Frankfurt – Die Anfänge der OSG-Endoprothetik gehen auf das Jahr 1970 zurück. Diese ersten Prothesen wurden vor 50 Jahren noch zementiert verankert und verloren ebenso wie die darauffolgende zweite Generation aufgrund hoher Komplikations- und Lockerungsraten schnell an Bedeutung. Mit der Einführung der dritten Generation von Sprunggelenkprothesen, die sich durch ein Drei-Komponenten-Design mit mobilem Gleitkern auszeichneten, kam Ende des letzten Jahrtausends die Hoffnung auf, die anfänglichen Probleme überwunden zu haben. Vielversprechende Ergebnisse ließen die Endoprothetik am oberen Sprunggelenk zu einem anerkannten Verfahren in der Behandlung der Sprunggelenksarthrose werden, welches sich nicht mehr nur auf wenige Zentren konzentrierte sondern bald flächendeckend angeboten wurde. Doch wo stehen wir heute?
Glaubt man den statistischen Daten so ist nach der anfänglichen Euphorie, die neue Generation an Sprunggelenksprothesen könne die Versteifung als Goldstandard ablösen, eine gewisse Ernüchterung eingetreten: Rückläufige Implantationszahlen an immer weniger werdenden Einrichtungen sowie eine zunehmende Anzahl an Sprunggelenkarthrodesen lassen den Eindruck entstehen, der Hype der OSG Endoprothetik sei vorbei.[1] Schwenkt man den Blick in die Literatur, so ist in den letzten 20 Jahren die Publikation von wissenschaftlichen Artikeln über Sprunggelenkprothesen geradezu explodiert. Allein bei den Pubmed-gelisteten Veröffentlichungen ist es in den letzten fünf Jahren zu einer Verdoppelung, in den letzten zehn Jahren gar zu einer Vervierfachung der jährlich erschienen Fachartikel zu diesem Thema (2019: 275 Artikel; 2014: 133 Artikel; 2009: 73 Artikel) gekommen.
Welche Empfehlungen können nun aber aus der Literatur gezogen werden?
Längst ist bekannt, dass es sich bei der Implantation eines künstlichen Sprunggelenks um einen komplexen Eingriff handelt, der eine flache Lernkurve aufweist und dass perioperative Komplikationen sich mit zunehmender chirurgischer Erfahrung vermeiden lassen. [2,3] Neuere Untersuchungen konnten sogar zeigen, dass das Risiko für eine intraoperative Komplikation bei einem unerfahrenen Operateur im Vergleich zu einem Expertenfünffach erhöht ist. [4] Da Komplikationen mit einem schlechteren Outcome vergesellschaftet sind,[5] müssen Anwenderfehler verständlicherweise bei der Be-/Verurteilung des Verfahrens berücksichtigt werden.
Aber auch bei der Interpretation der Langzeit-Studien, die von den Prothesenentwicklern veröffentlicht wurden, ist Vorsicht geboten. Vergleicht man die Prothesenstandzeiten, so ist eine deutliche Diskrepanz zwischen Entwicklerstudien und Registerdaten zu verzeichnen. [6] Aktuell darf je nach Studie von einer Zehn-Jahres-Standrate von 70–90% ausgegangen werden, [7–11] wobei erste Studien sogar 15-Jahres-Ergebnisse mit einer Standrate von 76% veröffentlichen. [12, 13] Da diese Langzeitergebnisse verständlicherweise über eine sehr frühe Phase der dritten Prothesengeneration berichten, bleibt es abzuwarten, ob sich die Standzeiten mit zunehmender Anwendererfahrung verbessern lassen. Noch schwieriger ist es, eine wissenschaftlich fundierte Antwort auf die Frage der Überlegenheit eines der beiden konkurrierenden Verfahren „Prothese oder Arthrodese“ zu finden. Momentan werden in Reviews und Meta-Analysen beiden Therapien ein vergleichbares Abschneiden im AOFAS-Score bescheinigt. [14–19] Neben der eingeschränkten Studienqualität, auf die die Autoren einstimmig hinweisen, ist ebenfalls die routinemäßige Verwendung des nicht validierten Scores der amerikanischen Fußgesellschaft AOFAS (American Orthopaedic Foot & Ankle Society) kritisch anzumerken.20 Prospektiv-randomisierte, multizentrische Studien, die das Ergebnis einer Prothese mit dem nach einer Arthrodese vergleichen, gibt es derzeit nicht. Auch wenn diese mit der TARVA-Studie in Planung sind, [21] wird es noch Jahre dauern, bis Langzeitdaten vorliegen. In wie weit die Studie gar patienten-spezifische Faktoren wie Fehlstellungen oder präoperative Gelenkbeweglichkeit, aber auch verschiedene Prothesentypen sowie chirurgische Erfahrung berücksichtigen wird, bleibt abzuwarten.
Eine fundierte Analyse dieser Parameter wäre erforderlich, um am Ende eine patientenindividuelle Therapieempfehlung geben zu können. Bis dahin muss vor allem bei der chirurgischen Aufklärung der Patienten die Datenlage der Metaanalysen genügen. Zusammenfassungen aus vergleichenden Studien berichten über eine höhere Rate an Re Operationen nach Prothesenimplantation als nach einer Sprunggelenkversteifung.[18, 22] Eine Tatsache, die nicht weiter verwundert, wenn man bedenkt, dass Folgeeingriffe bei
der Implantation einer Sprunggelenksprothese eingeplant sind. So muss mitunter das PE Inlay gewechselt werden oder eine Realignement-Operation des Rückfußes oder der medialen Säule durchgeführt werden, um einen plantigraden Fuß als Voraussetzung einer balancierten Prothese zu schaffen. Dies darf bei der chirurgischen Aufklärung ebenso wenig außer Acht gelassen werden, wie die Tatsache, dass sekundäre Versteifungen nach Prothesenausbau zwar möglich sind, die Ergebnisse aber hinter denen der primären Arthrodese bleiben.23 Fünfzig Jahre nach der ersten Sprunggelenkprothese hat sich sowohl das Prothesendesign als auch die Implantationstechnik derart weiterentwickelt, dass dieses Verfahren bei der Behandlung der Sprunggelenkarthrose mit guten Ergebnissen eingesetzt werden kann. Nichtsdestotrotz sind weitere vergleichende Langzeitstudien erforderlich. Auch die Erweiterung der Prothesenregister um die Daten der Sprunggelenkarthrodese würde helfen, die Möglichkeiten aber auch die Grenzen der Endoprothetik am Sprunggelenk besser einschätzen zu können.
Prof. Dr. Dr. Reinhard Hoffmann
Dr. Sebastian Manegold
erschienen im BVOU-Infobrief 1-20