Berlin – Ein umstrittenes Versorgungsangebot wird nun auch in Berlin eingeführt: Das Unfallkrankenhaus Berlin (ukb) und die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin planen eine sogenannte Portalpraxis. Der Kooperationsvertrag ist unterzeichnet, Ende August soll die neue Praxis in den Räumen des ukb öffnen. Schwerer erkrankte Patienten, die dort in die Rettungsstelle kommen, werden dann weiter von den Fachärzten des ukb versorgt, leichtere Fälle von den niedergelassenen Fachärzten in der Portalpraxis. Sie wird am Wochenende und an Feiertagen von 10.30 bis 22.30 Uhr geöffnet sein.
Der Gesetzgeber hat die KVen zum Handeln verpflichtet
Ein solches Versorgungsangebot gibt es unter weiteren Namen wie Anlaufpraxis, Bereitschaftsdienstpraxis oder Notdienstpraxis bereits in vielen Bundesländern. Es ist jedoch umstritten: Der ungefilterte Zugang von Patienten zur Versorgung werde unterstützt, die ambulante Versorgung durch Krankenhäuser gefördert, das budgetierte Honorar der Niedergelassenen geschröpft, bemängeln Kritiker. Mit dem Krankenhausstrukturgesetz wurden die KVen jedoch Ende 2015 verpflichtet, „entweder Notdienstpraxen in oder an Krankenhäusern einzurichten oder Notfallambulanzen der Krankenhäuser unmittelbar in den Notdienst einzubinden“.
Bis Ende 2016 muss der Bewertungsausschuss zudem im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) neue Finanzierungsregelungen für die Patientenversorgung im Notdienst vorsehen. Das Honorar soll sich je nach Schweregrad der Fälle unterscheiden. Vorgeschrieben hat der Gesetzgeber auch, dass für Leistungen im Notfall und im Notdienst ein eigener Honorartopf gebildet werden muss, und zwar vor der Aufsplittung des Honorars für den haus- und den fachärztlichen Versorgungsbereich.
Vertreter der Krankenhäuser hatten während des Gesetzgebungsverfahrens Neuregelungen zum Notdienst gefordert. Sie verwiesen auf die enormen Kosten, die den Kliniken entständen, weil sie im Grunde den ambulanten Bereitschaftsdienst übernähmen.
ukb: statt 15.000 kommen mittlerweile mehr als 60.000 Patienten
Auch das ukb verweist auf Nachfrage auf den dauerhaften Ansturm leicht erkrankter Patienten. Als die Klinik ihre Rettungsstelle 1997 eröffnete, sei man von 12.000 bis 15.000 Patienten pro Jahr ausgegangen, erläutert ukb-Pressesprecherin Angela Kijewski. Versorgt habe man damals aber schon 20.000 Kranke, mittlerweile seien es mehr als 60.000 pro Jahr. „Der Druck auf die Rettungsstelle ist enorm“, sagt sie. Die neue Portalpraxis werde ein Gewinn für alle Patienten sein, ist Prof. Dr. Axel Ekkernkamp überzeugt, Ärztlicher Direktor und Geschäftsführer des ukb: „Patienten ohne Dringlichkeit werden in der Regel früher als bisher untersucht, weil sie nicht warten müssen, bis die akuten Notfälle versorgt wurden.“
Erst in die Rettungsstelle, dann zur Portalpraxis
Anders als in etlichen anderen Bundesländern werden Patienten im ukb aber nicht zuerst in die Portalpraxis gelotst und von dort bei Bedarf in die Rettungsstelle. Vielmehr entscheiden ukb-Ärzte, wer an welcher Stelle behandelt werden soll. Dem Kooperationsvertrag zufolge stellt die Klinik nach Angaben der KV Berlin Räume, medizinisch-technische Ausstattung, Sprechstundenbedarf und nicht-ärztliches Personal für die Portalpraxis zur Verfügung. Dafür zahlt die KV 30 Euro pro Stunde. Die Ärzte im Bereitschaftsdienst rechnen auf EBM-Basis ab, die Vergütung erfolgt extrabudgetär. Veranlasste diagnostische Leistungen wie Röntgen oder Labor erfolgen auf Überweisung und werden vom ukb direkt mit der KV Berlin abgerechnet.
Grundsätzlich plane man zunächst mit einer Besetzung von einem Arzt pro Schicht, die jeweils sechs Stunden dauert, so die KV. Man setze erst einmal auf Freiwilligkeit. Mittelfristig will die KV mehr Portalpraxen einrichten. Ende 2015 hatte KV-Vorstand Dr. med. Uwe Kraffel gegenüber der Vertreterversammlung von vier bis acht Portalpraxen für Berlin gesprochen.
Sabine Rieser