KI-Modellen zur Bildanalyse stützen sich auf eine begrenzte Anzahl von Patientendaten und Bildmaterial, was das Training der Modelle erschwert und oft zu einer geringeren Genauigkeit führt bzw. müssen n diesen Fällen eine hohe Genauigkeit der Modelle kritisch hinterfragt werden. Trotz dieser Hindernisse haben Fortschritte insbesondere in der Verwendung von Convolutional Neural Networks bereits gezeigt, dass eine effektive Erkennung und Klassifizierung von Pathologien in allen Bereichen unseres Fachgebiets möglich sind. Die Zukunft der Bildanalyse liegt eindeutig in der automatisierten Erfassung und Klassifikation der Pathologien, was nicht nur die Diagnosegenauigkeit verbessern, sondern auch die Behandlungszeiten verkürzen und letztlich zu besseren Diagnose- und Behandlungsergebnissen führen könnte. Um dieses Potenzial voll auszuschöpfen, sind jedoch weitere Forschungen und Entwicklungen erforderlich, insbesondere im Bereich der Datensammlung und des Modelltrainings.

Literatur auf Anfrage bei der Redaktion.

Amputationsassoziierte Schmerzen: Wenn das Bein schmerzt, das nicht mehr existiert – kann (Mikro-) Chirurgie den Schmerz lindern?

Amputationsassoziierte Schmerzen können als Stumpf-, Neurom- und Phantomschmerzen auftreten. Stumpfschmerzen (Residual Limb Pain, RLP) treten dabei lokal am Stumpf auf, die Schmerzvermittlung erfolgt über Nozizeptoren. Neuromschmerzen zählen zu den Stumpfschmerzen, diese entstehen aufgrund von durchtrennten bzw. verletzten Nerven im Amputationsstumpf und gehören zu den häufig herausfordernd zu behandelnden neuropathischen Schmerzen. Schmerzen in der amputierten Extremität, sog. Phantomschmerzen (Phantom Limb Pain, PLP), entstehen u.a. durch maladaptive kortikale Prozesse und den Verlust des afferenten Inputs aus der amputierten Extremität. Im Gegensatz dazu beschreiben Phantomempfindungen, nicht-schmerzhafte Wahrnehmung an der amputierten Extremität.

Prävalenz

PLP betreffen bis zu 80 % der Amputierten. Auftreten, Intensität, Qualität sowie Dauer des PLP kann sich dabei stark unterscheiden. Andere Schmerzursachen wie Stumpfschmerzen z. B. durch Wundschmerzen und insbesondere Neuromschmerzen können PLP verstärken, potenzieren und zu einer Chronifizierung führen.

Pathophysiologie

Gegenwärtig existieren zwei grundlegende Theorien. Merzenich begründete seine Theorie 1984 auf dem kortikalen Remapping. Hierbei wird durch die Deafferenzierung infolge derAmputation davon ausgegangen, dass somatosenorische und motorische kortikale Areale von der amputierten Extremität von angegliederten Arealen invadiert werden. In verschiedenen Studien konnte eine Korrelation des kortikalen Remappings und derIntensität von PLP nachgewiesen werden, die sog. maladaptive Plastizitätstheorie. Durch die neuronale Plastizität und maladaptive kortikale Reeorganisation des primären sensomotorischen Kortex (S1 und M1) kommt es zu einer Umstrukturierung, die auch in Schnittbildgebungen (cMRT) darstellbar ist. Die angrenzenden Körperareale der amputierten Extremität werden stärker auf dem kortikalen Areal repräsentiert.

Im Gegensatz dazu beruht die Neuromatrix-Theorie von Melzack in 1989 darauf, dass durch den fehlenden afferenten Input der amputierten Extremität maladaptiven Veränderungenin diesen kortikalen Arealen induziert werden. Resultierend ist die Erzeugung von Schmerzmustern, die in der amputierten Extremität vernommen werden.

Klinik und Diagnosestellung

Bei PLP handelt es sich um eine klinische Diagnose von schmerzhaften Empfindungen in einem Körperteil, welches nicht mehr existiert. PLP werden häufig als ein kribbelndes, pochendes, nadel-, messerstichartiges oder stechendes Gefühl vernommen. Zudem beschreiben Betroffene des Öfteren ein Telescoping, die amputierte Extremität wird verdreht und im zeitlichen Verlauf nach proximal verkürzt wahrgenommen. Eine ausführliche Anamnese, umfassenden körperliche Untersuchung und dem Ausschluss von Differentialdiagnosen können die Diagnose erhärten. Eine Abgrenzung zu Phantomempfindungen und schmerzhaften Stumpfneuromen ist wichtig, kann jedoch herausfordernd sein.

In der klinischen Untersuchung sind Allodynie, Hyperalgesie und ein positives Hoffmann-Tinel-Zeichen wegweisend für Neuromschmerzen. Durch Infiltration eines Lokalanästhetikums in das schmerzhafte Neurom kommt es zu einer temporären Schmerzreduktion, welches als wichtiges diagnostisches Kriterium für ein symptomatisches Neurom zählt.

Therapieoptionen

Die Behandlung von PLP erfordert einen interdisziplinären, multidimensionalen Ansatz. Gegenwärtig existiert keine einheitliche und durchweg reliable Therapie. Wichtig ist, dass neben pathophysiologischen auch patientenspezifisch-biopsychosoziale Faktoren berücksichtig werden.

Medikamentöse Therapie

Der Fokus liegt auf der symptomatischen Kontrolle, ein einheitliches Therapieschema existiert nicht. Am häufigsten kommen Nicht-Opioid-Analgetika prä- und postoperativ zum Einsatz. Bei längerfristiger Therapie werden Gabapentinoiden und Trizyklischen Antidepressiva als erste Wahl empfohlen. Schwach- und starkwirksame Opioide werden häufig in Kombination mit Antidepressiva oder Antikonvulsiva eingesetzt. Die Nebenwirkungen, Toleranz- und Abhängigkeitsgefahr sind zu beachten und bedürfen regelmäßige Reevaluationen.

Nicht-medikamentöse und nicht-chirurgische Therapieoptionen

Dazu gehören Elektrotherapie (TENS), Spiegeltherapie, Graded Motor Imagery, psychologische Behandlungsstrategien und das Tragen von Prothesen. Als grundlegender Mechanismus der Schmerzreduktion durch diese Verfahren nimmt man an, dass sie die o. g. sensomotorische Inkongruenz reduzieren (durch den elektrischen Stimulus, den visuellen Input, etc.). Sie führen weiterhin zu einer Wiederherstellung der Körperintegrität, unterstützen das Embodiment und reduzieren somit Schmerzen.

Operative Therapie

Innovative nervenchirurgische Techniken wie Targeted Muscle Reinneravtion (TMR), Targeted Sensory Reinnervation (TSR) und Regenerative Peripheral Nerve Interface (RPNI) transferieren selektiv Stumpfnerven und scheinen vielsprechend für Therapie und Prävention von Phantom- und Neuromschmerzen (Abb. 1). Nach mikrochirurgischer Präparation werden beim TMR, das Neurom als Spender- und der motorische Endast eines biomechanisch nicht mehr relevanten Muskels als Empfängernerv mittels End-zu-End-Naht neurorraphiert. Der distale Stumpf des Empfängernervs ermöglicht eine zielgerichtete Regeneration des Stumpfneuroms. In einer randomisiert kontrollierten Studie konnte gezeigt werden, dass TMR signifikant Phantom- und Neuromschmerzen reduziert und dem bloßen Versenken des Nervens im Muskel überlegen ist.

Transkutane Elektroden können die Muskelkontraktion ableiten und somit die Prothese ansteuern und die Funktionalität erhöhen.

Basierend auf dem gleichen Prinzip beschreiben RPNIs einen selektiven Nerventransfer auf ein kleines freies avaskuläres und denerviertes Muskelgraft als Ziel für die regenerierende Axone des distalen Nervenende im Stumpf. Im Gegensatz zu TMR können RPNIs in kürzerer Zeit und ohne mikrochirurgische Expertise realisiert werden. Damit die Neovaskularisation und somit die Vitalität des Muskelgraftes nicht gefährdet ist, darf eine Größe von 30–40 mm Länge, 15–20 mm Breite und 5–6 mm Dicke nicht überschritten werden.

