Berlin – Jameda steht und fällt mit seiner Neutralität. Was es mit der Echtheit der Bewertungen im Portal auf sich hat, das haben WDR, RBB und NDR mit drei unabhängigen Stichproben bereits nachgewiesen: sie ist konstruiert, denn jeder kann beliebige Arzt-Bewertungen schreiben und sie werden in aller Regel ins Netz gestellt und im Profil der Ärzte veröffentlicht. Jeder kann dieses Experiment selbst wiederholen und sich von seiner Richtigkeit überzeugen.
Die Mindest-Anforderung an eine Echtheits-Prüfung ganz einfach durchzuführen, wäre ein Smart-Phone-Foto von einer Überweisung, einem Rezept oder einer Krankschreibung, die auch jeder bewertete Arzt – ggf. anonymisiert – anfordern könnte. Das ist bei Jameda offensichtlich gar nicht erwünscht. Denn wenn „gemogelt“ wird, dann aktiviert das bei den Portal-Teilnehmern – ob Kunde oder nicht – einen psychologischen Mechanismus, sie schlüpfen in die Kinderrolle und Jameda wird zur Autorität, zur potentiell strafenden Elterninstanz. Gut durchdacht von Betreiberseite und fatal für die Bewerteten, die in die Falle treten, wenn sie ihre Noten aufhübschen, statt sich zusammen mit den Kammern zur Wehr zu setzen. Bewertungsfabriken spielen nur eine untergeordnete Rolle und wenn Jameda gegen diese vorgeht, dann macht man sich nur vom Bock zum Gärtner.
Und wie steht es mit der Neutralität des Portals?
Trotz eindeutiger Statistiken und beliebiger Stichproben, die alle das Gegenteil belegen, bekommt man von Jameda die mantrahafte Antwort: „Bezahlprofile haben keinen Einfluss auf die Bewertung und das Ranking“ oder „…werden nicht bevorzugt“. Mit der Neutralität steht und fällt das Portal. Davon hängt es ab, ob das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb Anwendung findet. Und die DSGVO! Jameda kombiniert nicht nur ein Werbe-Portal mit zahlender Kundschaft, von der man lebt, mit einem Bewertungs-Portal. Allein das ist eine Konstruktion mit erheblicher Schieflage, die einen Ranking-Verkauf geradezu herausfordert. Man maßt es sich auch an, sämtliche Ärzte und Zahnärzte im Portal aufzuführen, Kollegen zwangszurekrutieren, die ein solches Portal aus guten Gründen ablehnen. Jetzt passiert, was passieren muss: Kunden haben die besseren Noten, Patienten zwangsrekrutierter Kollegen sollen zu Gunsten zahlender Ärzte abgeworben werden. Jamedas Neutralitäts-Postulat ist eine Farce. Das lässt sich schnell und einfach überprüfen. Man gehe innerhalb der Web-Page von Jameda auf den Link „Arztsuche“, sodann zu einem beliebigen „Fachgebiet“ und sortiere dann die Ärzte/Zahnärzte nach den Noten 6, 5, 4, oder selbst 3. Dort findet man fast ausschließlich Kollegen ohne Profil-Foto, also zwangsrekrutierte Ärzte, Nicht-Kunden.
