Stuttgart – Nach zweimaliger Verschiebung aufgrund der Corona-Pandemie endlich wieder live: rund 90 Teilnehmerinnen und Teilnehmer besuchten den BVOU-Landeskongress am 2. April 2022 in der BW-Bank in Stuttgart mit seinem bewährten Mix aus Fachthemen und Berufspolitik, wie immer perfekt organisiert von Sonja Skibba (Karlsruhe). Ihr dankte Organisator Dr. med. Dipl.-Ing. Hans-Peter Frenzel (Ulm) in seiner Begrüßung, genauso wie den 10 Sponsoren aus der Industrie.
Im fachlichen Teil mit 4 Vorträgen startete Prof. Dr. Thomas Wirth (Stuttgart) mit „Die Hüfte des Jugendlichen“ und beleuchtete detailliert Dysplasiehüfte, Eiphyseolysis capitis femoris, Femoroacetabuläres Impingement und idiopathische Hüftkopfnekrose beim Jugendlichen. Deutlich wurde die strenge Indikationsstellung bei symptomatischer Borderline-Dysplasie und die kontroverse Diskussion bei asymptomatischen Dysplasien. Bei der ECF sei „das alte Haus der Therapie mächtig ins Schwanken gekommen“; die Dunn-Osteotomie bleibe angesichts von Hüftkopfnekrosen in bis zu einem Drittel der Fälle eine Methode für Experten. Beeindruckend waren Beispielfälle hüftendoprothetischer Versorgung bei Kindern.
Ebenso übersichtlich und interessant erläuterte anschließend PD Dr. Daniel Dornacher (Ulm) in seinem Vortrag „Gelenkerhaltende Hüftchirurgie: wann Arthroskopie, wann Osteotomie?“ das operative Vorgehen bei Cam- und Pincerimpingement, femoralen Torsionsstörungen und Hüftdysplasie. Das „Zweisäulenmodell“ mit Cam- und Pincerimpingement feiere gerade 20-jähriges Jubiläum, in letzter Zeit erlebe aber der Blick auf die dritte Säule mit zu viel oder zu wenig Torsion ein Revival. Bei der Dysplasie bewege sich der Operateur „im Spannungsfeld zwischen Borderline-Dysplasie und Morbidiserung der Patienten durch Beckenosteotomie“. Arthroskopische Maßnahmen würden regelmäßig nicht als alleiniges Verfahren, aber komplimentär eingesetzt.
Nach einer Kaffepause und Gelegenheit zum Besuch der Industrieausstellung referierte Prof. Dr. Marc Schnetzke (Heidelberg) über die „Grenzen der konservativen Behandlung bei den drei großen Schulterproblemen: Rotatorenmanschettenläsion, Omarthrose und Instabilität“. Wie praxisrelevant das Thema ist, zeigte die lebhafte Diskussion. „Man muss nur Steuern zahlen und sterben“, fließend seien die Grenzen zwischen operativer u. konservativer Therapie. Deutlich wurde, dass bei vergleichenden Studien nie klar abgegrenzt werden kann, wieviel Behandlungserfolg auf die eigentliche Operation und wieviel auf die postoperative Krankengymnastik zurückzuführen ist. Dennoch gebe es bei Rotatorenmanschettenläsionen eindeutige OP-Indikationen, während man die habituelle Schulterluxation nie operieren solle und auch die isolierte subacromiale Dekompression heutzutage keinerlei Stellenwert mehr habe.
Den Blick über den Tellerrand hinaus eröffnete Prof. Dr. Martin Wabitsch, Leiter der Sektion pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie der Uniklinik Ulm, mit seinem Vortrag „Hormonell bedingte Wachstumsstörungen bei Kindern und Jugendlichen“. Deutlich wurde die Bedeutung der Wachstumsbeurteilung als wichtiger Indikator für Kindergesundheit und der Wachstumsgeschwindigkeit als Schlüsselfaktor für die Beurteilung von pathologischen Prozessen in Abgrenzung zu Normvarianten. Bei der Therapie des Hochwuchses wurde der hohe Stellenwert orthopädisch-operativer Therapien deutlich.
