Berlin/Heidelberg – Seit dem 15. September 2020 hat die Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie der Universitätsklinik Heidelberg einen neuen Ärztlichen Direktor: Professor Dr. Tobias Renkawitz. Der 45-jährige Orthopäde ist Spezialist für gelenkerhaltende und gelenkersetzende Therapieverfahren am Knie- und Hüftgelenk. Nach dem Examen war er anfangs in der Allgemein- und Unfallchirurgie tätig, 2005 wechselte er an die Orthopädische Universitätsklinik Regensburg in Bad Abbach, wo er 2008 die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Arbeitsgruppe „Patientenindividuelle Endoprothetik“ aufbaute. Auslandsstipendien orthopädischer Fachgesellschaften führten ihn nach Skandinavien, in die USA, nach England und Kanada. Seit 2012 war er stellvertretender Klinikdirektor und wurde bereits mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet, darunter 2014 mit dem „Medizin-Oskar“ der Berliner Stiftung Oskar-Helene-Heim, 2016 dem Wissenschaftspreis der Deutschen Gesellschaft für Endoprothetik und der Stiftung Endoprothetik. Humanitäres Engagement ist dem Familienvater ein besonderes Anliegen. Von der Stiftung Gesundheit in Hamburg wurde Renkawitz 2018 dafür mit dem „Dr. Pro Bono“-Siegel ausgezeichnet – eine Anerkennung für „Ärzte mit Herz“, die im Ehrenamt bedürftige Menschen unterstützen. Neben seiner Tätigkeit als Leiter der DGOU Arbeitsgemeinschaft „Evidenzbasierte Medizin in Orthopädie und Unfallchirurgie“ ist er Beirat im Gesamtvorstand der DGOOC. Im BVOU ist Prof. Renkawitz seit 2017 Mitglied. Ein Interview über seinen Arbeitsalltag und seine Erwartungen an einen Berufsverband.
Herr Professor Renkawitz, Sie haben Ihre neue Tätigkeit in einer schwierigen Zeit begonnen: Die Pandemie stellt auch weiterhin eine immense Herausforderung dar – wie verlief der Start mitten in einer Krise?
Prof. Renkawitz: Als ich September letzten Jahres mein Amt angetreten habe, ging es erst einmal darum, Personen und Prozesse kennenzulernen. Im Spätherbst wurde klar, dass die zweite Welle ernster ausfallen wird als die Situation im Frühjahr. Natürlich war es eine Herausforderung, einen großen Standort für orthopädische Universitätsmedizin unter den Bedingungen der Pandemie zu managen. In einem ersten Schritt haben wir Fachkräfte zur Unterstützung abgestellt. Als sich die Situation verschärfte, etablierten wir eine eigene Isolierstation an unserer Klinik, um die Kolleginnen und Kollegen der Inneren Medizin zu entlasten. Hier hat uns die weitläufige Architektur in Schlierbach geholfen, da wir diese Einheit mit eigenen Teams vollständig abtrennen konnten. Gleichzeitig ist es uns gelungen, unseren Patientinnen und Patienten weiterhin dringliche Operationen zu ermöglichen und unsere chirurgische Handlungsfähigkeit zu erhalten.
Sie sind bestimmt mit Zielen und Visionen nach Heidelberg gekommen. Was ist ihr Plan?
Prof. Renkawitz: Die Überschrift könnte lauten: „Kontinuität wahren, Innovation fördern“. Die Universitätsklinik Heidelberg war schon immer geprägt von spezialisierten Sektionen und einer besonderen Vernetzung mit wissenschaftlichen Excellenzforschungseinrichtungen. Ich freue mich, in diesem starken Team die konservative und operative muskuloskelettale Universitätsmedizin kontinuierlich weiterzuentwickeln und die akademischen Wissens- und Forschungsverbünde vor Ort zu unterstützen. Keine Frage: Die Rahmenbedingungen der Universitätsmedizin für Forschung und Lehre, Translation und Krankenversorgung sind herausfordernd, aber eines hat uns die Pandemie doch verdeutlicht: Der Weg aus einer Krise kann auch universitäre Forschung sein. Die inzwischen verfügbaren Covid Impfstoffe sind im Wirkprinzip daraus entstanden. Als Universitätskliniken in O&U müssen wir außerdem darauf achten, alle Weiterbildungsinhalte und Qualifikationen zu erhalten und weiterzugeben. Um nur wenige Beispiele zu nennen: Die orthopädische Rheumatologie, die spezielle orthopädische Schmerztherapie und die ausgewählte, bildgebende Diagnostik gehören doch zu unserem Fachgebiet dazu.
