Berlin – Dr. Klaus Thierse, BVOU-Landesvorsitzender Berlin und Delegierter beim Deutschen Ärztetag in Erfurt, kommentiert die Beschlüsse und ihre Folgen.
Herr Dr. Thierse, Sie haben als Delegierter der Ärztekammer Berlin beim Deutschen Ärztetag in Erfurt über die Novellierung der (Muster-)Weiterbildungsordnung (MWBO) mitabgestimmt. Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis?
Dr. Klaus Thierse: Nicht wirklich. Beraten und beschlossen wurden neben dem Paragraphenteil die sogenannten Kopfteile der Zusatzweiterbildungen (ZWB), das heißt: Definition der ZWB, Voraussetzungen, also: wer kann das erwerben, und Zeiten. Die Inhalte der Zusatzweiterbildungen werden von den Gremien bei Bundes- und Landesärztekammern entwickelt und seit jeher nicht vom Ärztetag beschlossen. Aber manches an der Beschlussvorlage wurde kurzfristig noch redaktionell geändert, wie es so schön heißt. Einiges davon hat der Deutsche Ärztetag korrigiert. Aber es bleiben einige Ungereimtheiten, die noch nachgebessert werden sollten.
Zum Beispiel?
Thierse: Für unser Fach relevant: Chirotherapie soll ohne Kurse in einem Jahr an Weiterbildungsstätten erworben werden können. Die entsprechenden Kliniken werden aber kaum in einem Jahr die entsprechende Theorie quasi nebenbei vermitteln können. Und das repetitive Üben von Handgriffen kann man Patienten nicht zumuten, was im Gespräch auch die Leiter der einschlägigen Kliniken unisono bestätigen.
Gibt es weitere Probleme für das Fach Orthopädie und Unfallchirurgie?
Thierse: Keine wirklich großen, aber im Bereich Sozialmedizin und Rehabilitationswesen gab es Diskussionsbedarf, weil hier statt der Vorgabe, bestimmte Kurse zu belegen, nun alternativ bestimmte Weiterbildungszeiten angerechnet werden sollten. Der Kompromiss ist nun, dass ein Erwerb berufsbegleitend durch Absolvieren der Kurse und zusätzliche Supervision, das heißt ohne formale Unterstellung wie sonst im Weiterbildungsverhältnis, möglich ist.
Was bringt das?
Thierse: Diese Vorgabe hat Vorteile für Kolleginnen und Kollegen, die aus dem Bereich der Akutversorgung in den Reha-Bereich wechseln wollen. Sie haben so eher eine Chance, die Zusatzbezeichnung zu erwerben.
Gibt es weitere Entscheidungen, die für O und U relevant sind?
Thierse: Auf eine breitere Basis für die Zusatzbezeichnung Geriatrie konnte man sich leider nicht verständigen. Fachärzten für Orthopädie und Unfallchirurgie bleibt sie verschlossen. Es gab so großen Druck aus den entsprechenden Kreisen, diese Zusatzweiterbildung mit internistischen Inhalten zu füllen, dass sie für Fachärzte O und U auch gar nicht erreichbar wäre. Wir sollten deshalb überlegen, ob wir separat eine Zusatzqualifikation Alterstraumatologie schaffen, die nicht zu verwechseln ist mit dem Inhalt der Weiterbildungsordnung, aber über ein Kurssystem Qualifikationsmöglichkeiten für Kolleginnen und Kollegen bietet.
Es gab im Vorfeld aber Diskussionen um die orthopädische Rheumatologie.
Thierse: Ja, da haben die Internisten mehrheitlich andere Vorstellungen als wir. Über Inhalte und Definitionen der orthopädischen Rheumatologie wurde beim Ärztetag in Erfurt aber wie gesagt nicht debattiert. Der sogenannte Kopfteil der Muster-Weiterbildungsordnung ist hier unumstritten. Die Inhalte werden, wie oben schon erwähnt, von den Gremien auf Bundes- und Landesebene entwickelt und beschlossen. Da liegt in den nächsten etwa zwei Jahren noch viel Arbeit vor uns.
Gibt es weitere wichtige Entscheidungen?
