Berlin – Die Fallzahl in deutschen Krankenhäusern wird erheblich ansteigen. Man rechnet in 15 Jahren mit 20 bis zu 40 Prozent mehr Patienten, die über 80 Jahre alt sind und teils akut-stationär, teils in Rehabilitationseinrichtungen behandelt werden müssen – und dies häufig mit Problemen am Bewegungsapparat. Die Notwendigkeit einer frühen geriatrischen Mit- und Nachbehandlung in Altersorthopädie und -traumatologie steigt und wird die Behandlungsqualität und die Ergebnisse verbessern.
Der Anteil der Menschen, die 80 Jahre oder älter sind, wird sich bis zum Jahr 2050 verdoppelt haben, sagt eine Erhebung des Statistischen Bundesamts vorher. Millionen Menschen leiden im Alter an Arthrose, Wirbelsäulenerkrankungen, Osteoporose oder sind nach einem Sturz in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt. Experten sehen in der alternden Bevölkerung mit ihrer steigenden Krankheitslast eine Herausforderung, auf die sich alle Leistungsträger im Gesundheitswesen vorbereiten müssen.
Knapp ein Drittel der deutschen Bevölkerung ist bereits heute mindestens 60 Jahre alt. Der Anteil der über 80-Jährigen liegt bei rund 7 Prozent (1). „Die steigende Lebenserwartung und die vorwiegend sitzende Lebensweise sorgen künftig für einen wachsenden Bedarf an orthopädischen und unfallchirurgischen Leistungen“, sagt Dr. med. Gerd Rauch, Kongresspräsident des DKOU 2018 vom Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie. Denn große Volkskrankheiten wie Arthrose, Osteoporose oder Wirbelsäulenerkrankungen sind Verschleißerkrankungen: Sie entstehen und verschlimmern sich im höheren Lebensalter. Zusätzlich steigt auch das Risiko für gefährliche Stürze.
Pro Jahr werden mehr als 400.000 Menschen nach einem Sturz ins Krankenhaus eingewiesen. Die häufigste Diagnose ist der Oberschenkelhalsbruch. „Da diese älteren Patienten nicht selten gebrechlich sind und oftmals auch an mehreren Begleiterkrankungen leiden, können wir sie nicht behandeln wie einen jungen Menschen“, erklärt Kongresspräsident Professor Dr. med. Joachim Windolf, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU). Die Komplikationsrate ist bei ihnen höher: Jeder zehnte Betroffene stirbt innerhalb von 30 Tagen nach seiner Verletzung. Von den überlebenden Patienten muss jeder fünfte in ein Pflegeheim umziehen, weil er nach dem Sturz nicht wieder so mobil wird, um selbstständig im eigenen Haushalt zu leben.
„Die Behandlung alter Patienten stellt besondere Anforderungen an Zeit, Personalaufwand und Fachkenntnis“, sagt Windolf. In ihrem Weißbuch Alterstraumatologie empfiehlt die DGU daher eine enge Zusammenarbeit mit Geriatern. Eine aktuelle Studie belegt, dass dadurch die Sterblichkeit nach altersbedingten Knochenbrüchen um 20 Prozent sinkt (2).
„Auch bei chronischen Erkrankungen wie der Arthrose ist es sinnvoll, schon im frühen Stadium einen Altersmediziner einzubeziehen“, ergänzt Prof. Dr. Dr. med. Werner Siebert, Kongresspräsident des DKOU 2018 und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie. Um die Versorgung dieser alten und sehr alten Patienten weiter zu verbessern, muss aber auch die Forschung in Orthopädie und Unfallchirurgie weiter vorangetrieben werden. „Kunstgelenke und Implantate ermöglichen es uns heutzutage, Mobilität bis ins hohe Alter zu erhalten. Wir werden aber auf Dauer Therapieansätze benötigen, die beschädigte Knochen oder verlorenen Gelenkknorpel wiederherstellen können“, sagt Siebert.
In den modernen Industrienationen sehen wir uns gerade mit den Problemen des Bewegungsapparates einer großen Aufgabe gegenüber: mit der immer älter werdenden Bevölkerung. Spezielle Probleme einer Bevölkerung, die in 20 Prozent, ja 30 Prozent ihrer Gesamtheit älter als 65 Jahre ist und nicht zuletzt auch eine große Zahl von Menschen im höchsten Lebensalter zwischen 85 und 100 Jahren als Patienten besitzt, hat andere Herausforderungen zu bewältigen als ein Gesundheitssystem, das sich hauptsächlich mit jungen Patienten beschäftigt.
