Unsere Gesellschaft wird älter, und damit steigt die Zahl der älteren Menschen, die medizinische Versorgung benötigen. Besonders in der Traumatologie stellt dies eine große Herausforderung dar. Eine aktuelle Umfrage des Referats Alterstraumatologie zeigt, wie sich die ambulante Versorgung in der Alterstraumatologie entwickeln könnte und welche Hürden es noch zu überwinden gilt.
Demografischer Wandel erfordert neue Versorgungsmodelle In den nächsten Jahren wird das deutsche Gesundheitssystem zunehmend mit älteren Patienten konfrontiert, die oft an mehreren chronischen Erkrankungen leiden. Gleichzeitig sinkt die Zahl der verfügbaren Fachkräfte. Um die stationären Kapazitäten für akut kranke Patienten zu entlasten, sollen mehr Operationen, die bisher im Krankenhaus stattfanden, ambulant durchgeführt werden. Dies gilt auch für alterstraumatologische Fälle.
Die Frage ist: Wie gut ist das System auf eine zunehmend ambulante Traumabehandlung vorbereitet? Tätigkeitsprofil, Akut- und Elektivversorgung sowie
Weiterbildung im Vergleich zwischen Praxis und Klinik
Teilnehmerprofil
Eine Umfrage unter 653 Fachärzten für Orthopädie und Unfallchirurgie, die in Kliniken und Praxen arbeiten, gibt Aufschluss. Diese wurde von der Sektion Alterstraumatologie, dem Nichtständigen Beirat der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) und dem Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie initiiert.
Die Daten sind in einer ausführlichen Publikation aktuell zur Veröffentlichung vorgesehen, daher im Folgenden nur ein Auszug der Auswertungsschwerpunkte. Von den Befragten arbeiten 38 % in Praxen und 57 % in Kliniken. Die Mehrheit (79 %) ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, der Rest verfügt über die Facharztqualifikation Orthopädie mit durchschnittlich 12 Jahren ambulanter Berufserfahrung.
Operative Schwerpunkte ambulant vs. stationär
Die Umfrage zeigt, dass ca. zwei Drittel der niedergelassenen Ärzte ambulant und knapp ein Drittel von ihnen auch stationär operieren, vor allem in der Knie-, Hand- und Fußchirurgie. Die operativen Schwerpunkte unterscheiden sich deutlich zwischen niedergelassenen und an der Klinik tätigen Fachärztinnen und Fachärzten. Während die Klinikärzte überwiegend in der Traumatologie tätig sind, legen die niedergelassenen Ärzte ihren Schwerpunkt auf elektive Eingriffe.
Bereitschaft zur Notfallversorgung
Routine in der Basistraumatologie zu haben, gaben 33 % der Niedergelassenen an, 30 % wären bereit es zu lernen und 37 % gaben an, keine ausreichende Qualifikation mehr zu haben und wollten diese auch nicht wieder auffrischen. Bei den im Klinikbereich tätigen KollegInnen gaben >90 % an, die erforderliche Routine in der Basistraumatologie zu besitzen. Lediglich 2 % der Umfrageteilnehmer aus Kliniken möchte zukünftig nicht an der Versorgung traumatologischer Patienten teilnehmen.
11 % der Niedergelassenen nehmen bereits heute an der Notfallversorgung teil und halten entsprechende Strukturen in ihren Praxen vor. Auf die Frage, ob die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen bereit wären, Notfallstrukturen in ihren Praxen zu etablieren, antworteten 76 % mit Nein. Hauptgründe sind unzureichende Vergütung und fehlende Backupstrukturen für den Fall, dass eine stationäre Versorgung notwendig wird.
Weiterbildung
Niedergelassene bieten in ihren Praxen aktuell nur zu einem Drittel Weiterbildung an, während nahezu jede Klinik (92 %) eine Weiterbildung in Orthopädie und Unfallchirurgie anbietet. Die mangelnde Finanzierung von Weiterbildungsassistenten in der Praxis im Vergleich zu dem Modell der Allgemeinmedizin ist für 56 % der Niedergelassenen eine Hürde, lediglich 15 % wollen aus verschiedenen Gründen grundsätzlich keine Weiterbildung anbieten.
Ambulante Versorgung von Notfall- und Alterstrauma-Patienten: Potenzial und Hürden
Die Befragten sehen die ambulante Versorgung älterer Patienten als Chance, die Selbstständigkeit der Patienten zu erhalten und perioperativ delirante Zustände bei dieser Patientengruppe zu verhindern.
Die Umstellung auf ambulante Versorgung in der Alterstraumatologie ist nicht ohne Hürden. Zu den größten Herausforderungen zählen:
- Unzureichende Kosteneffizienz
- Mangel an perioperativen Versorgungsressourcen
- Schwierigkeiten bei der häuslichen Nachsorge und ambulanten
Rehabilitation
Viele Ärzte kritisieren die schlechte Kosteneffizienz und die mangelnden Ressourcen für perioperative Versorgung und häusliche Nachsorge und Rehabilitation.
