Berlin, 19. April 2016 – „Gut gemeint, ist noch lange nicht gut gemacht.“ Lars F. Lindemann, Hauptgeschäftsführer des SpiFa e.V., äußert sich zur Kommunikationspolitik der BÄK im Rahmen der bisherigen Verhandlungen zur GOÄneu:
Erste Behauptung:
Die GOÄ, die jetzt vom Bundesärztekammer-Vorstand abgelehnt wurde, sei ein alleiniger Vorschlag der PKV. Der Bundesärztekammerpräsident hat noch am Dienstag, den 15. März 2016 öffentlich erklärt, dass es sich bei dem, am Donnerstag, den 17.März, zur Abstimmung im BÄK-Vorstand vorgelegten Vorschlag um einen „konsentierten Vorschlag der BÄK und der PKV“ handele. Er sei „betriebswirtschaftlich kalkuliert“, unter Hinzuziehung des Sachverstandes einer Schweizer Firma zustande gekommen und „die Berufsverbände“ seien „beteiligt“ gewesen. Also ist es nicht wahr, dass der vorliegende Entwurf – wie jüngst von Herrn Prof. Montgomery im Interview mit dem Deutschen Ärzteblatt vom 1. April 2016 behauptet – nur von der PKV sei. Öffentlich hat der Präsident diese GOÄneu als „bestes tarifpolitisches Ergebnis seiner Karriere“ bezeichnet. Anderseits stimmen auch weitere Aussagen des BÄK-Präsidenten vom besagten Dienstag nicht. Die Berufsverbände waren zuletzt im Jahr 2011 beteiligt. Dabei durften sie Legenden-Vorschläge machen und Bewertungsgrundlagen (wie Gerätedaten) beisteuern, die anschließend noch von hauseigenen „Experten“ der BÄK in nicht nachvollziehbarer Weise bei zum Teil grober Abwandlung der Verbändevorschläge „modifiziert“ wurden und zudem jetzt noch von der PKV eine Veränderung erfahren haben. Mit anderen Worten: Die ursprünglichen, in Verbändegremien durchdachten Ansätze wurden gleich mehrfach durch die Mangel gedreht und bis zur Unkenntlichkeit umgestaltet. Diese Art der „Beteiligung“ der Berufsverbände kann man daher nur als Farce bezeichnen. Die genannte „Schweizer Firma“ war übrigens an diesen Arbeiten gar nicht mehr beteiligt. Durch das Ziel, eine lediglich 5,8-prozentige Steigerung für die PKV und die Beihilfe zu errechnen, ist die Bewertung des derzeitigen GOÄ-Entwurfes nicht mehr betriebswirtschaftlich kalkuliert, sondern rechentechnisch „zurechtgestutzt“ worden.
Zweite Behauptung:
Der Bundesärztekammer-Präsident behauptet in seiner ersten Stellungnahme nach dem GOÄ-Desaster vom 17. März, dass der Sonderärztetag die Veränderung des Paragraphenteils und der Bundesärzteordnung gebilligt hätten. Das ist falsch. Richtig ist vielmehr, dass der Sonderärztetag lediglich eine Fortsetzung der Verhandlungen genehmigt hat. Wörtlich heißt es dort:
„Der Vorstand der Bundesärztekammer wird damit beauftragt, unter Beratung durch den Ausschuss “Gebührenordnung” der Bundesärztekammer die Gesetzesinitiative zur Anpassung der Bundesärzteordnung (BÄO) und den Entwurf der neuen GOÄ abschließend zu prüfen und gegenüber dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) freizugeben, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
- Die neue GOÄ erfüllt weiterhin eine doppelte Schutzfunktion für Patienten und Ärzte: Durch das Festlegen ausgewogener Preise werden die Patienten vor finanzieller Überforderung geschützt und die ärztlichen Leistungen angemessen vergütet.
- Durch das Festlegen nicht unterschreitbarer Gebührensätze unter Berücksichtigung gerechtfertigter Ausnahmefälle werden die notwendigen Voraussetzungen einer menschlichen und qualitativ hochwertigen Patientenversorgung gewährleistet.
- Das Gebührenverzeichnis der neuen GOÄ entspricht dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft. Darin noch nicht abgebildete innovative Leistungen können wie bisher ohne Verzögerung durch die behandelnden Ärztinnen und Ärzte erbracht und analog mittels gleichwertiger vorhandener Gebührenpositionen abgerechnet werden.
- Abweichende Honorarvereinbarungen sind weiterhin möglich.
- Gehalts- und Kostenentwicklungen einschließlich des Inflationsausgleichs sind bei der Festlegung der Euro-Preise der Gebührenpositionen der neuen GOÄ und deren künftig fortlaufenden Überprüfung und Anpassung in einem fairen Interessenausgleich mit den nach § 11 BÄO “zur Zahlung der Entgelte Verpflichteten” zu berücksichtigen. Die Festlegung und Weiterentwicklung der Euro-Preise der neuen GOÄ sollen unter Erhalt ihrer Doppelschutzfunktion auch im Vergleich mit der Anpassungshöhe und den Anpassungsintervallen anderer Gebührenordnungen freier Berufe angemessen sein.