Sehr häufig werden alte Menschen am Ende ihres Lebens gerade durch Probleme am
Bewegungsapparat sehr stark limitiert. Gerade die letzten zehn bis zwölf Jahres eines Lebens zeichnen sich durch eine Vielzahl von kleineren und größeren Erkrankungen am Bewegungsapparat aus, Mehrfacherkrankungen sind häufig, Chronifizierungen die Regel. Die leider auch häufig dabei zu beobachtenden kognitiven Einschränkungen erhöhen die Risiken für Traumata und Verletzungen. Diese Patienten benötigen häufig konservative Unterstützung und Reha-Maßnahmen, die speziell auf ihr hohes Lebensalter abgestellt sein müssen und auch die multimorbiden Zustandsbilder mit einer Vielzahl von verschiedenen Erkrankungen sind eine Herausforderung. Dieses Thema müssen wir
aufgreifen, sowohl hinsichtlich der degenerativen Erkrankungen als auch der Trauma-Problematik.
Es ist ein großer Unterschied, ob eine Wirbelsäulenbehandlung konservativ oder operativ bei einem 60-Jährigen oder einem 90-Jährigen zu erfolgen hat und die Ressourcen, die dafür erforderlich sind und die Fachkompetenz, die nötig ist, um hier eventuell einen operativen Eingriff noch durchzuführen, unterscheidet sich auch erheblich. Der alte Mensch stellt oft viel höhere Anforderungen an Zeit, Personalaufwand und Fachkenntnis. Darauf müssen wir uns vorbereiten und die Mittel und Möglichkeiten dafür zur Verfügung stellen, da die Zahl der Alten und Hochbetagten immer weiter zunehmen wird.
Die Fallzahl in deutschen Krankenhäusern wird deshalb auch erheblich ansteigen. Man rechnet in 15 Jahren mit 20 bis zu 40 Prozent mehr Patienten, die über 80 Jahre alt sind und teils akut-stationär, teils in Rehabilitationseinrichtungen behandelt werden müssen – und dies häufig mit Problemen am Bewegungsapparat.
Um eine kompetente Versorgung der Patienten mit einer Verbesserung der Behandlungsqualität erreichen zu können, und dies heißt natürlich nicht zuletzt, dass eine frühe geriatrische Mit- und Nachbehandlung in Altersorthopädie und -traumatologie nicht nur notwendig sein wird, sondern auch die Ergebnisse verbessern wird.
Es ist bezeichnend, dass im Hospital for Special Surgery in New York inzwischen mehr als zehn Prozent der dort tätigen Ärzte aus O & U als sogenannte „Ortho-Geriatricians“ bezeichnet werden, also als Orthopäden, die sich speziell mit geriatrischen Problemen beschäftigen. Dies ist eine Entwicklung, auf die wir uns ebenfalls einstellen müssen.
Natürlich haben wir viele Möglichkeiten in der Behandlung von hochbetagten Patienten. Die Kunstgelenke werden sicherlich auch 20 weitere Jahre ihre segensreiche Wirkung bei der Behandlung von Frakturen und degenerativen Veränderungen erfüllen können. Dennoch muss man natürlich auch in die Zukunft sehen und hoffen, dass es hier Veränderungen und Weiterentwicklung, gerade aus der Arthroseforschung, gibt, mit denen wir das menschliche Reparatursystem Schritt für Schritt verbessern können.
Es ist zu hoffen, dass es uns gelingt, unseren Körper auf Zell- und Molekularbasis zu stärken und auch die Gelenke und die Knochen zu erneuern beziehungsweise den Alterungsprozess zu verlangsamen, aufzuhalten, vielleicht sogar wieder rückgängig zu machen. Das ist natürlich Zukunftsmusik, aber auch darauf muss die DGOU vorbereitet sein und auch diesen Bereich der medikamentösen und der genetischen Therapie bearbeiten und in ihre Zukunftsoptionen aufnehmen. Dafür müssen wir Forschungsprojekte – wie wir es ja auch tun – anstoßen, unterstützen und fördern.
Interessanterweise sind es gerade die großen Internetkonzerne, die sich sehr stark mit diesen Themen des medizinischen Fortschritts beschäftigen. Der Leiter der technischen Entwicklung bei Google, Raymond Kurzweil, ist der Meinung, dass wir ab dem Jahr 2030 jedes Jahr ein Lebensjahr dazugewinnen. Aus seiner Sicht vollzieht sich Fortschritt nicht linear, sondern exponentiell. Er denkt, dass Nanotechnologie die Aufgaben unseres Immunsystems ergänzen wird, wir werden damit von Tumoren und Desoxyribonukleinsäure(Dann)-Fehlern befreit werden. Seine futuristische Aussicht endet damit, dass der Mensch ganz ohne feste körperliche Form als „Gehirn-Download“ funktionieren wird. Wir werden abwarten, was kommt und beschäftigen uns jetzt sicherlich in unserer Lebensspanne noch mit Platten, Schrauben und Kunstgelenken, aber auch mit zukunftsweisenden Technologien aus Arthrose- und Stammzellforschung.
Quellenangaben und weitere Informationen finden Sie in den Presseunterlagen zu DKOU 2018: hier klicken