Selbst bei der Note 2 überwiegen noch die Nicht-Kunden, denn beim Verdrängungswettbewerb von Fachärzten v.a. in Großstädten, muss man seiner zahlenden Kundschaft schon etwas Besseres bieten, als nur eine gute Note. Auch die 6.500-Fall Statistik der Zeit beweist, dass Kunden die besseren Bewertungs-Durchschnitte haben als Nicht-Kunden. Florian Weiß, der CEO von Jameda, möchte uns weismachen, dass es sich hierbei nicht um Kausalität, sondern um Korrelation handele. Er will seine Kritiker für dumm verkaufen. Bei dieser aufgedonnerten Aussage, dass zahlende Kunden quasi nur zufällig besser abschneiden, handelt es sich offensichtlich um ein plumpes Ablenkungsmanöver, eine gezielte Desinformation. Selbst wenn es an den schönen Profil-Fotos liegt, wäre eine Konstruktion immer noch inakzeptabel, bei der zahlende Ärzte/Zahnärzte besser abschneiden als nicht zahlende, zwangsrekrutierte. So hält man Kunden bei Laune und setzt Nicht-Kunden unter Druck, überzulaufen. Die Angelegenheit ist aber noch abgründiger. Es ist ganz einfach, ziemlich unauffällig, schwer nachzuweisen, hocheffizient und sehr lukrativ –im Geschäftsinteresse von Jameda! – nicht Bewertungen, sondern Bewertungs-Durchschnitte zu manipulieren. Wie wird das gemacht? Ganz einfach: Tatsachenbehauptungen und Schmähkritik sind unzulässig und es unterliegt der freien Interpretation des Portalbetreibers, was das im Einzelfall bedeutet. Nichts ist einfacher, als bei Kunden in der Regel Negativkritik zu blockieren und bei Nicht-Kunden in der Regel durchzuwinken. Genau dieses Procedere führt zu dem bekannten Ergebnis.
Selbst wenn Jamedas Neutralitäts-Postulat wider Erwarten, wider aller Logik, Empirie und Statistik, der Wahrheit entspräche, ist das Geschäftsmodell Jamedas nicht zu halten, denn schon seine Konstruktion kollidiert mit dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb. Der ehemalige Vorsitzende des Bundesgerichtshofes, Wolfgang Büscher, sagt dazu in seinem wegweisenden Artikel in der Zeitschrift GRUR-Prax (2017): „Soziale Medien, Bewertungsplattformen und Co“: „Bietet der Portalbetreiber bewerteten Unternehmern die Möglichkeit, gegen Entgelt Werbung zu schalten oder die Präsentation zu verbessern, muss auch die Frage neu bewertet werden, ob Unternehmer nicht einen Anspruch haben, vollständig im Bewertungsportal gelöscht zu werden, wenn sie der Registrierung nicht zugestimmt haben.“ Und: „Verlässt der Betreiber des Bewertungsportals die mit der Stellung als Hostprovider verbundene neutrale Position und nimmt er gegen Entgelt aktiv durch Werbung oder Optimierung der Präsentation einzelner Unternehmer zu deren Gunsten am Wettbewerb teil (genau das praktiziert Jameda! P.G.), besteht kein Anlass mehr, seinen Interessen an einem möglichst vollständigen Überblick den Vorrang vor dem einzelnen Unternehmer an informationeller Selbstbestimmung einzuräumen. Der einzelne Unternehmer muss daher die Möglichkeit haben, sich auf dem Portal vollständig löschen zu lassen.“ Klarer kann man es nicht formulieren. Der Gesetzgeber war klug genug zu prognostizieren, dass Gelegenheit nicht nur Diebe und Tyrannen macht. Zur Glaubwürdigkeit des Portals will ich ein Beispiel aus eigener Erfahrung schildern. Am 18.1. erschien besagter ZEIT-Artikel (Print-Ausgabe) mit einer aussagekräftigen 6.500-Fall-Statistik zu Ungunsten Jamedas.
Um 9.50 Uhr desselben Tages bekommt der Autor des Artikels, Tin Fischer, eine E-Mail von der Pressesprecherin Jamedas, Frau Kathrin Kirchler, in der sie die Vermutung äußert, dass ich, Dr. Peter Gorenflos, den man bereits kenne, der erwähnte „Leser“ und Arzt sei, von dem er den Hinweis bekommen habe. Tin Fischer, der durch meinen Leserbrief im Ärzteblatt „Keine Kombination“ mit einer 200-Fall-Auswertung zu Jameda und andere Stellungnahmen auf mich aufmerksam geworden war, mich im Vorfeld des Artikels mehrfach getroffen hatte (er wohnt zwei Blöcke weiter in Berlin-Moabit) negierte das nicht. Ich hatte ihm zugesichert, dass ich mit offenen Karten spiele und dass er mich auch beliebig zitieren könne. Wenige Stunden später hatte ich eine Note 6 in meinem Profil. Natürlich kam mir das merkwürdig vor und ich verlangte einen Behandlungsnachweis, den man mir trotz mehrfacher Aufforderung verweigerte, obwohl er mir laut Urteil des LG Münchens zusteht. Erst nachdem ich meinen Anwalt einschaltete (Kostenpunkt: 1000.- Euro), der meine Argumente nur wiederholte, wurde die Note 6 aus dem Profil genommen.
