Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat vor zwei Wochen mit großem medialen Echo den Referentenentwurf für ein Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) vorgestellt. Derzeit werden fachübergreifende Fachgesellschaften und Berufsverbände, meist Mitgliedsgesellschaften, um Kommentare gebeten. Einige haben schon (ohne Rückkoppelung mit dem BVOU) Kommentare abgegeben, einige bei uns nach Kommentaren angefragt. Ich rate jedem, den Referentenentwurf – er ist noch kein Gesetz – einmal selbst zu lesen: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/terminservice-und-versorgungsgesetz.html.
Schmackhaft gemacht wird den Ärztinnen und Ärzten das Paket mit der Aussicht (nicht der festen Zusage) auf 500 bis 600 Millionen Euro Zusatzhonorar außerhalb des Budgets. Das entspricht der Summe, die die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) schon einmal als notwendig aufgerufen hat. Allerdings müssen erst einmal die Krankenkassen überzeugt werden. Die meisten unter ihnen schalten immer, wenn es um das Thema Honorar geht, auf stur und begleiten die Diskussion lediglich mit dem Argument, dass alles nur ein Verteilungsproblem sei. Gerade aber eine feste Zusage für eine Honorarverbesserung wäre für unser Fach sehr notwendig.
Wofür sollen die Ärzte zusätzlich honoriert werden? Im Gesetzentwurf heißt es dazu:
„So werden Ärzte für Zusatzangebote entlohnt (z.B. durch extrabudgetäre Vergütung oder erhöhte Bewertung):
- Vermittlung eines Facharzt-Termins durch einen Hausarzt;
- Behandlung von Patienten, die durch Terminservicestelle vermittelt werden;
- Behandlung von neuen Patienten in der Praxis;
- Leistungen, die in den offenen Sprechstundenzeiten erbracht werden;
- Akut- und Notfälle während der Sprechstunden;
- Kommunikation zwischen Arzt und Patient (Sprechende Medizin);
- Hausarztbesuche als anerkannte Praxisbesonderheit.“
Wenn man das liest, meint man, dass es für die Ärzte bald Manna vom Himmel regnen könnte. Denn viele unserer Kolleginnen und Kollegen sehen rund 20 Prozent der Patienten (oder auch mehr) ohne Termin oder als Notfall. Ich bin aber mehr als skeptisch, ob wir für die Patienten, die wir im Rahmen der geplanten Zusatzangebote behandeln sollen, tatsächlich mehr Geld bekommen werden. Durch die teilweise Ungleichheit der Höhe von Grund- und Notfallpauschalen kann es im Extremfall für manche Patienten sogar Vergütungsverschlechterungen geben. Auch ist meines Wissens nach bisher ungeklärt, wie ein Notfallpatient oder ein Akutpatient ohne Termin definiert sein sollen. Auch hier sehe ich für unser Fach eher Probleme, die einzelnen Patientenkategorien zutreffend abzugrenzen. Nur ein Beispiel: Wenn ein Patient innerhalb eines Quartals zum zweiten Mal kommt, aber wegen anderer Beschwerden als beim ersten Mal – was ist er dann? Ein „alter“ oder ein „neuer“ Patient?
Es geht aber nicht nur um das Honorar für die geplante Mehrarbeit. Der Referentenentwurf (und wenn das Gesetz kommt, das Gesetz) markiert einen tiefen Einschnitt in die ärztliche Selbstverwaltung. Ein Gesetz dieses Inhalts würde in die Vergütungsstruktur eingreifen, in die Praxisorganisation, die Bedarfsplanung und die Pflichten der Kassenärztlichen Vereinigungen. Das bedeutete eine weitere Schwächung der ärztlichen Selbstverwaltung. Die geplante Erhöhung der Sprechstundenzeiten zum Beispiel greift in eine mit den Krankenkassen im Bundesmantelvertrag ausgehandelte Regelung ein. Hier hat der Gesetzgeber nach meinem Verständnis gar nichts zu regeln – unabhängig davon, dass die Kolleginnen und Kollegen alle sehr viel mehr arbeiten als 20 oder 25 Wochenstunden.
Der Referentenentwurf zeigt allerdings auch, dass wir es bisher versäumt haben, Versorgungsstrukturen zu benennen, die aus unserer Sicht tatsächlich sinnvoll sind. Wir haben uns auch in unserem eigenen Fach Orthopädie und Unfallchirurgie bisher – trotz einer größeren Zahl von Leitlinien und Weißbüchern – nicht auf eine „Best Practice“-Empfehlung für die strukturelle Zusammenarbeit in der ambulanten Medizin und zwischen den Sektoren einigen können. Warum eigentlich nicht? Es wird Zeit, endlich einen sinnvollen und selbstbewussten Gesamtvorschlag zu machen.
Wir werden die weitere Entwicklung des Referentenentwurfs mit Interesse und im engen Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen der Fachgesellschaft, den Mitgliedsverbänden und Gremien der Selbstverwaltung begleiten und beobachten. Zusätzlich werden wir zusammen mit unseren Kollegen und Partnern aus der Fachgesellschaft entsprechend Stellung zu den zahlreichen Vorhaben nehmen, die der Referentenentwurf aufführt. Vor allem die geplante Kategorisierung der Patienten wird in der Realität zu großen Problemen und möglichen unerwünschten Verhaltensänderungen führen.
Freundliche Grüße,
Dr. Johannes Flechtenmacher, BVOU-Präsident