Ein ausgewiesener chirurgischer Schwerpunkt von Ihnen sind gelenkerhaltende und gelenkersetzende Therapieverfahren am Hüft- und Kniegelenk. Insbesondere Patienten, die ein künstliches Hüft- oder Kniegelenk benötigen, profitieren von Ihren Operationstechniken. Wie sehen diese aus?
Prof. Renkawitz: Der Schlüssel zum Erfolg ist die Kombination aus minimalinvasivem, also einem besonders muskelschonenden Vorgehen in Kombination mit hoher Präzision beim Einsetzen der Implantate. Mit dieser Operationstechnik erreichen wir postoperativ ein Maximum an Beweglichkeit, Stabilität und Schmerzfreiheit. Man benötigt für diese OP-Techniken ein eingespieltes Team und eine Routine. Persönlich beschäftige ich mich seit über einer Dekade darüber hinaus mit digitalen Assistenzsystemen, um die Operationen noch exakter und sicherer zu machen. Konkret nutzen wir in Heidelberg dazu beispielsweise schon vor der OP einen Ganzkörperscanner mit Nobelpreis Technologie, um uns mit geringster Strahlenbelastung am stehenden Patienten wirklichkeitsgetreu dreidimensional auf die OP vorzubereiten. Intraoperativ helfen uns Navigation und die Fluoroskopie, um diese Präzision dann umzusetzen. Den Schmerz bekämpfen wir bei unserer Technik schon während der Operation dort, wo er entsteht, mit einem speziellen Schmerzmittel. Unsere Patienten sind nach einem künstlichen Knie- oder Hüftgelenk somit bereits am Operationstag mit unseren Physiotherapeuten selbstständig unterwegs und bei der Körperpflege nicht mehr auf fremde Hilfe angewiesen. Viele der klassischen Komplikationen, die wir postoperativ kennen, lassen sich dadurch vermeiden.
Ein wissenschaftliches Projekt, das Sie mit nach Heidelberg gebracht haben, gilt der Weiterentwicklung moderner Materialtechniken für die orthopädische Chirurgie und Unfallchirurgie mit Hilfe des 3D-Drucks. Was möchten Sie hier konkret verändern bzw. voranbringen?
Prof. Renkawitz: Additive Hochleistungswerkstoffe eröffnen uns in der Medizin eine völlig neue Welt. Viele der Materialnachteile, die wir im Bereich von „klassischen“ Implantaten und Osteosynthesen sehen, könnten wir mit Hilfe der neuen Fertigungstechniken zukünftig möglicherweise lösen. Wir kooperieren mit Hightech- Unternehmen und greifen auf Technologien zurück, die am Markt noch nicht erhältlich sind. In Bereichen der Lastübertragung am oder im Knochen, der Immunologie und Infektiologie, bieten sich dabei ganz neue Forschungsansätze. Allerdings steht primär die Frage nach der Sicherheit an erster Stelle – d.h. also die biomechanische Testung. Es ist ein besonderer Glücksfall, dass es in Heidelberg für all die erwähnten Bereiche international führende Forschungseinrichtungen gibt, um diese Bereiche interdisziplinär wissenschaftlich voranzubringen.
Wie viele andere BVOU-Mitglieder auch, haben Sie eine besondere Passion für die Betreuung des Spitzensports und waren u.a. auch in der Fußball-Bundesliga aktiv. Was fasziniert Sie an der Spitzensportlerbetreuung?