Thierse: Was den Paragrafenteil betrifft, gibt ein einige Anpassungen von Formulierungen, Stichwort: Kompetenzbegriff. Da wird manches nicht so schnell greifen. Hier geht es um andere und neue Vorstellungen von Weiterbildung. Über ein neues Kompetenzmodell haben wir ja jahrelang diskutiert. Im Grunde gibt es nun zwei Kategorien für die Inhalte, entlang der Fragen: Was muss ich wissen? Was muss ich beherrschen? Das greift auch das neue Logbuch auf, in dem einzelne Fähigkeiten und Kenntnisse nun dokumentiert und vom Weiterbilder gegengezeichnet werden müssen.
Was bedeutet das im Berufsalltag?
Thierse: Aus meiner Sicht steht dahinter eine klare Botschaft. Nämlich: Wenn man einem jungen Arzt oder einer jungen Ärztin bescheinigt, dass eine bestimmte Kompetenz vorhanden ist, und im Nachhinein zeigt sich, dass sie nie erworben wurde, dann kommen wohl zwei Leute vor den Kadi! Wichtig ist nun aber auch, dass erworbene Kompetenzen korrekt dokumentiert und nicht vergessen werden. Im Klartext: Es wurden bisher Kenntnisse nach dem Weiterbildungskatalog bescheinigt, die nie erworben wurden, zumindest nicht in ausreichendem Umfang. Und es wurden Kompetenzen, die jemand erworben hatte, vergessen, weil es bei Bescheinigungen manchmal flott gehen musste. Hier wird sich etwas ändern.
Warum gibt es dann weiter Mindestzeiten für bestimmte Weiterbildungsfertigkeiten?
Thierse: Auch wenn nun mehr Wert auf Kompetenzen gelegt wird, ist das sinnvoll. Selbst wenn man noch so oft bei Operationen assistiert und dann auch selbst operiert, so können bestimmte chirurgische Fähigkeiten nicht in sehr kurzer Zeit erworben werden. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass diese Inhalte von den Landesärztekammern geregelt und angepasst werden können. Sie sind kein Satzungsrecht, dessen Änderung eine Landesbehörde zustimmen muss. Wenn wir feststellen, dass eine inhaltliche Vorgabe nicht zu erfüllen ist, müssen wir sie ändern können. Eine wesentliche Neuerung ist aber im Zusammenhang mit den Zeiten, dass hier im für uns relevanten Bereich nicht mehr zwischen stationären und ambulanten Zeiten unterschieden wird. Entscheidend für den Befugnisumfang ist künftig das Spektrum der Weiterbildungsstätte. Mal sehen, wie wir damit umgehen können.
Was muss für O und U möglicherweise noch geklärt werden?
Thierse: Das muss man in den nächsten Monaten Stück für Stück sehen, wenn die MWBO in den Landesärztekammern umgesetzt wird. So etwas braucht immer Zeit. Ganz sicher wird die alte Diskussion um Berufsrecht versus Sozialrecht für die ambulante Versorgung eine Rolle spielen, also die Frage, wer die Qualifikationen eigentlich bestimmt: Ärztekammer oder Kassenärztliche Vereinigung (KV) – Berufsrecht oder Sozialrecht?
Ein älteres Beispiel ist hier der Ultraschall von Säuglingshüften. Die KVen verlangen 200 Sonografien, was viele Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie an ihren Weiterbildungsstätten nicht schaffen. Ultraschall der Säuglingshüfte wird aktuell meist von Kinderärzten vorgenommen.
Bei solchen Fragestellungen geht es für die zukünftigen Weiterbildungsinhalte darum, ob man vielleicht die Vorgaben für verlangte Kompetenzen anpasst. Beispielsweise, in dem man für die Weiterbildung 50 Ultraschalluntersuchungen von Säuglingshüften vorsieht und Kolleginnen und Kollegen, die sich niederlassen wollen, dann den Rest nachweisen müssen, falls sie diese abrechnen wollen. Oder sollen alle Fachärzte mit ihrer Prüfung auch die sozialrechtlichen Voraussetzungen mitbringen? In diese Richtung wird man für die Zukunft diskutieren müssen.
Das Interview führte Sabine Rieser.