Ärzte können ab November 2024 eine Blankoverordnung für Physiotherapie ausstellen. Möglich ist dies für Erkrankungen im Schulterbereich, zum Beispiel bei Luxationen, Frakturen oder starken Verbrennungen. In dem Fall bestimmen Physiotherapeuten Heilmittel, Menge und Frequenz der Behandlung und übernehmen auch wirtschaftliche Verantwortung. Der BVOU beantwortet die wichtigsten Fragen zu der Neuerung.
Ab wann kann die Blankoverordnung für Physiotherapie verordnet werden?
Ab 1. November 2024 können die Blankoverordnungen für Physiotherapie ausgestellt werden. Die Blankoverordnung für Ergotherapie ist bereits seit April möglich.
Bei welchen Indikationen kann die Blankoverordnung für Physiotherapie verordnet werden?
Die Blankoverordnung für Physiotherapie beschränkt sich auf Erkrankungen des Schultergelenks. Die Liste mit über 100 ICD-10-Codes können Sie hier einsehen: https://www.gkv-heilmittel.de/media/dokumente/heilmittel_vertraege/vertraege_physiotherapie/anlagen_blanko_1/20240830_Anhang_1_Anlage_1_Vertrag_nach_125a_SGB_V_Physiotherapie.pdfDie Blankoverordnung ist maximal 16 Wochen ab Verordnungsdatum gültig, danach ist die Therapie zu beenden.
Wie ist der Praxisablauf in der ärztlichen Praxis?
Sowohl Hausärzte als auch Fachärzte können die Blankoverordnungen ausstellen. Ärztinnen und Ärzte stellen weiterhin die Diagnose und entscheiden, ob Physiotherapie notwendig ist. Kommt es zur Verordnung wird kein konkretes Heilmittel festgehalten, sondern der Physiotherapeut entscheidet über das Heilmittel, die Anzahl sowie die Frequenz.
In der Praxissoftware wird somit die Diagnose mit ICD-10-Code und Diagnosegruppe „EX“ angegeben. (Die Diagnosegruppe „EX“ steht gemäß dem Heilmittelkatalog für Extremitäten.) Die Praxissoftware erkennt automatisch aus diesen beiden Angaben, dass eine Blankoverordnung möglich ist und bietet diese an. Sofern aus medizinischer Sicht nichts gegen die Blankoverordnung spricht, wird diese ausgewählt und die Praxissoftware kennzeichnet die Verordnung entsprechend.
Wie wirkt sich die Blankoverordnung auf die Wirtschaftlichkeitsprüfung der Ärzte aus?
Blankoverordnungen unterliegen, wie Verordnungen im Rahmen eines langfristigen Heilmittelbedarfes, nicht der Wirtschaftlichkeitsprüfung für ärztlich verordnete Heilmittel. Die wirtschaftliche Verantwortung übernehmen die behandelnden Physiotherapeuten.
Was ändert sich in der physiotherapeutischen Praxis?
Die Verantwortung für die Wirtschaftlichkeit geht auf die Physiotherapeuten über. Es können je nach ICD-10-Code bis zu 18 oder 26 Behandlungen mit vorrangigen Heilmitteln und bis zu 6 oder 8 Behandlungen mit ergänzenden Heilmittelen durchgeführt werden. Es gibt zusätzliche Pauschalen für die Blankoverordnung von 55,00 Euro sowie eine für die Diagnostik von 34,34 Euro für die Therapieplanung und eine von 25,76 Euro für die Anpassung des Therapieplanes.
Weitere Informationen: Die Vereinbarungen gemäß § 125 SGB V zwischen dem GKV-Spitzenverband und den Physiotherapieverbänden finden Sie unter https://www.gkv-spitzenverband.de/krankenversicherung/ambulante_leistungen/heilmittel/125_physio/125_physiotherapie.jsp
Die KBV liefert ebenfalls Informationen.
Was ist aus Sicht des BVOU positiv an der Blankoverordnung für Schultererkrankungen?
Der Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie begrüßt ausdrücklich, dass für die konservative Behandlung unserer Schulterpatienten mehr Geld zur Verfügung gestellt wird. Dazu tragen sowohl die Möglichkeit der regressfreien Verordnung als auch die deutlich erhöhten Honorare bei den Physiotherapeuten bei. Weiterhin führt sie zu einer drastischen Reduktion der überbordenden Bürokratie bei Ärzten und auch Physiotherapeuten. Der Kontrollwahn und die Gängelung bei den bisherigen Heilmittelverordnungen war für die ärztlichen und physiotherapeutischen Praxen nicht mehr erträglich.
Was ist aus der Sicht des Berufsverbandes kritisch?
Die Blankoverordnung kann nur ein Puzzlestück bei der Verbesserung der ambulanten Versorgung sein. Für sich betrachtet macht sie wenig Sinn, da in ihr keine leitliniengerechten Algorithmen zur Behandlung bei Schultererkrankungen hinterlegt sind. So sollte z.B. die Blankoverordnung bei traumatisch bedingten Schulterverletzungen unterbleiben, da hier durch die alleinige Anamnese und klinische Untersuchung eine Fehlsteuerung droht. Auch bei anderen Erkrankungen wie Defekten der Rotatorenmanschette, der Tendinosis calcerea usw. drohen durch insuffiziente Diagnostik bzw. durch den mangelnden Einsatz anderweitiger Therapien suboptimale Versorgung der Patienten. Während die physiotherapeutische Therapie durch zusätzliche Honorare in Höhe von rund 100 Euro zu den bisherigen 120 Euro pro Rezept aufgewertet wird, bleibt die Situation bei der ärztlichen Diagnostik, Therapie und Beratung prekär: Dem Arzt stehen dafür insgesamt nur ca. 60 Euro im Quartal zur Verfügung. So bleibt z.B. immer weniger Zeit für eine ausführlich ärztliche Beratung – die konservative Orthopädie wird zu Tode gespart.
Was ist aus der Sicht des BVOU zu tun?
Was fehlt ist ein schlüssiges Gesamtkonzept in der ambulanten Versorgung – das Zusammenspiel Haus-, Facharzt, Physiotherapeut muss im Sinne von Über- Unter- und Fehlversorgung geregelt werden. Auf der einen Seite Regressfreiheit und feste Honorar in Euro und Cent, auf der anderen Seite zunehmende Budgetierung und floatende Preise bei der nichtoperativen Behandlung – so funktioniert das eben nicht sondern wird nur noch zu mehr Unwuchten im System führen. Leitliniengerechte Diagnostik und Therapie muss für alle Beteiligten regressfrei möglich und fair kalkuliert sein. Da reicht eine neugeschaffene Blankoverordnung nicht aus.