Der Bamberger Orthopäde Dr. Wolfgang Willauschus (60) ist in diesem Jahr der Kongresspräsident für den Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU) auf dem Deutschen Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie, der vom 25. bis 28. Oktober in Berlin stattfindet. Wir wollten unter anderem von ihm wissen, wie die Corona-Pandemie seinen Arbeitsalltag beeinflusst und warum ein Präsenz-Kongress deutliche Vorteile gegenüber Videokonferenzen hat. Auch spricht er über den Wandel seines Berufs.
Wie haben sich die Anforderungen an die Orthopäden im Laufe der Zeit geändert?
Dr. Wolfgang Willauschus: Es ist alles schwieriger geworden. Die Anforderungen steigen in allen Bereichen, es muss insbesondere mehr dokumentiert werden. Die Ausgaben und die Löhne für die Angestellten steigen jährlich, die Vergütung allerdings nur um Bruchteile, das muss man kostendeckend hinbekommen. Die ambulante Medizin ist eine Planwirtschaft geworden, ein Spagat zwischen: Was lohnt sich wirtschaftlich und was kann ich medizinisch machen? Und das neue Versorgungsgesetz verpflichtet uns Orthopäden, pro Woche fünf Stunden für Notfälle freizuhalten. Aber wir erhalten nur dann eine Vergütung, wenn auch Patienten erscheinen. Von einem freien Beruf kann hier nicht mehr die Rede sein.
Was hat sie am Beruf gereizt?
Dr. Willauschus: Ich wollte eigentlich Biochemiker werden, aber der NC lag damals bei 0,8, das hätte ich nicht geschafft. Die Alternative wäre eine Schreinerlehre gewesen. Aber mir schwebte vor, eine handwerkliche Tätigkeit mit wissenschaftlichem Denken zu kombinieren – und kam auf die Orthopädie. Die verbindet beides perfekt.
Welche Herausforderungen erwarten Sie in der Zukunft?
Dr. Willauschus: Die Menschen werden älter und bewegen sich weniger. Das bedeutet mehr degenerative Erkrankungen wie Arthrose und Osteoporose. Wir müssen schauen, wie wir die Menschen wieder in Bewegung bekommen.
Wie sehen Sie die Versorgungslage allgemein? Gibt es genug Ärztenachwuchs?
Dr. Willauschus: Die Hausärzte haben da ja schon länger Probleme und auch bei den Orthopäden ist es schwieriger geworden. Wir sind in meiner Praxis zu fünft, finden keinen Nachfolger für Kollege Nummer sechs. Viele neue Orthopäden bleiben im Krankenhaus. Die Versorgungslage ist schwieriger geworden, besonders auf dem Land. Die Menschen müssen bis zur nächsten Praxis längere Wege in Kauf nehmen. Und bei den jungen Kollegen kommt hinzu, dass sie mehr auf die Work-Life-Balance achten und weniger Arbeitsbelastung möchten. Zusätzlich wäre eine Aufhebung der Budgetierung der ärztlichen Honorare, wie sie die neue Regierung bei den Hausärzten entschieden hat, auch bei den Fachärzten gut. Budgetierung ist eine Maßnahme, die gesetzlich festlegt, dass pro Kalenderjahr in einem bestimmten Ausgabenbereich für alle Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung nur eine Geldmenge ausgegeben werden darf. Es kommt bei diesem planwirtschaftlichen Instrument häufig am Ende eines Jahres vor, dass die geplanten Ausgaben bereits aufgebraucht sind, auch wenn wir versuchen, unnötige Ausgaben zu vermeiden. Das heißt, man arbeitet irgendwann umsonst.
Wie bei vielen Fachärzten ist es bei Orthopäden oft schwer, einen Termin zu bekommen. Woran liegt das? Gibt es nicht genug? Was ist, wenn ich ein akutes Problem habe, zum Beispiel einen Bandscheibenvorfall?
Dr. Willauschus: Der Hausarzt würde einen derartigen Notfall sofort zum Orthopäden schicken, das klappt in der Regel noch am gleichen Tag. Da funktioniert unser ärztliches Netzwerk. Auch die für Notfälle vorgehaltenen fünf Stunden pro Woche haben das verbessert. Bei selbst ernannten Notfällen ist es da schon schwieriger. Aber es gibt ja auch noch die Terminvermittlung der Krankenkassen. Und wir sind hier immer noch besser dran, als beispielsweise in England. Dort gibt es keine niedergelassenen Fachärzte. Da wartet man schon mal bis zu sechs Monate auf einen Termin.
Gab es wegen Corona eigentlich mehr Patienten?
Dr. Willauschus: Eigentlich nicht. Zu Hochzeiten der Pandemie waren nur Notfälle im Sprechzimmer. Aber es gab mehr ambulante Operationen, weil viele Patienten nicht ins Krankenhaus wollten.
Sie sind einer der drei Präsidenten des Deutschen Kongresses für Orthopädie und Unfallchirurgie, der im Herbst in Berlin stattfinden soll. Wie wichtig ist Netzwerken in Corona-Zeiten? Netzwerken ist immer wichtig, und gerade jetzt, wo man so lange nicht mehr im persönlichen Austausch war, wäre es schön, wenn die Veranstaltung wieder in Präsenz stattfinden kann. Die Kollegen sehnen sich danach und hoffen, dass das klappt. Es ist immerhin der zweitgrößte Kongress dieser Art auf der Welt mit bis zu 11.000 Besuchern pro Tag, das Ganze geht eine Woche. Das Wichtigste dabei sind nicht nur die Vorträge, sondern die Infos, die man zwischendurch bekommt. Zum Beispiel, wenn man gemeinsam einen Kaffee trinkt oder Mittagspause macht. Das hat uns allen die vergangenen zwei Jahre gefehlt.
Das Interview führte Miriam Schnurr
Redaktion Obernburg
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