Aktuelle Metaanalysen zeigen, dass TMR und RPNI Neuromschmerzen bei 75–100 % und PLP bei 45–80 % der Betroffenen, um 2,4–6,2 Punkte auf der Schmerzskala (Numeric Rating Scale, NRS) reduzieren konnten. Vielversprechender ist der Einsatz von TMR und RPNI in der primären Amputation. 48 %–100 % der Amputierten entwickeln darunter keinen Neuromschmerz und 45 %–87 % keinen Phantomschmerz.

In Analogie zu TMR wird bei TSR selektiv rein sensorische Nerven transportiert, koaptiert und reinnervieren gezielt die Haut. Die Evaluation von TSR zeigt in Kombination mit Biofeedback-Systemen in Fallberichten einen positiven Einfluss auf Phantomschmerzen.

Orthetik 4.0: Digitale Fertigungsprozesse in der Orthopädietechnik

Die additive Fertigung ist schon lange kein Zukunftsszenario mehr und wird in der Orthopädietechnik zur Herstellung von individuell angepassten Hilfsmitteln genutzt.

Bei rahm – Zentrum für Gesundheit und Mobilität beschäftigt man sich seit 2015 mit der Herstellung von additiv gefertigten Orthesen und kann schon jetzt auf zahlreiche erfolgreiche Versorgungen zurückblicken. Die Orthesen der rios® (Rahm individuelle Orthopädie Systeme) Produktfamilie für die obere Extremität wurden gemeinsam von Ergotherapeuten, Orthopädietechnikern und Entwicklungsingenieuren entworfen und bieten ein leichtes und atmungsaktives Design bei gleichzeitig hoher Stabilität und Funktionalität. Um diese überaus erfolgreichen Versorgungskonzepte, als state of the art etablieren zu können, hat rahm sich mit leistungsstarken Partnern zusammengetan und wird ab 2024 Hightech 3D Orthesen zusätzlich unter der Marke SMINA+ bundesweit anbieten.

Bei der Fertigung von individuellen Orthesen ist eine präzise Maßerfassung besonders wichtig. Es wird ein modernes 3D Körperscan-Verfahren (Abb. 1, Körperscan-Verfahren) eingesetzt, welches die Körpermaße berührungslos mit Hilfe eines Handscanners erfasst und anschließend in ein digitales dreidimensionales Abbild umwandelt.

Mit Hilfe einer Funktionsanalyse und Zielformulierungen zu den individuellen Optionen, agiert das interdisziplinäre Team zusammen mit dem Patienten, um zu einem bestmöglichen Ergebnis zu kommen. Das Besondere im Herstellungsverfahren zeigt sich hier bei den dreidimensionalen digitalen Konstruktionsmöglichkeiten (Abb. 2, CAD). Im Vergleich zum z. B. ergotherapeutischen Schienenbau (Modellieren direkt am Patienten) oder auch zum klassischen Modellieren am Gipsabdruck in der Orthopädietechnik, sind hier innovative Gestaltungsmöglichkeiten gegeben.

Die erwähnten modernen Gestaltungsmöglichkeiten sind zum einen die werkzeuglose Einhandverstellung vieler Orthesen, welche zu einer großen Selbständigkeit des Patienten beitragen. Zusätzlich bietet sich daraus folgend die Möglichkeit, die Orthesen je nach Tagesform und Zustand der Hand individuell zu korrigieren. Therapeutische Konzepte (bspw. Aspekte der Manuellen Therapie – Distraktion auf arthrotische Gelenke, Narbenbehandlung – Verwendung von Silikon in Kombination mit Kompression und der Schmerztherapie) können in die Entwicklung der Orthese einfließen (Abb. 3, rios® RhizSpiral – Distraktion auf das CMCI).

Abgerundet wird die individuelle Versorgung durch konsequenten Leichtbau und wasserfeste Materialien bei den rios® Orthesen.

Auszug des Produktportfolios 3D gedruckter Orthesen für die obere Extremität

Die rios® RhizSpiral wurde 2019 in Zusammenarbeit von Orthopädietechnikern, Entwicklungsingenieuren und Handtherapeuten entwickelt. Die Besonderheit der Orthese, besteht in der redressierenden Wirkung auf das schmerzende CMCI der Rhizarthrose Patienten. Aufgrund des Spiralaufbaus der Orthese entsteht eine Federwirkung, die eine Distraktion auf das CMCI erwirkt. Ein zusätzlicher sensorischer Impuls an der Thenarmuskulatur, bewirkt eine Detonisierung in diesem Bereich. Eine Silikonauskleidung der Orthese, verspricht einen angenehmen Tragekomfort und verhindert ein Verrutschen der Orthese. Die ausgewählte Scanposition unterstützt den Gelenkschutz des CMCI, da weitere Scherkräfte bei Alltagssituationen vermieden werden (Abb. 3, rios® RhizSpiral).

Im Laufe der Jahre, zeigt sich, dass die rios® RhizSpiral hält, was sie verspricht. Mehrere Patientenbefragungen (im Rahmen einer Kundenbefragung intern und zweier wissenschaftlicher Arbeiten der Hochschule Trier) bringen durchweg positive Ergebnisse im Hinblick auf die Schmerzreduktion, vor allem bei Alltagstätigkeiten. Im Rahmen einer gutachterlichen Stellungnahme 2023 durch Prof. Tobolski (Sporthomedic) zum Vergleich verschiedener Rhizarthrose- Orthesen, wurden ebenfalls positive Ergebnisse erzielt. Wesentliche Erkenntnisse sind ein signifikant verbesserter VAS – Score, eine deutliche Steigerung der Handkraft nach 12 Wochen und die Verbesserung der Gelenkposition im DVT – betreffend die Subluxation und die Gelenkspaltweite.

Eine Kontraindikation für die rios® RhizSpiral, stellt die Luxation des CMCI dar. In diesen Fällen empfiehlt sich eine SMINA+ TPU Daumenorthese (Abb. 4, SMINA+ TPU Daumen Orthese). Diese besteht aus einem weicheren Material (Thermoplastisches Polyurethan), als die RhizSpiral und kann dennoch eine gezielte Korrektur der Fehlstellung des Daumens vornehmen. Das Material ist ebenfalls wasserabweisend und kann atmungsaktiv gestaltet werden was den Einsatz der Hand im Alltag möglich macht.

Das Wirkprinzip der Distraktion wird ebenfalls bei Patienten mit Arthrose im Handgelenk eingesetzt (Abb. 5, SMINA+ Distraktion). Die Traktionsdosierung kann durch den Patienten selbst erfolgen und tagesformabhängig bestimmt werden. Aufgrund der freien Beweglichkeit von Finger und Hand, ist ein Alltagseinsatz der Orthese möglich Im Bereich der Rheumatologie wird die Kombination aus verschiedenen Materialien genutzt, sodass ein selbständiger und schmerzfreier Einstieg in die Orthese möglich ist und dennoch eine Korrektur der Fehlstellung der Finger (Ulnardeviation) durch festere Materialien gegeben ist (Abb. 6, SMINA+ UlnarM TPU)

Die Kosten für 3D gedruckten Orthesen werden in der Regel von der Krankenkasse übernommen.

Der Fertigungsprozess / 3D Druck

Alle 3D gedruckten Hilfsmittel werden individuell auf Grundlage des Körperscans digital modelliert und für den Patienten am Computer konstruiert. Zur Herstellung werden marktübliche 3D Druck Verfahren evaluiert, sodass ein Hilfsmittel mit dem jeweils geeignetsten hergestellt werden kann. Die verschiedenen Vor- und Nachteile der einzelnen Druckverfahren, in Kombination mit unterschiedlichen Materialien, geben eine Vielfalt an
Möglichkeiten.

