Berlin – Auf seinem Fach- und Praxisforum zum Thema Notfallversorgung hat der Marburger Bund (MB) für mehr Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten geworben. „Die Probleme in der Notfallversorgung lassen sich nur gemeinsam lösen – in ärztlicher Kooperation über die Sektorengrenzen hinweg. Die medizinische Entscheidungshoheit über die jeweils angemessene Notfallversorgung ist Sache der Ärzteschaft und sollte von allen Beteiligten auch so verstanden werden“, sagte Dr. Susanne Johna, MB-Vorstandsmitglied. „Krankenhäuser und Kassenärztliche Vereinigungen (KVen) sollten sich nicht als Konkurrenten begreifen, sondern als Mitgestalter der zukünftigen Versorgung aus einer Hand“, betonte Johna.
Lob für Vorstoß aus dem Norden
Es sei ermutigend, dass die neue Bundesregierung integrative Leitstellen und gemeinsame Notfallzentren zu gesundheitspolitischen Prioritäten erklärt habe. Auch der jüngste Vorstoß des Landes Schleswig-Holstein zur Verbesserung der sektorenübergreifenden Zusammenarbeit im ärztlichen Notdienst gehe in die richtige Richtung. Der in den Bundesrat eingebrachte Gesetzesantrag sieht vor, dass in begründeten Ausnahmefällen eine ambulante Versorgung in den gemeinsamen medizinischen Anlaufstellen auch während der Sprechstundenzeiten niedergelassener Ärzte erfolgen könne. Umfragen von Krankenhausgesellschaften legen nahe, dass rund die Hälfte der Patienten in die Notaufnahmen der Krankenhäuser kommt, wenn Haus- und Fachärzte ihre Sprechstunden abhalten.
Bedarfsplanung und Budgetierung führen zu Versorgungsproblemen
Kritisch äußerte sich Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), zum heutigen System der Notfallversorgung. Der Sicherstellungsauftrag der KVen sei „gesetzliche Fiktion“, die Kapazitäten des ambulanten Systems seien längst nicht alle „am Netz“. Erneut warf Baum der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) vor, für die ärztliche Leistung in der Notfallversorgung im Krankenhaus teilweise ein Honorar von nur 4,74 Euro zu akzeptieren. Gleichzeitig biete man Ärzten Stundenlöhne von 50 Euro für die Teilnahme am kassenärztlichen Bereitschaftsdienst. Baum kritisierte aber auch die Politik, die eine strenge ambulante Bedarfsplanung vornehme und das Honorar budgetiere: „Die Kapazitäten des niedergelassenen Bereichs müssen über sämtliche Positionen ins Auge genommen werden. Ich habe nichts dagegen, wenn die Niedergelassenen endlich wieder in die Lage kämen, Patienten, die kein Krankenhaus braucht, aufzunehmen.“ Es sei auch an der Zeit, gemeinsam die Krankenkassen anzusprechen, die ihr Budget bezahlten und einen mit den Problemen in der Notfallversorgung allein ließen.
Mehr Werbung für die 116 117 – und eine App
Der KBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Andreas Gassen verwies darauf, dass es vielerorts Kooperationsbeispiele ambulant-stationär in der Notfallversorgung gebe. Man habe auch gerade eine große Werbekampagne für die Telefonnummer 116 117 beschlossen. Ebenso ist eine App geplant, die es Patienten erleichtern soll, die Dringlichkeit ihres gesundheitlichen Problems einzuschätzen und sich an richtiger Stelle Rat zu holen. „Eine einheitliche Benutzeroberfläche ist wichtig“, sagte Gassen. „Aber dahinter kann eine abgestufte Struktur liegen, die in Hamburg eine andere sein wird als auf der schwäbischen Alp.“
Alle 1.600 Krankenhäuser, die heute an der Notfallversorgung teilnehmen, mit Notfallpraxen auszustatten, sei völlig unrealistisch. Der KBV-Vorstandsvorsitzende warb zudem dafür, konsequent echte von gefühlten Notfällen zu unterscheiden: „Man muss Notfallressourcen für die zur Verfügung halten, die akut gefährdet sind. Wenn man hier mit dem Argument der veränderten Lebenswelten nachgibt, dann ist das wie mit der Raupe Nimmersatt.“
Zu Hause fehlen Vollzeitkümmerer – auch das ist zu berücksichtigen
Auf einen weiteren Aspekt verwies MB-Vorstand Johna: das sogenannte Abflussproblem. Welche Patienten man aus der Klinik wegschicken könne, weil sie kein Notfall seien, hänge auch von den ambulanten Strukturen in der Nähe ab. Auch die Einschätzung, es gebe sehr viele sogenannte ambulant-sensitive Fälle, die nicht ins Krankenhaus gehörten, stellte sie in Frage: Eine 80-jährige Patientin mit einer Lungenentzündung, die perfekt zu Hause versorgt werde, müsse nicht ins Krankenhaus. „Aber wir haben nahezu Vollbeschäftigung. Es kann sich oft keiner zu Hause rund um die Uhr kümmern. Solche Patienten gehören deshalb ins Krankenhaus.“ Hier muss man nach Johnas Ansicht „aufhören, sich gegenseitig mit Zahlen zu bombardieren.“