Neben einer häufig traumatisch bedingten, strukturellen Schulterinstabilität können auch pathologische Muskelaktivierungsmuster in einer atraumatischen funktionellen Schulterinstabilität (Polar Typ III) resultieren.1 Basierend auf dem Pathomechanismus, der Richtung der Instabilität und der Kontrollierbarkeit wurden kürzlich verschiedene Gruppen dieser Pathologie identifiziert, wobei die unkontrollierbare positionsabhängige funktionelle posteriore Schulterinstabilität (NCP-FPSI) als häufigster Subtyp erfasst wurde.2
Klinische und elektromyografische Studien verweisen auf eine zugrundeliegende muskuläre Dysbalance der Rotatorenmanschette und der periskapulären Muskulatur im Sinne einer Hyperaktivität der Innenrotatoren (z. B. M. pect. major, M. lat. dorsi) und einer Hypoaktivität der Außenrotatoren (z. B. M. infraspinatus), die während einer bestimmten Phase der Armbewegung zu schwerwiegenden Instabilitätsbeschwerden führen, ohne hierbei ein strukturelles Korrelat aufzuweisen.3, 4 (Abb. 1) Die geschätzte Prävalenz dieser eher seltenen Pathologie wurde mit 0,5%–2,6% innerhalb eines jungen und sportlich aktiven Kollektivs beziffert, wobei initiale Symptome bereits im Jugendalter auftreten können.5 Betroffene Patienten berichten neben einem permanenten Instabilitätsgefühl, chronischen Schmerzen und funktionellen Einschränkungen auch über eine Stigmatisierung aufgrund der auffälligen Subluxationen oder Dislokationen.6 Sowohl eine gezielte Physiotherapie inklusive Training zur Reaktivierung der Muskulatur werden als derzeitige Behandlungsoption der Wahl empfohlen, zeigen aber in mehreren Fällen keinen ausreichenden Erfolg.4, 7 Nach einigen erfolglosen konservativen Therapieversuchen unterziehen sich manche Patienten mit NCP-FPSI einer chirurgischen Intervention, die aufgrund der postoperativ weiterhin vorhandenen funktionellen Beschwerden in einer Schmerzzunahme und einer Abnahme der Schulterfunktion resultieren kann.4, 7–11 In Anbetracht der Ineffektivität gegenwärtiger Behandlungsoptionen wurde daher ein rein symptomatisches Vorgehen („skilfull neglect“) aufgrund einer potentiellen Regression der Beschwerden nach mehreren Jahren empfohlen, welches in Anbetracht der meist jungen und sportlich aktiven Patienten allerdings nicht zielführend erscheint.9, 10
Basierend auf der Anwendung von gezielter elektrischer Muskelstimulation, welche bereits
bei Schlaganfallpatienten erfolgreich gegen Schulterinstabilität eingesetzt wurde,12, 13 ist das sogenannte Shoulder Pacemaker-Therapiekonzept entwickelt worden. Es handelt sich hierbei um eine Kombination aus konzentrischen, exzentrischen und funktionellen Bewegungsübungen unter Anwendung von automatisierter und gezielter elektrischer Muskelstimulation (EMS) der hypoaktiven Muskulatur. (Abb. 2)
Das Shoulder Pacemaker Konzept wurde bei Patienten mit NCP-FPSI und zuvor gescheiterten Therapieversuchen angewendet und 2 Jahre nachbeobachtet.6 Aktuell wird dieser Behandlungsansatz in einer multizentrischen klinischen Studie prospektiv evaluiert und ist für weitere Studienteilnehmer an den Standorten Berlin, Düsseldorf, Hannover, Karlsruhe, München und Zürich verfügbar (Kontaktaufnahme gerne per Email an den
korrespondierenden Autor möglich).
