Essen – Die Bundesärztekammer (BÄK) sollte stimmberechtigt in die Arbeit des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) einbezogen werden. Das hat der 127. Deutsche Ärztetag (DÄT) vergangene Woche in Essen gefordert. Er lag damit auf einer Linie mit Peter Müller, Richter am Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts und Gastredner beim DÄT-Tagesordnungspunkt „Freiheit und Verantwortung in der ärztlichen Profession“. In seinem vielbeklatschten Vortrag hatte der ehemalige saarländische Ministerpräsident u.a. erläutert, warum Freiberuflichkeit und Selbstverwaltung „gerade im ärztlichen Bereich eine wertvolle gesellschaftliche Ressource sind, die wir brauchen, wenn wir ein leistungsfähiges Gesundheitswesen und damit eine humane Gesellschaft organisieren wollen“.
BÄK-Sitz als „Gebot der politischen Klugheit“
Die immer wieder aufflammende Frage, ob der G-BA ausreichend demokratisch legitimiert ist, streifte Müller nur. Aber zur Beteiligung legte er sich fest: „Hier werden zentrale Weichenstellungen vorgenommen. Da wäre es doch ein Gebot der politischen Klugheit, die, die besonders davon betroffen sind, daran zu beteiligen und der Bundesärztekammer Sitz und Stimme im G-BA zu geben.“ Das entspreche auch dem Gebot der Subsidiarität: „Ärztliche Selbstverwaltung ist gelebte Subsidiarität.“ Sie und die Freiberuflichkeit seien am Ende wie siamesische Zwillinge: „Wenn das eine weg ist, wird das andere nicht lange überleben.“
Grenzen der Kommerzialisierung sind sinnvoll
Darüber hinaus griff der Verfassungsrichter etliche Reizworte auf und bezog Stellung dazu. „Wenn das Recht der Freiberuflichkeit erhalten werden soll, gibt es Grenzen der Kommerzialisierung“, stellte er u.a. klar. Freiberufliche Tätigkeit sei „kein geeigneter Ort für die Erprobung marktradikaler Ansätze“ oder für dominantes Gewinnstreben. Zusätzlich gelte: „Wer permanent Wettbewerb, Wegfall von Zugangsbeschränkungen, Öffnung für neue Finanzinstrumente, Private Equity und Shareholder Value in den Wald hineinruft, darf sich nicht wundern, wenn ihm aus dem Wald Einbeziehung in die Gewerbesteuer entgegenschallt.“ Aber das CDU-Mitglied mahnte auch: „Schon Bonusregelungen und Zielvereinbarungen sind nicht ohne Weiteres mit dem Grundsatz der Therapiefreiheit und dem Primat des Patientenwohls vereinbar.“ Und ergänzte später: Ein Gewinnverbot im Gesundheitswesen – „das würde dann auch für Niedergelassene und Krankenhäuser gelten.“ Welche Gewinnmodelle noch zulässig seien und welche nicht mehr, das sei am Ende eher eine politisch als eine verfassungsrechtlich zu beantwortende Frage.
Regelungsdickicht lichten, mehr Freiheiten einräumen
Nach seinem eigentlichen Vortrag, im Dialog mit den Delegierten des Ärztetags, griff Müller deren vielgestaltige Kritik an der aktuellen Gesundheitspolitik und der Stoßrichtung vielen Reformen auf. Wenn sie die schleichende Aushöhlung von Freiberuflichkeit und ärztlicher Selbstverwaltung aufhalten wolle, habe die Ärzteschaft eine Sisyphosarbeit vor sich. Aber seit Albert Camus wisse man, dass Sisyphos ein glücklicher Mensch gewesen sei. Der Verfassungsrichter regte zugleich ein gesamtgesellschaftliches Umdenken an: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser – das ist nicht die Idee des freiheitlichen Grundgesetzes.“ Die Verfassung gehe vielmehr von „Freiheit in Verantwortung“ aus. Deshalb müsse man auch weg von so manchem Regelungsdickicht, forderte er: „Ich war gestern bei der Eröffnung tief beeindruckt, wie viele Gesetze uns im Gesundheitsbereich bevorstehen. Mir wird da angst und bange.“
Sabine Rieser/Rie