Berlin – Auf Resonanz und Kritik ist der jüngste „Faktencheck Gesundheit“ der Bertelsmann Stiftung zum Thema Rückengesundheit gestoßen. „Viele Arztbesuche und unnötige Bilder. Patienten sind medizingläubig, Ärzte technikorientiert“ – so fasst die Stiftung ihre Erkenntnisse zusammen.
Demnach geht jeder fünfte gesetzlich Krankenversicherte mindestens einmal im Jahr wegen Rückenschmerzen zum Arzt. Jeder Zweite ist überzeugt davon, dass man wegen Rückenschmerzen immer einen Arzt aufsuchen müsse. Und 60 Prozent der Bevölkerung erwarten schnellstens eine bildgebende Untersuchung bei ihren Rückenbeschwerden. Die falschen Erwartungen der Patienten rückten die Ärzte häufig nicht zurecht, so die Autoren des „Faktencheck“. Dadurch komme es zu unnötig vielen Bildaufnahmen.
Das Institut für angewandte Gesundheitsforschung hatte Analysen zu Behandlungsfällen und dem Ausmaß der Bildgebung aufgrund von Rückenschmerzen im Auftrag von Bertelsmann vorgenommen. Zusätzlich wurde eine repräsentative Bevölkerungsbefragung zum Thema von TNS Emnid durchgeführt.
Facharztvertrag Orthopädie ist ein großer Erfolg
In einer ersten Reaktion auf die umfangreiche Studie wies BVOU-Präsident Dr. Johannes Flechtenmacher gegenüber dem „Deutschen Ärzteblatt“ (DÄ) auf die Bedeutung einer fachkundigen Untersuchung bei Rückenschmerz und der anschließenden motivationalen Beratung zum Krankheitsbild hin. Auch auf die Forderung, die gründliche körperliche Untersuchung und das persönliche Gespräch zwischen Arzt und Patient müssten wieder mehr Gewicht bekommen, ging er im DÄ ein. Dr. med. Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, hatte erklärt: „Dafür bedarf es Korrekturen im ärztlichen Vergütungssystem. So müssen Gespräche im Verhältnis zu technikbasierten Untersuchungen besser bezahlt werden.“
Flechtenmacher wies daraufhin, dass ein solches Modell bereits existiere: Der Facharztvertrag Orthopädie mit der AOK Baden-Württemberg lege besonderes Gewicht auf die körperliche Untersuchung und die ausführliche Beratung des Patienten. „Und dies mit großem Erfolg“, so der BVOU-Präsident.
Schlussfolgerungen aus Routinedaten sind problematisch
Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) warnte in einer ersten Stellungnahme im DÄ vor einer zu groben Vereinfachung der Fakten. Es sei sehr problematisch, aus Krankenkassen-Routinedaten herauslesen zu wollen, dass bei Rückenschmerz zu viel geröntgt werde, sagte der stellvertretende DGOU-Generalsekretär Prof. Dr. Bernd Kladny. „Der Verdacht auf spezifischen Kreuzschmerz führt zur Veranlassung einer Bildgebung, in der sich dieser Verdacht vielfach nicht bestätigt“, ergänzte er. Ärzte hätten diese Bildgebung zum Beweis oder Ausschluss der Erkrankung durchgeführt. Verschlüsselt werde anschließend aber nicht der Verdacht, der zur Bildgebung führte, sondern die Diagnose „nicht-spezifischer Kreuzschmerz“, wenn in der Bildgebung eine ernsthafte gravierende Ursache ausgeschlossen werden konnte.
Dem Berliner „Tagesspiegel“ erläuterte der BVOU-Vizepräsident Prof. Dr. med. Karsten Dreinhöfer: „Was in der Bildgebung ,kaputt‘ erscheint, ist nicht unbedingt die Ursache der Schmerzen.“ Er verwies aber auf „Red Flags“, die eine weitergehende Diagnostik nötig machten: „Zu diesen gehören vor allem Schmerzen, die straßenförmig in ein Bein oder beide Beine ausstrahlen, Gefühlsstörungen oder Lähmungen in den Beinen und plötzliche Störungen der Blasen- und Mastdarmfunktion.“
Prof. Dr. med. Frank Kandziora, Vorstand der Sektion Wirbelsäule der DGOU, hatte sich in „Orthopädie und Unfallchirurgie – Mitteilungen und Nachrichten“ bereits im August umfangreich mit dem Thema Wirbelsäulenoperationen auseinandergesetzt. Er wies darauf hin, dass man Deutschland nicht als „OP-Weltmeister“ bei Rückenoperationen bezeichnen könne. Zwar war dies die Aussage einer OECD-Studie aus dem Jahr 2013. Doch die Altersadjustierung der Daten habe mittlerweile gezeigt, so Kandziora, dass Deutschland mit seiner weltweit zweitältesten Gesellschaft nur noch im durchschnittlichen Mittelfeld der westlichen Nationen lande.