Zukunft der Alterstraumatologie
Die Umfrage macht deutlich, dass neue ambulante Versorgungsstrukturen notwendig sind. Dazu gehört auch eine funktionierende Backupstruktur für diejenigen Patienten, die postoperativ kurzfristig eine stationäre Betreuung benötigen. Zukünftig könnten KI-Systeme dabei helfen, ältere Traumapatienten in die ambulante oder stationäre Notfallbetreuung zu steuern. Alterstraumatologie umfasst nicht nur die bestens beforschte obligat stationäre Hüftgelenksnahe Fraktur, sondern eben auch eine Reihe von Frakturen, die immobilisieren im Alltag. Hierzu zählen beispielsweise die Radiusfraktur, eine einfache Sprunggelenksfraktur oder eine Mittelfußfraktur, die durchaus Ambulantisierungspotential bieten.
Es braucht nicht nur kostendeckende finanzielle Rahmenbedingungen, sondern auch ein attraktives Umfeld für Ärzte. Dazu gehört auch ein breites Angebot an Weiterbildungsstellen in der orthopädisch-unfallchirurgischen Praxis. Nur so kann die Qualität der Versorgung gesichert und die Balance zwischen Wirtschaftlichkeit und medizinischer Notwendigkeit gefunden werden.
Ein Blick über den Tellerrand: Europa im Vergleich
Die wachsende Bedeutung der Alterstraumatologie ist in allen europäischen Ländern zu spüren. Aufgrund des demografischen Wandels sind mehr als ein Fünftel der Bevölkerung älter als 65 Jahre. Typische Traumaursachen sind Stürze, Verkehrsunfälle und Fußgängerunfälle.
Während Deutschland seinen Weg in die ambulante Zukunft der Alterstraumatologie sucht, zeigt sich in Europa ein vielfältiges Bild: In Großbritannien gibt es ähnliche Bestrebungen wie in Deutschland, die ambulante und stationäre Versorgung älterer Menschen besser zu integrieren und Präventionsprogramme für die Vermeidung von Traumata bei alten Menschen zu entwickeln
Die Niederlande setzt ähnlich wie Deutschland auf spezialisierte Alterstraumazentren, sog. Geriatric Trauma Units, für die ältere Traumapatienten
Schweden gilt als Vorreiter in der Prävention und ambulanten Versorgung, mit Programmen, die darauf abzielen, ältere Menschen länger in ihrer häuslichen Umgebung zu halten. Die Notwendigkeit einer effektiven Sturz- und Traumaprophylaxe unterstreicht eine Analyse des norwegischen Traumaregisters, die bei älteren Patienten eine höhere Mortalität nach Trauma und häufig längere Transportzeiten zum nächsten Versorgungszentrum festgestellt hat.
Obwohl europaweite Vergleichsstudien zur Alterstraumatologie selten sind und häufig wiederum das proximale Femur im Focus haben, passen die norwegischen Ergebnisse zu denen anderer europäischer Registerstudien.4 Die besten Methoden zur Reduktion der hohen Mortalitätsrate bei älteren Traumapatienten sind:
- Frühe Operation (z. B. innerhalb von 24 Stunden nach Hüftfraktur)
- Weitere stationäre Behandlung in enger Abstimmung mit
einem Geriater (z. B. in organisatorischer Einheit einer
„Geriatric Trauma Unit“) - Beginn einer leitliniengerechten Osteoporosebehandlung
nach der Fraktur - Evaluation des Sturzrisikos und Einleitung von Maßnahmen
zur Sturzprophylaxe primär und sekundär
Durch die „doppelte Facharztschiene“, bei der Fachärzte nicht
nur am Krankenhaus, sondern auch ambulant in der eigenen Praxis
tätig sind, haben wir in Deutschland theoretisch einen Vorteil,
um Versorgung vom stationären in den ambulanten Sektor zu
transferieren bzw. die Versorgung in beiden Sektoren effizient
und durchlässig zu gestalten. Die Rahmenbedingungen sowie die
starren Sektorengrenzen hindern uns derzeit daran, diesen Vorteil
auszuspielen und suffiziente Versorgungsstrukturen, die die
Herausforderungen des demografischen Wandels angemessen
berücksichtigen, aufzubauen.
Fazit: Ein Blick in die Zukunft
Die ambulante Alterstraumatologie steht aufgrund des demografischen
Wandels vor großen Herausforderungen, bietet aber auch bedeutende Chancen. Mit den richtigen Reformen und Investitionen könnte sie einen wichtigen Beitrag zur Gesundheitsversorgung der alternden Bevölkerung leisten und gleichzeitig das Gesundheitssystem entlasten. Effektive Sturzprophylaxe, leitliniengerechte Osteoporosetherapie, frühzeitige, wohnortnahe stationäre oder ggf. ambulante Operation und geriatrische Mitbehandlung während des stationären Aufenthalts, aber möglicherweise auch in Zukunft in ambulantem Setting, werden dazu beitragen, die immer älter werdenden Mitbürger lange zu Hause betreuen zu können. So kann die Lebensqualität erhalten und gleichzeitig das Sozialsystem entlastet werden. Die ambulante Alterstraumatologie wird in einem solchen Versorgungsnetzwerk
eine zentrale Rolle spielen.
Autoren:
Prof. Dr. Daphne Asimenia Eschbach (Referatsleiterin Alterstraumatologie), Prof. Dr. Carl Neuerburg (Sektionsleiter Sektion Alterstrauma DGU), Dr. Jörg Ansorg (Geschäftsführer BVOU)