Nervenkompressionssyndrome der oberen Extremität werden aufgrund ihrer klinischen Ähnlichkeit zu orthopädischen Krankheitsbildern oft spät erkannt. Entscheidend für die Differenzierung sind die klinische Untersuchung und die Kenntnis anatomischer Prädilektionsstellen. Ergänzend sind neurologische Untersuchungen wie Nervenleitgeschwindigkeit und Elektromyographie sowie eine Bildgebung mittels MRT oder Ultraschall oft wegweisend. Bei rechtzeitiger Therapie kann so nicht nur der Leidensdruck der Patienten gesenkt, sondern auch ein langfristiger Schaden von Nerv und Muskulatur verhindert werden. Ziel dieses Beitrags ist es, anhand der anatomischen Verläufe der Nerven der oberen Extremität anatomische Engstellen aufzuzeigen und die entsprechenden Kompressionssyndrome anhand ihrer Symptomatik und deren
Therapieoptionen zu erläutern.
Nervenkompressionssyndrome stellen eine wichtige Differentialdiagnose verschiedener orthopädischer Krankheitsbilder dar. Da insbesondere die Schmerzsymptomatik und -lokalisation orthopädischen Krankheitsbildern wie z. B. dem therapierefraktären Schulterschmerz ähneln1, bleiben sie oft unerkannt und führen in der Folge zu therapierefraktären Verläufen mit einem hohen Leidensdruck und irreversiblen chronischen Schäden von Nerv und Muskulatur.
Klinisch sind Nervenkompressionssyndrome durch Schmerzen, Sensibilitätsstörungen sowie funktionelle Einschränkungen mit motorischen Ausfällen und, im fortgeschrittenen Stadium, konsekutiver Atrophie der betroffenen Muskulatur charakterisiert. Die rechtzeitige Therapie hat das Potential nicht nur eine Verbesserung der Symptomatik, sondern auch eine Remyelinisierung zu ermöglichen. Daher sollte bei therapierefraktären orthopädischen Krankheitsbildern insbesondere mit Parästhesien und muskulären Atrophien eine gezielte Diagnostik erfolgen. Diese umfasst eine neurologische Untersuchung mittels Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) und Elektromyographie (EMG), ergänzt durch bildgebende Verfahren wie MRT oder Neurosonographie, um neben der Kompression an anatomischen Engstellen andere Kompressionsursachen wie z. B. Lipome, Tumore oder Ganglien auszuschließen. Im Folgenden sollen die wichtigsten Kompressionssyndrome der oberen Extremität mithilfe ihrer anatomischen Verläufe dargestellt werden.
Kompression des Nervus medianus
Der N. medianus entspringt dem lateralen (C5–C7) und medialen Faszikel (C8–Th1) des Plexus brachialis. Die Kompression des N. medianus ist hierbei auf unterschiedlichen Höhen möglich. Proximal kann am distalen Oberarm ein sogenanntes Struther‘sches Ligament vorkommen, welches am ventralen Humerus von einem knöchernen Vorsprung zum Epicondylus medialis zieht. Symptomatisch zeigen sich folglich Parästhesien der typischen Innervationsgebiete der Hand und Paresen der Unterarm-Flexoren sowie des M. flexor carpi radialis (FCR), M. pronator teres (PT) und M. palmaris longus (PL).
Bei Kompression an der Durchtrittsstelle durch die Köpfe des M. pronator teres kommt es zum Pronator-Teres-Syndrom, das klinisch dem Karpaltunnelsyndrom (KTS) stark ähnelt. Bei genauer Untersuchung zeigt sich jedoch die Symptomatik durch Pronation im Unterarm (z. B. PC-Arbeit) verstärkt und es kommt zusätzlich zu Parästhesien im Thenarbereich, die durch den anatomischen Abgang des sensiblen R. palmaris proximal des Karpaltunnels beim KTS nicht vorkommen.2–5 Das KTS stellt mit einer Prävalenz von 5–10% der Bevölkerung das mit Abstand häufigste Kompressionssyndrom dar. Dabei sind Frauen viermal häufiger betroffen als Männer. Bekannte Risikofaktoren für die Entstehung sind Übergewicht, Diabetes mellitus, dialysepflichtige Niereninsuffizienz, rheumatoide Arthritis sowie Schwangerschaft (Prävalenz bis zu 17%).3, 6 Durch eine Synovialitis kommt es zu einem Druckanstieg in der anatomischen Engstelle des Karpaltunnels mit konsekutiver Kompression des N. medianus. Klinisch ist das KTS durch vor allem nächtlich auftretende Schmerzen sowie Parästhesien der ersten dreieinhalb Finger gekennzeichnet, bei weiterem Fortschreiten begleitet von einer Atrophie der Thenarmuskulatur.
