Aus Erhebungen des Bundesamtes für Strahlenschutz geht hervor, dass die Zahl von CT Untersuchungen seit Jahren stetig ansteigt. Ein Grund dafür liegt in dem zunehmenden Bewusstsein der häufig nicht ausreichend aussagefähigen 2-D-Röntgenbildgebung und dem Bedürfnis nach gesteigerter bildgebender Sensitivität im Detail.
Bereits 1998 stellte eine italienische Arbeitsgruppe „eine neuartige CT-Maschine“ zum Einsatz in der Zahnheilkunde vor, die sich kegelförmig ausbreitende Röntgenstrahlen verwendete (Cone Beam CT oder CBCT). Seither wird die CBCT, die in Deutschland auch als digitale Volumentomographie (DVT) bezeichnet wird, vor allem in der Zahnmedizin, Kieferorthopädie und Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde verwendet, wenn eine überlagerungsfreie Darstellung notwendig ist.
Seit 2012 ist die deutlich weiterentwickelte Technologie des digitalen Volumentomographen der SCS MedSeries® H22 Klasse auch für den orthopädischen sowie unfallchirurgischen Anwender verfügbar und kommt in meiner sportorthopädischen Praxis (Prof. Lohrer) seit 2 Jahren zum Einsatz.
Grundlagen
Das SCS MedSeries® H22 (nachfolgend DVT genannt) ist auf die Extremitätendiagnostik spezialisiert. Innerhalb einer Aufnahme drehen sich die Röntgenquelle und der hochauflösende Detektor in nur einem Umlauf um das zu untersuchende Volumen. Dabei werden mehrere Hundert Projektionen erzeugt, welche innerhalb einer computergesteuerten Rekonstruktion in multiplanare Schnittbilder mit einer Schichtdicke von 0,2 mm (CT typischerweise 1,0 mm) errechnet und in eine 3-D-Darstellung transformiert werden.
Vorteile gegenüber der konventionellen CT Technologie
Im Vergleich zur konventionellen CT Technologie mit spiralförmiger Abtastung in Umläufen von 360° ermöglicht die SCS Bildgebung schnellere Untersuchungszeiten (insgesamt ca. 20 Sekunden) mit einem Umlauf von nur 210°. Dadurch und aufgrund seiner hinsichtlich Strahlenhygiene weiterentwickelten Röntgenquelle ist die Strahlendosis erheblich reduziert. Diese Eigenschaften führen dazu, dass wir heute mit dem DVT über Untersuchungsprotokolle verfügen, die in ihrer effektiven Dosis im Bereich der konventionellen Röntgentechnik in 2 Ebenen liegen. Weitere Vorteile im Vergleich zum konventionellen CT bestehen vor allem darin, dass eine artefaktärmere Darstellung vorliegt, wodurch eine Grenzflächenbeurteilung zuverlässig erfolgen kann. Eine weitere, enorm wichtige Eigenschaft des Systems für die orthopädische Diagnostik besteht in der Option zur überlagerungsfreien Untersuchung des Patienten unter funktioneller Belastung (im Stehen). Der Einfluss der Belastung (Stehaufnahmen) kann mit der 3-D-Bildgebung ohne den beim 2-D-Röntgen regelmäßig auftretenden Projektionsfehler objektiviert werden. Im Vergleich zum unbelasteten Fuß können Veränderungen im Alignment des Rückfußes im Stand gefunden werden [Hirschmann A, et al.; Eur Radiol 2014, 24: 553–558]. Zudem zeigte die dreidimensionale Bildgebung bei 56 % der Patienten Befunde, die bei der konventionellen 2-D-Röntgenanalyse nicht sichtbar waren. Darüber hinaus hatten die Befunde bei 68 % der Patienten einen Einfluss auf die klinische Therapie [Pugmire BS; Am J Roentgenol 206:431-435; 2016].
Einsatz des DVT bei der konservativen Patientenversorgung in der täglichen Praxis
Die Anwendung einer Diagnostik unter Anwendung von Röntgenstrahlung verpflichtet den strahlenschutzverantwortlichen Orthopäden und Unfallchirurgen zur Einhaltung der Forderungen des Strahlenschutzgesetzes. Dieses fordert mit den §§ 6 und 8 vom Behandler die Wahl einer Diagnostik, die bei möglichst geringem Risiko mit dem höchsten Nutzen für den Patienten einher geht. Auf Basis der vorgenannten Eigenschaften ergibt sich damit die Notwendigkeit zum Einsatz des Systems auch als Primärdiagnostik.
In unserem Zentrum werden 55,9 % der DVT Analysen an Fuß und Sprunggelenk und 29,0 % am Kniegelenk durchgeführt. In aller Regel werden diese Untersuchungen an der unteren Extremität unter funktioneller Belastung mit dem Körpergewicht angefertigt. Die Gelenke der oberen Extremität (Hand = 12,2 % und Ellenbogen = 3,0 %) werden in der Regel ohne Belastung angefertigt.
Über die Belastung kann die Untersuchung mit dem System eine tibiofibulare Diastase gut erkennbar machen. Am Kniegelenk ist die DVT gegenüber der 2-D-Radiographie vor allem zur dreidimensionalen Beurteilung des patellofemoralen Gelenkanteiles überlegen zur Beurteilung dysplastischer Anlagen und Fehlstellungen. Auch zur OP-Planung sind die 3-D-Rekonstruktionen in den meisten Fällen mittlerweile unerlässliche Hilfsmittel. Darüber hinaus kann die Stabilität von Osteosynthesen zum Beispiel nach komplexen fußchirurgischen Interventionen mit Osteotomien mittels 2-D-Röntgen oft nicht ausreichend beurteilt werden, während die dreidimensionale Bildgebung eine Möglichkeit zur sicheren Evaluation der postoperativen knöchernen Durchbauung bietet.
