In Deutschland nimmt die Zahl der Patienten mit Diabetes mellitus stark zu (Tönnies T, Rathmann W, 2021). Außerdem kommt es zu einer Überalterung der Bevölkerung. Dadurch steigt die Anzahl von Patienten mit diabetischen Folgeerkrankungen. Als Hilfsmittel in der Behandlung der akuten Charcot-Arthropathie und der postoperativen Versorgung der Patienten hat sich die Carbon-Doppelschalenorthese bewährt. In diesem Beitrag werden in Abhängigkeit von der akuten Problematik die unterschiedlichen Möglichkeiten des Einsatzes der Doppelschalen-Carbon-Orthese beschrieben.
Kähm et al. Haben im Rahmen einer Studie die Kosten für mikro- und makrovaskuläre Komplikationen bei Patienten mit Typ-2-Diabetes quantifiziert. Hierzu wurde ein retrospektives Kohortendesign mit Daten von insgesamt 316 220 Typ-2-Diabetikern verwendet. Die jährlichen Inzidenzraten sind in Tabelle 1 im Einzelnen benannt.
Die Mobilität der Patienten ist häufig bereits durch die Beeinträchtigung des Herzkreislaufsystems sowie die neurologischen Komplikationen deutlich eingeschränkt. Aufgrund der hohen Inzidenz der Stoffwechselerkrankung begegnen wir auch in orthopädisch unfallchirurgischen Kliniken und Praxen Patienten mit Diabetes mellitus, die durch ein Unfallereignis oder degenerativen Erkrankungen einen Behandlungsbedarf haben. Diabetes als Komorbidität ist mit einem bis zu 2-fach erhöhtem Risiko für Krankenhausaufenthalt-assoziierte Komplikationen wie Infektionen, einer um 2 Tage erhöhten Verweildauer und 20 % höheren Kosten verbunden (Tan S et al 2023). Insbesondere bei der Behandlung von Patienten mit Diabetischem Fußsyndrom gibt es Besonderheiten, welche beachtet werden müssen, um Fehlschläge zu vermeiden.
Die Zeiten der Ruhigstellung bei posttraumatischen Patienten oder Patienten nach orthopädischen Eingriffen ist in den letzten Jahren deutlich reduziert worden. Bei Patienten mit endoprothetischem Gelenkersatz setzt sich mehr und mehr die Fast-Track-Konzept für die Nachbehandlung durch, um die Aufenthaltsdauer im Krankenhaus zu verkürzen.
Im Gegensatz hierzu ist bei Patienten mit Diabetischem Fußsyndrom zum Schutz der Strukturen, der Gelenke und der knöchernen Form des Fußes, eine adäquate Ruhigstellung sinnvoll und zum Erhalt der Gehfunktion absolut zielführend. Durch das fehlende Schutzgefühl der Betroffenen kommt es häufig zu frühen postoperativen Über- und Fehlbelastungen. In den letzten Jahren konnte die Anzahl der Majoramputationen zugunsten von Minoramputationen reduziert werden. Mehr und mehr setzt sich eine funktionserhaltene und amputationsvermeidende Behandlungsstrategie des Diabetischen Fußsyndroms durch (Tab. 2).
Ein Diabetisches Fußsyndroms kann angiopathisch oder neuropathisch bedingt sein. Meistens liegt ein Mischbild mit Anteilen von Durchblutungsstörungen und gestörter Sensibilität mit eingeschränktem Schmerzempfinden vor. Bei neuropathischen Störungen finden sich Ulzerationen häufig im Bereich der plantaren Anteile des Fußes. Sie entstehen meist aus Bagatellverletzung. Zur Einteilung hat sich die „Wagner-Armstrong-Klassifikation“ bewährt. Hierbei werden Defektgröße, Infektionsstatus und die periphere Perfusion berücksichtigt.
