Berlin – Die Faszination unseres Berufes liegt darin, dass wir den Kranken, die zu uns kommen, helfen – dass wir sie sogar bestenfalls heilen können.
Die Menschen legen ihr Schicksal in unsere Hände und dürfen zurecht erwarten, dass wir uns für sie einsetzen werden.
Sie dürfen auf ein Arzt-Patienten-Verhältnis hoffen, das auf Vertrauen, Verlässlichkeit, Ehrlichkeit und Empathie beruht. Dafür sind wir angetreten! Das entspricht unserem Ethos und diese Begeisterung wollen wir uns auch nicht nehmen lassen.
Sie kennen doch sicher noch die Namen der Patientinnen und Patienten, die aus irgendeinem Grund zu etwas Besonderem für Sie geworden sind.
Unser Motto hat aber noch einen Nachsatz, den wir stets mitdenken müssen, der aus Platzgründen aber im Logo fehlt. Er heißt „Ein Leben lang“.
Mit Begeisterung für unsere Patienten – ein Leben lang.
Zunächst bedeutet dieser Satz, dass wir jedes Lebensalter behandeln, vom Säugling bis zum Greis, von der angeborenen bis zur erworbenen Erkrankung des muskuloskelettalen Apparats.
An Orthopädie und Unfallchirurgie kommt niemand vorbei. Wir begleiten Patientinnen und Patienten ein Leben lang.
Aber der Nachsatz hat noch weitere Dimensionen.
Mit ihren Wurzeln in der Krüppelfürsorge hat unser Fach auch immer die Integration und die gesellschaftliche Teilhabe der Patientinnen und Patienten im Blick. Wir wollen, dass sich die Menschen dank unserer Behandlung und Fürsorge wieder gut und schmerzfrei bewegen können – ein Leben lang. Diese lebenslange Teilhabe war immer ein wichtiges Behandlungsziel unseres Organfachs. Das dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren.
Den Orthopäden und Unfallchirurgen wächst auch eine immer größere Rolle bei der Implementierung eines gesunden Lebensstils zu. Bewegung ist nichts anderes als ein hochdosiertes Medikament. Sport stärkt Körper und Geist.
Weil sich die Menschen immer weniger bewegen, wird die Bundesregierung am 13. Dezember einen Bewegungsgipfel abhalten. Dabei geht es auch um die Stärkung des Breitensports.
Sport hat aber auch eine Kehrseite: das hohe Verletzungsrisiko. Als Orthopäden und Unfallchirurgen müssen wir den Menschen erklären, wie sie Verletzungen vermeiden – und zwar ein Leben lang. Auch hier schwingt dieser Nachsatz mit. Wir leisten auch Präventionsarbeit.
Allerdings werden die Rahmenbedingungen immer schlechter.
Die Streichung der Neupatientenregelung in dem gerade verabschiedeten GKV-Finanzstabilisierungsgesetz hat uns maßlos enttäuscht. Deshalb ist es gut, dass wir heute Abend Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zu Gast haben. Jetzt können wir Sie direkt mit unserem Unmut konfrontieren.
Herr Minister: Die Neupatientenregelung war ein Schritt in die richtige Richtung. Sie war kein Bonus, sondern eine faire unbudgetierte Bezahlung für unsere Leistungen, so wie das eigentlich selbstverständlich wäre. Ich bin niedergelassener Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie und seit 25 Jahren Kassenarzt. Ich habe bis dato nur 80% meiner erbrachten Leistungen bezahlt bekommen.
Der Zuschlag für schnellere Termine wird den Honorarverlust durch die Streichung der Neupatientenreglung nicht annähernd ausgleichen, denn nur ein kleiner Teil der Neupatienten kommt über die Terminservicestellen oder den Hausarzt. Ich frage Sie, Herr Minister: Wie sollen wir die offene Sprechstunde finanzieren, wenn nicht durch eine angemessene Honorierung? Die Streichung der Neupatientenregelung ist nichts anderes als ein Griff in unsere Taschen.
Und noch ein Punkt: Sie wollen die Sektorengrenzen öffnen und die ambulante Behandlung im Krankenhaus stärken. Das ist letztendlich nichts anderes als ein Plan zur Abschaffung der zweiten Facharztschiene. Dabei hat uns gerade diese flächendeckende ambulante Facharztschiene geholfen, die Notfallambulanzen der Kliniken während der Pandemie zu entlasten.
Wie soll eine zukunftssichere Versorgung gelingen, wenn die Krankenhäuser immer mehr ambulante Patienten versorgen müssen, weil sie den Niedergelassenen durch ihre Taktik die Luft abschnüren? Stellen Sie sich vor, was passieren würde, wenn jeder Rückenschmerz-Patient ins Krankenhaus käme. Die Kliniken hätte gar keine Infrastruktur für ein solches Behandlungsaufkommen. Wie soll das funktionieren, Herr Minister?
Uns ist auch die stockende Umsetzung der strukturierten Behandlungsprogramme ein Dorn im Auge. Von unserem Berufsverband wurden funktionierende DMPs für den chronischen Rückenschmerz (2019), für Osteoporose (2020) und für Rheuma (2021) ausgearbeitet.
Zur Erinnerung: Die 2004 eingeführten DMPs sind dem damaligen Berater von Ulla Schmidt zuzuschreiben – Karl Lauterbach. Herr Minister, Sie haben diese Initiativen seitdem immer wieder gelobt.
Nach dem G-BA Beschluss zum DMP Rheuma haben viele auf eine Verbesserung der Versorgung gehofft. Bisher umsonst. Die KVen müssen für die Umsetzung mit den Landesverbänden der Krankenkassen regionale Verträge aushandeln. Die Krankenkassen weigern sich bis dato.
Dies inkludiert auch das DMP Herzinsuffizienz (2018).
Herr Minister, warum tun Sie nichts dagegen, wo Sie doch selbst für diese Versorgungsprogramme geworben haben?
Ich frage Sie:
Wer möchte unter diesen Bedingungen noch Ärztin oder Arzt werden?
Wer möchte sich unter diesen Bedingungen noch niederlassen?
Wir brauchen eine Gesundheitspolitik, die uns stärkt, keine die uns schwächt.
Verschaffen Sie uns Rahmenbedingungen, damit wir die Menschen gut und mit Begeisterung behandeln können – und zwar ein Leben lang.
DKOU-Eröffnungsrede von BVOU-Kongresspräsident Dr. Wolfgang Willauschus, Bamberg