Eines der am häufigsten verwendeten Verfahren ist der Selektive Lasersinterprozess (SLS). Hier wird Pulver gezielt durch einen Laser verfestigt, sodass besonders atmungsaktive Konstruktionen gefertigt werden können.1 Es entstehen orthopädische Hilfsmittel mit evidenzbasierten Versorgungskonzepten, die nicht nur eine erstklassige Funktionalität erfüllen, sondern auch ästhetischen Ansprüchen gerecht werden, welches die Compliance der Patienten positiv beeinflusst. Die verwendeten Materialien erleichtern die hygienische Handhabung und Reinigung durch den Patienten und bieten somit bei der dauerhaften Anwendung im privaten und beruflichen Alltag einen erheblichen Vorteil (Abb. 7, SIMNA+ Rhiz- Spiral).

Durch das Ausnutzen der Verfahrensvorteile und die Kombination der verschiedenen 3D Druck Verfahren, können zum derzeitigen Standpunkt, die bestmöglichen orthopädischen Hilfsmittel hergestellt werden. Diese Flexibilität, Vielfalt gepaart mit den geringen Limitationen, kombiniert mit dem interdisziplinären Team ist dabei das Erfolgsgeheimnis für gewinnbringende, moderne Patientenversorgungen in der Orthopädietechnik.

Literatur auf Anfrage bei der Redaktion.

Rückenorthesen bei Osteoporose-induzierten chronischen Rückenschmerzen und Hyperkyphose – Evidenz und neue Studienergebnisse

Die Prävalenz von vertebralen Deformitäten in Deutschland beträgt in der Gruppe der 50- bis 79-jährigen für Frauen 18,7 %;1 hochgerechnet sind somit ca. 2,2 Mio. Frauen von Wirbelkörperdeformitäten und deren Folgen betroffen.2

Wirbelsäulenorthesen galten in der Osteoporose-Therapie lange Zeit als etablierte Säule bei akuten Wirbelfrakturen.3 Diese Einschätzung stützt sich nicht nur, aber insbesondere auf Untersuchungen mit aktivierenden Spinalorthesen.u. a. 4–6 Die aktualisierte Leitlinie „Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose“ DVO7 belegt den Evidenzgrad zum Einsatz von Rückenorthesen zur frühen Mobilisierung bei akuten, stabilen osteoporotischen Frakturen allerdings lediglich mit einer „kann“ Empfehlung (Empfehlungsgrad 0). Rationale für diese Entscheidung ist die Meta-Analyse (2015) von Jin et al.,8 die bei osteoporotischen Frakturen zwar signifikant positive Effekte (Schmerz, Kyphosewinkel, QoL) der Spinomed-Orthese erfasst, aufgrund limitierter methodischer Studienqualität aber nur eine sehr schwache Empfehlung ausspricht. Ziel der vorliegenden Arbeit, die sich mit den Effekten multifunktionaler Spinalorthesen*

*„Spinomed Active“ (medi, Bayreuth): wirbelsäulenaufrichtende Aktivorthese
zur Entlastung und Korrektur der Lendenwirbelsäule / Brustwirbelsäule

auf u. a. Rückenschmerzen und Kyphosewinkel bei mehr als 3 Monate zurückliegenden osteoporotischen Frakturen beschäftigt,9 war es daher, belastbare Evidenz zur Empfehlung von Spinalorthesen innerhalb des Spannungsfeldes der osteoporotischen Wirbelkörperfraktur zu belegen. Unsere Hypothesen waren, dass die „Spinomed Active“-Orthese (a) die Intensität von Rückenschmerzen, (b) den Kyphosewinkel in aufrechter Position, (c) die maximale Rumpfkraft, (d) die funktionelle Kapazität im „chair-rise“ und (e) die Rückenschmerzinduzierten Beeinträchtigungen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe signifikant positiv beeinflusst.

Methodik

Zur Verifizierung der Hypothesen wurde eine randomisierte, kontrollierte, semi-verblindete Studie (RCT) im Parallelgruppendesign durchgeführt (ClinicalTrials.gov: NCT04854629). Die mittels formaler Fallzahlanalyse ermittelte Teilnehmeranzahl von 80 Teilnehmern wurde balanciert und für Teilnehmer und Untersucher verdeckt einer Orthesen- (SOG: n=40) und einer Kontrollgruppe (KG: n=40) zugeordnet. Einschlusskriterien waren (a) selbstständig lebende Frauen ≥65 Jahre Lebensalter, (b) ≥1 niedrig-traumatische Wirbelfraktur vor ≥3 Monaten, (c) chronische Rückenschmerzen mit einer Rückenschmerzintensität (NRS 0-10) ≥1 und (d) Hyperkyphose. Ausschlusskriterien umfassten (a) andere Medikation als Analgetika (z. B. Glukokortikoide) oder Erkrankungen (z. B. rheumatoide Arthritis) mit relevantem Einfluss auf die Studienergebnisse, (b) sekundäre Osteoporose, (c) zu erwartende Änderungen der Schmerztherapie, (d) eine strukturell fixierte Kyphose, (e) Kyphoplastie / Vertebroplastie, sowie (g) eine Verwendung von Wirbelsäulenorthesen in den letzten 6 Monaten. Eine Verblindung auf Studienleiter- und Teilnehmerebene konnte aus nachvollziehbaren Gründen nicht durchgeführt werden. Hingegen war allen an Tests und Analyse beteiligten Untersuchern der Gruppenstatus unbekannt.

Die Teilnehmer der SOG wurden, meist als Standardversorgung, mit der „Spinomed Active“-Orthese (medi GmbH & Co. KG, Bayreuth, Deutschland) ausgestattet (Abb. 1). Die Orthese wurde jeweils individuell von einer Orthopädietechnikerin angepasst und eingewiesen. Nach zwei und acht Wochen der 16-wöchigen Intervention wurden die Orthesen von derselben Orthopädietechnikerin überprüft und, falls erforderlich, angepasst. Die Orthesen- und Kontrollgruppe wurden in zweiwöchentlichem Abstand kontaktiert, um Veränderungen von Größen, die das Studienergebnis beeinflussen können, zu überwachen sowie (SOG) die Compliance mit dem Trageprotokoll zu überprüfen und Probleme beim Tragen oder im Umgang mit der Spinalorthese zu erfassen.

Während der 16-wöchigen Intervention wurde die Orthese in den ersten beiden Wochen über 2 Stunden/d, ab Woche 3 zweimal 2 Stunden / d tagsüber, bei alltäglichen körperlichen Aktivitäten getragen. Die tägliche Tragedauer wurde mittels Protokollen erfasst. Lebensstil inklusive körperlicher Aktivität, Physiotherapie, Medikation und andere Aspekte, die sich auf unsere Ergebnisse auswirken können, sollten während des Interventionszeitraums beibehalten werden.

Neben Körpergröße, -masse und -zusammensetzung wurde der Kyphosewinkel mittels Debrunner-Kyphometer (Protek, Bern, Schweiz) von einem Punkt zwischen den Dornfortsätzen des zweiten bis dritten Brustwirbels und einem zweiten Punkt zwischen den Dornfortsätzen von T11 und T12 in jeweils aufrechter, aktiv gestreckter Position bestimmt. Die Schmerzintensität an der Wirbelsäule“, als primärer Studienendpunkt, wurde mittels numerischer Bewertungsskala (NRS 0-10: 0=keine bis 10=schlimmst-mögliche Schmerzen) über einen Zeitraum von vier Wochen vor Interventionsbeginn und während der letzten 4 Wochen der Intervention via standardisierter Protokolle täglich erfragt. Die durchschnittliche Schmerzintensität der 4-wöchigen Abschnitte wurde in die Analyse einbezogen. Parallel dazu wurden die Teilnehmer gebeten, die tägliche Schmerzmedikation in ihren Protokollen zu vermerken. Rumpfstreckung und Rumpfbeugung wurde mit einem isometrischen Kraftmessgerät (Back-Check® 607, Dr. Wolff, Arnsberg, Deutschland) evaluiert. Mittels „30 s Chair-Rise-Test” wurde zudem die Kraft und Funktionalität der unteren Extremitäten ermitteln. Die deutsche Version des 24-teiligen Roland-Morris Disability Questionnaire wurde verwendet, um Rückenschmerz-induzierte Beeinträchtigungen zu erfassen.