Die Ulzerationen erfordern neben der konsequenten Wund- und Infektbehandlung und der Optimierung einer oft gestörten Perfusion zusätzlich eine Entlastung der betroffenen Extremität. Dies trifft auch bei einer Sonderform des Diabetischen Fußsyndroms zu, der akuten Charcot-Arthropathie. Hierbei kann es bei Vorliegen einer peripheren Polyneuropathie durch geringe Fehlbelastungen zum Zusammenbruch des Fußgewölbes kommen. Das Krankheitsbild wird auch als Diabetische Neuroosteoarthropathie (DNOAP) bezeichnet. Die Einteilung erfolgt nach Lokalisation der Knochendestruktion. Hier hat sich die Klassifikation nach Sanders und Frykberg (1991) zur topographischen, rein radiologischen Einteilung des Befallsmusters bewährt. Die diabetisch-neuropathische Osteoarthropathie (DNOAP) wird in 5 Haupttypen unterteilt. Die Häufigkeit für den Befall der einzelnen Anteile des Fußes und somit der Stadien nach Sanders & Frykberg wird wie folgt angegeben: Typ I = 15 %‚ Typ II = 40 %, Typ III = 30 %, Typ IV = 10 % und Typ V = 5 %. Die Aktivität wird anhand der Levin-Stadien beschrieben.
Druckentlastung bei DFS
Die Druckentlastung ist ein wichtiger Baustein bei der Behandlung von Patienten mit Diabetischem Fußsyndrom. Die maximale Ruhigstellung stellt die Ordination von Bettruhe und Anlage eines ungeschalten Liegegipses/TCC dar. Damit wäre allerdings kein Verbandswechsel an einem Ulcus möglich. Die Beeinträchtigung für den Patienten ist erheblich. Zur Anwendung kommt dieses Verfahren somit nur bei einem ausgeprägten aktivierten Charcotfuß ohne Ulcus. Durch die Ruhigstellung kommt es relativ schnell zu einem Abschwellen des Fußes. Der Gips passt somit nicht mehr und sollte geschalt weiterverwendet oder gewechselt werden. Zur Mobilisierung ist das Hilfsmittel allerdings dann ungeeignet. Hier kommen dann unterschiedliche Orthesen zur Anwendung. Bei chronischen Ulcera am Fuß kann die Druckentlastung mit sehr unterschiedlichen Strategien erfolgen. Am einfachsten sind Wattepolsterungen. Diese sind zur Mobilisation allerdings nicht sehr praktikabel. Deswegen wurden individuell gefertigte Filzauflagen entwickelt, die direkt über dem Verband angebracht werden. Damit lassen sich Druckreduktionen von ca. 50 % realisieren. Ein großer Vorteil ist, dass die Filzauflagen am Verband verbleiben und vom Patienten in der Regel nicht entfernt werden. Somit ist die Therapieadhaerenz gewährleistet. Klassische Formen der Druckentlastung sind Schuhe mit speziellen Einlagen. Diese werden von den Kostenträgern allerdings erst nach Abheilung des Defektes am Fuß genehmigt. Als Zwischenlösung kommen Interimsschuhe oder Orthesen infrage. Diese können den Druck am Fuß unterschiedlich stark reduzieren. Am effektivsten sind Hilfsmittel, die bis auf Kniehöhe angefertigt werden. Es gibt dabei sehr unterschiedliche Arten von Orthesen. Jede hat dabei im Behandlungskonzept Vor- und Nachteile. Neben der Verfügbarkeit und der Dauer, bis solch ein Hilfsmittel angefertigt ist, spielen Kosten, hygienische Aspekte oder die Praktikabilität für den Patienten eine Rolle. Die folgende Tabelle gibt diese Informationen wieder.
Auch nach Fußoperationen bieten Orthesen eine Möglichkeit, den Fuß weiter zu entlasten und trotzdem eine eingeschränkte Mobilisation zu ermöglichen. Insbesondere, wenn langwierige Heilungsverläufe nach größeren Eingriffen zu erwarten sind, kann der Einsatz von Carbonorthesen sinnvoll sein. Vorteile sind die Stabilität, die Langlebigkeit und das geringe Gewicht des Hilfsmittels. Zu beachten ist dabei die Gewährleistung einer guten Passform der Orthese. Da es bei den Patienten häufig zu An- und Abschwellen des Fußes/Unterschenkels kommen kann, sollte ein Volumenausgleich sichergestellt werden. Dies kann z. B. mit Wattebinden erfolgen. Ein großer Nachteil von Carbon ist die Luftundurchlässigkeit. Ein vermehrtes Schwitzen oder hohe Sekretmengen im Primärverband sprechen gegen den Einsatz dieser Hilfsmittel. Da längere Gehstrecken mit kniehohen Orthesen schwierig sind, können zusätzlich Unterarmgehstützen oder ein Rollstuhl kombiniert werden. Bewährt hat sich auch ein initiales Training der Anwendung mit unterstützenden Physiotherapeuten.
