Prof. Dr. Ralf Schulze ist seit September 2021 Abteilungsleiter der Röntgenabteilung/Abteilung Oral Diagostic Sciences der Zahnmedizinische Kliniken (ZMK) der Universität Bern/Schweiz. Er habilitierte 2006 im Fachgebiet zahnärztliche Röntgenologie an der Universitätsmedizin Mainz und leitete dort bis August 2021 ebenfalls die zahnärztliche Röntgenabteilung. Mit ca. 75 internationalen Publikationen in Wissenschaftlichen Fachzeitschriften, vielen Jahre Reviewertätigkeit für multiple internationale wissenschaftliche Zeitschriften sowie langjähriger Expertentätigkeit in den zahnärztlichen Röntgenausschüssen des Deutschen Institutes für Normung (DIN) ist er auch Mitglied für die DGZMK im Arbeitsgremium X (AG-X) des Bundesumweltministeriums.
Von 2011 bis 2020 war er Herausgeber der renommierten wissenschaftlichen Fachzeitschrift „DentoMaxilloFacial Radiology“. Prof. Schulze ist Koordinator und Erstautor der S1-Leitlinie \ Digitale Volumentomographie”, der 2013 publizierten, ausgebauten s2k-Leitlinie „Dentale digitale Volumentomographie“ sowie auch der derzeitigen Überarbeitung derselben. Er fungierte als externer Gutachter der oziellen Europäischen Leitlinie „Cone Beam CT for Dental and Maxillofacial Radiology. Evidence Based Guidelines (European Commission: Radiation Protection No. 172, 2012)“ sowie als Co-Autor des 2014 veröentlichten Policy Statements der World Dental Federation FDI mit dem Titel „Radiation Safety in Dentistry“. Aus zahnmedizinischer Sicht erläutert Prof. Klessinger, in welchen Fällen ein DVT sinnvoll ist und warum der Einsatz der Technologie nicht ganz unumsritten bleibt.
Etwa ein Jahrhundert nach der Entdeckung der Röntgenstrahlen durch Wilhelm Conrad Röntgen im Jahr 1895 kam die Digitale Volumentomografie (DVT) in der Zahnheilkunde zum Einsatz. Warum plädieren Sie, Herr Prof. Dr. Ralf Schulze, für den Einsatz der DVT?
Prof. Dr. Ralf Schulze: Die DVT stellt eine flexible Möglichkeit dar, dreidimensionale Röntgendatensätze auch kleiner anatomischer Regionen mit einer im Vergleich zur Computertomographie zumeist niedrigeren Dosis zu erzeugen. Sie stellt daher eine Erweiterung des diagnostischen Arsenals dar, die zudem, die entsprechende Fachkundebewilligung vorausgesetzt, auch in der eigenen Praxis angefertigt werden kann.
Wie unterscheidet sich die DVT von der klassischen CT-Diagnostik?
Schulze: das ist heute bedingt durch die Konvergenz der Verfahren nicht mehr
so einfach zu sagen.
Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch darin, dass ein CT keine innerhalb des Körpers gelegenen Ausschnitte abbildet, sondern immer den Gesamtumfang des geröntgten Körperbereichs. Die DVT erlaubt hingegen kleine Abbildungsvolumina, die auch
innerhalb des Körpers liegen können. Allerdings weisen moderne MultisliceCTs eine deutlich bessere Bildqualität auf (allerdings auch bei in der Regel deutlich höherer Dosis), insbesondere im Weichgewebe.
Wie häufig setzen Sie die DVT-Röntgen bei Ihrer Arbeit ein?
Schulze: Da ich Leiter einer zahnärztlichen Röntgenabteilung bin, mehrfach
täglich.
Wieso reichen für bestimmte Fragestellungen 2-D-Aufnahmen nicht aus?
Schulze: immer dann wenn die räumliche Orientierung und Vermessung eines Röntgendatensatzes notwendig ist, kann das sinnvoll nur in 3D-Datensätzen erfolgen. Ein typisches Beispiel aus der Zahnmedizin ist die zahnärztliche Implantologie, wo man den wenigen vorhandenen Knochen möglichst gut nutzen muss, um darin die Implantate
einzubringen, ohne Nachbarstrukturen wie Nerven zu beschädigen.
Warum ist der Einsatz der DVT-Technologie immer noch umstritten?
Schulze: zum Einen weil ein DVT nicht die Lösung für alles ist. Beispielsweise führt eine im Vergleich zu 2D-Röntgenaufnahmen deutlich niedrigere Ortsauflösung (wenige Details) bei einigen Fragestellungen einfach dazu, dass man sie mit der DVT nicht beantworten kann. Zum Anderen stellt sich bei den vielen elektiven Fragestellungen in der Zahnmedizin und den vielen Kindern und Jugendlichen, die in unserem Fachgebiet behandelt werden, immer das Problem der im Vergleich zu 2D-Aufnahmen doch deutlich erhöhten Dosis durch die DVT. Daher muss immer das Benefit des Patienten im Vordergrund stehen und insbesondere bei pädiatrischen Aufnahmen eine sehr strenge Indikationsstellung erfolgen.
Auch Metallartefakte können die Bildqualität bei der DVT stark mindern. Sind auch Patienten mit Amalgamfüllungen bzw. Implantaten mit der DVT untersuchbar?
