Rückenschmerzen treten nicht nur bei Erwachsenen auf, sondern stellen auch ein zunehmendes gesundheitliches Problem von Kindern und Jugendlichen dar.
Dies ist nicht nur für die Betroffenen und Behandelnden eine Herausforderung, sondern für das gesamte Gesundheitssystem – in Deutschland werden die minimalen Kosten für die Behandlung von Rückenschmerzen bei Patientinnen und Patienten unter 25 Jahren auf 100 Millionen Euro pro Jahr geschätzt. Entscheidender für unsere jüngsten Patientinnen und Patienten ist jedoch, dass sie häufiger den Schulunterricht verpassen und nur deutlich eingeschränkt an sportlichen und anderen Freizeitaktivitäten teilnehmen können.
Die Wahrnehmung von Rückenschmerzen bei Kindern hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. So wissen wir heute, dass Rückenschmerzen im jüngeren Alter nicht zwangsläufig Symptom einer zugrundeliegenden Erkrankung sind, sondern dass es wie bei Erwachsenen auch zu unspezifischen Schmerzen kommt. Dabei geben 10–30 % der Jugendlichen an, bereits an Rückenschmerzen gelitten zu haben. Die Prävalenz steigt mit dem Alter an, von ca. 1% bei 7-Jährigen über 6% bei 10- und 12% bei 12-Jährigen auf 18% bei Jugendlichen im Alter von 14–16 Jahren.
Zu den Risikofaktoren für die Entstehung unspezifischer Rückenschmerzen zählt neben dem Alter das Geschlecht. Mädchen zeigen dabei eine höhere Wahrscheinlichkeit, an Rückenschmerzen zu leiden als Jungs. Weiterhin spielen psychosoziale Faktoren wie psychologische Belastungen eine wichtige Rolle in der Schmerzentwicklung und -wahrnehmung. Entgegen dem verbreiteten Eindruck zeigten Untersuchungen anderer möglicher Risikofaktoren wie der Körpergröße, des Körpergewichts und der Muskelkraft keine eindeutige Assoziation mit dem Auftreten von Rückenschmerzen bei Kindern und Jugendlichen.
Trotz der hohen Prävalenz unspezifischer Rückenschmerzen müssen mögliche zugrundeliegende Erkrankungen vor allem bei persistierenden Schmerzen ausgeschlossen werden. Entscheidend ist daher eine ausführliche Anamneseerhebung, welche gemeinsam mit den Eltern bzw. Erziehungsberechtigten erfolgen sollte. Sie beinhaltet zunächst ein genaues Erfragen der Symptomatik mit Beginn und Dauer der Schmerzen, Schmerzintensität, Schmerzcharakter und Schmerzlokalisation. Um zwischen unspezifischen und spezifischen Schmerzen zu unterscheiden, sollten in jedem Fall red flags inklusive neurologischer Symptome wie Kraftgradminderungen oder Sensibilitätsstörungen, Störungen der Blasen- oder Mastdarmfunktion, Infektionszeichen, Tumorerkrankungen oder vorangegangener Traumata beachtet werden. Schmerzen, die nachts persistieren und unabhängig von körperlicher Aktivität auftreten, können ebenso wie Fieber, Gewichtsverlust, Nachtschweiß und Lethargie Hinweise auf ein infektiöses oder malignes Geschehen sein.
Morgensteifigkeit kann als erstes Symptom auf eine entzündliche Erkrankung deuten. Dies ist aus der Behandlung erwachsener Patientinnen und Patienten auf Kinder zu übertragen. Neben dem Erfassen jeglicher Vorerkrankungen und Medikation muss außerdem eine genaue Familien- und Sozialanamnese erhoben werden. Psychologische Faktoren spielen wie bei Erwachsenen auch in der Schmerzentstehung von Kindern eine große Rolle und können alleinige Ursache unspezifischer Rückenschmerzen sein. An dieser Stelle ist aufgrund des Rückenschmerzes als mögliches Symptom einer psychosozialen Belastungssituation darauf hinzuweisen, dass eine individuelle Anamneseführung auch mit dem Kind oder Jugendlichen alleine wichtig sein kann.
Die auf die Anamnese folgende fokussierte körperliche Untersuchung beinhaltet die Abklärung einer möglichen spinalen Asymmetrie, die sich in einer Imbalance der Schultern, Prominenz derSkapulae, thorakalen Asymmetrie, Beckenschiefstand oder einer Beinlängendifferenz äußern kann, Zeichen oberflächlicher Defekte als Symptom kongenitaler spinaler Anomalien, eine Analyse des Gangbildes, eine Messung des Bewegungsumfangs der Wirbelsäule sowie eine neurologische Untersuchung.