Zur Analyse der Daten wurde eine Intention-to-Treat-Analyse (ITT) mit multipler Imputation durchgeführt. Nach der Überprüfung der Normalverteilung wurden die prä-post Gruppenunterschiede durch abhängige t-Tests mit gepoolter SD adressiert. Mit Hilfe einer ANCOVA (Analysis of Covariance) wurden die Gruppenvergleiche auf die jeweiligen basalen Daten adjustiert. Alle Tests wurden 2-seitig angelegt, Signifikanz wurde bei p <0,05 akzeptiert.

Ergebnisse

Bei vergleichbaren „Lost to follow-up“-Raten in Orthesen- und Kontrollgruppe (n=6 vs. n=8), brach eine Teilnehmerin der SOG die Studie wegen Hüftbeschwerden ab die nicht in Zusammenhang mit der Orthese standen, eine andere Teilnehmerin mit Harninkontinenz gab an, durch die Orthese Schwierigkeiten beim raschen Toilettengang zu haben. In wenigen Fällen berichteten Patientinnen durch das Tragen der Orthese initiale Muskelschmerzen, Schulterprobleme beim Einbringen und Entfernen der Aluminium-Rückenschiene der Orthese (bei bereits bestehender Schulterproblematik) sowie leichte Hautirritationen (Rötungen).

Bei vergleichbaren basalen Charakteristika der Teilnehmer zu Studienbeginn zeigte sich eine signifikante Reduktion der durchschnittlichen Rückenschmerzintensität in beiden Studiengruppen, die allerdings in der Orthesen- (SOG) verglichen mit der Kontrollgruppe signifikant stärker ausgeprägt (p=.008) war (Tab. 1). Die Schmerzmitteleinnahme zeigte eine sehr hohe Varianz und unterschied sich bei niedrigerer Einnahme in der KG zu Studienbeginn erheblich (p=.054). Zum Untersuchungsende zeigte diese Größe eine Halbierung in der Orthesen- (p=.010) und eine ca. 50 % Zunahme in der KG (p=.201). Der korrespondierende Zwischengruppenunterschied lag grenzwertig nicht signifikant (p=.056).

Der Kyphosewinkel der KG-Gruppe zeigte keine wesentliche Veränderung (p=.61), aber nahm in der SOG-Gruppe signifikant ab (p<.001). Der korrespondierende Zwischengruppen-unterschied war signifikant (p<.001) (Tab. 1). Eine parallele Entwicklung zeigte die Rumpfkraft als Index aus Rückenextension und -flexion, die in der SOG signifikant anstieg (p<.001) und in der KG weitgehend unverändert (p=.20) blieb. Auch hier waren die entsprechenden Unterschiede zwischen den Gruppen (grenzwertig) signifikant (p=.049) (Tab. 1). Etwas geringere Effekte zeigten sich für den chair-rise Test (p=.062) (Tab. 3), der lediglich in der SOG (p=.001), nicht jedoch der KG (CG: p=.43) signifikant anstieg. Schließlich zeigte der Roland-Morris Disability Fragebogen eine signifikant positive Entwicklung in der Orthesengruppe (p=.001) bei weitgehend unveränderten Werten in der KG (p=.46). Der Effekt im Sinne des Zwischengruppenunterschieds der Veränderung war dabei signifikant (p<.001).

Wichtig erscheint, dass keine relevante Veränderung von Größen mit Auswirkung auf unsere primären oder sekundären Endpunkte, zumindest durch die einschlägigen Fragebögen und standardisierten Interviews der Untersuchung erfasst werden konnten.

Zusammenfassend können die vorgelegten Hypothesen, dass die „Spinomed Active“-Orthese (a) die Intensität von Rückenschmerzen, (b) den Kyphosewinkel in aufrechter Position, (c) die maximale Rumpfkraft und (e) Rückenschmerz-induzierte  Beeinträchtigungen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe signifikant positiv beeinflusst, bestätigt werden. Günstige, aber nicht signifikante Effekte (p=.06) können für die die funktionelle Kapazität vorgelegt werden.

Diskussion

Die vorliegende Studie belegt die positiven Auswirkungen der „Spinomed Active“-Orthese auf die Intensität von Rückenschmerzen bei hyperkyphotischen Frauen mit älteren (≥3 Monate) Wirbelkörperfrakturen mit hoher Evidenz. Parallel zeigten sich signifikant positive Effekte auf rückenschmerzbedingte Limitationen des Alltags, was umso bemerkenswerter ist, als das sich der Schmerzmittelgebrauch in der Orthesengruppe halbierte und in der KG um ca. 50 % Anstieg. Neben der Verbesserung der Rumpfkraft ist der positive Einfluss auf die Hyperkyphose ein frakturrelevantes Ergebnis, da die anteriore Verlagerung des Körperschwerpunkts mit einer erhöhten Sturzneigung korrelieren kann.10, 11 Grundsätzlich bestätigt werden diese Daten von mehreren Interventionsstudien. So werden positive Effekte auf Rückenschmerzen,4, 6, 12–14 Kyphosewinkel, 4, 14, 15 Rumpf- bzw. Rückenkraft6, 13 und Lebensqualität4, 5, 13 berichtet. Den positiven Daten der Einzelstudien stehen sehr zurückhaltende Empfehlungen von Übersichtsarbeiten entgegen. Neben Jin et al.8 geben auch Hofler et al.16 und Pierroth et al.17 aufgrund scheinbar limitierter methodischer Evidenz und Studienlage keine oder nur sehr bedingte Empfehlungen für den Einsatz von Spinalorthesen – unabhängig davon ob es sich um akute oder subakute Wirbelkörperfrakturen handelt. Alle genannten Übersichtsarbeiten schließen trotz z. T. neuerem Erscheinungsdatum, 17 Studien nach 2020 nicht mit ein. Relevante
Untersuchungen der letzten Jahre werden somit nicht berücksichtigt (s. o.). Zumindest für die letztere Fragestellung der „subakuten“ (hier ≥3 Monaten) niedrig-traumatischen Wirbelfraktur liefert die vorgelegte Arbeit nun klare positive Evidenz für den Einsatz wirbelsäulenaufrichtender Aktivorthesen (hier: „Spinomed Active“ medi, Bayreuth) zur Verbesserung von Rückenschmerz, Hyperkyphose, Rumpfkraft und Rückenschmerz-induzierten Beeinträchtigungen.

Literatur auf Anfrage bei der Redaktion.

Die Bewegungsanalyse zur Bewertung von Hilfsmitteln in der Technischen Orthopädie

Die Bewegungsanalyse spielt eine entscheidende Rolle in der Orthopädie und der Orthopädietechnik (OT). Sie dient dazu, Bewegungsabweichungen zu erkennen, operative, konservative und technische Therapiekonzepte zu überprüfen und die nötigen  therapeutischen Konsequenzen abzuleiten.1, 2 Sowohl die visuelle Beobachtung per Video als auch die instrumentelle Analyse sind dabei von Bedeutung.