Konstruktion der Carbonorthese:
Unterschenkel-Carbon-Orthesen werden je nach Pathologie und Anforderungen unterschiedlich konstruiert. Im Namen Doppelschalenorthese ist bereits enthalten, dass der Aufbau in den meisten Fällen mit zwei Schalen, eine dorsale und eine ventrale. Diese greifen ineinander und gewährleisten so eine effektive Ruhigstellung des Fußes. Verschlossen wird die Orthese mittels Klettverschlüsse oder Skistiefelverschlüssen. Der Fuß wird so bestmöglich ruhiggestellt. Durch die unterschenkellange Bauweise wird das Körpergewicht auf das Volumen des Unterschenkels verteilt und der tatsächliche Druck an der Fußsohle reduziert. Die eingearbeitete Diabetesadaptierte Fußbettung sorgt für eine ganzflächige Druckaufnahme der Fußsohle. Die Bettung wird zur bestmöglichen Druckentlastung individuell für den Fuß gefertigt. In dynamischen Pedobarographien kann eine kürzere Belastungszeit gezeigt werden. Bei der Verwendung von Doppelschalen-Orthesen nach Fußteilamputationen (Lisfranc oder Chopart) gibt es zusätzliche Vorteile. Die Orthese fördert die Stumpfformung des Fußstumpfes, verhindert die distale Schwellneigung (Aufpilzen) und entlastet somit die Amputationsnaht. Die Mobilisation der Patienten kann somit deutlich schneller erfolgen. Bei der Konstruktion von Orthesen für Patienten nach Chopartamputation wird zusätzlich eine längere Spitzenzugabe von 2–3 cm eingearbeitet. Diese sorgt für eine größere Auftrittsfläche mit mehr Standsicherheit. Der Vorfußhebel ist auch etwas verlängert. Die diabetesadaptierte Fußbettung sollte mit einer entsprechenden Vorfußzugabe gefertigt werden. Die verlängerte Auftrittsfläche erhöht die Standphasenstabilität und erleichtert die Schrittabwicklung.
Eine geschlossene Ausführung bietet eine optimale Ruhigstellung und das Eindringen von Fremdkörpern in die Orthese ist erschwert, damit wird die Gefahr einer Verletzung minimiert.
Kasuistiken Carbonorthese:
Patientin 1, geboren 1957
Bei Frau G.P. wurde wegen eines Diabetischen Fußsyndroms eine Chopart-OP links durchgeführt. Danach entwickelte sich eine Wundheilungsstörung mit Nahtdehiszenz dorsal und im lateral des Stumpfes. Eine systemische Antibiose war nicht notwendig. Wir behandelten lokal mit Entlastung und Kaltplasma. Es gelang ein Austrockenen der Befunde. Außerdem wurden begleitende periphere Ödeme mittels Kompression behandelt. Ursache war eine Kombination aus chronisch venöser Insuffizienz und Dependency-Syndrom. Der BMI betrug 37 kg/m². Weiterhin wurde der Glukosestoffwechsel eingestellt. Zur Aufnahme betrug der HbA1c 10,1 % (86,9 mmol/mol).
Nachdem der Stumpf belastbarer war, wurde eine Carbonorthese angepasst. Mithilfe der Physiotherapie gelang eine Mobilisation über kurze Wegstrecken. Frau P. nutze zusätzlich Unterarmgehstützen. Für längere Wegstrecken wurde ein Rollstuhl ordiniert. Die Entlassung erfolgte in die Häuslichkeit.
Patientin 2, geboren 1944
Bei Frau B.B. musste wegen eines Fersenulcus eine partielle Resektion des Calcaneus links durchgeführt werden. Es wurde versucht, den Gewebedefekt mit einer Naht zu verschließen. Dies gelang nur unvollständig. Initial war eine starke Wundsekretbildung nachweisbar. Wir versuchten, die Ödeme zu beeinflussen. Lokal kamen zunächst Mullkompressen zur Anwendung. Es erfolgten Kaltplasmaanwendungen. Da der Allgemeinzustand der Patientin stark reduziert war, verwendeten wir zunächst eine Fersenfreilagerungshilfe zur Entlastung. Ein Schwerpunkt war die Behandlung der internistischen Begleiterkrankungen. Neben einer entgleisten diabetischen Stoffwechsellage (HbA1c 10,7 %; 60,7 mmol/mol) war eine Herzinsuffizienz und eine dialysepflichtige Niereninsuffizienz relevant. Wegen einer Kathetersepsis musste während des Aufenthaltes der Demers-Katheter gewechselt werden. Die Situation war unter Antibiose beherrschbar.
