Eine Radiofrequenz-Denervation ist eine häufig bei chronischen Nacken- und Rückenschmerzen durchgeführte Therapie. Es gibt eine große Anzahl von Studien, die aber teils widersprüchliche Ergebnisse liefern, was vor allem an den Kriterien zur Auswahl geeigneter Patienten und an unterschiedlicher technischer Durchführung der Denervation liegt. Die Deutsche Wirbelsäulengesellschaft hat daher beschlossen, eine S3-Leitline zu erstellen, um evidenzbasierte Statements und Empfehlungen zur Indikation und Durchführung einer Radiofrequenz-Denervation zu geben.
Eine Radiofrequenz-Denervation (RF-Denervation) wird bei Patienten mit chronischen Wirbelsäulenschmerzen vor allem an der Hals- und Lendenwirbelsäule (HWS, LWS) sowie am Iliosakralgelenk (ISG) angewendet. Ziel ist es, durch thermische Koagulation eines Nerven die Schmerzweiterleitung zu unterbrechen. An der HWS und LWS ist dieser Nerv der Medial Branch (Abb. 1), der die nozizeptiven Informationen aus den Facettengelenken übermittelt und am ISG sind es die Lateral Branches.
Abb. 1: Schematische Darstellung des Rückenmarkes, der Nervenwurzeln und des Spinalnerven mit seinen Ästen. Aus dem Ramus dorsalis des Spinalnerven entspringt der Medial Branch, der unter anderem das Facettengelenk versorgt.
Somit kommen für eine RF-Denervation Patienten mit chronischen Schmerzen der Facettengelenk oder des ISG in Frage.
Bei der RF-Denervaton wird ein Wechselstromfeld zwischen einer Neutralelektrode auf der Haut und der Sondenspitze erzeugt. Durch den Größenunterschied zwischen Neutralelektrode und Sondenspitze sind die Feldlinien an der Sonde sehr dicht, was dazu führt, dass die Moleküle in der Umgebung der Sonde anfangen zu oszillieren, wodurch Wärme entsteht. Wird die Sonde in der Nähe eines Medial Branch oder eines Lateral Branch platziert (Abb. 2), so kann der Nerv koaguliert werden.
Abb. 2: Durchleuchtungsbild und schematische Darstellung einer Sonde am Medial Branch L4.
Ergebnisse von Studien
Da die RF-Denervation ein invasives Verfahren ist muss natürlich eine Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen. Eine sehr große Zahl von Studien mit unterschiedlichsten Ergebnissen wurde publiziert. So finden sich Studien mit sehr guten Ergebnissen (schmerzfrei, Integration ins Arbeitsleben) für durchschnittlich 15 Monate bei knapp 60 % der Patienten [1] aber auch Studien, die keine bessere Wirkung durch die RF-Denervation im Vergleich zu Physiotherapie alleine sehen [2].
Betrachtet man die vorhandenen randomisierten kontrollierten Studien (RCTs), die eine RF-Therapie mit einer Sham-Prozedur verglichen haben, so gibt es für die HWS gerademal 4 solcher Studien, für die LWS 7 und für das ISG 4. Auch die Ergebnisse dieser Studien sind sehr unterschiedlich. Dies liegt zum einen an der Qualität der Studien. Es finden sich teils sehr kleine Fallzahlen, ein hohes loss to Follow-up, unterschiedliche Patientengruppen oder ein Sponsoring, welches das Ergebnis beeinflussen kann. Auffällig ist aber auch, dass sich die Studien in Bezug auf Indikation zur RF-Denervation und technischer Durchführung unterscheiden.
Indikation
Eine RF-Denervation kommt nur bei einem spezifischen Rückenschmerz in Frage, der seine Ursache in den Facettengelenken oder dem ISG (incl. dorsalem Bandapparat) hat. Anamnese und klinische Untersuchung sind wichtig, können aber diese spezifische Ursache nicht beweisen, weshalb in der Regel vor einer RF-Denervation Testblockaden durchgeführt werden.
Bei den RCTs wurden Patienten mit chronischen Rückenschmerzen unterschiedlicher Dauer eingeschlossen. An der HWS wurden auch Patienten nach Verkehrsunfall oder mit zervikogenen Kopfschmerzen untersucht. Am ISG spielten klinische Tests eine unterschiedlich große Rolle bei den Einschlusskriterien.
Als Testblockaden kamen intraartikuläre Injektionen in die Facettengelenke oder in das ISG aber auch ein Medial Branch Block in Frage, welcher manchmal (auch Placebo-kontrolliert) wiederholt wurde. Ein Testblock wurde als positiv gewertet, wenn zwischen 50 und 100 % Schmerzreduktion erreicht wurde.
Technik
Auch die technische Durchführung der Denervationen unterscheidet sich in den Studien wesentlich. Die Position der Sonde in Relation zum Nerven (parallel oder rechtwinklig), die Dicke der Sonde, die verwendete Temperatur und die Dauer der Temperaturwirkung und auch die Zahl der Läsionen war unterschiedlich.