Perspektiven
Zweifellos eröffnet das DVT neue Möglichkeiten bei der Diagnostik muskuloskeletaler Pathologien [Hirschmann A, et al.; Eur Radiol 2014, 24:553–558]. Aufgrund der hohen Auflösung der Aufnahmen (Schichtdicke = 0,2 mm) und der im Vergleich zum konventionellen CT massiv reduzierten und im Vergleich zum konventionellen Röntgen gleichwertigen Strahlenbelastung des Patienten, wird sich dieses Verfahren zunehmend als Standardverfahren zur Primärdiagnostik zumindest an den peripheren Gelenken etablieren. Als Grundlage der Diagnostik knöcherner Läsionen wird die SCS Bildgebung zunehmend zu einem wesentlichen Pfeiler auch in der konservativen orthopädisch-unfallchirurgischen Patientenversorgung.
Fallbeispiele
Femuropatellare Arthrose
52-jährige Patientin mit streckseitigen Knieschmerzen seit Jahren zunehmend. Schmerzen insbesondere beim Treppensteigen. Bei der klinischen Untersuchung imponiert eine hypermobile und etwas lateralisierte Patella bei Genua valga et recurvata. Angedeutet J-Zeichen. Vergrößerter Q-Winkel. Patellaschiebeschmerz und ausgeprägte retropatellare Crepitation. Insbesondere lateraler Facettendruckschmerz der Patella. Kein intraartikulärer Erguss. Zur Evaluation der 3-D (Patho) Anatomie des femuropatellaren Gelenkes unter Belastung erfolgte die Aufnahme mit dem DVT in 30° Beugung des Kniegelenkes und unter Belastung mit dem Körpergewicht. Wir fanden eine erhebliche Lateralisation der Patella sowie einen lateralen tilt der Patella. Ein femuropatellarer Kontakt bestand lediglich über der lateralen, insgesamt aber nur wenig dysplastischen Trochlea, wo der Gelenkspalt komplett verschwunden war. Der TTTG Abstand betrug 1,5 cm. Unauffällige mediale und laterale femurotibiale Gelenkspalthöhe mit nur mäßigen knöchernen Randappositionen in diesem Gelenkabschnitt.
Radiopalmarer Kortikalisdefekt
39-jähriger Patient. Seit 3-4 Wochen war es spontan und ohne erinnerliches Unfallereignis zu seither persistierenden Schmerzen im Bereich des rechten Handgelenkes gekommen. Schmerzaktivierung beim „Abstützen“, aber auch in Ruhe „ziehender Schmerz“. Inspektorisch keine Schwellung im Bereich der Handwurzel, des Handgelenkes und der Tabatière. Umschriebener Druckschmerz über dorsoradialen und dem volarseitigen radialen Handgelenk. Dorsalextension passiv endgradig schmerzhaft, im Seitenvergleich aber nicht eingeschränkt. Die eine Woche zuvor angefertigten Röntgenübersichtsaufnahmen zeigten einen unauffälligen Befund im Handgelenk und der Handwurzel. Bei Nichtansprechen auf eine diagnostische Injektion des radialen Handgelenkes wurde eine Aufnahme mit dem DVT durchgeführt. Wir fanden eine etwa 2-3 mm große usurartige Defektbildung mit unruhiger Oberflächenstruktur volarseitig am distalen Radius, der Befund ist vereinbar mit einem fibrösen Corticalisdefekt oder einem Osteoidosteom.
Mediale Fusswurzelarthrose
71-jährige Patientin. Vor etwa 9 Monaten hatte sie eine Schmerzhaftigkeit am Großzehengrundgelenk links erstmalig verspürt. In der weiteren Folge hat sich der Schmerz dann weiter proximal verlagert im Bereich der medialen Mittelfußbasis. Belastungsabhängiges Schmerzbild bereits beim Stehen. Nachts Ruheschmerzen und „Verkrampfungen“ der Zehen. Die klinische Untersuchung zeigte einen dezenten Hallux valgus, flexible Hammerzehe II und III sowie einen Druckschmerz über den medialen TMT Gelenken. Röntgenologisch in den Stehaufnahmen Senkfuß. Hallux valgus 16°, geringe Lateraldeviation der Zehen II-IV, betont III. Auch die Kernspintomographie erbrachte „keine überzeugende Erklärung für die seitens der Patientin geklagten Schmerzen“. Eine „areaktive kleincystoide Formation an der dorsalen Zirkumferenz des Navikulare“ wurde als arthrotischer Nebenbefund interpretiert. Die 3 Monate später durchgeführte SCS Bildgebung unter Körpergewicht-Belastung zeigte ausgedehnte arthrotische Gelenkveränderungen mit Gelenkspalthöhenminderung und subchondraler Sklerosierung sowie ausgedehnten subchondralen Zystenbildungen im TMT I Gelenk und im Naviculocuneiforme I Gelenk, als Ursache der Symptomatik, die sodann mit gezielten Injektionen und Einlagenversorgung konservativ therapierbar war.
Erschienen in: SCS Magazin 01-2021