Berlin – In Deutschland werden jährlich 2,1 Millionen Patienten auf Intensivstationen behandelt. Viele Patienten dort überleben Studien zufolge aber nicht mit der Qualität, die sie sich selbst wünschen. Sie leiden unter kognitiven, funktionellen, mentalen Schäden. Darauf hat Prof. Dr. med. Claudia Spies, Direktorin der Klinik für Anästhesiologie am Berliner Universitätsklinikum Charité, im Rahmen einer Pressekonferenz hingewiesen. Doch viele Surrogatparameter in Studien über Patienten auf Intensivstationen erfassten nicht das, was sich Patienten vorstellten, so Spieß. Sie wollten gut überleben. In den entsprechenden Studien spiele aber die Lebensqualität nach Intensivbehandlung nur zu fünf Prozent eine Rolle. Das Meiste werde abgebildet durch Parameter, die für den Patienten keinen Wert hätten. Das müsse man aufarbeiten.
Probleme sind Verwirrtheit und Gehbehinderungen
Spies und andere Experten erläuterten vor Medienvertretern Einzelheiten zu einem zweitätigen Symposium der Charité „Evolution der Intensivmedizin“ gemeinsam mit der Leopoldina. Nach Intensivbehandlungen leiden Patienten demnach häufig beispielsweise unter Verwirrtheit oder Gehbehinderung. Mehr als die Hälfte aller intensivmedizinisch behandelten Personen sind den Experten zufolge von solchen Einschränkungen betroffen, die als Post-Intensive Care Syndrom (PICS) zusammengefasst werden. Es sei daher notwendig, dass sich die adäquate Versorgung kritisch kranker Patienten verstärkt auf den Erhalt von Mobilität und Kognition konzentriere.
Die Geriatrie vernachlässigt häufig das Muskelsystem
Prof. Dr. Ursula Müller-Werdan, Leiterin der Geriatrie an der Charité sowie des Evangelischen Geriatriezentrums Berlin, betonte, Patienten mit Ko-Morbiditäten und hochbetagte Patienten gingen mit einer größeren Krankheitslast als andere in eine intensivmedizinische Behandlung. Sie hätten noch mehr zu kämpfen, selbst wenn sie genesen würden. Ihr Problem seien seelische und kognitive Einschränkungen, aber auch der Verlust der Muskelmasse. In der Geriatrie sei das Muskelsystem das am stärksten vernachlässigte. Es gebe keine systematische Erfassung von Muskelmasse und -kraft, obwohl dies Determinanten seien, die das Alltagsleben dominierten. Müller-Werdan schlug vor, diese muskuläre Komponente stärker in den Fokus zu rücken.
Suche nach besseren Lösungen mit Geldern aus dem Innovationsfonds
Die Charité sucht derzeit im Rahmen eines Projekts, das aus Geldern des Innovationsfonds gefördert wird, nach Ansätzen für eine bessere intensivmedizinische Versorgung. Sie hat mit Partnern den Zuschlag für ERIC („Enhanced Recovery after Intensive Care“) bekommen. Das Projekt wird für drei Jahre mit insgesamt knapp sieben Millionen Euro gefördert. Ziel von ERIC ist es, die Langzeitfolgen einer intensivmedizinischen Behandlung zu verringern. Dafür wird eine zentrale E-Health-Plattform aufgebaut, die die Kommunikation und die Datenerfassung der beteiligten Krankenhäuser verbessert und in einem telemedizinischen Zentrum bündelt.
Es werden unter anderem tägliche Televisiten durchgeführt, in denen die teilnehmenden Ärzte und Pflegekräfte über Video standortunabhängig miteinander kommunizieren. Im Mittelpunkt steht die Implementierung von Qualitätsindikatoren zur intensivmedizinischen Behandlung, die über die E-Health-Plattform automatisch erhoben und ausgewertet werden. Die Plattform dient dazu, akute stationäre und nachgeschaltete Versorgungsstrukturen wie Reha-Zentren oder Hausärzte miteinander zu vernetzen.
Nach einer 18-monatigen Erprobungszeit wird das Projekt evaluiert. Dabei wird geschaut, wie die neue Versorgungsform eingesetzt wurde, ob sie das Behandlungsergebnis verändert hat und ob es einen Effekt auf die Langzeitfolgen gibt.