Prof. Renkawitz: Ich mag es prinzipiell, in einem professionellen Umfeld und im Team zu arbeiten. Dabei ist es eine spannende Erfahrung, als Mannschaftsarzt in der Bundesliga hinter die Kulissen zu blicken. Ich kann unsere jungen Kolleginnen und Kollegen nur ermutigen, sich selbst aktiv in Sportvereinen einzubringen. Es verletzen sich auf den Spielfeldern unseres Landes jedes Wochenende noch immer viel zu viele Frauen und Männer. In meiner Heimatregion haben wir mit dem bayerischen Fußball-Landesligisten TSV Bad Abbach zusammen deshalb das Projekt „Verletzungsfrei – Spitzenmedizin im Amateurfußball“ etabliert, um mit einigen verletzungspräventiven Methoden aus dem Profisport auch bei Amateurvereinen ausgewählte Ansätze im Training und Spiel umzusetzen.
Gibt es bei ihnen persönlich auch eine Sportart, die Ihre Leidenschaft ist und die Sie regelmäßig ausführen oder ausgeführt haben?
Prof. Renkawitz: Mich faszinieren Ballsportarten und ich bin als gebürtiger Bayer mit dem Mountainbike groß geworden.
Sie sind seit 2017 Mitglied beim BVOU. Was erwarten Sie von einem Berufsverband?
Prof. Renkawitz: Der BVOU ist seit Jahren ein wichtiger Motor, um gesundheitspolitische Herausforderungen in O&U zu gestalten. Es ist ja völlig normal, dass wir kontinuierlich mit Veränderungsprozessen innerhalb unseres Gesundheitssystems konfrontiert werden. Als starke berufspolitische Vertretung stellt der BVOU dabei die Leistungsfähigkeit unseres Fachgebiets im System dar. Die besondere Vernetzung zwischen den Sektoren innerhalb des Berufsverbands empfinde ich dabei als besondere Stärke. Fort- und Weiterbildung sind mir ein persönliches Anliegen. Mit der „Akademie Deutscher Orthopäden“ und dem Gemeinschaftsprojekt „Akademie für Orthopädie und Unfallchirurgie“ ist der BVOU gut aufgestellt. Ich bin gespannt, wie sich die beiden Formate in den nächsten Jahren weiterentwickeln. Als Universitätsmediziner und Leiter der Arbeitsgemeinschaft „Evidenzbasierte Medizin“ wünsche ich mir natürlich, dass der BVOU auch die wissenschaftliche Fahne in der Berufspolitik konstant hochhält.
Welche Mitgliedervorteile sind Ihnen besonders wichtig?
Prof. Renkawitz: Neben den „klassischen“ Mitgliedervorteilen in unserem Verband, beeindrucken mich das Orthinform- Portal und die patientenzentrierten Angebote für Praxen und Kliniken. Mit unserem Format „Karrieretag Orthopädie und Unfallchirurgie“ wollen wir jungen BVOU-Mitglieder einen Mehrwert bieten. In dem Symposium geben erfahrene Referenten aus der Klinik und Praxis zusammen mit Juristen konkrete Tipps für verschiedene Karriereoptionen in O&U.
Welche Werte sind Ihnen wichtig?
Prof. Renkawitz: Teamgeist, Professionalität und Freiheit. Ich möchte mit einem Team in einem professionellen Umfeld arbeiten können und Möglichkeiten haben, ohne Restriktionen meinen Patientinnen und Patienten die besten orthopädischen Versorgungskonzepte anbieten zu können.
Was fordern Sie von der Politik?
Prof. Renkawitz: Die Corona Pandemie hat uns Stärken aber auch Grenzen unseres Gesundheitssystems aufgezeigt. Trotz der sicherlich an vielen Stellen berechtigten Kritik bin ich froh, dass wir unsere Patientinnen und Patienten mit hoher Behandlungsqualität versorgen können. Damit dies auch so bleibt, müssen wir für uns Orthopäden und Unfallchirurgen fordern, zukünftig den Fokus wieder mehr auf die menschliche Komponente im System zu richten. In unserem Fach bieten einige systemimmanenten Erlösmodelle im stationären Bereich noch immer zu viele Fehlanreize. Andererseits werden sinnvolle Therapiemaßnahmen mit einer fehlgeleiteten Nutzenbewertung falsch interpretiert und reglementiert. Es wäre wichtig, diese Entwicklung zu korrigieren.
Herr Professor Renkawitz, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Janosch Kuno, BVOU-Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.