Methodik
Innerhalb eines Jahres wurden insgesamt 24 Fälle mit NCP-FPSI rekrutiert. Einschlusskriterium war eine mindestens 3-monatige fehlgeschlagene konventionelle Physiotherapie, um eine Negativselektion der Studienkohorte zu erreichen. Zuvor erfolglose chirurgische Interventionen zählten nicht als
Ausschlusskriterium. Vor Studieneinschluss wurde der Instabilitätsmechanismus anhand klinischer Untersuchung, aktueller MRT- Aufnahmen und einmaliger dynamischer fluoroskopischer Bildwandleranalyse verifiziert. Es wurden keine ausreichenden strukturellen Defekte beobachtet, welche die massive positionsabhängige Instabilität erklären könnten. Bei einem bilateralen Auftreten wurde nur die instabilere Seite analysiert, um die Strahlenbelastung unter Anwendung eines Röntgenschutzes minimal zu halten. Das EMSbasierende Behandlungsprotokoll umfasste drei aufeinanderfolgende Intensitätslevel mit konsekutiver Steigerung der Stimulationsintensität und Übungskomplexität über eine Dauer von 3 bis 6 Wochen mit 3 Stunden Training pro Woche. Hierbei wurde ein tragbares EMS-Gerät mit einer Frequenz von 35Hz verwendet, um eine tonische Kontraktion der Außenrotatoren und der Skapularetraktoren zu erreichen. 3 von 24 Fällen wurden aufgrund mangelhafter Compliance aus der Studie ausgeschlossen. Die longitudinale Evaluation der Schulterfunktion umfasste die Erhebung der Zufriedenheit mit der Behandlung, den Western Ontario Shoulder Instability Index (WOSI), den Rowe Score und den Subjective Shoulder Value (SSV) 0 Wochen, 2 Wochen, 4 Wochen, 3 Monate, 6 Monate, 12 Monate und 24 Monate nach Interventionsende.6
Ergebnisse
Nach Therapieabschluss konnten alle eingeschlossenen Fälle eine klinisch instabilitätsfreie Armbewegung ohne Anzeichen einer Subluxation oder Dislokation durchführen. Die Teilnehmer waren mit dem Therapiekonzept sehr zufrieden (81%) oder zufrieden (19 %) und würden es zu 100 % weiterempfehlen. Entsprechend wurde eine signifikante Verbesserung der erhobenen Scores beobachtet, sodass schulterbelastende berufliche und sportliche Tätigkeiten fortgeführt werden konnten. Ein anhaltender Therapieeffekt wurde zudem selbst 2 Jahre nach Therapieende noch festgestellt (p<0.001). (Abb. 3) Ein besserer Behandlungseffekt wurde bei jungen (p=0.005), schlanken (p=0.019) und sportlich aktiven (p=0.003) Patienten erzielt, die einen höheren WOSI-Basiswert (p=0.04) und ein einseitiges Auftreten der Pathologie (p=0.046) vorwiesen. Eine erhöhte glenoidale Retroversion (p=0.004), eine posterior scapulohumerale Dezentrierung (p=0.021) und eine dysplastische knöcherne Glenoidform (p=0.044) waren mit einer schlechteren Permanenz des Behandlungseffekts nach einem Jahr verbunden. Dieser Trend konnte jedoch für die zweijährige Nachbeobachtung nicht bestätigt werden.
Die Gesamtrezidivrate während der zweijährigen Nachbeobachtung war gering: Ein Fall erlitt einen traumatischen Unfall und berichtete über eine anschließende rezidivierende Instabilität 2 Wochen nach der letzten Therapieeinheit. Ein Fall wurde mit einem Wiederauftreten der Instabilität bei der 6-monatigen Nachuntersuchung beobachtet. In einem weiteren Fällen kam es zu einem Wiederauftreten der Beschwerden nach 24 Monaten, wobei eine erneute Behandlung nach Studienabschluss erfolgte und zu einer raschen Beschwerdebesserung führte. Trotz der effektiven Behandlung der nicht kontrollierbaren Komponente durch das Shoulder Pacemaker Therapiekonzept waren die meisten Teilnehmer weiterhin in der Lage, eine willentliche, kontrollierte Subluxation ihrer Schulter durchzuführen. Es wurden keine Komplikationen außer gelegentlichen Muskelschmerzen beobachtet.6
Schlussfolgerung
Insgesamt stellt das Shoulder Pacemaker Therapiekonzept eine innovative und effiziente Behandlungsoption für Patienten mit NCP-FPSI dar. Auch Patienten mit zuvor fehlgeschlagener konventioneller Physiotherapie erreichten eine rasche Beschwerdebesserung und zeigten einen anhaltenden Effekt über einen Zeitraum von 2 Jahren. Junge und sportliche Patienten mit geringerem Gewicht und einseitiger Pathologie profitierten am meisten von der Behandlung. Strukturelle Auffälligkeiten des hinteren Glenoids können die Langlebigkeit des Behandlungseffekts beeinträchtigen. Im Falle eines Wiederauftretens der nichtkontrollierbaren Instabilitätskomponente ist eine Wiederholung der nicht-invasiven Behandlung möglich. Im Rahmen einer multizentrischen randomisierten, klinischen Studie wird dieses Konzept derzeit prospektiv evaluiert, wobei weitere Studienteilnehmer gesucht werden (E-Mail an den korrespondierenden Autor).
Literatur
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