Berlin – Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) hat ihren Leitfaden zum Arzneimittelmissbrauch komplett überarbeitet, der zuletzt 2011 aktualisiert wurde. Vorgestellt wurde er auf einem Symposium zu Fakten und Herausforderungen rund um dieses Thema. Sogenannte Substanzgebrauchsstörungen, wie Missbrauch und Sucht heute zusammenfassend bezeichnet werden, sind kein kleines Problem in Deutschland. Das erläuterte Prof. Martin Schulz, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker. Etwa 1,5 Millionen Arzneimittelabhängige gebe es hierzulande, rund zwei Drittel seien von Benzodiazepinen und sogenannten Z-Substanzen abhängig. Schulz thematisierte auch den Arzneimittelmissbrauch im Freizeitsport und die Leichtigkeit, mit der man zum Beispiel Steroide im Internet kaufen könne.
Opioidabhängigkeit steigt – Zu viele Verordnungen bei nicht-Tumorschmerzpatienten
Dass die Anzahl der Todesfälle steigt, bei denen Benzodiazepine eine Rolle spielen, erwähnte Prof. Christoph Stein, Direktor der Klinik für Anästhesiologie des Berliner Universitätsklinikums Charité. Seiner Meinung nach ist Deutschland auch gefährdet, ähnlich hohe Zahlen an Opioidabhängigen zu riskieren wie die USA in den letzten Jahren. Viel zu oft würden die Substanzen bei Patienten mit nicht-Tumorschmerz eingesetzt, bemängelte er, viel zu lange habe sich das Märchen gehalten, Schmerzpatienten könnten hiervon nicht abhängig werden.
2015 hätten die USA und Deutschland nicht mehr so weit auseinander gelegen, was den Opioidverbrauch anbelange. Die Tagesdosen pro Empfänger gingen stetig nach oben. Stein verwies auch auf den jüngsten Arzneiverordnungs-Report von 2017: Danach sind nichtopioide Analgetika wie Diclofenac oder Ibuprofen ebenfalls im Verbrauch nach oben gegangen. Unter den umsatzstärksten Arzneimittelgruppen haben dem Report zufolge die Analgetika 2016 auf Platz 8 gelegen.
Der Kliniker verwies zudem auf einen Bericht im Deutschen Ärzteblatt aus dem Jahr 2013, demzufolge schon damals erkennbar war, dass Opioide überwiegend für chronischen nicht-Tumorschmerz eingesetzt werden. Patienten mit chronischen Schmerzen, meist mit chronischen Rückenschmerzen, seien das allergrößte Problem, ebenso solche mit chronischen Kopfschmerzen. Dem Beitrag sei auch zu entnehmen, dass von 2000 zu 2010 eine Zunahme bei schwächer wirksamen wie stark wirksamen Opioiden für chronische nicht-Tumorschmerz-Patienten stattgefunden habe. Dabei wisse man, dass starke Opiate bei diesen Patienten gar nicht gut wirkten.
Zahlreiche Klagen gegen US-Firmen wegen aggressiver Werbung
In den USA laufen nach Steins Darstellung mittlerweile zahlreiche Klagen gegen opiatproduzierende Firmen. Ende 2017 sei eine Zusammenfassung zu diesem Thema im New England Journal of Medicine erschienen, wonach die aggressive Vermarktung von Opiaten eine Rolle gespielt habe. Eine der meistzitierten Substanzen sei dabei OxiContin. Dies könne man sich übers Internet besorgen.
Für chronische Schmerzpatienten sollten nicht nur Medikamente verordnet werden, sondern sie müsse man in multimodalen, interdisziplinären Programmen behandeln, forderte Stein. Diese gebe es aber viel zu selten, in Deutschland wie in den USA. Die Kostenträger spielen dabei seiner Meinung nach eine wichtige Rolle: Kollegen und er hätten beispielsweise an der Charité 18 Jahre lang versucht, eine interdisziplinäre Schmerzklink in Berlin einzurichten, aber: Die Krankenkassen hätten dies nicht gewollt, weil sie offenbar nicht an interventionelle Maßnahmen glaubten.
„Alltagsdoping“ wird teilweise toleriert
Auch die Nachfrage nach leistungssteigernden Mitteln und solchen, die das persönliche Wohlbefinden verbessern sollen, ist dem Eindruck der Apotheker nach gestiegen, berichtete der Präsident der Apothekerkammer, Dr. Andreas Kiefer. Dass immerhin rund die Hälfte der Bevölkerung dies einer Onlineumfrage zufolge toleriert, zumindest zu bestimmten Anlässen, erläuterte Corina Frahn vom Forschungsinstitut Forsa.