Berlin – Bei den niedergelassenen Ärzten gibt es keinen Ärztemangel, sondern vielfach Überversorgung. Diese Auffassung hat das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) bei der Vorlage seines “Ärzteatlas 2016″vertreten. Im internationalen Vergleich liege Deutschland mit einer Arztdichte von 4,1 praktizierenden Ärzten je 1.000 Einwohner auf einem der Spitzenplätze, hieß es. “Die Überversorgung in einigen Regionen bindet Ressourcen, die anderswo fehlen”, sagte der stellvertretende WIdO-Geschäftsführer Helmut Schröder.
Orthopäden: Versorgungsgrad von 138 Prozent
Gemessen an der aktuellen Bedarfsplanung liegt nach Ansicht des Instituts selbst bei Hausärzten eine Überversorgung vor. Der Gesamtversorgungsgrad betrage in dieser Facharztgruppe fast 110 Prozent. Bei den Orthopöden sind es 138 Prozent, bei den Chirurgen 170 Prozent. Allerdings gebe es zum Teil enorme regionale Unterschiede. Auch räumt das WIdO ein, dass in den nächsten Jahren Praxisnachfolger vor allem für Hausärzte fehlen werden, die in den Ruhestand gehen. Um ein realistisches Bild der Versorgungssituation zu erhalten, fordern die Wissenschaftler eine stärkere sektorenübergreifende Betrachtung des Bedarfs.
KBV: Teilzeit und Anstellung werden nicht berücksichtigt
Der Pressesprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Roland Stahl, kritisierte, dass die Analyse aktuelle Trends wie Anstellung und Teilzeit nicht berücksichtige. Zudem gehe die Anzahl der Ärzte in grundversorgenden Fächern weiter zurück. Zwar habe sich nach der KBV-Statistik im Jahr 2015 die Zahl der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten im Vergleich zum Vorjahr um 1,4 Prozent auf 167.316 erhöht. “Jedoch ist damit die Anzahl der geleisteten Arztstunden nicht unbedingt gestiegen”, so Stahl.
Sachverständige: keine fundierte Bedarfsermittlung
Die Kritik an der Bedarfsplanung und daraus abgeleiteten Analysen hält schon länger an. Vor zwei Jahren hatte der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen in seinem Gutachten angemerkt, dass für eine hilfreiche Planung grundlegende Daten fehlten. Die Gesundheitsweisen urteilten damals: “Es bleibt das Problem, dass es bis heute keine wirkliche Bedarfsermittlung gibt, die auf fundierten empirischen Füßen steht. Das heißt, es gibt keine Daten, die zeigen, wie viele Versorgungsstunden eines Hausarztes, eines Augenarztes oder eines Kardiologen beispielsweise ein 65-Jähriger im Schnitt für eine ausreichende und angemesssene Versorgung benötigt.” Sabine Rieser
WIdO-Publikation Ärzteatlas 2016