Berlin – Anlässlich des Beschlusses der SPD, Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU zu beginnen, hat der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen, mit Blick auf das Gesundheitswesen erklärt: „Natürlich sind Verbesserungen möglich und teilweise auch notwendig. Jedoch wäre es fatal, aus Ideologie ein funktionierendes Gesundheitswesen auf den Kopf zu stellen und gefährliche Experimente einzugehen. Das Beispiel England zeigt aktuell sehr drastisch, wohin staatlich definierte Einheitsvergütungen und Bürgerversicherungen führen – nämlich zu einer schlechteren Versorgung für alle“.
Gassen regte angesichts der guten Finanzlage der gesetzlichen Krankenkassen an, die Grundleistungen nicht länger zu budgetieren: „Es ist eine Zumutung für Ärzte und Versicherte, dass zehn bis 20 Prozent der Leistungen nicht vergütet werden. Hierdurch könnte ein noch schnellerer Zugang der Patienten gewährleistet werden.“ Sein Vorstandskollege, der Allgemeinmediziner Dr. Stephan Hofmeister, unterstützte ihn: „Beginnen sollten wir mit der Abschaffung der Budgets bei den Grundleistungen. Hier beginnt unmittelbar die Versorgung der Patienten bei Haus- und Fachärzten.“
Der Vorsitzende des Hartmannbundes, Dr. Klaus Reinhardt, appellierte an die SPD, sich nicht länger in der Jagd auf das „Phantom Zwei-Klassen-Medizin“ aufzureiben. Dies diffamiere nicht nur alle im System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) tätigen Akteure, sondern verstelle den Blick für wirklich sinnvolle und längst überfällige Reformen des Gesundheitssystems.
Die Bürgerversicherung dürfe nicht das einzige Thema auf der gesundheitspolitischen Agenda sein, mahnte Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbands: „Bis heute sind viele Detailfragen zur konkreten Ausgestaltung der Bürgerversicherung ungeklärt. Auch deswegen haben wir uns weder für noch gegen eine Bürgerversicherung ausgesprochen, sondern immer wieder unsere Forderung nach einer vernünftigen und fairen Finanzierung der Primärversorgung wiederholt. Das ist unser Kernanliegen. In welchem Versicherungssystem dies am Ende des Tages geschieht, ist dabei zunächst zweitrangig.“
Wer die Patientenversorgung verbessern wolle, müsse den Honorardeckel bei der Vergütung für gesetzlich Versicherte abschaffen, forderte der Bundesvorsitzende des NAV-Virchow-Bundes: „Ein Ende der Budgetierung heißt Ende der immer behaupteten Zwei-Klassen-Medizin“, so Dr. Dirk Heinrich. Der Verband reagiert damit auf die jüngsten Äußerungen von Unionsfraktionschef Volker Kauder, der SPD bei den Koalitionsverhandlungen beim Thema Gesundheit entgegenkommen zu wollen.
Die Reform der GKV-Honorare müsse unabhängig von der Bezahlung durch selbstzahlende, meist dann privat versicherte Patienten angegangen werden. Eine Angleichung der Honorare, wie von der SPD gefordert, käme einer Mammutaufgabe für mehrere Legislaturperioden gleich, warnte der NAV-Chef: „Alle Experten – auch die der SPD – sind sich einig: Eine einheitliche Gebührenordnung ist nicht umsetzbar; jedenfalls nicht binnen einer, nicht einmal binnen zweier Legislaturen. Fachleute schätzen, dass ein solches Projekt bestenfalls in zehn bis 15 Jahren zu verwirklichen ist.“
Quellen: KBV, HÄV, NAV, Hartmannbund