Berlin – In den letzten drei Jahrzehnten sind zahlreiche neue Formen der ambulanten Versorgung im Krankenhaus entstanden: von Notfallambulanzen über ambulantes Operieren im Krankenhaus bis hin zur Ambulanten Spezialfachärztlichen Versorgung (ASV). Diese Leistungen haben die Versorgungslandschaft erweitert, durch uneinheitliche Regelungen aber auch verkompliziert und so die Hürden zwischen den Sektoren eher verstärkt als abgebaut. Dies kritisierten Experten anlässlich der Veröffentlichung des neuen Krankenhaus-Reports des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO).
Bei einer Pressekonferenz am 29. Februar in Berlin stellten die Experten den „Krankenhaus-Report 2016: Ambulant im Krankenhaus“ vor und diskutierten die gegenwärtige Situation der ambulanten Versorgung in den deutschen Kliniken sowie der sektorübergreifenden Zusammenarbeit von niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern. Hierbei bemängelten sie insbesondere den „Wildwuchs“, der durch die Vielzahl ambulanter Leistungen und unterschiedlicher Regelungen entstanden sei.
Einheitlicher Ordnungsrahmen von der Politik gefordert
Mitherausgeber und Gesundheitsökonom Prof. Jürgen Wasem stellte angesichts der Fülle von Versorgungsmöglichkeiten fest: „Hinter dieser Vielfalt steckt kein rationales Ordnungsprinzip. De facto werden hier identische Leistungen in verschiedene Rechtsformen verpackt und dann auch noch unterschiedlich vergütet.“ Deshalb müsse die Politik an der Schnittstelle zwischen ambulanten und stationären Leistungen sowie Kliniken und Niedergelassenen endlich einheitliche Spielregeln für alle und einen neuen Ordnungsrahmen vorgeben.
Mauern abbauen, Kooperation stärken
Auch Prof. Dr. Ferdinand Gerlach, Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, kritisierte die Strukturprobleme zwischen den Sektoren: „Das deutsche Gesundheitswesen ist wie ein geteiltes Land. Zwischen Kliniken und Praxen verläuft eine kaum überwindbare Mauer, die für Patienten gefährlich und für alle viel zu teuer ist.“ Denn das Fehlen einheitlicher Spielregeln und die deshalb höchst unterschiedlichen Arbeitsbedingungen und Anreizsysteme auf beiden Seiten führten vielfach zu konträren Interessen und Zielen, so Gerlach. Echte Zusammenarbeit sei weder vorgesehen noch möglich.
„Statt einer sinnvollen Kooperation im Interesse eines individuellen Patienten resultiert eine ineffiziente Konkurrenz mit diversen vermeidbaren und daher letztlich inakzeptablen Folgen“, mahnte Gerlach. Hierzu zählten Informationsbrüche und Missverständnisse ebenso wie Behandlungsfehler, Mehrfachdiagnostik und vermeidbare hohe Arztkontakte. Laut Gerlach seien Hausärzte für die hier notwendige Lotsenfunktion prädestiniert, befänden sich aber innerhalb des Gesundheitssystems in einer geschwächten Position. Deshalb forderte er eine regional vernetzte, sektorübergreifende Versorgung, in der die Honorare für stationäre Kurzzeitfälle und vergleichbare ambulante Behandlungen angeglichen werden.
Die fachärztlich-ambulante Versorgung müsse ein Ganzes werden
Auch der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes Martin Litsch betonte, dass dem Bereich der fachärztlich-ambulanten Versorgung konsistente, übergreifende Strukturen und damit ein „großes Ganzes“ fehle. „Auf Schnittstellenprobleme wurde bislang von der Politik mit zahlreichen Einzellösungen reagiert. Die bisherigen Modelle inklusive der Ambulanten Spezialfachärztlichen Versorgung sind sicher gut gemeint, aber nicht gut gemacht. Das kann so nicht bleiben, da muss der Gesetzgeber noch mal neu ansetzen“, so Litsch. „Was ich mir wünsche, ist mehr Miteinander statt dieses andauernden Jeder-gegen-Jeden mit Sonderinteressen und Systemegoismen. Die Leistungserbringer müssen sich darauf einlassen, gemeinsame Qualitäts-, Verwaltungs- und Finanzierungsstandards zu entwickeln, sonst kommen wir nicht weiter.“ Hierzu brauche es allerdings einen verlässlichen Rahmen.
Voraussetzung für eine Neuausrichtung der fachärztlich-ambulanten Versorgung sei mehr Transparenz. Dazu sei eine einheitliche Dokumentation von ambulanten und fachärztlich-ambulanten Leistungen notwendig. So könne man Doppelstrukturen und Qualitätseinbußen sichtbar machen und damit Vergleichbarkeit schaffen. In einem zweiten Schritt müsse sektorübergreifend festgelegt werden, welche Kapazitäten und Strukturen für den Bedarf wirklich notwendig seien. „Wenn wir so weit sind, kann ein neuer ordnungspolitischer Rahmen abgesteckt werden“, so Litsch.
Weitere Informationen zum „Krankenhaus-Report 2016: Ambulant im Krankenhaus“ finden Sie hier.
Quelle: Pressemitteilung des AOK-Bundesverbandes und des Wissenschaftlichen Instituts der AOK