Schulze: in der Tat stellen bedingt durch die vielen metallischen Restaurationen im Zahnbereich Artefakte in der DVT (aber auch der CT) ein nicht zu unterschätzendes Problem dar. Man kann zwar durch geschickte Ausrichtung des Patienten während der Aufnahme in manchen Situationen dafür sorgen, dass Artefakte sich nicht über die interessierende Region erstrecken, jedoch ist dies nur in speziellen Fällen nötig. Allerdings muss man auch sagen, dass, dadurch dass sich diese Artefakte immer nur in Strahlengangsrichtung verbreiten, die knöcherne Situation in der DVT häufig nicht oder nur unwesentlich von ihnen betroffen ist, weil die metallischen Strukturen sich meist im Zahnkronenbereich, also außerhalb des Knochens befinden.
Ein häufiges Argument gegen die DVT ist die Strahlenbelastung. Wie sieht es mit der Strahlenbelastung aus und inwieweit stellt die DVT eine Gefahr für den Patienten dar?
Schulze: die Dosis durch eine DVTAufnahme liegt in der Regel um ein Vielfaches oberhalb derer durch entsprechende 2D-Aufnahmen. Das ist, wie oben berichtet, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen kritisch zu sehen, weil diese Patienten ja bekanntermaßen ein überproportional erhöhtes Risiko aufweisen, negative Effekte durch die Strahlung zu erleiden. Sicherlich ist ein DVT nicht „gefährlich“, es erhöht jedoch das Risiko für stochastische Strahlenschäden und sollte daher eben indikationsorientiert mit dem Blick auf den Vorteil des Patienten eingesetzt werden.
Die Entscheidung für oder gegen eine DVT-Aufnahme ist sowohl in den entsprechenden Leitlinien als auch in der öffentlichen Diskussion eng an die damit verbundene Strahlenexposition gekoppelt. Wie ist dieser Aspekt aus heutiger Sicht zu bewerten?
Schulze: International orientiert man sich im Strahlenschutz nach wie vor an der „Linear-no-threshold“-Theorie die besagt. dass das Risiko einen Strahlenschaden zu erleiden ohne Schwellenwert (also von 0 an) mit der Dosis ansteigt. Dies bedeutet einfach, mehr Strahlung führt zu proportional höherem Risiko. Ergo muss die Indikation stimmen und gemäß des ebenfalls international akzeptierten Rechtfertigungsprinzip so gestellt werden, dass der potentielle Benefit des Patienten durch die Aufnahme das potentiell zu erwartende Risiko überwiegt.
Das ALARA-Prinzip (As Low As Reasonably Achievable) dürfte den meisten ein Begriff sein. Was genau verbirgt sich dahinter?
Schulze: übersetzt heißt ALARA etwa: „so wenig wie sinnvoll machbar“. In den letzten Jahren hat sich die Alternative ALADA (as low as diagnostically acceptable) herauskristallisiert. Diese ist auch aus meiner Sicht besser interpretierbar und bedeutet, man sollte die Aufnahme so anfertigen, dass die Qualität zur Beantwortung der Fragestellung ausreicht.
Welche Vorschriften für den Strahlenschutz gelten bei der DVT?
Schulze: wie für alle anderen Röntgenaufnahmen gelten die grundsätzlichen
Strahlenschutzbestimmungen bzgl. räumlicher Abschirmung. Insbesondere die Rechtfertigung der Aufnahmen (s. o.) und die Optimierung im Sinne von ALARA und ALADA (s. o.) stellen wesentliche Bestandteile des Strahlenschutzes dar. Zusätzlich sollte bei der DVT die Einblendung auf eine bestimmte Volumengröße abgestimmt auf die Fragestellung erfolgen. Das reduziert die applizierte Dosis erheblich. Patientenschutz ist umstritten, sollte aber aus meiner Sicht, sofern für die geplante Region möglich, angewandt werden. Bei besonders schützenswerten Personengruppen (Kinder+ Jugendliche, Schwangere) sind sie obligatorisch.
Und wie wichtig ist ein DVT für die Planung einer Operation?
Schulze: das hängt stark von der Operation ab. Beispielsweise stellt die DVT für die Planung von Implantatfällen in der Zahnmedizin mittlerweile einen Standard dar, während sie für die operative Entfernung unterer Weisheitszähne evidenzbasiert kaum einen Benefit bringt.
Hatten Sie auch schon Zufallsbefunde?
Schulze: Sicherlich sind Zufallsbefunde nicht selten und müssen auch als solche erkannt und mit befundet werden. Allerdings sollten potentielle Zufallsbefunde nie eine Indikation für das Anfertigen einer Röntgenaufnahme darstellen. Das wäre sonst gleichbedeutend mit einer Art „Screening” und das ist nicht vom Rechtfertigungsprinzip gedeckt.
Hilft die DVT auch, Doppelbefundungen vermeiden?
Schulze: das sehe ich nicht so, denn leider werden auch DVTs manchmal von mehreren Behandlern kurz nacheinander angefertigt, also auch doppelt oder mehrfach, so wie andere Röntgenaufnahmen leider auch.
Die Leitlinien zur Nutzung der DVT in der Zahnmedizin sind veraltet und werden gerade überarbeitet. Haben Sie einen Einblick, was die Aktualisierung bringen wird?
Schulze: da ich der Koordinator der deutschen AWMF-Leitlinie bin, weiß ich
sehr genau, welche Änderungen in der Aktualisierung enthalten sein werden.
Übrigens befindet sich diese, leider auch pandemiebedingt deutlich verzögerte
Überarbeitung in der Schlussphase, alle Empfehlungen sind bereits abgestimmt
und der Hintergrundtext ist ebenfalls fertig. Im Wesentlichen wird die Leitlinien in einigen Bereichen (z. B. untere Weisheitszähne oder zahnärztliche Implantologie) aufgrund der besseren Evidenzlage präzisere Aussagen treffen, als die Vorgängerversion.
Herr Prof. Dr. Ralf Schulze, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Janosch Kuno,
BVOU-Pressearbeit.