- Die Bundesärztekammer verständigt sich mit dem BMG, dem PKV-Verband und der Beihilfe darauf, während der geplanten 36-monatigen Monitoringphase im Anschluss an die Inkraftsetzung der neuen GOÄ eventuelle Inkongruenzen hinsichtlich der Abrechnungsbestimmungen, der Legenden und Bewertungen der Gebührenpositionen unter Anhörung der ärztlichen Verbände und Fachgesellschaften zu identifizieren und zu beheben. Die Praktikabilität und die Angemessenheit der neuen Steigerungssystematik werden überprüft und dabei festgestellte Mängel behoben. Die Ergebnisse der Prüfungen und die daraufhin ergriffenen Maßnahmen werden durch die Bundesärztekammer fortlaufend.
Gleich mehrere dieser Bedingungen sind nicht erfüllt. Darum hat der Vorstand der Bundesärztekammer in Erfüllung dieses Auftrages ihren vorgelegten Entwurf der GOÄ auch nicht genehmigt. Eine Genehmigung des Sonderärztetages zum Paragraphenteil und zur Änderung der Bundesärzteordnung kann aus dessen Beschluss nicht herausgelesen werden. Folgerichtig hat der Vorstand der Bundesärztekammer den vorliegenden Entwurf der GOÄ in Gänze abgelehnt. Diese Ablehnung betrifft also den gesamten Entwurf, einschließlich Paragraphenteil und Änderung der Bundesärzteordnung.
Dritte Behauptung:
Ein für viele Ärzte wichtiger Punkt ist die Frage nach dem Zuwachs der Honorare nach Abschluss einer GOÄ-Novelle. Der Bundesärztekammerpräsident hat hierzu zwei Zahlen genannt. Die Steigerung für die PKV und die Beihilfe solle 5,8 % betragen. Eine Schwankung von 0,6 % in jede Richtung würde toleriert. Die Steigerung insgesamt für die Ärzteschaft solle aber 10,4 % betragen. Es bleibt aber rätselhaft, wie er den Unterschied von 4,6 % erklärt. Begründet wurde dies mit Selbstbehaltstarifen, nicht eingereichten Rechnungen bei Beihilfe und PKV, IGeL und ähnlichem. Rein mathematisch ist es nicht möglich, dass eine von der PKV und Beihilfe bezahlte Rechnung eine andere Steigerung im Honorar haben kann wie eine Rechnung, die nicht bei diesen Kostenerstattern eingereicht wird. Die einzige Möglichkeit wäre, dass die Leistungen, die überhaupt nicht über PKV und Beihilfe abgerechnet werden, diese Steigerung von 4,6 % auf 10,4 % produzieren. Dies würde bedeuten, dass Leistungen, die nur bei individuellen Gesundheitsleistungen zum Einsatz kommen oder nie bei PKV und Beihilfe eingereicht werden, um das etwa Fünffache gesteigert werden müssten. Das erscheint aber wenig wahrscheinlich. Eine Steigerung von 10,4 % ist also kaum möglich, wenn PKV und Beihilfe einen Steigerungsfestbetrag von nur 5,8 % zugesagt bekommen. Der Bundesärztekammerpräsident kann bei den beschriebenen Vorlagen gar nicht in der Lage gewesen sein, entsprechende Zahlen zu ermitteln. Gleichzeitig muss man aber hinterfragen, auf welcher Basis denn die Prozentsätze zustande gekommen sind.
Vierte Behauptung:
Der Bundesärztekammerpräsident behauptet, er handele in Kongruenz mit dem Beschluss des Sonderärztetages. Das ist nicht wahr. Der Beschluss des Sonderärztetages sieht eindeutig vor, dass der Vorstand der Bundesärztekammer unter Beratung des Ausschusses für Gebührenordnung die neue GOÄ abschließend prüft und gegenüber dem BMG freigibt. Diese Beratung hat aber nicht stattgefunden. Der Ausschuss für Gebührenordnung wurde zeitgleich mit dem Vorstand der Bundesärztekammer am Freitag, Samstag und teilweise erst am Montag über den Sachstand der letzten Änderungen an der GOÄneu informiert. Er hat vor der Vorstandsitzung des Bundesärztekammervorstandes am 17. März nicht mehr getagt und konnte somit die über 700 Seiten Dateien und Texte nicht mehr prüfen und damit auch den Vorstand der Bundesärztekammer nicht beraten.
Fünfte Behauptung:
Der Bundesärztekammerpräsident wird nicht müde zu behaupten, dass ohne diese neue GOÄ eine Bürgerversicherung wahrscheinlicher wäre. Das ist falsch. Wahr ist vielmehr, dass erst durch die Äußerung des Bundesärztekammerpräsidenten in der öffentlichen Kammerversammlung der Ärztekammer Hamburg am 7. Dezember 2015 die SPD das Thema GOÄ aufgenommen hat. Dort hat Kammerpräsident Montgomery ohne Not erklärt, dass das, was manche Kritiker der GOÄ machten, „brandgefährlich“, dadurch die Jahrhundertchance vertan“ und „der Bürgerversicherung der Weg geebnet“ sei. Dies hat die Bundestagsfraktion der SPD zum Anlass genommen, auf ihrer Klausurtagung einen Antrag zu verabschieden, der genau auf diese Äußerung Bezug nimmt. In diesem Antrag wird die Novellierung der GOÄ abgelehnt, erneut eine Bürgerversicherung gefordert und auf die Äußerungen Montgomerys – quasi als Kronzeugen – Bezug genommen: „Wir nehmen Herrn Montgomery beim Wort“, heißt es hierzu wörtlich in dem SPD-Antrag vielsagend.