Dazu muss noch berücksichtig werden, dass es verschiedene Sondentypen gibt, die vor allem bei der Denervation des ISG Verwendung finden. Neben konventionellen Sonden, bei denen Teilweise die aktive Spitze verändert wurde (2 oder 3 aktive Arme), existieren gekühlte Sonden und bipolare Sonden sowie Sonden mit mehreren aktiven Feldern.
Leitlinie
Es bleiben bei Betrachtung der Studien also viele Unklarheiten und es schwierig, den zu erwartenden Nutzen zu beurteilen und Empfehlungen bezüglich der Patientenauswahl und der zu verwendenden Technik zu geben.
Daher entstand bei der Deutschen Wirbelsäulengesellschaft (DWG) die Idee, eine Leitlinie zu schreiben, die Empfehlungen bezogen auf die Situation in Deutschland gibt. Geplant wurde eine S3-Leitlinie, bei der die Empfehlungen auf einer systematischen Literatur-Recherche beruhen und die Evidenz in der Literatur kritisch bewertet wird. Es wurden acht relevante Fachgesellschaften und Patientenvertreter einbezogen.
Doch wie kann eine solche Leitlinie entstehen, wenn die Informationen aus den RCTs teils widersprüchlich und so schwierig auszuwerten sind? Es wurde eine Auswertungsmöglichkeit gewählt, bei der neben RCTs auch Beobachtungsstudien berücksichtigt werden können. Beim GRADE-System [3] wird die Qualität der Evidenz nicht auf eine gesamte Publikation bezogen sondern es werden Endpunkte formuliert, für die die Qualität der Evidenz in mehrerer Studien gemeinsam bewertet wird. Ein möglicher Endpunkt könnte z. B. die Schmerzreduktion nach 6 Monaten sein, ein anderer die Häufigkeit von Komplikationen. Die Bedeutung des Endpunktes (kritisch, wichtig, von begrenzter Bedeutung) wird beurteilt. Dann erfolgt für jeden Endpunkt die Beurteilung der Qualität der Evidenz. RCTs beginnen mit einer hohen Evidenz, Beobachtungsstudien mit einer niedrigen Evidenz. Die Qualität kann herauf- oder herabgestuft werden (Abb. 3).
Anhand dieser Evidenz können dann in der Leitlinie Empfehlungen und Statements gegeben werden, wobei ein A (⇑ ⇑ soll) für eine starke Empfehlung, ein B (⇑ sollte) für eine Empfehlung und ein 0 (⇔ kann) verwendet wurden.
In einer von der AWMF moderierten Konsensuskonferenz haben die beteiligten Fachgesellschaften dann Ende April 2023 über diese Empfehlungen abgestimmt. In Kürze kann dann die Leitlinie sowie eine Patientenfassung bei der AWMF eingesehen werden.
Folgende Fragen werden von der Leitlinie beantwortet:
- Die Bedeutung von Anamnese und klinischer Untersuchung für die Auswahl von Patienten.
- Die Relevanz bildgebender Verfahren für die Indikation zur Denervation.
- Die Notwendigkeit einer konservativer Therapie vor einer RF-Denervation.
- Die Durchführung von Testblockaden (intraartikulär, Medial Branch, Lateral Branch, wie oft, welche Medikamente)
- Die notwendige Schmerzreduktion, damit ein Testblock als positiv gewertet werden kann.
- Welche Bildgebung geeignet ist, um eine RF-Denervation durchzuführen.
- Die Parameter bei der Denervation (Temperatur, Dauer, Durchmesser der Kanüle).
- Der Typ der Sonde (konventionell monopolar, bipolar, cooled).
- Die Lage der Sonde zum Nerven (parallel, rechtwinklig).
- Die Notwendigkeit einer Teststimulation sensorisch oder motorisch.
- Die Möglichkeit, eine RF-Denervation zu wiederholen.
- Die Notwendigkeit, blutverdünnenden Medikamente oder Thrombozytenaggregationshemmer vor der Denervation abzusetzen.
- Die Möglichkeit einer RF-Denervation bei Metall-Implantaten (Spondylodese).
- Die Möglichkeit einer RF-Denervation bei Herz-Schrittmacher oder Defibrillator.
- Mögliche Komplikationen.
Zusammenfassung
Die neue S3-Leitlinie zur Radiofrequenz-Denervation an den Facettengelenken und dem ISG liefert evidenzbasierte, konkrete Empfehlungen zur Patientenauswahl, Indikation und zum technischen Vorgehen bei Testblockaden und bei der Denervation.
Prof. Dr. med. Stephan Klessinger
Neurochirurgie Biberach
Eichendorffweg 5
88400 Biberach
klessinger@neurochirurgie-bc.de
Literatur auf Anfrage bei der Redaktion