Entsprechend der nationalen Versorgungsleitlinie „Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ werden bildgebende Verfahren erst eingesetzt, wenn in der Untersuchung ein neurologisches Defizit auffällt, das Kind über nächtliche, radikuläre oder mehr als vier Wochen persistierende Schmerzen klagt oder andere red flags vorhanden sind. Zwar ist bei Kindern wie bei Erwachsenen zunächst eine Röntgenaufnahme der betroffenen Region in zwei Ebenen indiziert, aufgrund der geringeren Strahlenbelastung kann jedoch auch primär eine Magnetresonanztomographie (MRT) angefertigt werden. Diese ist dem Röntgen aufgrund des hohen Kontrastauflösungsvermögens in der Darstellung von neuronalen Strukturen und Weichgeweben wie der Bandscheibe und der Muskulatur überlegen. Aufgrund der hohen Strahlenbelastung sollte eine Computertomographie nur sehr zurückhaltend eingesetzt werden – eine CT-Untersuchung der Lendenwirbelsäule geht mit ungefähr der achtfachen effektiven Strahlendosis einer Röntgenaufnahme einher. Besteht der Verdacht auf ein malignes oder infektiöses Geschehen, ist eine Laboruntersuchung mit Abnahme der Entzündungsparameter unabdingbar.
Die Behandlung von Rückenschmerzen bei Kindern ist abhängig von ihrer Ätiologie und dem klinischen Erscheinungsbild. Unspezifische Rückenschmerzen werden wie bei Erwachsenen ohne vorherige bildgebende Untersuchung mittels physiotherapeutischer Beübung zur Kräftigung der Rumpfmuskulatur und dem zurückhaltenden Einsatz von Analgetika therapiert. Bei psychosozialen Belastungsfaktoren muss außerdem eine psychologische Mitbetreuung evaluiert werden.
Die häufigste Ursache für Rückenschmerzen bei Kindern und Jugendlichen ist der paravertebrale Muskelhartspann. Dieser kann entweder wachstumsbedingt auftreten oder – wobei nochkontrovers diskutiert – durch eine erhöhte Belastung beispielsweise durch schwere Schulranzen verursacht sein. Typischerweise sprechen diese unspezifischen Schmerzen auf eine konservative Therapie gut an und bessern sich nach einigen Wochen. Regelmäßige klinische Kontrollen sind vor allem bei Beschwerdepersistenz jedoch essentiell, um zugrundeliegende Pathologien nicht zu übersehen und um eine Schmerzchronifizierung zu vermeiden.
Obwohl spezifische Rückenschmerzen im Kindesund Jugendalter selten sind, müssen sie bei Auftreten der oben genannten red flags in Betracht gezogen werden. Zu den häufigen zugrundeliegenden Pathologien zählen mit einer Prävalenz von bis zu 6% aller Kinder die Spondylolyse und Spondylolisthese. Beide Krankheitsbilder äußern sich mit fokalem Schmerz, wobei in aller Regel die untere Lendenwirbelsäule betroffen ist, und sprechen gut auf eine konservative Therapie an. Etwas seltener sind Deformitäten der Wirbelsäule ursächlich für die Entstehung von Rückenschmerz, wobei vor allem die idiopathische Skoliose mit einer Prävalenz von 2–3% aller Kinder und Jugendlicher zu beachten ist, aber auch der Morbus Scheuermann durch die übermäßige Kyphose Schmerzen verursachen kann. Zu diesen und weiteren spezifischen Ursachen für Rückenschmerzen finden Sie weiterführende Artikel in diesem Infobrief.
Symptomatische Bandscheibenpathologien sind bei Kindern selten. Besteht jedoch der Verdacht auf eine solche Pathologie, sollte insbesondere bei radikulärer Symptomatik eine bildgebende Untersuchung mittels MRT erfolgen. Die konservative Behandlung dieser Pathologien führt in aller Regel zu aussichtsreichen Behandlungserfolgen, während die operative Behandlung ausschließlich bei neurologischen Defiziten indiziert und daher im klinischen Alltag eine absolute Rarität ist.
Leider gibt es trotz der steigenden Inzidenz von Rückenschmerz bei Kindern und Jugendlichen wenig aussagekräftige Literatur zu seiner Entstehung und Behandlung. Nachgewiesen ist jedoch, dass Kinder und Jugendliche, die bereits eine Episode von Rückenschmerz erlitten haben, eine höhere Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von
Rückenschmerzen auch im Erwachsenenalter haben. Die Bedeutung von Schmerz und der damit einhergehenden massiven Einschränkungen in der Lebensqualität der Betroffenen muss daher stärker in unser Bewusstsein gerückt werden. Für von Rückenschmerzen betroffene Kinder hat die verminderte Teilnahme an Schulunterricht, Sport und anderen Aktivitäten über die physische Gesundheit hinausgehende gravierende Folgen.
Ein zunehmendes Verständnis zugrundeliegender Ursachen ist daher essentiell, um Schmerzen bereits vor ihrer Entstehung vorzubeugen oder sie bei Auftreten möglichst frühzeitig gezielt zu behandeln.