Amputationsassoziierte Schmerzen können als Stumpf-, Neurom- und Phantomschmerzen auftreten. Stumpfschmerzen (Residual Limb Pain, RLP) treten dabei lokal am Stumpf auf, die Schmerzvermittlung erfolgt über Nozizeptoren. Neuromschmerzen zählen zu den Stumpfschmerzen, diese entstehen aufgrund von durchtrennten bzw. verletzten Nerven im Amputationsstumpf und gehören zu den häufig herausfordernd zu behandelnden neuropathischen Schmerzen. Schmerzen in der amputierten Extremität, sog. Phantomschmerzen (Phantom Limb Pain, PLP), entstehen u.a. durch maladaptive kortikale Prozesse und den Verlust des afferenten Inputs aus der amputierten Extremität. Im Gegensatz dazu beschreiben Phantomempfindungen, nicht-schmerzhafte Wahrnehmung an der amputierten Extremität.
Prävalenz
PLP betreffen bis zu 80 % der Amputierten. Auftreten, Intensität, Qualität sowie Dauer des PLP kann sich dabei stark unterscheiden. Andere Schmerzursachen wie Stumpfschmerzen z. B. durch Wundschmerzen und insbesondere Neuromschmerzen können PLP verstärken, potenzieren und zu einer Chronifizierung führen.
Pathophysiologie
Gegenwärtig existieren zwei grundlegende Theorien. Merzenich begründete seine Theorie 1984 auf dem kortikalen Remapping. Hierbei wird durch die Deafferenzierung infolge derAmputation davon ausgegangen, dass somatosenorische und motorische kortikale Areale von der amputierten Extremität von angegliederten Arealen invadiert werden. In verschiedenen Studien konnte eine Korrelation des kortikalen Remappings und derIntensität von PLP nachgewiesen werden, die sog. maladaptive Plastizitätstheorie. Durch die neuronale Plastizität und maladaptive kortikale Reeorganisation des primären sensomotorischen Kortex (S1 und M1) kommt es zu einer Umstrukturierung, die auch in Schnittbildgebungen (cMRT) darstellbar ist. Die angrenzenden Körperareale der amputierten Extremität werden stärker auf dem kortikalen Areal repräsentiert.
Im Gegensatz dazu beruht die Neuromatrix-Theorie von Melzack in 1989 darauf, dass durch den fehlenden afferenten Input der amputierten Extremität maladaptiven Veränderungenin diesen kortikalen Arealen induziert werden. Resultierend ist die Erzeugung von Schmerzmustern, die in der amputierten Extremität vernommen werden.
Klinik und Diagnosestellung
Bei PLP handelt es sich um eine klinische Diagnose von schmerzhaften Empfindungen in einem Körperteil, welches nicht mehr existiert. PLP werden häufig als ein kribbelndes, pochendes, nadel-, messerstichartiges oder stechendes Gefühl vernommen. Zudem beschreiben Betroffene des Öfteren ein Telescoping, die amputierte Extremität wird verdreht und im zeitlichen Verlauf nach proximal verkürzt wahrgenommen. Eine ausführliche Anamnese, umfassenden körperliche Untersuchung und dem Ausschluss von Differentialdiagnosen können die Diagnose erhärten. Eine Abgrenzung zu Phantomempfindungen und schmerzhaften Stumpfneuromen ist wichtig, kann jedoch herausfordernd sein.
In der klinischen Untersuchung sind Allodynie, Hyperalgesie und ein positives Hoffmann-Tinel-Zeichen wegweisend für Neuromschmerzen. Durch Infiltration eines Lokalanästhetikums in das schmerzhafte Neurom kommt es zu einer temporären Schmerzreduktion, welches als wichtiges diagnostisches Kriterium für ein symptomatisches Neurom zählt.
Therapieoptionen
Die Behandlung von PLP erfordert einen interdisziplinären, multidimensionalen Ansatz. Gegenwärtig existiert keine einheitliche und durchweg reliable Therapie. Wichtig ist, dass neben pathophysiologischen auch patientenspezifisch-biopsychosoziale Faktoren berücksichtig werden.