In der Orthopädietechnik ist es ohnehin immer erforderlich, eine Beobachtung der Person mit ihrem Hilfsmittel zur Anprobe und Abnahme durchzuführen. Es bietet sich daher an, die Beobachtung in einer strukturierten Form vorzunehmen, wie es die Bewegungsanalyse vorsieht. Zum Beispiel kann man die Beobachtungen nach dem Gangzyklus einteilen. Ein strukturiertes Vorgehen ist unabhängig davon, ob man einen hohen messtechnischen Aufwand betreibt oder „nur“ ein Video aufnimmt. In den letzten Jahrzehnten hat insbesondere die instrumentelle 3D-Ganganalyse dazu beigetragen, ein tieferes Verständnis der menschlichen Bewegung zu entwickeln und die Entstehung von neuen technischen Lösungen in der Exoprothetik und Orthetik zu unterstützen. Die visuelle Beobachtung bleibt jedoch essenziell, insbesondere im Versorgungsalltag. Denn bei der Anprobe können durch Veränderungen am Hilfsmittel biomechanisch relevante Änderungen im Gangbild auftreten. Jedoch gibt es für das Video auch Limitationen, da nicht alle biomechanischen Aspekte rein visuell erfasst werden können. Zur genauen Quantifizierung von Gelenkwinkeln, Gelenkreaktionen (Gelenkmomente und -leistungen) sowie Muskelaktivität sind instrumentelle Methoden erforderlich. Typischerweise werden Motion-Capture-Systeme, Kraftmessplatten und Elektromyographie / EMG-Systeme eingesetzt.1, 3 Die instrumentelle 3D-Ganganalyse fasst diese verschiedenen Methoden in einem Protokoll zusammen. Dieses Verfahren wird bereits seit vielen Jahren im Bereich neurologischer Gangstörungen, wie zum Beispiel bei Menschen mit Cerebralparese, eingesetzt, um ihre Gangfunktion zu dokumentieren und aufwändige orthopädische Mehretageneingriffe zu planen.4 Für die Orthopädietechnik kann man sich an den Erfahrungen im Bereich der neurologischen Gangstörungen orientieren, um Protokolle für instrumentelle Bewegungsmessungen zu erarbeiten. Das grundlegende Vorgehen bei neurologischen und muskuloskelettalen Gangstörungen umfasst eine ausführliche Anamnese, standardisierte Videobeobachtung und instrumentierte Beobachtungen mittels optoelektronischer Systeme oder anderen Methoden (z. B. Beschleunigungssensoren). Die instrumentelle Analyse ermöglicht die Objektivierung verschiedener Parameter wie Schrittlänge, -dauer, -weite, Gehgeschwindigkeit, Gelenkwinkel, Bodenreaktionskräfte, Gelenkmomenten und Gelenkleistungen. Die Anamnese und klinische Untersuchung sind entscheidend, um physiologische Ursachen für Gangabweichungen zu identifizieren.

Eine visuelle Analyse, unterstützt durch Videoaufnahmen, ermöglicht eine kostengünstige und unauffällige Beobachtung. Die instrumentelle 3D-Ganganalyse liefert detailliertere biomechanische Informationen. Bei der visuellen, videogestützten Analyse sind bestimmte Voraussetzungen für eine erfolgreiche Durchführung zu beachten. Dazu gehören ausreichende Helligkeit, die Größe des Raums sowie die Ausrichtung der Kameras in der Frontal- und Sagittalebene auf Stativen. Im Idealfall sollten beide Ebenen synchron aufgenommen werden.5 Moderne Videotechnik ermöglicht mittlerweile hochauflösende Aufnahmen mit hohen Frequenzen, die nahezu jedes Smartphone bieten kann. Daher sind hochwertige  Videodokumentationen heutzutage leichter als je zuvor anzufertigen und können nahezu immer erstellt werden.

Funktionelle Tests wie der 2/6/12-Minuten-Geh-Test, der Timed Up and Go Test, der L-Test und der Four Square Step Test bieten weitere Einblicke in die Leistungsfähigkeit und Einschränkungen von Patienten.6–8 Solche Tests sind mit geringem instrumentellem Aufwand durchzuführen (Stoppuhr, Maßband, Die Bewegungsanalyse zur Bewertung von Hilfsmitteln in der Technischen Orthopädie Forschungslabor der Bewegungsanalytik, Klinik für Orthopädie, Universitätsklinikum Heidelberg Gymnastikstäbe usw.) und ermöglichen es, den Rehabilitationserfolg bzw. -verlauf zu dokumentieren und die Patienten zu motivieren. Zusätzlich können patientenberichtete Ergebnismaße (PROMs) eine wichtige Rolle spielen, um die Lebensqualität und Einschränkungen im Alltag zu erfassen. Beispiele hierfür sind die Maße PSFS (Patient Specific Functional Scale), QUEST (Quebec User Evaluation of Satisfaction with Assistive Technology), SAT-PRO (Satisfaction with Prosthesis Questionnaire) und SCS (Socket Comfort Score).9–11 Die ISPO (International Society of Prosthetics and Orthotics) hat Empfehlungen für einen Kerndatensatz im Bereich der Prothetik der unteren Gliedmaßen veröffentlicht. Diese Empfehlungen wurden im Rahmen eines Konsensprozesses erarbeitet und sind Teil des COMPASS (Consensus Outcome Measures for Prosthetic and Amputation Services).

Zusammenfassend ermöglicht die Bewegungsanalyse in der Orthopädietechnik eine fundierte Entscheidungsfindung auf Basis von Evidenz, um die Versorgung von Menschen mit Gangstörungen zu optimieren und ihre Lebensqualität zu verbessern. Dieser Beitrag soll alle Interessierten inspirieren, sich für weitere Informationen an die deutschsprachigen (GAMMA / https://www.g-a-m-m-a.org/) und englischsprachigen Fachgesellschaften (ESMAC / https://esmac.org/) zu wenden. Das Thema kann in einem kurzen Artikel nur bedingt umrissen werden. Diese Gesellschaften bieten regelmäßig Kurse und Kongresse an, in denen die Thematik umfassend behandelt wird. In der OT sind auch gesetzliche Vorgaben zu beachten, wie beispielsweise die Kontrolle von Hilfsmitteln nach ihrer Markteinführung (Post Market Surveillance), die von der Medical Device Regulation gefordert wird. Diese Vorgaben betonen die Notwendigkeit einer strukturierten Dokumentation, die durch instrumentelle und videobasierte Methoden unterstützt werden kann.

Literatur auf Anfrage bei der Redaktion.

 

Die 3D-gedruckte bionische Fußorthese mit Unterstützung des Windlass-Mechanismus

Bei alltäglicher oder bei sportlicher (Fort-)Bewegung wirken auf den gesamten menschlichen Körper große externe Belastungen. Für eine beschwerdefreie aufrechte Haltung und Fortbewegung sind eine physiologische Funktionalität der Füße und eine biomechanisch effiziente Interaktion der einzelnen Fußstrukturen entscheidend.

Eine bewegliche Fußkonfiguration ist erforderlich, um die Füße adäquat an verschiedene Untergrundbedingungen anzupassen und eine stabile aufrechte Körperhaltung zu gewährleisten. Außerdem ist eine gute Beweglichkeit, insbesondere in den Rückfußgelenken, von entscheidender Bedeutung, um den Fuß effektiv als Dämpfungssystem zur Belastungsreduktion nutzen zu können. Ein wesentlicher Bestandteil einer physiologischen Belastungsreduktion ist die Anfangspronation während der frühen Standphasen der Lokomotion.

In den späten Lokomotionsphasen, wenn nur der Vorfuß Kontakt zum Untergrund hat, erfahren die Füße und andere Teile der unteren Extremitäten die höchsten externen Drehmomentbelastungen und internen Gelenkbelastungen. In diesen Phasen muss der Fuß eine rigide Einheit bilden können, dass die großen Belastungen nicht zu Überbeanspruchungen an den Füßen und/oder anderen Bereichen des Muskelskelettsystem führen.

Die notwendige Rigidität des Mittel- und Rückfußbereichs in Lokomtionsphasen mit Vorfußkontakt wird über den Windlass-Mechanismus gewährleistet. Er stellt die physiologische Interaktion der einzelnen Fußstrukturen während der Dorsalextension der Zehen dar. Die Spannung in den plantaren Strukturen steigt, wenn die Zehen dorsalextendiert werden. Eine Aufrichtung und Supination des Mittel- und Rückfußes wird durch den Anstieg der Spannung hervorgerufen (Abb. 1). Dadurch und aufgrund der anatomischen Struktur der gelenkigen Verbindungen verriegeln sich die einzelnen Segmente und bilden eine rigide Einheit. Des Weiteren wird Verformungsenergie in den plantaren Strukturen gespeichert. Diese Energie wird verwendet, um den gesamten Körper energieeffizient fortbewegen zu können.

