Berlin/Erfurt – „In unserer Gesellschaft werden zunehmend Grenzen des Respekts und des Anstands überschritten. Das zeigt sich auch in der tagtäglichen Gewalt, der niedergelassene Ärzte und Medizinische Fachangestellte in den Praxen ausgesetzt sind. Die Entwicklung ist bestürzend und sollte diejenigen aus Politik und Krankenkassen nachdenklich stimmen, die gerne ein populistisches Ärztebashing betreiben. Wer ständig einen kompletten Berufsstand verbal kriminalisiert, braucht sich nicht zu wundern, wenn dies zur Gewalt in Praxen führt“, erklärte Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).
„Gewalt ist längst Alltag in unseren Praxen. Und es wird immer schlimmer. Die allgemeine Verrohung und ein immer höheres Anspruchsdenken sind die Ursache dafür“, stellt Dr. Dirk Heinrich, Bundesvorsitzender des NAV-Virchow-Bundes, Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands, fest.
Beide forderten die Politik auf, die ambulant und stationär tätigen Ärztinnen und Ärzte in den neuen Straftatbestand „Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte (§ 114 StGB)“ mit aufzunehmen. Das 52. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften ist am 30. Mai vergangenen Jahres in Kraft getreten. Durch die jüngste Änderung des Gesetzes Ende April haben tätliche Angriffe auf Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungsdienstmitarbeiter ein höheres Strafmaß erhalten. Ärzte und ihr medizinisches Personal wurden dabei nicht berücksichtigt.
Erstmals ist der Ärztemonitor, die deutschlandweit größte Befragung von Niedergelassenen, der Frage nachgegangen, welche Rolle Gewalt im täglichen Behandlungsalltag spielt. Erste Trends nach Auswertung von über 7.000 Befragten liegen vor. Mit schon jetzt alarmierenden Ergebnissen: Pro Arbeitstag komme es demnach in deutschen Arztpraxen 288 Mal zu körperlicher Gewalt. Jeder vierte an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Arzt habe in seinem Berufsleben schon Erfahrung mit körperlicher Gewalt seitens von Patienten gemacht.
Weitaus höher sind die Vorkommnisse von verbaler Gewalt. Mit bundesweit 2.870 Fällen täglich haben sie vier von zehn Ärzten schon erlebt. Laut der Befragung nehme verbale Gewalt zu, je größer die Praxis ist, während körperliche Gewalt zunimmt, je kleiner die Praxis ist. Zur Anzeige bringen die Ärzte etwa jeden vierten tätlichen Angriff. Der Ärztemonitor ist die deutschlandweit größte Befragung ambulant tätiger Ärzte und Psychotherapeuten, die die KBV und der NAV-Virchow-Bund alle zwei Jahre in Auftrag geben. Das Institut für angewandte Sozialwissenschaften (infas) hat seit Februar rund 11.000 Niedergelassene telefonisch zu ihrer Arbeitssituation befragt. Pro Jahr gebe es rund eine Milliarde Arzt-Patienten-Kontakte und über 600 Millionen Behandlungsfälle im Rahmen der ambulanten Versorgung in den Praxen der Niedergelassenen.
Quelle: KBV