Komplizierend bei der Versorgung war eine periphere arterielle Verschlusskrankheit, eine gemischt venös-lymphatische Abflussstörung der unteren Extremitäten und ein hohes Körpergewicht (BMI 35 kg/m²). Trotz der Schwierigkeiten konnte die Wunde deutlich stabilisiert werden. Wir konnten im Verlauf einen PU-Schaum als Wundauflage nutzen. Es gelang, eine Reha-Fähigkeit herzustellen. Dazu musste eine andere Hilfsmittelversorgung gewählt werden. Wir entschieden uns zur Anfertigung einer Carbonorthese. Damit konnte Frau B. unter Hilfe eines Physiotherapeuten im Gehgestell über kleine Strecken mobilisiert werden. Die Entlassung erfolgte in die geriatrische Rehabilitation.
Diskussion:
Mit der Zunahme der Inzidenz des Diabetes mellitus in Deutschland nehmen auch die Patienten mit diabetisch spezifischen Komplikationen zu. D. h., dass wir auch bei Patienten nach Unfall und einfachen Frakturen oder Patienten, die zur Behandlung von orthopädischen Erkrankungen in die Klinik und Praxis kommen, zunehmend mit dem Diabetischen Fußsyndrom konfrontiert sind. Ein wichtiger Punkt ist, sich als Behandler klarzumachen, dass bei Diabetikern mit Folgeerkrankungen Besonderheiten im Therapieverlauf zu berücksichtigen sind. In der Regel liegen nicht primär orthopädisch / unfallchirurgische Begleiterkrankungen vor. Diese müssen erkannt und in das Behandlungskonzept mit einbezogen werden. Damit können Majoramputation wie in Abb. 1 oft vermieden werden.
Falls bei dem Patienten ein DFS vorliegt, muss frühzeitig über die adäquate Ruhigstellung entschieden werden. Diese Entscheidung ist besonders schwierig, da in allen aktuellen Nachbehandlungsschemen aufgrund der verbesserten Operationstechniken und den modernen Implantaten in aller Regel eine frühe Belastung und frühfunktionelle Nachbehandlung angestrebt wird. Auch postoperativ werden aufgrund der Neuropathie und somit fehlenden Schmerzempfindung die verletzten Extremitäten eher zu früh belastet und somit kommt ist das Risiko für schwere Komplikationen erhöht.
Einfacher ist die Situation, wenn wir Patienten mit diagnostiziertem Diabetischen Fußsyndrom und einer Charcot-Arthropathie sehen. Hierbei ist es wichtig, dass möglichst interdisziplinär in Zusammenarbeit mit einer Diabetischen Schwerpunktpraxis oder in entsprechenden Netzwerken die Behandlung erfolgt. Hier ist die Ruhigstellung im Total-Contact-Cast zielführend. Carbon hat den Vorteil des leichten Gewichts und somit eine leichte Handhabung für den Patienten. Aus unserer Erfahrung ist die Akzeptanz der Patienten aus diesen Gründen dadurch höher. Die Nachbehandlungszeit kann sich je nach Erfolg der Ruhigstellung über mehrere Wochen und Monate hinziehen. Eine Umstellung der Versorgung auf orthopädische Maßschuhe ist dabei erst nach Abnahme des Aktivitätszustandes der DNOAP sinnvoll. Die Entscheidung ist in der Regel klinisch zu treffen. Ein gutes Maß ist die Temperaturerhöhung des Fußes.
Nach Abschluss der Behandlung eines Diabetischen Fußsyndroms ist die Rezidivprophylaxe wichtig. Diese umfasst regelmäßige Begutachtungen des Fußes durch einen Arzt (in der Regel durch einen Diabetologen), die Ordination von podologischen Behandlungen, eine Schulung der Patienten über das Krankheitsbild und die Verordnung von (Maß-) Schuhen mit diabetischer Bettung als Hilfsmittel. Die Patienten sollten in entsprechenden Schwerpunktpraxen weiterbetreut werden.