Diagnostisch können ein positives HoffmannTinel-Zeichen über dem Karpaltunnel sowie der Phalen- bzw. Durkan-Test hinweisend sein.7–9 Aufgrund ihrer begrenzten Spezifität sollte die Diagnosesicherung aber über eine neurologische Diagnostik erfolgen.10–12
Kompression des Nervus ulnaris
Der N. ulnaris geht aus dem medialen Faszikel des Plexus brachialis (C7/8–Th1) hervor und zieht ohne Abgänge mit der A. brachialis nach distal. Proximal des Epicondylus medialis durchtritt er einen Kanal aus dem Septum intermusculare und dem medialen Kopf des M. triceps brachii, der bei ca. 70–80% der Bevölkerung fibrös angelegt ist und zu einer
Kompression des Nerven führen kann.13 Am häufigsten kommt es zu einer Kompression des Nervens im Kubitaltunnel und in der Loge de Guyon, die zur sogenannten „Radfahrerlähmung“ mit Parästhesien im Bereich des ulnarseitigen Ring- und des gesamten Kleinfingers führt und im fortgeschrittenen Stadium von einer Atrophie der intrinsischen Handmuskulatur mit positivem Froment-Zeichen begleitet wird. Da es im Unterschied zum KTS aufgrund der fehlenden Synovialitis zu einer höheren Spontanremissionsrate kommt, sollte eine chirurgische Dekompression durch Spaltung des Lig. pisohamatum in frühen Stadien zurückhaltend indiziert werden. Das Kubitaltunnelsyndrom präsentiert sich dagegen mit zusätzlichen Parästhesien der ulnaren Handkante sowie einer Schwäche der durch den N. ulnaris innervierten extrinsischen Muskulatur distal des Ellenbogens. Zu den therapeutischen Optionen zählen die endoskopische oder offene Dekompression und Neurolyse des Nervens, die Vorverlagerung (subkutan/submuskulär/intramuskulär) oder die subperiostale Epikondylektomie.3
Kompressionen des Nervus radialis
Der N. radialis geht aus dem posterioren Faszikel des Plexus brachialis (C4-Th1) hervor, verläuft spiralförmig um den Humerus und gibt die motorischen Äste zum M. triceps brachii sowie den N. cutaneus brachii posterior ab. Kommt es durch direkten Druck im Bereich des Oberarms zu einer Kompression des Nervens, resultiert eine meist passagere Parese („Parkbank-Lähmung“). Im Anschluss zieht der Nerv proximal des Epicondylus lateralis nach ventral unter Abgabe motorischer Äste zur Innervation des M. brachioradialis und des M. extensor carpi radialis longus (ECRL). Unmittelbar distal des Ellenbogens spaltet er sich in den sensiblen R. superficialis (RSNR) und den R. profundus. Mögliche Kompressionsstellen entstehen hier durch die den N. interosseus posterior (NIP) querenden Aa. recurrantes radiales („Leash of Henry“) sowie die Frohse-Arkade beim Eintritt in die Supinatorloge.3, 14–16 Das NIP-Syndrom (Supinatortunnel-/Supinatorlogen-Syndrom) zeichnet sich durch eine fortschreitende Lähmung der Extensoren der Langfinger und des Daumens aus, beginnend beim Kleinfinger mit Ausbreitung nach radial. Auslöser sind oft repetitive Bewegungsmuster die zu einer Druckerhöhung in der Supinatorloge führen. Im Unterschied zur differentialdiagnostischen lateralen Epicondylitis, die zu Schmerzen im Bereich des Ellenbogens und Kraftverlust führt, bleibt beim NIP-Syndrom die Handgelenksstreckung voll erhalten.17 Therapeutisch ist die chirurgische Dekompression hierbei das Mittel der Wahl.
Eine weitere Kompressions-Prädilektionsstelle ist der Durchtritt des RSNR durch die Unterarmfaszie ungefähr 9 cm proximal des Tuberculum listeri. Diese Kompression des RSNR (WartenbergSyndrom) entsteht meist durch scherenförmige Einklemmung durch die Sehnen des M. brachioradialis und des ECRL.18 Klinisch imponieren Schmerzen bzw. Parästhesien des dorsoradialen Handgelenks sowie des Daumens und ein positives Hoffmann-Tinel-Zeichen an der Durchtrittstelle sowie eine Schmerzverstärkung bei Handgelenksextension. Therapeutische Optionen sind die Infiltration von Lokalanästhetika sowie die operative Dekompression.
Kompression des Nervus axillaris
Der N. axillaris entstammt dem posterioren Faszikel des Plexus brachialis (C5, C6). Über den N. cutaneus brachii lateralis superior (NCBLS) innerviert er einen Teil der Schultergelenkkapsel sowie sensibel das Hautareal über dem M. deltoideus. Motorisch ist er für die Innervation des M. deltoideus und M. teres minor verantwortlich. Eine mögliche Kompressionsstelle ist der gemeinsame Durchtritt durch die laterale Achsellücke mit der A. und V. circumflexa humeri posterior, die insbesondere bei Armabduktion aber auch durch Muskelhypertrophien oder fibröse Bänder eingeengt werden kann.19–21 Eine Kompression äußert sich durch Schmerzen über dem M. deltoideus, die durch längeres Überkopfarbeiten oder bestimmte Sportarten (z. B. Volleyball, Tennis, Schwimmen) mit wiederholter Abduktion bzw. Elevation der Arme verstärkt werden. Schmerztherapeutisch kann initial die Infiltration von Lokalanästhetika hilfreich sein, bei protrahierten Verläufen gegebenenfalls ergänzt durch die chirurgische Dekompression.
Zusammenfassung
Kompressionssyndrome der oberen Extremität sind durch eine vielfältige Symptomatik, welche oft orthopädischen Krankheitsbildern ähnelt, gekennzeichnet. Exakte anatomische Kenntnisse sind wegweisend für die Differenzierung beider Genesen. Eine gezielte Diagnostik mittels neurologischer Untersuchung und Bildgebung sind nicht nur zur Ursachensuche, sondern auch für die Therapieentscheidung relevant. Differenzialdiagnostisch sollten zusätzlich Laboruntersuchungen bezüglich Infektionen, Herpes Zoster oder Krankheiten des rheumatischen Formenkreises erfolgen. Die Therapie reicht von konservativen Maßnahmen mit physiotherapeutischer Beübung, über die Infiltration bis zur chirurgischen Dekompression. Im Zweifel sollte die Zuweisung in ein auf die Behandlung von peripheren Nervenläsionen spezialisiertes Zentrum erfolgen.
Literatur auf Anfrage bei der Redaktion