Bei den verschiedensten Fußfehlstellungen und anderen Beschwerden an den unteren Extremitäten ist der Windlass-Mechanismus nicht ausreichend oder gar nicht ausgeprägt. Dann sind die Rigidität und die Energiespeicherung, die beide für eine physiologische Fortbewegung unerlässlich sind, entweder reduziert oder nicht vorhanden. Beispielsweise kann bei der am häufigsten auftretenden Fußfehlstellung, dem funktionellen Knick-Senkfuß, die Spannung in den plantaren Strukturen nur begrenzt oder gar nicht aufgenommen werden. Beim Gehen und/oder Laufen kommt es zu einer unphysiologischen Pronation und in späten Standphasen, in denen nur Vorfußkontakt besteht, werden der Mittel- und Rückfuß nur inadäquat oder nicht aufgerichtet und supiniert. Dies führt dazu, dass der Mittel- und Rückfußbereich nicht verriegelt und überbeansprucht wird. Außerdem kann der Fuß nicht ausreichend als physiologischer Hebel für den Vortrieb verwendet werden. Eine energieeffiziente Fortbewegung ist dann nicht mehr möglich. Bisher existiert keine Versorgung mit Orthesen oder Einlagen, die einen unzureichenden oder fehlenden Windlass-Mechanismus ersetzen oder unterstützen kann.

Aufbau und Funktion der 3D-gedruckten bionischen Fußorthese

Bei der Entwicklung der 3D-gedruckten bionischen Fußorthese/Einlage (bow) lag der Fokus auf der technischen Umsetzung wichtiger bionischer Prinzipien und Aspekte der Fußbiomechanik. Zwei Entwicklungsziele waren die Unterstützung und/oder der Ersatz:
1. des Windlass Mechanismus und
2. der Eigenschaften der Füße, die eine energieeffiziente Fortbewegung
ermöglichen.

Die 3D-gedruckten bionischen Fußorthese verfügt über drei Hauptbestandteile (Abb. 2). Die Deckschicht übernimmt die Bogenfunktion der knöchernen Strukturen, die plantare Schicht die Funktion der Bänder und Sehnen. Ein Umlenkelement ist im distalen Mittelfußbereich positioniert. Durch diesen Aufbau kann eine dynamische und fortbewegungsphasenspezifische Anpassung des Mittel- und Rückfußbereichs und eine größtmögliche Energiespeicherung erreicht werden.

Wird die 3D-gedruckten bionischen Fußorthese im Vorfußbereich nach oben gebogen, was einer Dorsalextension des Vorfußes entspricht, vergrößert sich die Konvexität des Bogens im Mittel- und Rückfußbereich und die 3D-gedruckte bionische Fußorthese nimmt Spannung auf (Abb. 3a, b). Die erzielte Höhe entspricht im Ausmaß der Höhen- und Formanpassung der eines gesunden Fußes.

Durch den Einsatz der 3D-gedruckten bionischen Fußorthese kann ein bisher unerreichter Effekt in Lokomotionsphasen mit Vorfußkontakt umgesetzt werden. Der Fuß der zu versorgenden Person wird in seine physiologische Stellung aufgerichtet und supiniert, indem der Mittel- und Rückfußbereich bei Dorsalextension des Vorfußbereichs der 3D-gedruckten bionischen Fußorthese angehoben und supiniert wird. Diese Unterstützung ist für die optimierte Belastung der gesamten unteren Extremitäten entscheidend. Außerdem speichert die 3D-gedruckten bionischen Fußorthese Energie während der gesamten Standphase. Die gespeicherte Verformungsenergie kann verwendet werden, um die Fortbewegung effizienter zu machen.

Die 3D-gedruckte bionische Fußorthese wird im selektiven Lasersinterverfahren herzustellen. Es hat viele Vorteile im Vergleich zu anderen Fertigungstechnologien. Die Belastbarkeit der 3D-gedruckten bionischen Fußorthese für alltägliche und sportliche Aktivitäten wurde durch mechanische und biomechanische Tests sowie Dauerbelastbarkeitstests überprüft und bestätigt. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie unterstützte die Entwicklung und die Patentanmeldung der 3D-gedruckten bionischen Fußorthese u. a. durch ein WIPANO gefördertes Projekt. bow ist national und international zum Patent angemeldet.

Wissenschaftlicher Nachweis der 3D-gedruckten bionischen Fußorthese

In einer randomisierten kontrollierten Studie wurde die Wirkung der 3D-gedruckten bionischen Fußorthese untersucht. Das Ziel der Studie war es, die Auswirkungen auf das Aufrichten und das Supinieren des Mittel- und Rückfußes während der Push- Off-Phase des Laufens zu untersuchen. Die Studie umfasste elf Teilnehmer*innen mit funktionellem Knick-Senkfuß. Die Pronations- und Supinationsmomente während des Laufens wurden unter vier verschiedenen Bedingungen ermittelt: Laufen ohne Versorgung, mit stützender, sensomotorischer und 3Dgedruckter bionischer Fußorthese. Die Studie zeigte, dass die Teilnehmer*innen mit funktionellem Knick-Senkfuß ohne Versorgung während der Push Off-Phase des Laufens keine physiologische Aufrichtung und Supination des Mittel- und Rückfußes aufweisen. Während des Push Off unterstützen und ersetzen stützende und sensomotorische Einlagen nicht die Aufrichtung und Supination. Wohingegen die 3D-gedruckte bionische Fußorthese das Aufrichten und Supinieren während der Push Off Phase nachweisbar unterstützt. Die signifikante und relevante Aufrichtung und Supination entspricht im Ausmaß der Aufrichtung und Supination von Personen ohne Knick-Senkfußfehlstellung. Die Studie zeigte, dass die 3D-gedruckte bionische Fußorthese einen erheblichen funktionellen Mehrwert für Läufer*innen mit Knick-Senk-Fußfehlstellungen bietet, der durch andere Einlagen nicht gewährleistet wird.

Fazit

Erstmals kann der Windlass-Mechanismus durch eine konservative orthopädische Versorgung unterstützt oder ersetzt werden. Die Umsetzung der Entwicklungsziele ist u. a. durch den Einsatz moderner Fertigungsverfahren möglich. Die einzigartig dynamische und wichtige Unterstützung der wichtigsten Fußfunktionen durch die 3D-gedruckte bionische Fußorthese wurde in einer wissenschaftlichen Studie belegt.

Literatur auf Anfrage bei der Redaktion.

 

Therapie bei spezifischen Knieschmerzen: Stabilität und Schmerzlinderung mit Knieorthesen

Probleme im Knie schränken die Beweglichkeit und damit die Lebensqualität von Betroffenen erheblich ein – ob beim Gehen, Treppensteigen oder Sport. Die Schmerzen können dabei an unterschiedlichen Bereichen auftreten: unterhalb der Kniescheibe, außen am Gelenk oder an der Innenseite des Unterschenkels. Für die Therapie von spezifischen Knieschmerzen hat der Medizinprodukte-Hersteller medi vier Knieorthesen entwickelt, die exakt auf die Anforderungen des speziellen Krankheitsbildes abgestimmt sind. Damit können Betroffene individuell und indikationsgerecht versorgt werden.

Entlastung und Schmerzlinderung beim Pes anserinus-Syndrom

Das Pes anserinus-Syndrom ist eine Reizung des Sehnenansatzes, die sich durch Schmerzen an der Innenseite des Unterschenkels äußert – zusätzlich kann der Schleimbeutel entzündet sein. Betroffen sind davon vor allem Frauen ab circa 40 Jahren mit Begleiterkrankungen wie Diabetes, Adipositas oder Gonarthrose und einer Neigung zu Fußfehlstellungen wie X-Beinen. Des Weiteren Patient:innen mit einer Knieendoprothese (postoperativ) und Sportler:innen. Kühlung, medikamentöse Therapie oder Injektionstherapie mit Cortison sowie Lokalanästhetika können zur Schmerztherapie sowie zur Entzündungshemmung sinnvoll sein. Effektiv sind auch Orthesen, um den betroffenen Sehnenansatz an der Knie-Innenseite zu entlasten und Schmerzen zu lindern.

