Die Verlängerung der krankheitsfreien Lebenszeit ist ein Anliegen der aktuellen medizinischen Bemühungen, das besonders medial sehr viel Anklang findet.
Wenn man das Thema durchdekliniert und auf unser orthopädisch-unfallchirurgisches Fachgebiet herunterbricht, ist es eine notwendige Konsequenz, dass Therapieoptionen jenseits von Operation und Kortison angeboten werden.
Nachdem jahrelang auf den Fachkongressen und von Kostenträgern die Evidenz der PRP-Therapie infrage gestellt wurde, können wir seit Oktober 2022 auf das ESSKA Orbit Konsensus Paper verweisen, das für das PRP bei Gonarthrose mindestens eine vergleichbare entzündungshemmende Wirkung mit länger anhaltenden positiven Effekten gegenüber Kortison feststellt.
In der zunehmend umfangreicheren Literatur findet sich eine hohe Evidenz für Behandlungen von Arthrosen (Gonarthrose, Koxarthrose), Tendinosen (z. B. Tennisellenbogen, Jumpers Knee, Achillodynien) und Ligamentosen.
Ähnliche anatomische Strukturen und Pathologien liegen auch an der Wirbelsäule vor, aber die klare wissenschaftliche Evidenz für PRP fehlt noch.
Prinzipiell sind verschiedene Einsatzmöglichkeiten des PRP an der Wirbelsäule denkbar:
Zur Verbesserung der intervertebralen Fusion bei Versteifungsoperationen, zur Behandlung von Patienten mit spinalen Traumata zur Regeneration der Nervenfunktion und interventionell bei degenerativen Erkrankungen der Wirbelsäule. Meine Erläuterungen beziehen sich nur auf den letztgenannten Aspekt.
Was wissen wir?
„Entzündungshemmend und regenerativ“ sind die omnipräsenten Schlagworte. Konkret werden proinflammatorische Zytokine supprimiert (vor allem IL1 B und IL10) und durch Wachstumsfaktoren (z.B. transforming growth factor beta-1 (TGF-β1) und vascular endothelial growth factor (VEGF)) werden regenerative Prozesse in Gang gesetzt.
Unumstritten ist, dass eine bestimmte minimale Konzentration von Thrombozyten für eine gute Wirksamkeit erforderlich ist, weil eine zu geringe Thrombozytenkonzentration zu einer geringeren Menge an Wachstumsfaktoren führt.
Facettengelenke sind synoviale Gelenke mit Erguss und Synovialzysten wie die meisten anderen Gelenke auch; Wu et el.al beschreiben 2017, dass die
PRP-Kohorte an der Facette einen ähnlichen antiinflammatorischen Effekt aber eine längere Wirkdauer >6 Monate als die Steroid-Gruppe erreicht. 2016 kam Kirchner mit einer deutlich größeren Fallserie zu dem gleichen Ergebnis, dass eine zuverlässige Schmerzreduktion einsetzt, die länger anhält als wir es von Steroiden kennen.
Im Gegensatz zum Facettengelenk ist die Behandlung der Bandscheibe mit plättchenreichem Plasma sogar in der S2k DGOU Leitlinie, AWMF 187-059 „Spezifischer Kreuzschmerz“, Kapitel „Discogenes Lumbalsyndrom bis Osteochondrosis vertebralis“ unter 2.2.7 „Therapie interventionell“, Seite 21, erwähnt. Auch wenn die eindeutige Evidenz fehlt und die Leitlinie an dieser Stelle (noch) im Konjunktiv geschrieben ist, weisen die vorhandenen Erkenntnisse in eine klare Richtung.
Intradiskal appliziert steigert PRP die Kollagensynthese, führt zu Proteoglykan-Akkumulation, senkt den oxidativen Stress und reduziert den Gehalt an proteolytischen Enzymen wie MM3 und COX2, die über die Zytokine proinflammatorisch wirken.
Akeda et al. verglichen 2022 in einer randomisierten Doppelblind-Studie die Wirksamkeit und Sicherheit von Injektionen der Bandscheibe (IVD) mit PRP gegenüber Korticosteroid bei Patienten mit diskogenem Rückenschmerz. Beide Gruppen zeigten eine vergleichbare Schmerzreduktion der Scores beim 8-Wochen-Intervall. Jedoch zeigte nur die PRP-Gruppe eine langanhaltende Schmerzlinderung bis zu 60 Wochen nach der Injektion.
Tuakli-Wosornu et al.2016 (prospektive, double-blind, randomisierte Kontrollstudie) zeigte, dass Schmerz-, Zufriedenheit- und Funktionsscores nach dem 3-Monatsintervall deutlich besser ausfielen als in der Kontrollgruppe.
