Berlin – Millionen Menschen in Deutschland leiden an Rückenschmerz, Arthrose oder Osteoporose. Diese Patienten werden in der Regel nicht auf dem Operationstisch, sondern mit konservativen Verfahren behandelt. Trotz ihrer großen Bedeutung für das Fach würden konservative Methoden im Gesundheitssystem aber oft nicht angemessen vergütet, kritisierte Dr. Manfred Neubert, einer der Präsidenten des diesjährigen Deutschen Kongresses für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU), bei der Vorab-Pressekonferenz zum Kongress gestern in Berlin.
Zunehmende Bedeutung konservativer Verfahren
Laut Statistischem Bundesamt verursachen Beschwerden am Muskel- und Skelettsystem hierzulande rund elf Prozent aller Krankheitskosten. Rund 85 Prozent der Deutschen haben mindestens einmal im Leben Rückenschmerzen. Jede zweite Frau und jeder dritte Mann im Alter von 70 bis 79 Jahren hat Arthrose; jede vierte Frau eine Osteoporose. Bei den meisten Betroffenen ist ein operativer Eingriff nicht angezeigt – stattdessen kommen konservative Verfahren wie Medikamente, manuelle Medizin, Schmerz- oder Physiotherapie zum Einsatz. „Durch die steigenden Erkrankungszahlen haben vor allem die niedergelassenen Orthopäden und Unfallchirurgen einen gewaltigen Versorgungsauftrag, der mit der alternden Gesellschaft in Zukunft noch weiter wachsen wird“, so Neubert.
Höherer Stellenwert in Ausbildung und Vergütung gefordert
Mithilfe konservativer Behandlungsmethoden könnten Orthopäden erfolgreich und risikoarm Schmerzen lindern, Beweglichkeit und Lebensqualität verbessern oder das Fortschreiten von Erkrankungen bremsen. Darum sollte diesen Verfahren ein höherer Stellenwert zukommen, betonte Neubert im Vorfeld des DKOU. „Konservative Verfahren erfordern eine sehr gute Ausbildung des Orthopäden und Unfallchirurgen und intensive Zusammenarbeit mit dem Patienten – beides wird durch das Gesundheitssystem aktuell nicht ausreichend vergütet“, betonte Neubert. Auch in der medizinischen Ausbildung müsse der konservativen Therapie mehr Raum gegeben werden. Es dürften nicht nur die „großen Eingriffe“ im Mittelpunkt stehen. „Wer seinen Patienten die bestmögliche Behandlung bieten will, darf nicht nur lernen, gut zu operieren, sondern muss das gesamte Spektrum der nicht-chirurgischen Möglichkeiten kennen und anwenden können“, so der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie am Sonneberger Orthopädiezentrum in Bremen.
Kommunikation mit dem Patienten zentral
Für den Erfolg der Therapie sei der stetige Austausch mit dem Patienten entscheidend, unterstrich Neubert. Die Bedürfnisse und die momentane Lebenssituation des Patienten seien ausschlaggebend für die Wahl der besten Behandlung. „Anders als bei den meisten anderen Erkrankungen gibt es für Arthrose oder Rückenschmerz keine Laborbefunde, anhand derer sich eine bestimmte Behandlung verordnen lässt – auch Röntgenbilder sind nicht eindeutig“, sagte er. Schmerzen, Beweglichkeit und Einschränkung der Lebensqualität sind vom persönlichen Empfinden abhängig. Diese Kriterien entscheiden, welche individuellen Behandlungsmaßnahmen angezeigt sind und wann nach Ausschöpfen der konservativen Möglichkeiten doch eine Operation nötig wird.
Fachgesellschaften planen Weißbuch zur konservativen Therapie
Da die Daten über konservative Therapieverfahren in Orthopädie und Unfallchirurgie in Deutschland momentan nicht vollständig aufgearbeitet sind und deswegen evidenzbasierte Erkenntnisse zur Evaluation der konservativen Therapie in Deutschland fehlen, wird vom BVOU und den Fachgesellschaften aktuell ein Weißbuch zur konservativen Therapie, analog dem Weißbuch Gelenkersatz, erarbeitet, das auf dem DKOU 2017 vorgestellt werden soll. Damit würde sich erstmals eine standardisierte Datenlage in diesem Versorgungsbereich ergeben.
Der diesjährige DKOU findet vom 25. bis 28. Oktober 2016 auf dem Messegelände Süd in Berlin statt.
Quelle: Pressestelle DKOU