Im berufspolitischen Kongressteil nach dem Mittagsimbiss ging zunächst Allgemeinarzt Dr. Wolfgang von Meißner (Baiersbronn) der Frage nach „Hausärztliche MVZ zur Sicherung der Versorgung – ein Modell für O+U?“. Er berichtete über das Modell der KV-Regiopraxis, die Unterschiede zwischen MEDI-MVZ und den MVZ von Krankenhäusern und Kapitalinvestoren sowie die Team-Praxis mit Delegation an supervidierte Praxismitarbeiterinnen. Deutlich wurden die Vorteile der MEDI-MVZ für junge und abgebende Ärzte sowie das Praxisteam, auch in Zeiten zunehmenden Ärztemangels.
Das baden-württembergische Exportmodell des OrthoHeroBKK – Selektivvertrags stellte anschließend Dr. Karsten Braun (Wertheim) vor. Dieser vom BVOU verhandelte Vertrag war im Ländle zum 1.10.2021 gestartet und wurde zum 1.4.2022 nun bundesweit ausgerollt. Zentrales Element ist die Herodikos-App zur Verbesserung der Eigenbeübung von Patienten unter ärztlicher Indikationsstellung, Kontrolle und Anleitung. Hierfür erhält der Arzt ein attraktives Mehrhonorar.
Ein weiteres Exportmodell könnte auch das OrthoKids-Programm werden, welches Rüdiger Kucher, Jurist bei der KVBW Stuttgart vorstellte. Ziel des mit Mitteln aus dem bundesweiten Innovationsfonds geförderten Projektes ist es, die Prävalenz von kinderorthopädischen Erkrankungen bei 20.000 Kindern in Baden-Württemberg im Zeitraum zwischen Quartal 3/22 und 4/23 zu ermitteln und zu prüfen, ob diese durch eine kinderorthopädische Vorsorgeuntersuchung besser erkannt werden. Falls ja könnte diese künftig Eingang in die Regelversorgung finden.
Das OrthoKids-Programm bezeichnete der zum Jahresende scheidende KVBW-Chef Dr. Norbert Metke in seiner „Darstellung akteuller Entwicklungen im Gesundheitswesen und in der KVBW“ als „mein Abschiedsgeschenk an die Orthopäden“. Er appellierte, sich unbedingt an der gut vergüteten Interventionsphase zu beteiligen, um die Vorsorgeuntersuchung ins gelbe U-Untersuchungsheft künftig Eingang finden zu lassen. Die Ursache des Ärztemangels sei zu wenig Arztzeit aufgrund eines Staatsversagens, denn schon seit 30 Jahren mache die Ärzteschaft darauf aufmerksam, doch die Politik habe nicht reagiert. Man habe weder Studienplatzzahlen erhöht noch die Rahmenbedingungen verbessert. In einzelnen Landkreisen sei nun in Kürze mit Unterversorgung zu rechnen, auf welche die KVBW mit Call-Center-Angeboten, doc direct, speziellen Kooperationspraxen und Sicherstellungszuschlägen reagiere. Weitere Möglichkeiten seien Ermächtigungen von Krankenhäusern, Zweigpraxen mit reduzierter ärztlicher Präsenz, nicht jedoch defizitäre Eigeneinrichtungen der KV.
Abgerundet wurde das gelungene Kongressprogramm durch das Seminar für Medizinische Fachangestellte. Den OrthoHeroBKK-Selektivvertrag stellten dort Dr. Boris Brand (Neckarsulm), Benedikt Seelhorst von der Herodikos GmbH (Varel) und Kathrin Betsch von der BVOU-Geschäftsstelle (Berlin) vor. Über den aktuellen Stand bei Heilmittelverodnungen referierte Bernhard Vollmer von Der KVBW (Stuttgart). Abgerundet wurde dieses Programm durch ein GOÄ-Abrechnungsseminar von der PVS Südwest GmbH.
Bei den anschließenden, coronabedingt überfälligen Wahlen für Württemberg wurde BVOU-Präsident Dr. Burkhard Lembeck (Ostfildern) erneut zum Landesvorsitzenden gewählt. Die stellvertretenden Landesvorsitzenden Dr. med. Dipl.-Ing. Hans-Peter Frenzel (Ulm) und Reinhard Deinfelder (Donzdorf) kandidierten nicht mehr. „Den zwei alten Haudegen, mit denen er lange Strecken zusammengegangen sei“ galt der große Dank des Präsidenten und aller anwesenden Mitglieder. Die Nachfolge treten nach einstimmiger Wahl Dr. Anton Radlmayr (Ulm) und Dr. Boris Brand (Neckarsulm) an.
Dr. med. Karsten Braun, LL. M.
BVOU-Referat Presse/Medien