Sechste Behauptung:
Die GOÄ neu sehe auch weiterhin Steigerungssätze vor. Dieses ist nur formal richtig. In Wahrheit gibt es nur wenige, klar umrissene, in nur wenigen Fällen abrechenbare und in der gesamten Bundesrepublik jährlich nur selten vorkommende Fälle, in denen auf den zweifachen Satz gesteigert werden könnte. Faktisch gibt es keine Steigerungssätze mehr. Die Multiplikatoren und die Steigerungssätze sind jedoch eine wichtige Voraussetzung für eine individuelle Rechnungsstellung, die gerade für einen freien Beruf charakteristisch ist.
Siebte Behauptung:
Die in der GOÄ neu vorgesehene gemeinsame Kommission (GEKO) sei nichts anderes als der jetzt schon bestehende Konsultationsausschuss. Das ist falsch. Die neue GEKO ist paritätisch besetzt und kann nur einstimmig beschließen. Analogziffern und Steigerungsgründe können in dieser Kommission von einer Seite leicht blockiert werden. Eine Weiterentwicklung der GOÄ mit diesem Gremium wird gegen die ökonomischen Interessen von privater Krankenversicherung und Beihilfe ausgesprochen schwierig werden. Im Unterschied zu heute jedoch können Analogziffern in der Zwischenzeit nicht mehr angesetzt werden.
Achte Behauptung:
Die neue Gebührenordnung sei betriebswirtschaftlich kalkuliert. Das ist falsch. Jede Gebührenordnung, die wie in diesem Fall aus 2500 Gebührenordnungspositionen 4600 Gebührenordnungspositionen macht, die Legenden verändert, Zuschläge erfindet oder streicht, Pauschalierungen ansetzt, ehemals selbstständige Gebührenordnungspositionen in andere Gebührenordnungspositionen integriert und andere Veränderungen zulässt, ist in ihren Auswirkungen schwer bis überhaupt nicht zu beurteilen und schwer hochzurechnen. Jede Transkodierung einer solchen Gebührenordnung zurück in das alte Werk ist schwierig und fehleranfällig. Alte und neue Gebührenordnungspositionen zu vergleichen, wird nahezu unmöglich. Die Zusage einer Begrenzung auf eine 5,8-prozentige Steigerung des Gesamthonorars für die PKV führt in einer solchen Situation dazu, dass das gewünschte Ergebnis nur durch schwere Eingriffe in die kalkulatorische Systematik einer solchen Gebührenordnung zu erreichen ist. Dies führt notwendigerweise dazu, dass die Betriebswirtschaftlichkeit der Kalkulation der Gebührenordnung verloren gehen muss. Die neue Gebührenordnung ist in der vorliegenden Form zudem überhaupt nicht mehr betriebswirtschaftlich kalkuliert. Die Preise dürfen als freie Erfindungen, mit etwas mehr Wohlwollen als „normative Setzungen“ gelten. Damit ergibt sich keinerlei Unterschied zur Konstruktion der aktuell geltenden GOÄ, die bekanntermaßen ja auch keine Systematik enthält. Damit läuft ein Monitoring auf ein einfaches Drehen an Preisen und faktisch auf ein Budget hinaus
Neunte Behauptung:
Die Gebührenordnungssätze sind nicht unterschreitbar. Europäische Richtlinien und europäische Gesetzgebung lassen begründete Zweifel an dieser Aussage zu. Denn neben der europäischen Vorgabe gibt es auch bereits jetzt in der GOÄ-Vorlage Möglichkeiten, die Gebührensätze zu unterschreiten. So besteht ein Schutz für die seitherigen Billigtarife gegen eine Erhöhung auf den robusten Einfachsatz. Auch Modellversuche sind ggf. ein Einfallstor für Abwertungen der GOÄ-Ziffern.
Zehnte Behauptung:
Die Eingriffe durch den Paragraphenteil, die Änderung der Bundesärzteordnung und den Legenden und Bewertungsteil stellen keine wesentliche Änderung dar.
Wahr ist:
Insgesamt handelt es sich bei dem derzeitigen GOÄ-Entwurf um eine Festbetragsgebührenordnung mit abschließendem Leistungskatalog, die keine betriebswirtschaftlich kalkulierte Grundlage hat und deren Bewertungen nicht weiter entwickelt werden können, da keine Datenstruktur und Bewertungssystematik zugrunde liegt. Die Bewertungen sind letzten Endes willkürlich. Die Eingriffe in den freien Beruf sind gravierend und verändern den freien Beruf des Arztes in unzulässiger Weise.
PM SpiFA