2017 publizierten Li et al. eine Metaanalyse zu Tierstudien bzgl. PRP-Injektionen in die IVD, die zu dem Schluss kam, dass am Tiermodell (Ratte, Kaninchen) der histologische Grad des Verschleißes der IVD verringert werden konnte und im MRT in der T2 Sequenz das Signal gesteigert werden konnte. Sie schlussfolgern, dass PRP- Injektionen eine Option für das Verlangsamen des Verschleißes der IVD sein könnte. Für ähnliche Beobachtungen an der humanen IVD fehlen derzeit noch die aussagekräftigen Studien. Dennoch kommt PRP intradiskal bereits heute häufig in der endoskopischen Chirurgie der Bandscheibe zum Einsatz, um die möglichen reparativen Effekte zu nutzen.
Gullung et al. kamen 2011 zu dem Ergebnis, dass ein Einsatz von PRP früher im Verschleißprozess der IVD wahrscheinlicher zu positiveren Effekten an der Bandscheibe führt (Pfirrmann-Stadien 2-4). Insgesamt scheint die intradiskale Therapie mit PRP erfolgversprechend in Bezug auf Schmerzreduktion, Funktion und Lebensqualität zu sein.
Epidurale Injektionen mit PRP sind sicher und effizient. Der analgetische Effekt der PRP-Injektion tritt erst verzögert ein, hält aber länger an im Vergleich zu epiduralen Steroidinjektionen (Xu et al 2021, Barbieri 2022). Die Wirksamkeit ist unabhängig vom Zugang; ob interlaminär, transforaminal oder via Hiatus sacralis appliziert wirkt PRP zuverlässig. Die üblichen pathophysiologischen Erwägungen für die Wahl des Zugangsweges bleiben davon unberührt.
Bei der Anwendung am Sakroiliakalgelenk (SIG) unterscheidet man die intraartikuläre von der periartikulären Injektion in den funktionell komplexen iliolumbalen resp. pelvinen Bandapparat.
Die S2k DGOU Leitlinie „Spezifischer Kreuzschmerz“ sieht bisher keine ausreichende Evidenz für eine Empfehlung, erwähnt PRP aber dennoch explizit.
Schmerz- und Functionscores werden bei der intraartikulären Injektion länger anhaltend (bis zu 12 Monaten) im Vergleich zu Steroidinjektionen gesenkt (Navani 2016, Singla 2017). Die Anwendung ist sicher für den Patienten. Insbesondere beim SIG ist zu erwägen, welches bildgebende Hilfsmittel verwendet wird. Das SIG ist ideal für den Einsatz eines Ultraschallgerätes und reduziert die Strahlenbelastung für Patient und Arzt gleichermaßen. Gerade die Darstellung des iliolumbalen Bandapparates gelingt nur mit der sonographischen Bildgebung. Zur Behandlung der Hypermobilität und Dysfunktion des SIG kann man sonographisch gestützt gut PRP periartikulär in den Bandapparat der lumbosakralen Übergangsregion einbringen (Wallace 2020).
Für das SIG gilt zudem im besonderen Maße, aber auch für alle anderen Injektionen an der Wirbelsäule, dass die PRP-Therapie in ein multimodales Behandlungsprogramm eingeplant sein sollte.
Für die „Non-Inferiority“ des PRP gegenüber Kortikosteroiden bei der Anwendung an der Wirbelsäule bestehen klare Belege in der Literatur. Die klare Überlegenheit muss in den nächsten Jahren noch in guten Studien erarbeitet werden.
Die Orthobiologie befindet sich in einem anhaltenden Lernprozess. PRP ist mittlerweile heterogen verfügbar. Es wird in offenen oder geschlossenen Systemen hergestellt, mit einmaliger oder zweimaliger Zentrifugation. Wir haben heute leukozytenarmes oder -reiches PRP zur Auswahl und wir können Thrombozytenkonzentrate aus dem PRP herstellen. Die genauen Anwendungsweisen und Indikationen sind Gegenstand tagtäglicher Abwägungen vor einer Behandlung. Die Erfahrungen sind sehr ermutigend. Kontraindikationen gibt es kaum (z.B. Infektionskrankheiten, Tumorerkrankungen, Gerinnungsstörungen).
Kortikosteroide als Behandlungsalternative im Gelenk werden zunehmend konsequenter abgelehnt, weil es klar und deutlich evident chondro- und zytotoxische Eigenschaften aufweist.
Mit dem plättchenreichen Plasma haben wir eine leistungsfähige, mächtige „Biodrug“ zur Verfügung, die wir den Patienten zuverlässig und sicher anbieten können, um Schmerzen zu reduzieren und die Lebensqualität zu steigern. Entscheidend ist, wie immer die Patientenselektion und die Wahl des richtigen Therapieschemas. Hierbei werden wir in den nächsten Jahren noch viel dazulernen.