Genau hier setzt die Knieorthese Genumedi PA mit 3DSehnenpelotte an. Mit ihren spezifischen Features kann sie den betroffenen Sehnenansatz stimulieren und entlasten, bei der sicheren Führung der Kniescheibe unterstützen und damit Schmerzen lindern. Mit einem Gurtband stellen Patient:innen den Druck und damit die Intensität auf den Sehnenansatz individuell ein. Das 3D-Pelottensystem mit zwei Oberschenkel-Pelotten und einer weiteren an der Kniescheibe fördert zudem den Abbau von Schwellungen am Knie. Dabei helfen die Oberschenkel-Pelotten auch bei der Wiederherstellung des muskulären Gleichgewichts. Die Kniescheibe wird durch die seitlich verstärkte Pelotte sicher geführt. Außerdem minimiert die offene Einfassung des Patella-Silikonrings den Anpressdruck auf die Kniescheibe.

Wie bei allen medi Orthesen für den spezifischen Knieschmerz wurde bei der Produktentwicklung auf einen ganzheitlichen Behandlungsansatz Wert gelegt. Franziska Schatz, Senior Product Marketing Managerin Campaign Orthopaedics bei medi, erklärt: „Mit Ärzt:innen und Physiotherapeut:innen haben wir ein spezielles Übungsprogramm entwickelt, das der Knieorthese kostenlos beiliegt und eine effektive Therapie-Ergänzung darstellt – die Übungen können den Körper dabei unterstützen, dem muskulären Ungleichgewicht entgegenzuwirken. Ebenfalls Bestandteil des ganzheitlichen Paketes: ein Physioband, mit dem die begleitenden Übungen absolviert werden können. Ziel ist es, den Therapieerfolg bestmöglich zu unterstützen.“

Die Genumdi PSS zur Entlastung der Patellasehnenansätze

Die Knieorthese Genumedi PSS kommt bei der Therapie des Patellaspitzensyndroms (Jumper’s knee, Springerknie) zum Einsatz. Es äußert sich durch Schmerzen am unteren Ende der Kniescheibe oder an der Schienbein-Vorderkante durch Reizung der Patellasehne (Ligamentum patellae) am Kniegelenk. Betroffen sind häufig männliche Sportler zwischen 20 und 40 Jahren, die mehrmals in der Woche einer sprungintensiven Sportart wie Basketball oder Volleyball nachgehen. Auch Aktivitäten mit vielen Stop-and-go-Bewegungen wie beim Tennis und schnelle Richtungswechsel wie im Fußball können zum Patellaspitzensyndrom führen. Weit verbreitet ist das Patellaspitzensyndrom auch unter Jogger:innen, die viel auf hartem Boden laufen. Ungeeignetes Schuhwerk, Trainingsüberlastung, die falsche Technik, Knie- und Fußfehlstellungen können ebenfalls Ursache für Schmerzen an der Kniescheibenspitze sein.

Die Genumedi PSS vereint Vorteile einer kompressiven Kniebandage mit dem Zusatznutzen eines integrierten Patellasehnenbandes. Die 3D-Silikon-Friktionsnoppen auf der Sehnenpelotte stimulieren die Patellasehne, während die Patellapelotte die Kniescheibe sicher führt. Dieses zweigeteilte Pelottensystem führt insgesamt zu einer Schmerzreduktion. Das Gurtsystem der Knieorthese verläuft versetzt und ermöglicht eine ausgewogene Druckverteilung. Das kompressive Gestrick verbessert die Propriozeption und damit die muskuläre Stabilisierung und Führung des Kniegelenkes. Jedem Produkt liegt ein Physiokeil für therapiebegleitende Übungen bei.

Positive Effekte klinisch bestätigt: Therapie mit der Genumedi PT beim patellofemoralen Schmerzsyndrom

Die Ursache bei patellofemoralem Schmerzen ist häufig eine Fehlstellung, vor allem bei der Patellaführung. Die Verschiebung der Kniescheibe nach außen entsteht durch ein muskuläres Ungleichgewicht zwischen den Muskeln Musculus vastus lateralis und Musculus vastus medialis. Dies bedingt eine Überlastung der umliegenden Strukturen des Kniegelenks. Die Knieorthese Genumedi PT stabilisiert das Kniegelenk, verbessert die Führung der Kniescheibe und wirkt so dem patellofemoralen Schmerzsyndrom entgegen. Die integrierten Silikon-Pelotten lindern Schmerzen und führen zum Abbau von Schwellungen. Das komplexe Pelotten-Design beeinflusst positiv eine korrekte Patellaführung. Dabei kann der Druck über das Gurtband der Knieorthese individuell eingestellt werden. Eine randomisierte, kontrollierte Studie bestätigte den positiven Therapie-Effekt der Genumedi PT auf die Parameter Schmerzen, neuromuskuläre Aktivität und Kniegelenkskinematik: „Die Anwendung einer patellofemoralen Orthese führt zu einer unmittelbaren Schmerzreduktion, einer früheren Aktivierung des M. vastus medialis (und damit einhergehend) einer Umkehr der M. vastus medialis / M. vastus lateralis-Ratio und einer veränderten Kniekinematik.“ 1 Jede Produkt-Verpackung beinhaltet einen kostenlosen Physioband mit entsprechenden Übungen.

Mehr Kniestabilität mit der Genumedi pro

Mit der Genumedi pro werden leichte bis mittlere Instabilitäten des Kniegelenks, Gonarthrose sowie leichte Meniskusverletzungen und Seitenbandinstabilitäten indikationsgerecht therapiert. Die seitlichen Easyglide-Gelenke entlasten das Knie und unterstützen gleichzeitig seine physiologische Roll- Gleit-Bewegung. Zusätzlichen Halt bieten zwei umlaufende anatomische Gurtbänder am oberen und unteren Abschluss sowie die Silikon-Punkt-Beschichtung am oberen Rand der Orthese. Zwei kostenlose medi blox in der Produkt-Verpackung und Tipps zu passenden Übungen helfen Patient:innen, wieder fit zu werden.

Literatur auf Anfrage bei der Redaktion.

 

Einlagen, Zurichtungen und Orthesen bei Varusgonarthose

Die Gonarthrose ist mit einer Häufigkeit von 6 % die am weitesten verbreitete Gelenkerkrankung. Die Prävalenz einer Gonarthrose steigt mit dem Alter. Das innere Gelenkkompartiment ist öfter betroffen als das Äußere im Sinne einer Varusgonarthrose.

Nach Angaben von Dr. Johannes Flechtenmacher im Dt. Ärzteblatt 2014 gehen 70.000 verlorene Erwerbstätigkeitsjahre und zehn Millionen Arbeitsunfähigkeitstage auf das Konto der häufigsten Gelenkerkrankung, die Arthrose. Dabei sei die häufigste Ursache die Kniegelenksarthrose mit ca. sieben Milliarden Euro direkten Krankheitskosten. Insofern sei eine gute Prävention, Beratung und gezieltes Training wichtig.

Die orthopädietechnische Therapie bei der Gonarthrose

Biomechanisch erhält das Kniegelenk während des normalen Gehens eine überwiegend nach innen gerichteter Kraft. Diese Kraft ist dafür verantwortlich, dass das Gewicht vom  äußeren zum inneren Teil des Gelenks zu verlagert wird. Die Kombination aus dieser nach innen gerichteten Kraft und einem erhöhten Druck auf den das mediale Kniekompartiment wird teilweise für die erhöhte Häufigkeit von Verschleißerscheinungen verantwortlich gemacht. Die Intensität dieser nach innen gerichteten Kraft hängt von der genauen Ausrichtung des Gelenks und den Kräften ab, die während des Gehens auf den Boden einwirken. Bei Patienten mit Varusgonarthrose vermindert sich die Gelenkspalthöhe aufgrund von Knorpelverschleiß und es kommt zur medialen Arthrose, der Varusgonarthrose.

