Berlin – „Die wesentlichen Ziele beziehungsweise Erwartungen des Modellversuchs von Innungskrankenkasse Berlin Brandenburg (IKK BB) und dem Verband Physikalische Therapie (VPT) – hohe Wirksamkeit, hohe Patientenzufriedenheit – dürfen aufgrund der Evaluationsergebnisse als erfüllt betrachtet werden. Dass die intensivere physiotherapeutische Behandlung zu höheren Kosten führte als im herkömmlichen System, war abzusehen.“ Mit diesen Worten hat Prof. Jutta Räbiger die Ergebnisse des ersten Modellversuchs zur Blankoverdnung im Herbst 2017 in einer dreiteiligen Artikelserie im VPTMagazin dargestellt. Sie war die wissenschaftliche Leiterin der beauftragten Alice Salomon Hochschule Berlin (siehe hierzu auch: Blankoverordnung: Erste Ergebnisse).
Als Gründe für die Kostensteigerung führte sie „insbesondere die Loslösung von den mengen- und zeitbezogenen Begrenzungen des Heilmittelkatalogs sowie die Beibehaltung der Einzelleistungsvergütung“ an. Ob Behandlungsmengen und -kosten im Modellversuch zu hoch oder in der Normalversorgung zu niedrig seien, könne man anhand der Studie nicht beantworten.
KVen Berlin und Brandenburg unterstützten die Studie nicht
Der Modellversuch startete formal 2011, drei Jahre brauchte es aber zur Vorbereitung und Testung. Die eigentliche Studie erfolgte 2014 bis 2016. Als Modellregionen wurden Berlin und Brandenburg ausgewählt. Da die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Brandenburg sich nicht zur Teilnahme bereit erklärt und die KV Berlin sich bedeckt gehalten habe, wie Räbiger schreibt, sei man ohne diese organisierte ärztliche Unterstützung gestartet. Inhaltlich bezogen sich die Initiatoren des Modellversuchs auf Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes, die den Indikationsgruppen WS, EX und CS im Heilmittelkatalog zugeordnet werden konnten.
Vollständig auswertbare Befundbögen lagen am Ende zu 196 Patienten aus 27 Praxen vor, überwiegend aus Berlin. Um überhaupt ein Modellprojekt zur Blankoverordnung starten zu können, wurde in den teilnehmenden Praxen für die relevanten Patienten die herkömmliche ärztliche Verordnung zur Blankoverordnung erklärt. „Auf Grundlage der ärztlichen Diagnose [trafen die Physiotherapeuten] ihre eigenen therapeutischen Entscheidungen“, heißt es im ersten Beitrag der Serie von Räbiger. Diese führten dazu, dass andere Maßnahmen und Maßnahmenkombinationen eingesetzt wurden als im Heilmittelkatalog vorgesehen und häufig verordnet: „Deutlich häufiger wurde die Manuelle Therapie angewandt, in der Interventionsgruppe (IG) bei 75,2 Prozent, in der Kontrollgruppe (KG) bei 41,4 Prozent der Patienten.“ Als Folge war die Zahl der Behandlungseinheiten in der IG auch dreifach höher als in der KG. Eine weitere Besonderheit war, dass 97 Prozent der Patienten nach Blankoverordnung eine Anleitung zu häuslichen Eigenübungen erhielten.
Räbiger kommt weiter zu dem Ergebnis, dass die Effekte in der IG in Bezug auf Schmerzreduktion, Gelenkbeweglichkeit und Muskelkraft deutlich positiv waren. Die Wirksamkeit ihrer Behandlung schätzten auch die Patienten der IG höher ein als die in der KG. Weiter schreibt sie: „In Bezug auf die Nachhaltigkeit der Behandlung gab es Hinweise, dass ein Großteil der am Anfang des Modellvorhabens behandelten Patienten in den Folgejahren nicht wiederholt behandelt werden mussten.“ Hierzu sei noch eine Nachuntersuchung geplant.