Weshalb verhalten sich die Kammern so permissiv gegenüber einem Portal, das die Ärzte- und Zahnärzteschaft so offensichtlich und so flächendeckend zu korrumpieren versucht, die Patienten mit offensichtlich manipulierten Bewertungs-Durchschnitten täuscht?
Weshalb hat die Kollegin Astrid Eichhorn bei ihrem Prozess gegen Jameda so wenig Unterstützung erhalten? Weshalb versuchen die Kammern der Ärzteschaft das BGH-Urteil als Erfolg zu verkaufen, obwohl es doch fast gar nichts, jedenfalls nichts Grundlegendes verändert hat, sondern der Obszönität unlauteren Wettbewerbs nur die Spitze genommen hat? Weshalb fordern die Kammern nicht laut und öffentlichkeitswirksam das Ende der rechtswidrigen Zwangsrekrutierung von Kollegen bei Kombi-Portalen Werbung/Bewertung wie Jameda. Weshalb stellen sie nicht die rechtspolitisch so entscheidende Forderung nach einem Ende der Anonymität von Web-Bewertungen auf?
Und weshalb haben Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung in der neuralgischen Frühphase sogar Werbung gemacht mit dem Clearingverfahren von 2010/2011, das Jameda die Note „gut“ erteilt hat, als längst klar sein konnte, wohin der Zug fährt, als man dem Spuk noch sehr schnell und sehr einfach ein dauerhaftes Ende hätte bereiten können? Im Aufsichtsrat der apoBank üben zahlreiche Spitzenfunktionäre der Ärzte- und Zahnärzteschaft ein vermutlich sehr lukratives Aufsichtsratsmandat aus. Darunter befinden sich der Vorsitzende der Bundesärztekammer, derVorsitzende der Bundeszahnärztekammer, der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der stellvertretende Vorsitzende der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung. Die ApoBank erhält seit zehn Jahren Top-Rankings von Focus Money, einer einflussreichen und
auflagenstarken Wochenzeitschrift aus der Burda-Gruppe. Ein solcher Werbe-Effekt ist sicher hocheffizient und spült dem Geld-Institut einen erheblichen Millionenbetrag in die Kassen. Auch Jameda gehört zur Burda-Gruppe, so dass sich die Frage aufdrängt, ob es eine Vereinbarung hinter den Kulissen gibt nach dem Motto „Eine Hand wäscht die andere“, ein Deal, der mit einer Interessenvertretung der Ärzteschaft nicht nur inkompatibel wäre, nein, ihr diametral entgegenstünde.
Jameda muss sich entscheiden, ob es ein Werbeportal sein möchte. Dann muss es auf die vollständige Arztlistung verzichten! Oder ein Bewertungsportal mit vollständiger Arztlistung. Dann darf es auf keinen Fall Werbung, Optimierung der Präsentation für Portalteilnehmer gegen Entgelt anbieten, weil es sonst selbst am Wettbewerb teilnimmt. Der Gesetzgeber geht in diesem Fall zurecht von der Parteilichkeit des Portals aus. Es müsste sein Geld aus anderen Quellen beziehen, z.B. durch Werbung für Auto-, Elektronik- oder andere, nicht direkt involvierte Konzerne. Das sehr bequeme und lukrative Modell „Schutzgelderpressung“, wie es die Rechtsanwältin der Kölner Dermatologin bezeichnete, ist auf keinen Fall haltbar. Der Tiefschlaf der Kammern muss ein Ende finden. Mehrere Kollegen wenden sich nun erneut gerichtlich gegen ihre Listung. Jamedas nur kosmetische Korrektur im web-Auftritt nach dem BGHUrteil von Februar 2018 durchschauen dann hoffentlich schon die ersten Instanzen.
Leserbrief von Dr. Peter Gorenflos,
Gesichts- und Kieferchirurg,
Berlin, den 10. Dezember 2018