Bekanntermaßen haben auch Übergewicht, Stoffwechselerkrankungen und metabolische Prozesse eine negative Wirkung des Auftretens einer Arthrose. In diesem Artikel soll jedoch nur auf die biomechanischen Therapiemöglichkeiten durch orthopädietechnische Maßnahmen zur Verbesserung einer Varusgonarthrose am Kniegelenk eingegangen werden.

Möglichkeiten der orthopädietechnischen Versorgung

Prinzipielle bestehen durch orthopädietechnische Hilfsmittel folgende Therapiemöglichkeiten:

Kälteschutz:

Bandagen z. B. aus einem Thermomaterial wie Neopren bieten einen guten Kälteschutz je Ausprägung der Wetterfühligkeit bei arthrotischem Geschehen

Stoßdämpfung:

Durch die Reduktion der natürlichen Stoßdämpfung des Knies durch Knorpelschwund kann ein Pufferabsatz oder Fersenpolster dieses Defizit zumindest teilweise ausgleichen.

Achsverbesserung:

Durch einer Schuhaußen- oder Innenranderhöhung oder achskorrigierende Orthesen kann versucht werden, dass die Vektorkräfte durch eine Achsverbesserung des Beines orthograd auf das Kniegelenk einwirken.

Entlastung:

Durch das altbekannte Hilfsmittel, den Handstock oder auch Unterarmgehstützen kann eine hervorragende Entlastung des Kniegelenkes erreicht werden.

Ruhigstellung:

Durch Orthesen und Bandagen kann eine Ruhigstellung des Gelenkes z. B. im schmerzfreien Bewegungsintervall erfolgen.

Spezifische orthopädietechnische Therapieansätze

Spezifische orthopädietechnische Therapieansätze bei der Varusgonarthrose sind eine Außenranderhöhung an der Einlage und/oder am Schuh, Knieorthesen oder auch Fuß-Sprunggelenkorthesen die auf das Kniegelenk einwirken.

Gerade bei der Varusgonarthrose in Anfangsstadium hat eine Außenranderhöhung von 2–3 mm auf der Einlage oder bis zu 4–5 mm am Konfektionsschuh oft eine gute Wirkung. Bei ca. 50–60 % der Patienten gelingt mit einer solchen Maßnahme eine gute Beschwerdelinderung. Eine Außenranderhöhung bewirkt eine geringe Reduktion des Knieadduktionswinkels und der externen Momente sowie eine moderate Erhöhung der Sprunggelenks-Eversion (Abb. 1). Darum sollte die Einlage auch ein gute mediale Anstützung bieten, um die Eversion zu minimieren. In einer aktuellen Studie von Hunt konnte festgestellt werden, dass bei Probanden, die schneller gingen, weiblich waren, eine geringere Varusausrichtung aufwiesen und einen weniger schweren radiologischen Schweregrad hatten die besten Ergebnisse bei Außenranderhöhungen erzielt werden konnten. Insgesamt wird diese Therapie nach wie von konträr diskutiert, wobei eigene langjährige Erfahrungen mit Außenranderhöhungen bei leichten (bis mittelschweren) Varusgonarthrosen in Kombination beispielsweise mit Hyaluronsäureinfiltrationen und Physiotherapie bei vielen Patienten eine gute Schmerzreduktion zur Folge hatte.

Auch elastische Kniebandagen sind wirksam, um die Funktionsfähigkeit und die Schmerzen von Personen mit Varusgonarthrose sofort zu verbessern wie Brykl beschreibt. Dies geschieht über eine Kompression und einen sensomotorischen Input. Durch das Tragen einer elastischen Kniemanschette während des Gehens wird wie Schween feststellte der Adduktionswinkel des Knies reduziert, was zu einer Entlastung des medialen Gelenkkompartimentes führen kann.

Als Ersttherapie ist nach eigenen Erfahrungen die Kombination von einer elastischen Kniebandage und Außenranderhöhung an Einlage oder Konfektionsschuh ein guter initialer konservativer Therapieansatz – immer in Kombination auch mit Physiotherapie und muskulärem Kraftaufbau ebenso wie Gewichtsreduktion sofern Übergewicht besteht.

Ist die Arthrose durch eine Außenranderhöhung und elastische Kniebandagen nicht positiv zu beeinflussen, sind valgisierende Knieorthesen eine weitere Therapieoption. Es gibt hier die Möglichkeit der valgisiserenden Knieorthese oder einer auf das Knie wirkenden Fuß-Sprunggelenkorthese.

Valgisierende Knieorthesen sollen bei einer Varusgonarthrose die auf das Knie einwirkenden Kräfte so umverteilen, dass der mediale Gelenkspalt entlastet wird. Dies  geschieht bei Knieorthesen nach dem Drei-Punkte-Prinzip und teilweise speziell verlaufenden Gurtsystemen sowie einem einstellbaren Gegenhalt (Abb. 2). Bei der Fuß-Sprunggelenkorthese wiederum wird durch Überbrückung des unteren Sprunggelenkes  und eine am proximalen Unterschenkel lateral einwirkende Kraft die auf das Knie  einwirkenden Vektorkräfte vom inneren Gelenkspalt meist ca. 1 cm nach lateral zur Kniemitte „umgeleitet“, wie die Untersuchungen von Schmalz oder Menger gezeigt haben.

Eine valgisierende Knie-Orthese reduziert, wie in Studien nachgewiesen werden konnte, Schmerzen und verbessert die Funktionen – dies ist gemäß der signifikanten  Verbesserungen des WOMAC Index hinsichtlich Schmerzen, Steifheit und Funktion von Petersen sehr gut untersucht. Insofern sind valgisierende Knie-Orthesen eine Therapie-Alternative bei leichter, moderater und auch bedingt schwerer unikompartimeller Gonarthrose.

Auch die Fuß-Sprunggelenkorthese zeigt ähnliche Ergebnisse. In beiden Gruppen verbesserten sich die Schmerzen ohne signifikanten Unterschied. Petersen verglich in einer Multicenterstudie die Valgisierende Knieorthese und die Fuß-Sprunggelenkorthese. In den KOOS-Subskalen wie Symptome, Schmerz, Aktivität, Sport, Gebrauch der Orthese sowie Lebensqualität nahmen in beiden Behandlungsgruppen die positiven Effekte signifikant zu, ohne signifikante Gruppenunterschiede zu allen Zeitpunkten der Untersuchung. In der Fuß-Sprunggelenk-Orthesen-Gruppe (Agilium Freestep®) berichteten signifikantweniger Patienten (23,5 %) über Druckstellen im Gegensatz zur Knieorthesengruppe (Unloader One®) Gruppe (66,7 %).

In einer Studie von Khan werden die konservativen Handlungsempfehlungen betreffend die Gonarthrose verschiedener internationaler Gesellschaften verglichen. Während die American Academy of Orthopedic Surgeons (AAOS) keine eindeutige Empfehlung für biomechanische Interventionen und Ortheseninterventionen ausspricht, geben die American College of Rheumatology und Osteoarthritis Research Society International eine klare Empfehlung betr. einer Orthesenversorgung aus.

Zusammenfassung

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die mechanische Belastung und Veränderungen in der Gelenkmechanik eine Rolle bei der Entstehung und Entwicklung von Varusgonarthrose spielen können. Es ist wichtig geeignete Behandlungsansätze für Patienten mit Varusgonarthrose zu finden, um die Belastung auf das betroffene Gelenkkompartiment biomechanisch zu minimieren und die Symptome zu lindern. Hierzu ist im konservativen Setting neben Physiotherapie mit Muskelaufbau, Gewichtsabnahme, medikamentöser Therapie die Intervention mit orthopädietechnischen Maßnahmen wie Außenranderhöhung, elastische Kniebandagen sowie valgisierende Orthesen ein wichtiger Bestandteil der konservativen Therapie.

Literatur auf Anfrage bei der Redaktion.