Medikamentöse Therapie
Der Fokus liegt auf der symptomatischen Kontrolle, ein einheitliches Therapieschema existiert nicht. Am häufigsten kommen Nicht-Opioid-Analgetika prä- und postoperativ zum Einsatz. Bei längerfristiger Therapie werden Gabapentinoiden und Trizyklischen Antidepressiva als erste Wahl empfohlen. Schwach- und starkwirksame Opioide werden häufig in Kombination mit Antidepressiva oder Antikonvulsiva eingesetzt. Die Nebenwirkungen, Toleranz- und Abhängigkeitsgefahr sind zu beachten und bedürfen regelmäßige Reevaluationen.
Nicht-medikamentöse und nicht-chirurgische Therapieoptionen
Dazu gehören Elektrotherapie (TENS), Spiegeltherapie, Graded Motor Imagery, psychologische Behandlungsstrategien und das Tragen von Prothesen. Als grundlegender Mechanismus der Schmerzreduktion durch diese Verfahren nimmt man an, dass sie die o. g. sensomotorische Inkongruenz reduzieren (durch den elektrischen Stimulus, den visuellen Input, etc.). Sie führen weiterhin zu einer Wiederherstellung der Körperintegrität, unterstützen das Embodiment und reduzieren somit Schmerzen.
Operative Therapie
Innovative nervenchirurgische Techniken wie Targeted Muscle Reinneravtion (TMR), Targeted Sensory Reinnervation (TSR) und Regenerative Peripheral Nerve Interface (RPNI) transferieren selektiv Stumpfnerven und scheinen vielsprechend für Therapie und Prävention von Phantom- und Neuromschmerzen (Abb. 1). Nach mikrochirurgischer Präparation werden beim TMR, das Neurom als Spender- und der motorische Endast eines biomechanisch nicht mehr relevanten Muskels als Empfängernerv mittels End-zu-End-Naht neurorraphiert. Der distale Stumpf des Empfängernervs ermöglicht eine zielgerichtete Regeneration des Stumpfneuroms. In einer randomisiert kontrollierten Studie konnte gezeigt werden, dass TMR signifikant Phantom- und Neuromschmerzen reduziert und dem bloßen Versenken des Nervens im Muskel überlegen ist.
Transkutane Elektroden können die Muskelkontraktion ableiten und somit die Prothese ansteuern und die Funktionalität erhöhen.
Basierend auf dem gleichen Prinzip beschreiben RPNIs einen selektiven Nerventransfer auf ein kleines freies avaskuläres und denerviertes Muskelgraft als Ziel für die regenerierende Axone des distalen Nervenende im Stumpf. Im Gegensatz zu TMR können RPNIs in kürzerer Zeit und ohne mikrochirurgische Expertise realisiert werden. Damit die Neovaskularisation und somit die Vitalität des Muskelgraftes nicht gefährdet ist, darf eine Größe von 30–40 mm Länge, 15–20 mm Breite und 5–6 mm Dicke nicht überschritten werden.
Aktuelle Metaanalysen zeigen, dass TMR und RPNI Neuromschmerzen bei 75–100 % und PLP bei 45–80 % der Betroffenen, um 2,4–6,2 Punkte auf der Schmerzskala (Numeric Rating Scale, NRS) reduzieren konnten. Vielversprechender ist der Einsatz von TMR und RPNI in der primären Amputation. 48 %–100 % der Amputierten entwickeln darunter keinen Neuromschmerz und 45 %–87 % keinen Phantomschmerz.
In Analogie zu TMR wird bei TSR selektiv rein sensorische Nerven transportiert, koaptiert und reinnervieren gezielt die Haut. Die Evaluation von TSR zeigt in Kombination mit Biofeedback-Systemen in Fallberichten einen positiven Einfluss auf Phantomschmerzen.